Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 16.04.2025 – Ws 258/25 , Ws 259/25
Titel:

Berufungsrücknahme, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Außerhalb der Hauptverhandlung, Aussetzung der Hauptverhandlung, Sofortige Beschwerde, Berufungshauptverhandlung, Berufung der Staatsanwaltschaft, Zustimmungserfordernis, Kostenentscheidung, Beschlüsse, Landgerichte, Unentschuldigtes Fernbleiben, Verfahrensbeschleunigung, Wiedereinsetzungsantrag, Nichterscheinen, Kostentragungspflicht, Gesamtverfahren, Rücknahme der Berufung, Berufungsverfahren, Berufungskammer

Normenkette:
StPO § 329, § 303
Leitsätze:
1. Wird die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, da er zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen ist, endet mit dem Ende der Hauptverhandlung auch die mit § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO gewährte ausnahmsweise Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten zurückzunehmen.
2. Danach kann die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gemäß § 303 StPO nur mit Zustimmung des Angeklagten zurücknehmen.
Schlagworte:
Berufungsrücknahme, Zustimmungserfordernis, Hauptverhandlung, Kostenentscheidung, Verfahrensabschluss, Beschwerdeverfahren, Ausnahmeregelung
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.02.2025 – 14 NBs 259 Js 34155/22
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 13.01.2025 – 14 NBs 259 Js 34155/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9464

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten werden die Beschlüsse des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.01.2025 und 24.02.2025 aufgehoben.

Gründe

I.
1
Mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.01.2024 wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und ihm wurden die Kosten des Verfahren auferlegt.
2
Gegen das Urteil legten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft – beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch – Berufung ein.
3
In der Berufungshauptverhandlung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.06.2024 erschien der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung nicht, weshalb seine Berufung durch Urteil vom 28.06.2024 nach Aufruf der Sache ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 StPO verworfen wurde.
4
Den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten in den vorigen Stand vor Versäumnis des Berufungshauptverhandlungstermins wies das Landgericht mit Beschluss vom 11.07.2024 als unzulässig zurück. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten verwarf das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 11.09.2024 als unbegründet.
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Mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 13.11.2024 wurde die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.06.2024 als unbegründet verworfen.
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Mit Schreiben vom 03.01.2025 nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.01.2024 zurück.
7
Das Landgericht Nürnberg-Fürth erlegte mit Beschluss vom 13.01.2025, dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt am 14.01.2025, die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung einschließlich der insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf und entschied im Übrigen, dass es hinsichtlich der Berufung des Angeklagten bei der Kostenentscheidung des Landgerichts im Urteil vom 28.06.2024 verbleibe.
8
Hiergegen legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21.01.2025, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass eine Zustimmung des Angeklagten zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft erforderlich sei. Da eine solche nicht vorliege, sei die Berufung nicht wirksam zurückgenommen worden.
9
Das Landgericht Nürnberg-Fürth stellte mit Beschluss vom 24.02.2025 fest, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten wirksam zurückgenommen hat.
10
Gegen den seinem Verteidiger am 26.02.2025 zugestellten Beschluss legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27.02.2025, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass die Staatsanwaltschaft nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München ihre Berufung nicht ohne Zustimmung des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung wirksam zurücknehmen konnte.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Vorlageschreiben vom 14.03.2025, welches dem Angeklagten über seinen Verteidiger zur Stellungnahme bekanntgegeben wurde, die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 13.01.2025 als unzulässig und diejenige gegen den Beschluss des Landgerichts vom 24.02.2025 als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
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Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 31.03.2025 erhielt der Angeklagte seinen Vortrag aufrecht.
II.
13
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.01.2025 ist zulässig, § 464 Abs. 3 StPO. Da der Beschluss die Kostentragungspflicht des Angeklagten im Berufungsverfahren unter Bezugnahme auf das Urteil vom 28.06.2024 tenoriert, ist insoweit eine Beschwer des Angeklagten vor dem Hintergrund der Annahme der mangelnden Rechtskraft dieser Entscheidung anzunehmen.
14
Auch die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.02.2025 ist entsprechend § 322 Abs. 2 StPO zulässig (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 302 Rz. 11a m.w.N).
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2. Beide Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg, da die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ihre Berufung mangels hierfür erforderlicher Zustimmung des Angeklagten nicht wirksam zurückgenommen hat.
16
a. Durch den angefochtenen Beschluss vom 24.02.2025 hat die Berufungskammer entsprechend § 322 StPO deklaratorisch festgestellt, dass die Rücknahmeerklärung der Staatsanwaltschaft wirksam ist und sich infolgedessen deren Rechtsmittel durch Rücknahme erledigt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 302 Rz. 11a m.w.N).
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b. Die Staatsanwaltschaft kann gemäß § 303 StPO ihre Berufung nach dem Beginn der Hauptverhandlung zu dem Rechtsmittel nur mit Zustimmung des Gegners, hier also des Angeklagten, zurücknehmen. Dieses Zustimmungserfordernis gilt ab dem Beginn der ersten Hauptverhandlung für das gesamte Verfahren (vgl. BGHSt 23, 277). Eine Ausnahme besteht nach § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 StPO für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens des Angeklagten bei Beginn und gemäß § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 StPO bei Fortführung der Berufungshauptverhandlung.
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Von dieser Ausnahmemöglichkeit hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 28.06.2024 keinen Gebrauch gemacht.
19
c. Mit dem Ende der Hauptverhandlung endete auch die mit § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO gewährte ausnahmsweise Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten zurückzunehmen. § 329 Abs. 1 StPO begrenzt den Zeitraum, in dem dies unter den jeweiligen Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 möglich ist, auf die Dauer der Hauptverhandlung.
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Der Senat folgt auf Grundlage des Gesetzeswortlauts der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 24.09.2007, 2 Ws 890/07 K, juris, bestätigt durch den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29.09.2020, 206 StRR 277/20, Rz. 29, juris), dass die Ausnahmeregelung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO nicht über die Berufungshauptverhandlung hinaus anzuwenden ist. Dem steht der Ausnahmecharakter dieser Regelung gegenüber der Grundregel des § 303 StPO entgegen, wonach das Zustimmungsbedürfnis ab dem Beginn der ersten Berufungshauptverhandlung dauerhafter Natur bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens ist. Ausnahmeregelungen sind eng auszulegen, so dass sich eine Anwendung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO auf Fälle der Berufungsrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung nach geltendem Recht verbietet.
21
Die davon abweichende Auffassung des Kammergerichts Berlin (Beschluss vom 04.09.2020, 5 Ws 217/19, juris) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landgerichts Dresden (Beschluss 16.11.1998, 8 Ns 103 Js 12674/96), dass die gesetzliche Regelung der Verfahrensbeschleunigung diene und zudem das Nichterscheinen des Angeklagten mit einem Verzicht auf sein Zustimmungsrecht bei Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft einhergehe, der auch über die Aussetzung der Hauptverhandlung fortdauere, überzeugt angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht. Auch wäre das nach Auffassung des Kammergerichts spätere Wiederaufleben des Zustimmungserfordernisses des Angeklagten zu einer Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft, sobald – etwa im Fall einer erfolgreichen Revision – eine erneute Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit beginnt, mit der Rechtswirkung eines wirksamen Verzichts des Angeklagten auf das Zustimmungserfordernis nicht vereinbar.
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Auch der Normzweck der Beschleunigung des Verfahrensabschlusses erfordert keine andere Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO. Auch wenn das Verfahren mit der Anfrage zur Zustimmung zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft nach der Hauptverhandlung bei dem Angeklagten und, falls er diese nicht erteilt, mit der nochmaligen Anberaumung einer Hauptverhandlung nicht so zügig abgeschlossen wird, wie es ohne das Zustimmungserfordernis wäre, wird ein zeitnaher Abschluss des Verfahrens hierdurch nicht verhindert.
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3. Da das Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen ist, ist auch der Beschluss des Landgerichts vom 13.01.2025 über die Kosten dieses Verfahrens aufzuheben. Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ist eine Kostenentscheidung derzeit nicht veranlasst und bleibt der abschließenden Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.