Titel:
Immobilienmarktbericht und Liegenschaftszinssatz - Einsatz von Gutachterausschüssen
Normenketten:
BewG § 154 ABs. 1 S. 2, § 181 Abs. 3 , § 188 Abs. 2 Satz 1, § 198
AO § 125 Abs. 5
ErbStG § 12 Abs. 3
Leitsatz:
Die Übertragung der Ermittlung der Liegenschaftszinssätze auf eine außerhalb der Steuerverwaltung eingerichtete Stelle beruht darauf, dass den Gutachterausschüssen aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Erfahrung (§ 192 Abs. 3 S. 1 BauGB) und ihrer größeren Ortsnähe sowie der in hohem Maße von Beurteilungs- und Ermessenserwägungen abhängigen Wertfindung eine vorgreifliche Kompetenz bei der Ermittlung, Beschließung und Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen für die steuerliche Bewertung zukommt (vgl. zur Ermittlung von Bodenrichtwerten durch den Gutachterausschuss für die steuerliche Bedarfsbewertung BFH-Urteil vom 25.8.2010 II R 42/09, BStBl. II 2011, 205), (Rn. 32). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bedarfsbewertung, Geeignetheit, Liegenschaftszinssätze, Differenzierung, Feststellung, Immobilienmarktbericht, Liegenschaftszinssatz, Ermittlung, Gutachterausschuss, Ertragswertverfahren, Bodenwertverzinsung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9453
Tenor
1. Unter Änderung der Bescheide vom 25.2.2022 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den … für Zwecke der Schenkungsteuer (Aktenzeichen des Beklagten: …, …, …, …) in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 21.4.2022 wird der Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit in A-Stadt, B-Straße .. in Höhe von jeweils 2.620.445 € festgestellt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger i.H.v. 89% und der Beklagte i.H.v. 11%.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
5. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger zu 2.), sowie die Klägerinnen zu 4.) bis 6.) erhielten jeweils mit notarieller Urkunde vom 5.12.2018 im Wege der Schenkung von der Klägerin zu 1.) Anteile an der Klägerin zu 3.) in Höhe von (i.H.v.) 76% (Kläger zu 2.)) sowie jeweils 8% (Klägerinnen zu 4.) bis 6.)). Die Klägerin zu 3.) ist Alleineigentümerin der wirtschaftlichen Einheit in A-Stadt, B-Straße .. (im Folgenden: das Grundstück). Hierbei handelt es sich um ein Mietwohngrundstück im Sinne des (i.S.d.) § 181 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das sich auf dem 350 m² großen Grundstück befindliche Gebäude verfügt über 10 Wohnungen mit einer Wohn-/Nutzfläche von 662 m² sowie Stellplätze in Garagen.
2
Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte der A-Stadt (im Folgenden: Der Gutachterausschuss) wies in seinen Immobilienmarktberichten 2017 und 2018 durchschnittliche Liegenschaftszinssätze unter anderem für Renditeobjekte aus. In den Vorbemerkungen zu den durchschnittlichen Liegenschaftszinssätzen wurde hingewiesen, dass die ermittelten Liegenschaftszinssätze teilweise in einer relativ großen Schwankungsbreite liegen. Zudem bestehe (wie schon in früheren Untersuchungszeiträumen) keine signifikante Abhängigkeit der Zinssätze von der Lage, der Nettokaltmiete oder dem Gewerbeanteil (Immobilienmarktberichte 2017 und 2018, jeweils S. 43).
3
Im Immobilienmarktbericht 2017, welcher alle bis Redaktionsschluss (31.1.2019) beim Gutachterausschuss eingegangenen Verträge des Jahres 2017 berücksichtigt, veröffentlichte der Gutachterausschuss in Tabelle 44 folgende Liegenschaftszinssätze:
4
Liegenschaftszinssätze für Renditeobjekte – Datenbasis 2017 – A Wohnhäuser – Gewerbeanteil 0 bis 30% – Wiederverkauf
5
Im Immobilienmarktbericht 2018, dessen Zahlen ausweislich der Hinweise auf Seite 5 des Berichts alle bis Redaktionsschluss (31.1.2019) beim Gutachterausschuss eingegangenen Verträge des Jahres 2018 erfasst, veröffentlichte der Gutachterausschuss in Tabelle 44 folgende Liegenschaftszinssätze:
6
Liegenschaftszinssätze für Renditeobjekte – Datenbasis 2018:
7
Am 28.9.2019 übermittelte die Klägerin zu 3.) eine Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts für das Grundstück.
8
Auf Veranlassung des für die Schenkungsteuer zuständigen Finanzamts stellte der Beklagte (im Folgenden: das FA) mit Bescheid vom 30.7.2021 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 5.12.2018 für Zwecke der „Erbschaftsteuer“ den Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit in A-Stadt, B-Straße .. i.H.v. 2.702.388 € fest.
9
Mit Schreiben vom 24.2.2022 hob das FA die Bescheide vom 30.7.2021 nach § 125 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) wegen Nichtigkeit auf.
10
Am 25.2.2022 erließ das FA die nachfolgenden zwölf Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 5.12.2018 für Zwecke der Schenkungsteuer und stellte den Grundbesitzwert für das Grundstück i.H.v. 2.702.388 € fest:
- Aktenzeichen: 142/024/3404/010/000/005, für die Klägerin zu 1), 3) und 2)
- Aktenzeichen: 142/024/3404/010/000/006, für die Klägerin zu 1), 3), 6)
- Aktenzeichen: 142/024/3404/010/000/007, für die Klägerin zu 1), 3), 5)
- Aktenzeichen: 142/024/3404/010/000/008, für die Klägerin zu 1), 3), 4)
11
Bei der Ermittlung des Grundbesitzwerts kam das Ertragswertverfahren nach den §§ 184 ff BewG zur Anwendung. Der Bodenwert wurde hierbei getrennt vom Gebäudewert (Gebäudeertragswert) wie bei einem unbebauten Grundstück nach Maßgabe des § 179 Sätze 1 bis 3 BewG ermittelt. Zugrunde gelegt wurde die Grundstücksfläche von insgesamt 350 m² sowie der vom Gutachterausschuss zum 31.12.2016 veröffentlichte Bodenrichtwert von 2.400 € je m² bei einer wertrelevanten Geschossflächenzahl (GFZ) von 1,0. Der Bodenrichtwert wurde anschließend an das Maß der zulässigen baulichen Nutzung für eine GFZ von 2,36 auf einen Bodenwert von 5.664,00 € je m² angepasst.
12
Zum sich somit errechneten Bodenwert von 1.982.400 € kam der Gebäudeertragswert hinzu, welcher sich aus dem Rohertragswert des Grundstücks abzüglich der pauschalierten Bewirtschaftungskosten nach Anlage 23 zum BewG i.H.v. 24% ergab (§ 185 Abs. 1 BewG). Dem Rohertrag wurde dabei die vereinbarte Nettokaltmiete von 7.708 € (für die Wohnungen 1-8 und 10) und eine übliche monatliche Miete von 1.100 € (für die Wohnung 9 sowie die Stellplätze) monatlich zu Grunde gelegt. Bei der anschließenden Bodenwertverzinsung nach § 185 Abs. 2 Satz 2 BewG stellte das FA auf den im Immobilienmarktbericht 2017 des Gutachterausschusses veröffentlichten Mittelwert des Liegenschaftszinssatzes für Renditeobjekte – Datenbasis 2017 – Wohnhäuser – Gewerbeanteil 0 bis 30% – Wiederverkauf – ohne Denkmalschutz i.H.v. 1,8% ab. Der Grundbesitzwert ergab sich sodann aus dem Bodenwert von 1.982.400 € sowie dem Gebäudeertragswert von 719.988 € und wurde entsprechend i.H.v. 2.702.388 € festgestellt.
13
Mit Schreiben vom 28.3.2022 legten die Kläger gegen sämtliche Feststellungsbescheide vom 25.2.2022 Einspruch ein.
14
Mit Einspruchsentscheidung vom 21.4.2022 verband das FA die Einsprüche zur gemeinsamen Entscheidung und wies die Einsprüche als unbegründet zurück.
15
Ihre Klage vom 20.5.2022 begründen die Kläger wie folgt: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.9.2019 II R 13/16 sei generell anstatt des Immobilienmarktberichts 2017 der Immobilienmarktbericht 2018 heranzuziehen, welcher einen Liegenschaftszinssatz von 2,0% ausweise. Die Liegenschaftszinssätze des Immobilienmarktberichts 2018 seien jedoch ungeeignet. Aufgrund der fehlenden Trennung der Liegenschaftszinssätze für „alle Wohnlagen“ und für „besonders attraktive Wohnanlagen“ würden die Zinswerte für einfache und mittlere Lagen systematisch zu niedrig angesetzt, da in den Zinssätzen für „alle Wohnlagen“ auch die separat ausgewiesenen Zinswerte für „besonders attraktive oder zentrumsnahe Wohnlagen“ enthalten seien. Dadurch sei die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht mehr gegeben, da im Raum A-Stadt bereits Abweichungen einer Nachkommastelle zu deutlich sechsstelligen, teils siebenstelligen Differenzbeträgen führten. Da im Immobilienmarktbericht 2018 vier Fälle auf besonders attraktive und zentrumsnahe Wohnlagen und 16 Fälle auf einfache und mittlere Lagen entfielen, sei eine differenziertere Betrachtung für einfache und mittlere Lagen ohne weiteres möglich gewesen und werde auch in anderen Städten wie F. praktiziert. Zudem sei der Immobilienmarktbericht 2018 widersprüchlich, da dieser in der Vorbemerkung annehme, dass in Bezug auf die Liegenschaftszinsen „keine signifikanten Abhängigkeiten der Zinssätze von der Lage“ bestünden, andererseits aber separate Liegenschaftszinssätze bei Mietshäusern für „besonders attraktive oder zentrumsnahe Wohnlagen“ ausgewiesen seien.
16
Es fehle auch eine Angabe, ob es sich um einen einfachen oder um einen gewichteten arithmetischen Mittelwert handle. Durch die Anwendung des arithmetischen Mittels werde der Einfluss der hochpreisigen Verkäufe überproportional groß, was zu einer systematischen Überbewertung von Immobilien in einfachen und mittleren Lagen führe.
17
Wegen der Ungeeignetheit der veröffentlichten Liegenschaftszinssätze sei der gesetzliche Liegenschaftszinssatz zu berücksichtigen.
18
Die Kläger beantragen,
- 1.
-
die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 5.12.2018 für Zwecke der Schenkungsteuer für die wirtschaftliche Einheit in A-Stadt, B-Straße .. vom 25.2.2022 (Aktenzeichen des Beklagten: …, …, …, …) in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 21.4.2022 dahingehend zu ändern, dass bei der Berechnung des Grundstückswerts ein Liegenschaftszinssatz von 5% Anwendung findet.
- 2.
-
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren für notwendig zu erklären und die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen.
- 3.
-
Für den Fall des Unterliegens, hilfsweise die Revision zuzulassen.
20
Das FA ist der Ansicht, dass das genannte Urteil des BFH vom 18.9.2019 II R 13/16 aufgrund eines Nichtanwendungserlasses nicht anzuwenden sei. Nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG seien die von den Gutachterausschüssen ermittelten Liegenschaftszinssätze im Streitfall grundsätzlich anzuwenden, da dieser bei seiner Ermittlung die rechtlichen Vorgaben eingehalten habe. Es handele sich um geeignete Liegenschaftszinssätze.
21
Mit Beschluss vom 23.4.2024 wurde Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Herrn C. (Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte der A-Stadt) als Zeugen.
22
Auf den Gerichtsbescheid vom 24.1.2025 stellten die Kläger mit Schriftsatz vom 20.2.2025 Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grundbesitzwertakte des FA, die schriftliche Aussage des Zeugen C vom 23.8.2024, die Gerichtsakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 2.4.2025 Bezug genommen.
24
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
25
Zu Unrecht hat das FA für die Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes den Immobilienmarktbericht 2017 des Gutachterausschusses herangezogen. Der Grundbesitzwert ist daher auf 2.620.445 € anzupassen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
26
1. Nach § 179 Abs. 1 AO werden die Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, soweit dies in der AO oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Nach § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in Verbindung mit § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert, und – bei mehreren Beteiligten – gesondert und einheitlich (§ 154 Abs. 1 S. 2 BewG) festzustellen, wenn die Werte unter anderem für die Erbschaft- oder Schenkungsteuer von Bedeutung sind. Die Grundbesitzwerte sind nach § 157 Abs. 3 Satz 1 BewG für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens, zu denen der Grund und Boden, die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör gehören (§ 176 Abs. 1 Nr. 1 BewG), unter Anwendung der §§ 159 und 176 bis 198 BewG zu ermitteln. Die Bewertung des Grundvermögens vollzieht sich im typisierten Verfahren und erlaubt zugunsten des Steuerpflichtigen den unmittelbaren Rückgriff auf den gemeinen Wert im Rahmen von § 198 BewG (BFH-Urteil vom 24.8.2022 II R 14/20, BStBl II 2023, 693).
27
2. Der Grundbesitzwert ist unter Ansatz des Liegenschaftszinssatzes des Immobilienmarktberichts 2018 i.H.v. 2,0% auf 2.620.445 € zu reduzieren. Im Übrigen sind die Feststellungsbescheide nicht zu beanstanden.
28
a) Mangels Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts der wirtschaftlichen Einheit durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens oder zustande gekommener Kaufpreise nach § 198 BewG hat das FA eine typisierte Bewertung vorgenommen. Da es sich im Streitfall um ein Mietwohngrundstück i. S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BewG handelt, hat das FA zutreffend nach § 182 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BewG das typisierte Ertragswertverfahren nach §§ 184 bis 188 BewG angewendet. Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens ist nach § 184 Abs. 1 BewG der Wert der Gebäude (Gebäudeertragswert) getrennt von dem Bodenwert auf der Grundlage des Ertrags nach § 185 BewG zu ermitteln. Bei der Ermittlung des Gebäudeertragswerts ist nach § 185 Abs. 1 Satz 1 BewG von dem Reinertrag des Grundstücks auszugehen. Der Reinertrag des Grundstücks ergibt sich aus dem Rohertrag des Grundstücks (§ 186) abzüglich der Bewirtschaftungskosten (§ 187). Zudem ist der Reinertrag um den Liegenschaftszinssatz zu vermindern (§ 185 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BewG). Der Bodenwert und der Gebäudeertragswert (§ 185 BewG) ergeben nach § 184 Abs. 3 Satz 1 BewG den Ertragswert des Grundstücks. Es ist nach § 184 Abs. 3 Satz 2 BewG mindestens der Bodenwert anzusetzen.
29
b) Das FA hat den Bodenwert – zwischen den Beteiligten unstrittig – zutreffend i.H.v.1.982.400 € angesetzt (§ 184 Abs. 2, § 179 BewG).
30
c) Im Streitfall ist der Gebäudeertragswert bei Ansatzes eines höheren Liegenschaftszinssatzes von 2,0% auf 638.045 € zu reduzieren.
31
aa) Nach § 188 Abs. 1 BewG in der bis 22.7.2021 gültigen Fassung (alte Fassung – a.F.) ist der Liegenschaftszinssatz der Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Grundstücken im Durchschnitt marktüblich verzinst wird. Anzuwenden sind nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG a.F. die von den Gutachterausschüssen im Sinne der §§ 192 ff. des Baugesetzbuchs (BauGB) ermittelten örtlichen Liegenschaftszinssätze. Soweit von den Gutachterausschüssen keine geeigneten Liegenschaftszinssätze zur Verfügung stehen, gilt für Mietwohngrund stücke ein Zinssatz von 5% (§ 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BewG a.F.). Die Liegenschaftszinssätze gehören zu den für die Wertermittlung von Grundstücken erforderlichen Daten im Sinne des § 193 Abs. 5 Satz 1 BauGB. Zuständig für die Ermittlung der Liegenschaftszinssätze ist der Gutachterausschuss (§ 193 Abs. 5 Satz 1 BauGB). Nach § 193 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB führt der Gutachterausschuss eine Kaufpreissammlung, wertet sie aus und ermittelt Bodenrichtwerte und sonstige zur Wertermittlung erforderliche Daten. Zu den sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten gehören insbesondere Liegenschaftszinssätze für die verschiedenen Grundstücksarten, insbesondere Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke.
32
Die Übertragung der Ermittlung der Liegenschaftszinssätze auf eine außerhalb der Steuerverwaltung eingerichtete Stelle beruht darauf, dass den Gutachterausschüssen aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Erfahrung (§ 192 Abs. 3 S. 1 BauGB) und ihrer größeren Ortsnähe sowie der in hohem Maße von Beurteilungs- und Ermessenserwägungen abhängigen Wertfindung eine vorgreifliche Kompetenz bei der Ermittlung, Beschließung und Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen für die steuerliche Bewertung zukommt (vgl. zur Ermittlung von Bodenrichtwerten durch den Gutachterausschuss für die steuerliche Bedarfsbewertung BFH-Urteil vom 25.8.2010 II R 42/09, BStBl. II 2011, 205).
33
Die Liegenschaftszinssätze sind für eine bestimmte Grundstücksart im Sinne des § 181 Abs. 1 BewG und eine bestimmte Lage auf dem Grundstücksmarkt zu ermitteln. Liegenschaftszinssätze können zum Beispiel dann für eine bestimmte Lage auf dem Grundstücksmarkt ermittelt sein, wenn sie für einen bestimmten Stadtbezirk festgelegt worden sind (BFH-Urteil vom 18.9.2019 II R 13/16, BStBl II 2020, 760).
34
Vom Gutachterausschuss ermittelte Liegenschaftszinssätze sind für die Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Erbschaftsteuer geeignet, wenn der Gutachterausschuss bei der Ermittlung die an ihn gerichteten Vorgaben des BauGB sowie der darauf beruhenden Verordnungen eingehalten und die Liegenschaftszinssätze für einen Zeitraum berechnet hat, der den Bewertungsstichtag umfasst. Auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung oder der Veröffentlichung der Liegenschaftszinssätze durch den Gutachterausschuss kommt es für ihre zeitliche Anwendung hingegen nicht an (BFH-Urteil vom 18.9.2019 II R 13/16, BStBl. II 2020, 760). Sind zum Zeitpunkt der Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke der Schenkungsteuer den Finanzbehörden keine geeigneten Liegenschaftszinssätze mitgeteilt worden – etwa, weil die durch den Gutachterausschuss berechneten und den Finanzbehörden übermittelten Liegenschaftszinssätze nicht den Wertermittlungsstichtag umfassen, sind die gesetzlichen Liegenschaftszinssätze nach § 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 BewG heranzuziehen.
35
Die Finanzverwaltung hat auf das Urteil des BFH vom 18.9.2019, II R 13/16 mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BStBl. II 2020, 760) und der Gesetzgeber mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom 16.7.2021 eine Änderung des § 188 BewG vorgenommen.
36
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das FA zu Unrecht im Streitfall auf die Liegenschaftszinssätze des Immobilienmarktberichts des Gutachterausschusses für das Jahr 2017 abgestellt. Richtigerweise ist der Immobilienmarktbericht 2018 heranzuziehen, denn nur dieser enthält Liegenschaftszinssätze, die den Bewertungsstichtag 5.12.2018 umfassen. Da der Bewertungsstichtag vor dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG in der Fassung des Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom 16.7.2021 liegt, findet die Gesetzesänderung des § 188 BewG auf den Streitfall keine Anwendung. Damit ist im Streitfall das BFH-Urteil vom 18.9.2019 II R 13/16, BStBl. II 2020, 760 heranzuziehen.
37
Der Immobilienmarktbericht 2018 – Liegenschaftszinssätze für Renditeobjekte – Datenbasis 2018 – hat für Wohnhäuser – Gewerbeanteil 0 bis 30% – alle Wohnlagen – ohne Denkmalschutz – einen Mittelwert der Liegenschaftszinssätze von 2,0% veröffentlicht. Das streitgegenständliche Grundstück befindet sich – zwischen den Beteiligten unstrittig – nicht in einer besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlage, so dass kein durch den Gutachterausschuss ermittelter speziellerer Liegenschaftszinssatz angewendet werden kann. Mangels speziellerem Liegenschaftszinssatz ist daher der Liegenschaftszinssatz für Wohnhäuser in allen Wohnlagen anzuwenden.
38
cc) Der Senat hält den im Streitfall maßgeblichen Liegenschaftszinssatz von 2,0% des Immobilienmarktberichts 2018 für geeignet im Sinne des § 188 Abs. 2 BewG.
39
(1) Die vom Gutachterausschuss im Immobilienmarktbericht 2018 ermittelten Liegenschaftszinssätze entsprechen den Vorgaben des BauGB und der anzuwendenden Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom 19.5.2010 (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV 2010).
40
Der Gutachterausschuss kommt der vom BFH aufgestellten Vorgabe zur Differenzierung auch nach der Lage auf dem Grundstücksmarkt nach, indem er Liegenschaftszinssätze für alle Wohnlagen und eigene Liegenschaftszinssätze für besonders attraktive oder zentrumsnahe Wohnlagen veröffentlicht. Nach der Aussage des Zeugen C. ist für besonders attraktive oder zentrumsnahe Wohnlagen eine Differenzierung möglich, da hier eine gesonderte Auswertung wegen einer hohen Nachfrage möglich ist. Aus Sicht des Senats ist die Aussage des Zeugen C. grundsätzlich nachvollziehbar, auch wenn der Immobilienmarktbericht 2018 in der Datenbasis 2018 nur vier Verkaufsfälle für Renditeobjekte (Wohnhäuser, Gewerbeanteil 0 bis 30%) in besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlagen enthält. Die ebenfalls in diesem Bericht veröffentlichten Liegenschaftszinssätze auf der Datenbasis 2017/2018 enthalten dagegen 25 Fälle (von insgesamt 57 Fällen in allen Wohnlagen) und auch der vorangegangene Immobilienmarktbericht 2017 enthält in der Datenbasis 2016/2017 27 Verkaufsfälle für Renditeobjekte (Wohnhäuser, Gewerbeanteil 0 bis 30%) in besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlagen. Der Senat geht daher davon aus, dass es sich bei den lediglich vier Verkaufsfällen in 2018 nur um einen statistischen Ausreißer und bei der separaten Ausweisung von Liegenschaftszinsen in besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlagen um eine grundsätzlich geeignete Differenzierung nach der Lage der Grundstücke handelt.
41
Eine weitergehende Differenzierung für alle unterschiedlichen Wohnlagen ist nach der Aussage des Zeugen C. für München aus den statistischen Daten und Verkaufsfällen nicht möglich. Ausweislich des Immobilienmarktberichts 2018, Seite 43, besteht keine signifikante Abhängigkeit der Zinssätze unter anderem von der Lage. Vielmehr wird die Höhe der Liegenschaftszinssätze zusätzlich von nicht eindeutig zu bestimmenden Faktoren beeinflusst. Der schriftlichen Aussage des Zeugen C. zufolge ist damit gemeint, dass dem Gutachterausschuss nicht genügend detaillierte Daten vorliegen, um solche Abhängigkeiten rein statistisch nachweisen zu können. Dass andere Städte, wie beispielsweise F. a. M., auch Liegenschaftszinssätze für einfache und mittlere Lagen separat ausweisen, ist nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der immobilienmarktspezifischen Besonderheiten im Streitfall nicht entscheidend.
42
(2) Aus Sicht des Senats bestehen auch keine Bedenken gegen die Einbeziehung der vier Grundstücksverkäufe von Objekten in besonders attraktiver oder zentrumsnaher Wohnlage in den Liegenschaftszinssatz für „alle Wohnlagen“.
43
Zwar erhöht sich der Liegenschaftszinssatz nach der schriftlichen Aussage des Zeugen C. tatsächlich auf 2,14% (statt 2,0%), wenn die vier Verkaufsfälle innerhalb von besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlagen herausgerechnet werden. Dennoch begegnet auch die Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen für das gesamte Auswertungsgebiet der A-Stadt keinen Bedenken. Zum einen hat der Zeuge nachvollziehbar dargelegt, dass die Vorauswahl der einzubeziehenden Objekte anders erfolgt wäre, wenn die betreffenden vier Verkäufe von Objekten in besonders attraktiven oder zentrumsnahen Lagen aus der Berechnungsgrundlage für die Liegenschaftszinssätze von allen Wohnlagen herausgenommen worden wären. Zum anderen kann im Einzelfall – insbesondere auch aufgrund einer besonderen Lage des Grundstücks – ein höherer Liegenschaftszinssatz im Rahmen eines Sachverständigengutachtens nach § 198 BewG nachgewiesen werden.
44
(3) Die Darstellung der Mittelwerte als arithmetisches Mittel begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Nach § 193 Abs. 5 Nr. 1 BauGB, § 14 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2010 bilden die Liegenschaftszinssätze die im Durchschnitt marktübliche Verzinsung der Verkehrswerte von Grundstücken ab. Aus Sicht des Senats besteht hinsichtlich der Gewichtung ein Gestaltungsspielraum des Gutachterausschusses, welcher insbesondere von der vorhandenen Datenlage abhängig ist. Der Zeuge C. hat nachvollziehbar dargelegt, dass ein einfaches arithmetisches Mittel gewählt wurde, da nicht ausreichend Daten vorlagen, um eine gewichtete Berechnung durchführen zu können.
45
dd) Bei Anwendung des maßgeblichen Liegenschaftszinssatzes von 2,0% ergibt sich eine Bodenwertverzinsung von 39.648 € und in der Folge ein Gebäudereinertrag von 37.510 € (§ 185 Abs. 1 und 2 BewG). Dieser ist nach § 185 Abs. 3 BewG mit dem Vervielfältiger der Anlage 21 zum BewG zu multiplizieren. Bei einem Liegenschaftszinssatz von 2,0% und einer Restnutzungsdauer von 21 Jahren ergibt sich ein rechnerischer Vervielfältiger von 17,01. Der Gebäudeertragswert beträgt daher 638.045 €. Der Grundbesitzwert ist daher i.H.v. 2.620.445 € festzustellen.
46
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
47
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
48
5. Über den Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz FGO), wird im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens vom Gericht gesondert entschieden (vgl. Stapperfend, in Gräber, FGO, § 139 Rn. 123).
49
6. Die Revision zum BFH wird zugelassen, um zu klären, ob bei der Ermittlung der Liegenschaftszinssätze eine weitergehende Differenzierung durch den Gutachterausschuss nach der Lage der Grundstücke geboten ist und ob die Einbeziehung der besonders attraktiven oder zentrumsnahen Wohnlagen in den Liegenschaftszinssatz für „alle Wohnlagen“ trotz separater Darstellung für diese Lagen zutreffend erfolgt ist.