Inhalt

VG München, Urteil v. 23.04.2025 – M 19L DK 23.2618
Titel:

Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Justizbeamtin, Verwahrungsbruch, Strafvereitelung im Amt

Normenketten:
BayDG Art. 11
BayDG Art. 14 Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Justizbeamtin, Verwahrungsbruch, Strafvereitelung im Amt
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9430

Tenor

I. Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.
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Die 1974 geborene Beklagte ist seit dem 2. September 1991 in der bayerischen Justiz tätig. Zum 15. November 2001 wurde sie als Justizsekretärin (Besoldungsgruppe A 6) in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Zuletzt war sie als Justizhauptsekretärin an einem Amtsgericht (Besoldungsgruppe A 8; Ernennung zum 1.12.2019) überwiegend im Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts tätig.
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Die Beklagte wurde im Beurteilungsjahr 2014 mit acht Punkten, im Beurteilungsjahr 2017 mit neun Punkten und im Jahr 2020 mit sieben Punkten dienstlich beurteilt. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und war zuvor nicht straf- oder disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten.
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Seit dem 22. Juni 2022 war die Beklagte dienstunfähig erkrankt. In der Zeit vom 27. Juli 2022 bis zum 7. September 2022 befand sie sich in stationärer Behandlung in einer psychosomatischen Klinik.
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Zuvor wurde mit Verfügung vom 7. Juli 2022 gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der bekannt gewordenen Nichterledigung ihr obliegender Aufgaben und Verschleierung dieses Umstands ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dies wurde der Beklagten am 13. Juli 2022 eröffnet. Sie nahm nach Belehrung persönlich Stellung. Zum 28. Oktober 2022 wurde ein Persönlichkeitsbild zur Beklagten erstellt.
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Mit Verfügung vom 4. November 2022 übernahm die Generalstaatsanwaltschaft das Disziplinarverfahren als Disziplinarbehörde und setzte das Verfahren im Hinblick auf ein paralleles strafrechtliches Ermittlungsverfahren aus.
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Am 5 Januar 2022 wurde der Disziplinarbehörde das im staatsanwaltlichen Auftrag erstellte forensisch psychiatrische Gutachten vom 22. Oktober 2022 zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB übermittelt.
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Am 15. Februar 2023 erging ein seit dem 3. März 2023 rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts …, mit dem zu Lasten der Beklagten wegen Verwahrungsbruch in 15 tatmehrheitlichen Fällen, in zwölf Fällen in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt gemäß § 133 Abs. 1, Abs. 3, § 258 Abs. 1, Abs. 2, § 258a Abs. 1, §§ 13, 47, § 49 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt wurde. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 13. Februar 2023 waren zuvor gemäß § 154 Abs. 1, § 154a Abs. 1 StPO Ermittlungen zu anderweitigen unterlassenen Aktenbearbeitungen, der Nichtbearbeitung einzelner Schriftstücke, das Horten von Videokassetten und CDs aus Bußgeldverfahren sowie die Nichtbearbeitung von Rechtshilfeverfahren eingestellt worden.
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Mit Schreiben vom 10. März 2023 wurde das Disziplinarverfahren fortgesetzt und die Beklagte zur beabsichtigten Beschränkung des Verfahrens sowie vorläufigen Dienstenthebung unter Einbehalt von Bezügen angehört. Der Bevollmächtigte der Beklagten äußerte sich für diese mit Schreiben vom 29. März 2023.
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Mit Verfügung vom 6. April 2023 wurde das Disziplinarverfahren auf die dem rechtskräftigen Strafbefehl zugrundeliegenden Sachverhalte beschränkt. Mit Verfügung vom selben Tag wurde die Beklagte außerdem unter Einbehalt von 20% ihrer Bezüge vorläufig des Dienstes enthoben.
11
Am 26. Mai 2023 erhob die Disziplinarbehörde Disziplinarklage. Hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 117 Abs. 3 VwGO auf die Disziplinarklageschrift vom 10. Mai 2025 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragte,
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gegen die Beklagte auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
14
Die Beklagte beantragte,
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die Disziplinarklage abzuweisen, hilfsweise, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
16
Das behördliche Disziplinarverfahren sei bereits mit einem wesentlichen Mangel behaftet. Die Tatsachenfeststellung sei mangelhaft. Es seien keine eigenen Ermittlungen durch die Disziplinarbehörde angestellt worden. Hinsichtlich der Frage, ob von eigenen Ermittlungen abgesehen werde, sei keine Ermessensentscheidung getroffen worden. Vorliegend sei ein weiteres (psychiatrisches) Sachverständigengutachten zur Frage, ob die Beklagte das ihr vorgeworfene Dienstvergehen im Zustand einer zumindest eingeschränkten Steuerungsfähigkeit begangen hat, einzuholen. Der im Strafverfahren beauftragte Sachverständige habe sich lediglich mit den Auswirkungen auf Straftatbestände auseinandergesetzt, obwohl die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit im Hinblick auf eine Straftat oder ein Dienstvergehen aus psychiatrischer Sicht unterschiedlich zu beurteilen sei. Ein Indiz sei, dass die dienstärztliche Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass grundsätzlich eine Erkrankung aus dem Fachgebiet der Psychiatrie vorliege.
17
Das einzuholende psychiatrische Sachverständigengutachten werde erbringen, dass die Verfehlungen der Beklagten weniger gravierend seien. Sie habe nicht aus Eigennutz oder gar Bereicherungsabsicht gehandelt. Vielmehr sei sie aufgrund einer psychiatrisch relevanten Grunderkrankung mit ihrem Arbeitspensum nicht mehr zurechtgekommen. Da die Disziplinarbehörde ihre Klage auf die im Strafbefehl geahndeten Fälle beschränkt habe, seien weitere Fälle außeracht zu lassen. Die Beklagte habe sich nach Eröffnung des Ermittlungs- und Disziplinarverfahrens bemüht, zur lückenlosen Aufklärung beizutragen. Bei der Hausdurchsuchung nicht aufgefundene Unterlagen seien freiwillig übergeben worden.
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Bei Berücksichtigung der Gesamtumstände könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit so stark erschüttert sei, dass eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zuzumuten wäre. Die Beklagte habe sich nach dem Aufkommen der Bearbeitungsrückstände in stationäre psychotherapeutische Behandlung in eine Klinik begeben. Missstände seien dort aufgearbeitet worden und sie habe nunmehr gelernt, dass sie mit eventuellen Bearbeitungsrückständen nicht allein zurechtkommen müsse. Das von der Beklagten begangene Dienstvergehen könne allenfalls eine Zurückstufung rechtfertigen.
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Am 23. April 2025 fand die mündliche Verhandlung statt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichtsakte mit dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung sowie die von der Disziplinarbehörde vorgelegten Akten nebst Strafakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt.
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine durchgreifenden Mängel auf.
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Soweit der Bevollmächtigte der Beklagten rügt, dass die Disziplinarbehörde keine eigenen Ermittlungen bzw. diesbezüglich keine Ermessenserwägungen angestellt habe, ist auf Art. 25 Abs. 2 BayDG zu verweisen. Demnach können tatsächliche Feststellungen, die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffen worden sind, ohne erneute Beweiserhebung verwertet werden. Von dieser Möglichkeit hat die Disziplinarbehörde hinsichtlich der Erkenntnisse, die im Strafverfahren aus der Aufarbeitung aufgefundener Schriftstücke und Akten, der Einvernahme von Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten der Beklagten und dem eingeholten forensisch psychiatrischen Gutachten gewonnen wurden, Gebrauch gemacht (vgl. Disziplinarklage, S. 9). Die Disziplinarbehörde hat sich in der Disziplinarklage ersichtlich mit der Frage der Beweisführung auseinandergesetzt. Während von ihr in Anbetracht des Art. 25 Abs. 2 BayDG und mangels entsprechendem substantiierten Vortrag von Beklagtenseite zu Beweiserhebungen durch Zeugeneinvernahmen keine expliziten Erwägungen veranlasst waren, hat sie ausführlich dargelegt, warum sie die von Seiten der Beklagten erstrebte nochmalige Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ablehnt. Im Übrigen führt eine im behördlichen Disziplinarverfahren zu Unrecht unterlassene Beweiserhebung nicht zu einem durchgreifenden Verfahrensmangel, wenn sie – wie hier – durch das Gericht nachgeholt werden könnte (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2023 – 16a D 21.1331 – juris Rn. 43 m.w.N.).
23
2. Das Disziplinargericht legt seiner Entscheidung den in der Disziplinarklage dargestellten Sachverhalt zugrunde:
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„Die Beamtin, seit 01.01.2006 beim … …, …, … … in der Strafabteilung als Justizobersekretärin und ab 01.12.2019 als Justizhauptsekretärin im Beamtenverhältnis tätig, bearbeitete im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit pflichtwidrig bis 21.06.2022 in einer Vielzahl von Fällen Akteneingänge in laufenden Straf-, Vollstreckungs- oder Bewährungsverfahren nicht und ließ Arbeitsvorgänge, die ihr in dieser Eigenschaft zur Bearbeitung zugeteilt waren, unerledigt. Ebenso ließ sie mehrere Rechtshilfevorgänge unbearbeitet.
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Um dies zu verschleiern, versteckte sie Akten und Aktenbestandteile an diversen Ablageorten ihres dienstlichen Arbeitszimmers und nahm unzutreffende Eintragungen in der EDV vor bzw. gab gegenüber Dritten falsche telefonische Auskünfte ab.
26
Unter anderem kam es in diesem Zusammenhang zu folgenden Vorfällen:
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1. Im Verfahren … … … … … unterließen sie es, den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts … vom 20.11.2019 über eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45,00 € zuzustellen. Die Akte blieb bis 22.06.2022 unbearbeitet.
28
2. Im Verfahren … … … … … ließ sie vom 25.06.2020 bis 22.06.2022 die richterliche Verfügung vom 24.06.2020, den Strafbefehl vom 12.06.2020 über eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € an die Zustellungsbevollmächtigte zuzustellen, unbearbeitet.
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3. Im Verfahren  … … … … wurden gegen den dortigen Angeklagten am 19.06.2019 Strafbefehl über eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen a 10,00 €, erlassen. Die Beamtin unterließ es, am Strafbefehl vom 19.06.2019, der seit 12.11.2019 rechtskräftig war, den Rechtskraftvermerk anzubringen. Die Akten wurden erst am 05.07.2022 der Staatsanwaltschaft … zur Vollstreckung zugeleitet.
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4. Im Verfahren … … … … … ließ die Beamtin die richterliche Verfügung vom 13.03.2020, den Strafbefehl vom 09.01.2020 über eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 € zuzustellen, bis 06.07.2022 unbearbeitet.
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5. Im Bewährungsverfahren BewH … … … … … erging am 20.01.2020 ein Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts … Diesen hatte die Beamtin an den dortigen Verurteilten zuzustellen, was schließlich am 26.09.2020 im Wege der Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörigen Briefkasten erfolgte. Mit Schreiben vom 12.10.2020, eingegangen am 16.10.2020, beantragte der Arbeitgeber des Verurteilten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beamtin ließ diesen Antrag unbearbeitet und legte die Akte in der Folgezeit nicht dem zuständigen Richter vor. Am 17.06.2022 wurde die Akte unbearbeitet aufgefunden. In der Zwischenzeit kam es weder zu einer Vollstreckung der widerrufenen Bewährungsstrafe noch zu einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag.
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6. Im Verfahren … … … … … führte die Beamtin die richterliche Verfügung vom 17.02.2021 zur Zustellung des Strafbefehls vom 17.02.2021 über eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 € im Rechtshilfeweg nach Eingang der Übersetzung am 23.04.2021 nicht aus. Um dies zu verschleiern, vermerkte die Beamtin den Aktenstandort unzutreffend seit 10.11.2021 bei der Rechtshilfesachbearbeiterin des LG …
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7. Im Verfahren … … … … … führte sie die richterliche Verfügung vom 12.11.2020 zur Zustellung des Strafbefehls vom 12.11.2020 über eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 35,00 € im Rechtshilfeweg nicht aus. Um dies zu verschleiern, vermerkte sie den Aktenstandort unzutreffend seit 01.12.2021 bei der Rechtshilfesachbearbeiterin des LG …
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8. Im Verfahren … … … … … führte die Beamtin die richterliche Verfügung vom 18.08.2021 zur Zustellung des Strafbefehls vom 28.02.2021 über eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 € im Rechtshilfeweg nicht aus. Um dies zu verschleiern, vermerkte sie den Aktenstandort unzutreffend seit 01.12.2021 bei der Rechtshilfebearbeiterin des LG …
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9. Im Verfahren  … … … … führte die Beamtin die richterliche Verfügung vom 26.07.2021 zur Zustellung des Strafbefehls vom 07.06.2021 über eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 50,00 € nicht aus. Um dies zu verschleiern, vermerkte sie den Aktenstandort unzutreffend bei der Rechtshilfesachbearbeiterin des LG …
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10. Im Verfahren  … … … … ließ die Beamtin die richterliche Verfügung, den Strafbefehl über eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40,00 € vom 09.06.2021 im Wege der Rechtshilfe zuzustellen, bis 21.06.2022 unbearbeitet.
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11. Im Verfahren … … … … … erging am 17.01.2020 ein am selben Tag rechtskräftig gewordenes Urteil des Amtsgerichts … – Jugendrichter gegen den Angeklagten … Dieser wurde zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten mit Bewährung verurteilt. Gegen die Mitangeklagten … und … wurde das Verfahren am 17.01.2020 gemäß § 47 JGG gegen die Ableistung von jeweils 80 Sozialstunden eingestellt. Gegen die Mitangeklagte … wurde das Verfahren gemäß § 153a StPO gegen die Ableistung von 60 Sozialstunden eingestellt. Im Rahmen der Jugendvollstreckung war die Beamtin für die Bearbeitung von Eingängen und die zügige Vorlage der Akte an den zuständigen Jugendrichter verantwortlich. Da die Angeklagten …, … und … ihre Arbeitsauflagen nicht fristgemäß erfüllt hatten, beantragte die Staatsanwaltschaft … mit Verfügung vom 26.08.2020 eine letztmalige Fristverlängerung und ggf. die Wiederaufnahme des Verfahrens. Antrag und Akte gingen am 02.09.2020 beim Amtsgericht … ein. Die weiteren Mitteilungen der Caritas …, eingegangen am 12.08.2020, 19.08.2020 und 16.09.2020 ließ die Beamtin zunächst unbearbeitet. Die Vollstreckung des Urteils wurde ebenfalls zunächst nicht eingeleitet. Erst am 19.02.2021 wurde die Akte der zuständigen Jugendrichterin vorgelegt, welche feststellte, dass die Maximalfrist für die Ableistung der Sozialstunden abgelaufen war. Sie verfügte am 22.02.2021 die Prüfung, ob die Urteilsvollstreckung eingeleitet war und die Zuleitung der Akte an die Staatsanwaltschaft … zur Stellungnahme. Diese Verfügung ließ die Beamtin wiederum unbearbeitet und verbrachte die Akte, um ihre Untätigkeit zu verschleiern, in der Folgezeit zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 02.08.2022 in ihre Wohnung in der … … … …, wo sie sie versteckte. Wegen dieser Umstände wurde zwischenzeitlich das Verfahren betreffend die Angeklagten … und … gem. § 47 Abs. 1 JGG und gemäß § 153 Abs. 2 StPO betreffend der Angeklagten … ohne weitere Auflagen eingestellt. Eine Wiederaufnahme war aufgrund des Zeitablaufs trotz fehlender Auflagenerfüllung aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich, obwohl aus erzieherischen Gesichtspunkten eine Ableistung der Sozialstunden notwendig gewesen wäre.
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12. Am 12.07.2021 gingen beim Amtsgericht … die Strafakten des Verfahrens … … … … des Amtsgerichts … ein und wurden der Beamtin zur Bearbeitung vorgelegt. Gegenstand der Aktenübersendung war ein Ersuchen des Amtsgerichts … um Zeugenvernehmung durch den ersuchten Richter vom 05.07.2021. Die Beamtin ließ das Ersuchen unbearbeitet und legte es auch nicht dem zuständigen Richter vor. Stattdessen verbarg sie die Akten des Amtsgerichts Marl in einem 11-bändigen Aktenstapel des Amtsgerichts …, der mit einem weiteren Vernehmungsersuchen am 20.08.2021 eingegangen war, und legte diese Akten in dem Regal mit Wiedervorlage-Akten in ihrem Dienstzimmer ab. Dort wurden die Akten erst am 18.07.2022 aufgefunden. Im Verfahren des Amtsgerichts … wäre am 20.09.2021 ein Hauptverhandlungstermin anberaumt gewesen, worauf in der Zuleitung an das Amtsgericht … auch hingewiesen wurde.
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13. Die elfbändigen Verfahrensakten des Amtsgerichts … mit dem Az. … … … … … gingen am 20.08.2021 mit einem Ersuchen um Zeugenvernehmung durch den ersuchten Richter beim Amtsgericht … ein und lagen der Beamtin zur Bearbeitung vor. Die Akten legte sie in der Folgezeit nicht dem zuständigen Richter vor, sondern ließ diese unbearbeitet. Um dies zu verschleiern, antwortete sie auf die Aktenanforderung des AG … vom 14.03.2022 unter dem Az. … … mit Schreiben vom 20.05.2022, dass der Vorgang nicht aufgefunden werden könne. Die Akten des Amtsgerichts … legte sie unterdessen in einem Regal mit Wiedervorlage-Akten ab, wo sie bis 18.07.2022 unbearbeitet blieben.
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14. Im Verfahren … … … … … legte die Beamtin ein am 22.07.2019 eingegangenes Schreiben der Angeklagten vom 08.07.2019 – ein Einspruch gegen den Strafbefehl, dessen Rechtskraft am 13.12.2019 bescheinigt wurde – unter einem mit Formblättern versehenem Ablagegitter in einer Schublade ihres Rollcontainers ab und ließ das Schreiben nebst anderen Aktenbestandteilen nie zur Akte gelangen. Der Strafbefehl über eine Geldstrafe von 60 Ts a 30,00 € ist mittlerweile vollständig vollstreckt.
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15. Im Verfahren mit dem Az. … … … … … erließ das Amtsgericht … am 09.05.2019 Strafbefehl wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 € und verfügte die Zustellung an den Angeklagten. Die Beamtin ließ diese Verfügung bis zum 15.07.2022 unbearbeitet und ignorierte auch drei zwischenzeitlich erfolgte Sachstandsanfragen der Staatsanwaltschaft.
42
Die Beamtin nahm hierbei jeweils zumindest billigend in Kauf, dass die von dieser Vorgehensweise betroffenen Akten oder Aktenbestandteile über einen erheblichen Zeitraum oder dauerhaft der dienstlichen Verfügung entzogen wurden. Ferner war ihr bewusst, dass in den Fällen 1. bis 10. und 15. die verhängten Geld- oder Freiheitsstrafen über einen erheblichen Zeitraum nicht vollstreckt werden konnten bzw. die Vollstreckung tatsächlich oder rechtlich unmöglich werden würde sowie das im Fall 11 die erforderlichen erzieherischen Maßnahmen und Sanktionen nicht mehr getroffen werden konnten.“
43
Der vorstehende Sachverhalt entspricht im Wesentlichen den tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 15. Februar 2023. Diese sind zwar nicht bindend. Sie entfalten aber Indizwirkung und können der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden, zumal die Beklagte die Vorwürfe eingeräumt hat (vgl. Art. 25 Abs. 2, Art. 55 BayDG; BayVGH, U.v. 5.11.2014 – 16a D 13.1568 – juris Rn. 32).
44
3. Die Beklagte hat durch die ihr zur Last gelegten Taten innerdienstlich ein einheitliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen.
45
Mit den von der Beklagten verübten Straftaten des Verwahrungsbruchs und der Strafvereitelung hat sie als Amtsträgerin gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze verstoßen (vgl. Art. 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 133 Abs. 1, Abs. 3, § 258 Abs. 1, Abs. 2, § 258a Abs. 1, §§ 13, 47, § 49 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB). Das Disziplinargericht hat keinen Anlass, von der rechtlichen Einschätzung des Amtsgerichts … indessen Strafbefehl abzuweichen.
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Damit einher gehen Verstöße gegen die Pflichten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG bzw. § 34 Satz 3 BeamtStG in der bis 6.7.2021 gültigen Fassung – a.F.), sich mit vollem Einsatz dem Beruf zu widmen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG bzw. § 34 Satz 1 BeamtStG a.F.) und gegen die Folgepflicht, weil die Beklagte die ihr als Beamtin der Geschäftsstelle obliegenden Anordnungen und Richtlinien nicht beachtet hat (§ 34 Satz 2 BeamtStG; vgl. Aktenordnung für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaften in Bayern – AktO, Abschnitt 11 der Anordnung über Mitteilung in Strafsachen – MiStra, § 5 Abs. 1 Geschäftsstellenverordnung – GeschStV).
47
Die Beklagte handelte vorsätzlich und nach den Feststellungen im strafrechtlichen Verfahren, die auch im Disziplinarklageverfahren herangezogen werden können, zudem schuldhaft. Ausweislich des zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB von der Staatsanwaltschaft … in Auftrag gegebenen forensisch psychiatrischen Gutachtens vom 22. Oktober 2022 war allenfalls von einer leichten depressiven Episode (ICD 10: F 32.0) auszugehen, die schon nicht den forensisch relevanten Ausprägungsgrad einer seelischen Störung bzw. eine Beeinträchtigung des sozialen Funktionsniveaus im Sinne des § 20 StGB erreichte. Hinweise auf die fehlende Einsichtsfähigkeit des Tuns oder eine verminderte, gar aufgehobene Steuerungsfähigkeit bestünden somit nicht. Diese, auch für das Disziplinarverfahren maßgeblichen Feststellungen sind durch anderweitige Anknüpfungstatsachen, die dennoch Anlass zu einer (weiteren) Aufklärung der Frage der Schuldfähigkeit im Tatzeitraum geben könnten, nicht in Frage gestellt. Denn solche sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ergeben sich auch aus den Erkenntnissen aufgrund der Beurteilung der Dienstunfähigkeit der Beklagten durch die medizinische Untersuchungsstelle der Regierung von Niederbayern vom 6. April 2023 keine Widersprüchlichkeiten oder sonst weiterer Aufklärungsbedarf. Es wurde demnach eine behandlungsbedürftige Erkrankung aus dem Fachgebiet der Psychiatrie festgestellt, die sich nach den schwerwiegenden Problemen am Arbeitsplatz verschlimmerte, jedoch nicht zur Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit oder von Einschränkungen hinsichtlich der bisherigen Tätigkeit führte.
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4. Die festgestellten Dienstpflichtverletzungen wiegen nach der gebotenen Gesamtwürdigung vorliegend so schwer, dass die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt.
49
Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten oder der Beamtin sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden der Beamtin oder des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte oder die Beamtin wegen der schuldhaften Verletzung einer obliegenden Pflicht das für die Ausübung des Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
50
Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld, Beweggründe für das Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 16).
51
Fallen – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, U.v. 8.9.2004 – 1 D 18.03 – juris Rn. 47). Diese liegt hier in den Taten, mit denen die Beklagte als Amtsträgerin neben Verwahrungsbruch zugleich Strafvereitelung beging, soweit die Vollstreckungsmaßnahmen nicht nur niedrigere Geldstrafen bzw. Tagessatzhöhen betrafen und als minder schwere Fälle der Strafvereitelung im Amt gewertet werden können (vgl. Fälle Nr. 2, 3, 4, 6, 8, Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 13.2.2023, Bl. 297 der Strafakte und § 258a Abs. 1 StGB).
52
Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahme bei innerwie bei außerdienstlichen Vergehen ist in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 19 f.; U.v. 24.10.2019 – 2 C 3.18 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 28.9.2016 – 16a D 14.991 – juris Rn. 54). Diese grundsätzliche Ausrichtung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung der Dienstvergehen und verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Gehalts eines Dienstvergehens an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts, sondern die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers bestimmt, welche Straftaten als besonders verwerflich anzusehen sind (BVerwG, U.v. 16.6.2020 – 2 C 12.19 – juris Rn. 21). Begeht eine Beamtin oder ein Beamter eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme schon bei Straftaten, die keinen besonderen Bezug zu der dienstlichen Stellung des Beamten aufweisen, bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 2 C 3.18 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 18.12.2024 – 16a D 23.525 – juris Rn. 34).
53
Demnach ist vorliegend der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet. Für Verwahrungsbruch durch Amtsträger reicht der Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 133 Abs. 3 StGB); für Strafvereitelung im Amt beträgt er ebenfalls fünf Jahre (§ 258a Abs. 1 StGB). Bei Berücksichtigung der Minderung nach § 49 StGB von höchstens drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes liegt der somit eröffnete Rahmen immer noch über drei Jahren.
54
Nach der anzustellenden Gesamtbetrachtung ist die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil sie durch ihr Dienstvergehen das Vertrauen des Klägers und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
55
a) Das Dienstvergehen ist als äußerst schwerwiegend anzusehen. Dies gilt unabhängig von der mit Strafbefehl verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr, die im Fall eines entsprechenden Urteilsausspruchs zur sofortigen Dienstverhältnisbeendigung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2021 – 2 B 43.21 – juris Rn. 13, 18 m.w.N.).
56
Indem die Beklagte seit jedenfalls 2019 bis zum Aufkommen der Sachverhalte im Sommer 2022 in einer Vielzahl von Fällen ihr obliegende Aufgaben nicht erledigte und dies noch dazu durch verschiedenste Maßnahmen, wie Verstecken von Akten und Schreiben, verschleierte, hat sie in eklatanter Weise gegen leicht einsehbare und für die Abläufe in der Strafjustiz wesentliche Dienstleistungspflichten verstoßen. Insoweit sind auch die weiteren strafrechtlich geahndeten Taten zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen. Die Beamtin hat damit in einem Kernbereich versagt. Dies führte zu erheblichen Störungen des Dienstbetriebs, bis hin zu Terminausfällen oder der längerfristigen Verzögerung, zum Teil sogar der endgültigen Vereitelung von Strafvollstreckungsmaßnahmen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass sie sich erfolglos mit Hilfeersuchen an vorgesetzte Stellen oder Kollegen gewandt hätte. Solches ist in Anbetracht der strafrechtlichen Ermittlungen, insbesondere der in diesem Rahmen erfolgten Zeugeneinvernahmen, auch in keiner Weise ersichtlich. Ebenso wenig handelte es sich um schwierige Aufgaben, die die Beklagte, der von Dienstvorgesetzten und Kollegen ein hohes Fachwissen bescheinigt wird, nicht hätte bewältigen können. Stattdessen handelte es sich um zum Teil einfachste Vorgänge, was sie selbst bestätigte. Überdies kann nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass – nach Aktenlage und unbestritten – falsch abgelegte, versteckte, zum Teil von der Beklagten mit nach Hause genommene Unterlagen in noch viel größerem Umfang im Rahmen der Ermittlungen aufkamen. Auf die betreffenden Ausführungen in der Disziplinarklageschrift (S. 12) wird verwiesen. Die diesbezüglichen Strafverfahren wurden nach §§ 154, 154a StPO eingestellt. Die geahndeten und zum Gegenstand der Disziplinarklage gemachten Fälle stellen somit letztlich nur die „Spitze des Eisbergs“ dar.
57
b) Mildernde Umstände von solchem Gewicht, die trotz der Schwere des Dienstvergehens die Verhängung der Höchstmaßnahme als unangemessen erscheinen lassen, liegen nicht vor.
58
Hat das Dienstvergehen insgesamt ein solches Gewicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Disziplinarmaßnahme indiziert ist, kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG derart ins Gewicht fallen, dass ausnahmsweise eine mildere Maßnahme geboten ist (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2025 – 16a D 23.497 – juris Rn. 74 m.w.N.).
59
aa) Ein von der Rechtsprechung anerkannter (klassischer) Milderungsgrund, der zum Absehen von der Höchstmaßnahme führen könnte, liegt nicht vor.
60
Insbesondere finden sich für eine von Beklagtenseite ins Feld geführte Verminderung der Schuldfähigkeit der Beklagten keine konkreten Anhaltspunkte. Auf die Ausführungen zur Schuldfrage unter 3. kann verwiesen werden. Hieraus ergibt sich, dass bereits das Eingangsmerkmal einer in § 20 StGB aufgeführten Störung, aufgrund der im Zeitpunkt der Tatbegehung von einer Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auszugehen sein könnte, nicht vorliegt. Eine Schuldminderung nach § 21 StGB, über deren Erheblichkeit das Disziplinargericht zu befinden hätte, kommt nicht in Betracht.
61
Darüber hinaus kommt auch der Milderungsgrund der freiwilligen, vollständigen und vorbehaltlosen Offenbarung des Fehlverhaltens vor Tatentdeckung durch einen bisher unbescholtenen Beamten nicht zum Tragen, weil die Beklagte sich erst nach der Aufdeckung geständig zeigte und Unterlagen in ihrem Besitz herausgab.
62
bb) Die Voraussetzungen für die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme sind auch unter Einbeziehung des gesamten Persönlichkeitsbildes der Beklagten in die Gesamtschau gegeben.
63
Stehen der Beklagten keine in der Rechtsprechung anerkannten Milderungsgründe zur Seite, bedeutet dies nicht, dass die entlastenden Aspekte ihres Persönlichkeitsbildes bei der Maßnahmebemessung unberücksichtigt bleiben dürften. Sie sind vielmehr auch dann mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen, wobei generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen im Einzelfall wiegt (BayVGH, U.v. 29.1.2025 – 16a D 23.497 – juris Rn. 78 f.).
64
Das über die Beklagte erstellte Persönlichkeitsbild zeigt keine besonderen positiven Eigenschaften, die auch nur ansatzweise die Schwere ihrer Dienstpflichtverletzung verringern könnten. Es zeigt vielmehr ein gemischtes Bild einer Beamtin, die zwar u.a. über großes Fachwissen verfügte, deren Arbeitstempo aber zu wünschen übrigließ.
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Die fehlende strafrechtliche und disziplinare Vorbelastung kann vorliegend weder für sich genommen noch in der Gesamtschau ein anderes Abwägungsergebnis zur Folge haben. Weder die langjährige Beachtung der Dienstpflichten noch ggf. überdurchschnittliche Leistungen sind geeignet, schwere Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BVerwG, B.v. 23.1.2013 – 2 B 63.12 – juris Rn. 13 m.w.N.).
66
Ebenso wenig kann sich die Beklagte erfolgreich auf eine Entgleisung während einer zwischenzeitlich überwundenen negativen Lebensphase, die sie zum Zeitpunkt der Tatbegehung aus der Bahn geworfen hatte, berufen (vgl. (vgl. BVerwG, B.v. 15.6.2015 – 2 B 49.15 – juris Rn. 10 f.; B.v. 15.6.2016 – 2 B 49.15 – juris Rn. 13). Solche früheren Lebensumstände der Beklagten, die ihr dienstpflichtwidriges Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen und im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären, sind nicht ersichtlich.
67
Zwar sind gesundheitliche Beeinträchtigungen im Tatzeitraum als mildernder Umstand bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme auch dann zu berücksichtigen, wenn sie keinen Einfluss auf die Schuldfähigkeit des Beamten haben (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2025 – 2 B 42/24 – juris Rn. 13 m.w.N.). Vorliegend ist aber eine Abmilderung der Disziplinarmaßnahme in Anbetracht der Schwere des Dienstvergehens, der attestierten nur leichten depressiven Episode, des Umstands, dass amtsärztlich keine Auswirkungen der Erkrankung auf die dauernde Dienstfähigkeit oder Einschränkungen hinsichtlich der konkret ausgeübten Tätigkeit festgestellt wurden und auch keine anderweitigen (konkreten) Hinweise auf erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen, nicht gerechtfertigt. Der Dienstherr kann selbst mit Blick auf die bekannt gewordenen gesundheitlichen Einschränkungen und den Umstand, dass die Beklagte mit ihrem Verhalten keine Selbstbegünstigungsabsichten verfolgte, nicht mehr darauf vertrauen, dass sie ihre dienstlichen Aufgaben zukünftig ordnungsgemäß erfüllen würde.
68
Schließlich kann sich auch die Verfahrensdauer nicht als mildernder Umstand auswirken. Ergibt – wie im vorliegenden Fall – die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme erforderliche Gesamtwürdigung aller erschwerenden und mildernden Umstände des Dienstvergehens, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, kann davon nicht abgesehen werden, weil das Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ein Verbleib im Beamtenverhältnis ausschließlich aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer – die hier im Übrigen in Anbetracht der abzuwartenden Strafverfahren auch nicht anzunehmen wäre – ließe sich nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Integrität des Berufsbeamtentums, vereinbaren (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9).
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5. Angesichts des von der Beklagten begangenen Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht unverhältnismäßig. Die Beamte hat besonders schweres Fehlverhalten gezeigt und damit die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Ihre Entfernung aus dem Dienst ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Eine anderweitige Verwendung der Beklagten – verbunden mit einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis – kommt nicht als „mildere Maßnahme“ in Betracht, wenn – wie hier – das Vertrauensverhältnis des Dienstherrn aufgrund eines schweren Dienstvergehens endgültig zerstört ist. Die darin liegende Härte – insbesondere hinsichtlich des Verlustes der Dienstbezüge bzw. des künftigen Ruhegehalts – ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten der für ihr Handeln verantwortlichen Beklagten, die wissen musste, dass sie hiermit ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzt (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.2024 – 16a D 22.2572 – juris Rn. 57).
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.