Titel:
Unterhaltsvorschussgesetz, Einkommen i.S.d. § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG
Normenkette:
UVG § 1 Abs. 1a
Schlagworte:
Unterhaltsvorschussgesetz, Einkommen i.S.d. § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9417
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG).
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Die Klägerin ist Mutter der am … Februar 2000 geborenen *. Von dem Vater des Kindes lebte die Klägerin seit der Geburt des Kindes getrennt.
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Mit am … Juli 2017 bei der Beklagten eingegangenem Formblatt beantragte die Klägerin bei der Beklagten Unterhaltsvorschussleistungen für ihre Tochter. Die Klägerin und ihre Tochter bezogen zu diesem Zeitpunkt Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für die Tochter der Klägerin wurde vom Jobcenter … mit Schreiben vom … September 2017 ein monatlicher Bedarf nach SGB II von … EUR ausgewiesen. Die Klägerin hat einen schwerbehinderten Sohn, der ab dem *. Januar 2017 in den Pflegegrad drei eingestuft wurde und für den ein monatliches Pflegegeld von … EUR ausgezahlt wird.
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Mit Bescheid vom … Dezember 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. In den Gründen wurde ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG nicht erfülle, da sie Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II sei und über kein monatliches Einkommen i.H.v. mindestens … EUR verfüge. Es bestehe auch kein Anspruch nach § 1 Abs. 1a Nr. 1 UVG, da der Bedarf nach SGB II für *. mindestens … EUR betrage und deshalb die Hilfsbedürftigkeit des Kindes nach § 9 SGB II durch Unterhaltsvorschussleistungen nicht vermieden werden könne.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, mit Schreiben vom … Dezember 2018 Widerspruch ein. Sie führte aus, dass die Beklagte in ihrer Entscheidung unberücksichtigt lasse, dass es nicht auf einem Verschulden der Klägerin beruhe, dass die Hilfsbedürftigkeit des Kindes nach § 9 SGB II nicht vermieden werden könne. Diese könne ausweislich fachärztlicher Einschätzung nur täglich leichte Arbeiten in stehender oder gehender Haltung unter drei Stunden bzw. wöchentlich unter fünfzehn Stunden verrichten und es seien bei ihr Arbeiten unter Zeitdruck, Nässe, Kälte, Zugluft, Lärm, Arbeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr, häufiges Bücken, Zwangshaltungen (z.B. Knien, Hocke u.Ä.) sowie häufiges Heben und Tragen ohne Hilfsmittel auszuschließen. Die Klägerin weise laut fachärztlicher Beurteilung eine reduzierte Leistungsfähigkeit, eine Beeinträchtigung der Durchhaltefähigkeit, der Flexibilität und Umstellungsfähigkeit auf. Aufgrund dieser gesundheitlichen Gründe könne sie zwangsläufig über kein Einkommen i.H.v. mindestens … EUR verfügen, was ihr aber nicht angelastet werden könne. Hinzu komme, dass die Klägerin mit ihrem Sohn ein behindertes Kind betreuen müsse, so dass sie auch aus diesem Grund nicht länger als drei Stunden täglich arbeiten könne. Der Sohn sei ab dem *. Januar 2017 in den Pflegegrad drei eingestuft worden, wofür die Klägerin ein monatliches Pflegegeld von … EUR erhalte.
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Mit Widerspruchsbescheid vom *. Juli 2019, zugestellt am … Juli 2019, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dies wurde damit begründet, dass die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1a UVG nicht gegeben seien, da die Klägerin und ihre Tochter Leistungen nach dem SGB II bezögen und die Hilfsbedürftigkeit der Tochter der Klägerin bei einem ausgewiesenen monatlichen Bedarf von … EUR im Falle einer Gewährung von UVG-Leistungen (Höhe 2017: … EUR; 2018: … EUR) nicht vermieden werden könne. Die Klägerin verfüge weiterhin über ein Einkommen i.H.v. … EUR brutto, wovon … EUR zu berücksichtigen seien. Dabei stelle der Gesetzgeber die Frage, ob und aus welchen Gründen jemand nicht in der Lage sei, ein höheres Einkommen zu erzielen, nicht. Es spiele daher keine Rolle, ob die Klägerin an der Tatsache, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als drei Stunden arbeiten und dadurch weniger als … EUR verdienen zu können, ein Verschulden treffe oder nicht.
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Mit Schriftsatz vom *. August 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht … Klage und beantragte neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom … Dezember 2018 und des Widerspruchsbescheids vom *. Juli 2019 die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für ihre Tochter *. Unterhaltsvorschussleistungen nach dem UVG für die Zeit vom *. Juli 2017 bis … Februar 2018 zu bezahlen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Klägerin über ein Arbeitseinkommen von … EUR brutto verfüge und für ihren schwerstbehinderten Sohn Pflegegeld i.H.v. … EUR monatlich erhalte, sodass die Klägerin ein höheres Einkommen als … EUR brutto erziele. Das Pflegegeld sei auch als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen, da die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und der Betreuung ihres schwerbehinderten Sohnes nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten könne und somit zwangsläufig über kein Einkommen in Höhe von mindestens … EUR monatlich verfüge, was ihr aber nicht angelastet werden könne.
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Die Beklagte beantragte
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Die Pflegegeldleistungen für das gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anspruchsberechtigte schwerbehinderte Kind der Klägerin seien gemäß § 11 Abs. 3 SGB II bei diesem nicht als Einkommen anrechenbar, da diese von der Krankenkasse als zweckbestimmte Zahlung getätigt und an die Klägerin weitergereicht würden. Nach der gleichen Vorschrift seien die Zahlungen auch bei der Klägerin nicht als Einkommen anrechenbar. Im maßgeblichen SGB II-Bewilligungsbescheid werde das Pflegegeld weder bei der Klägerin noch bei ihrem Sohn berücksichtigt. Die Regelungen des § 1 Abs. 1a UVG seien abschließend. Auch der Einwand, die Klägerin könne aus gesundheitlichen Gründen unverschuldet keiner Arbeit mit mehr als 3 Stunden Arbeitszeit nachgehen, greife nicht durch, da es auf ein Verschulden nicht ankomme.
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Durch Beschluss vom … Februar 2024 lehnte das Gericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg in der Hauptsache ab.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom … Februar 2025 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Ablehnung der Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen mit Bescheid vom … Dezember 2018 und Widerspruchsbescheid vom … Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die hiergegen gerichtete Versagungsgegenklage ist zulässig, aber unbegründet. Das Kind der Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Nach dem hier maßgeblichen § 1 Abs. 1a UVG ist ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussgewährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes nur gegeben, wenn das Kind keine Leistungen nach SGB II bezieht oder durch die Unterhaltsleistung die Hilfebedürftigkeit des Kindes nach § 9 SGB II vermieden werden kann (§ 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 UVG) oder der Elternteil nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG mit Ausnahme des Kindergeldes über Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von mindestens … EUR verfügt, wobei Beträge nach § 11b SGB II nicht abzusetzen sind (§ 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 UVG). Für die Feststellung der Vermeidung der Hilfebedürftigkeit und der Höhe des Einkommens ist der für den Monat der Vollendung des zwölften Lebensjahres, bei späterer Antragstellung der für diesen Monat und bei Überprüfung zu einem späteren Zeitpunkt der für diesen Monat zuletzt bekanntgegebene Bescheid des Jobcenters zugrunde zu legen (§ 1 Abs. 1a Satz 2 UVG).
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2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
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2.1 Die Tochter der Klägerin bezog zusammen mit der Klägerin Leistungen nach dem SGB II (vgl. § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 UVG). Auch der im Bescheid des Jobcenters … vom *. September 2017 ausgewiesene monatliche Bedarf des Kindes i.H.v. monatlich … EUR kann durch die mögliche Gewährung von Unterhaltsvorschusszahlungen nicht gedeckt und daher die Hilfsbedürftigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II nicht vermieden werden, da die Unterhaltsvorschussleistungen lediglich … EUR (Jahr 2017) bzw. … EUR (Jahr 2018) betragen würden (§ 1 Abs. 1a Nr. 1 Alt. 2 UVG).
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2.2. Auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG liegen mangels Einkommenserzielung i.H.v. mindestens … EUR nicht vor. Dabei sind die Pflegegeldzahlungen i.H.v. monatlich … EUR nicht zu berücksichtigen und auch ein gegebenenfalls fehlendes Verschulden an der Nichterfüllung der Einkommensuntergrenze ist nicht relevant.
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a. Die Pflegegeldzahlungen können bei der Klägerin nicht für das Erreichen der Einkommensuntergrenze i.S.d. § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG berücksichtigt werden.
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Relevant für die Berechnung des Einkommens ist nach dem Gesetzeswortlaut von § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 UVG nur Einkommen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wobei Beträge nach § 11b SGB II nicht abzusetzen sind. Nach dieser Norm kommt es hier nur auf das Einkommen des Elternteils i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG an. Bei Pflegegeldleistungen ist Anspruchsinhaber gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI aber der Pflegebedürftige. Aus diesem Anspruch resultiert beim Anspruchsinhaber, also hier beim Sohn der Klägerin, ein Einkommen, nicht aber bei der Klägerin selbst, da diese nicht Anspruchsinhaberin ist.
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Selbst wenn man das Vorliegen eines Einkommens nicht nur beim Sohn der Klägerin als Anspruchsinhaber, sondern bei dessen Mutter als Auszahlungsempfängerin bejahen würde, ist zu beachten, dass Pflegegeldleistungen schon grundsätzlich nicht als Einkommen i.S.d. § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG anzusehen sind. Denn Pflegegeld kann gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI anstelle einer häuslichen Pflegehilfe i.S.d. § 36 SGB XI beantragt werden und setzt voraus, dass mit diesem Pflegegeld der Pflegebedürftige die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung selbst sicherstellt. Daher handelt es sich bei Pflegegeldzahlungen um eine zweckgebundene Leistung, die nicht mit einem typischerweise nicht zweckgebundenen (Erwerbs-)Einkommen gleichgesetzt werden kann.
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Zuletzt spricht gegen die Anerkennung der Pflegegeldzahlungen als Einkommen i.S.d. § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG bei der Klägerin, dass die Einkommensuntergrenze nach dem Willen des Gesetzgebers die Basis für die Annahme ist, dass grundsätzlich das Potential für eine zumindest perspektivisch selbstständige Bedarfsdeckung vorliegt (BT-Drs. 18/12589 S. 154). Da die Pflegegeldzahlung nicht der Bedarfsdeckung der Klägerin oder ihrer Tochter, sondern derjenigen des zweiten Kindes der Klägerin dient, kann insoweit eine zukünftig selbstständige Bedarfsdeckung nicht erreicht werden, sodass eine Anrechnung auf die Einkommensuntergrenze ausscheidet.
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b. Ob das Nichterreichen der Einkommensuntergrenze von der Klägerin zu vertreten ist, ist nicht maßgeblich.
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Die für eine Unterhaltsvorschusszahlung nach § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG zu erreichende Einkommensuntergrenze ist vom Gesetzgeber fest auf … Euro festgelegt. Ein Verschulden des Elternteils i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG an der Nichterfüllung der Einkommensuntergrenze nach § 1 Abs. 1a Nr. 2 UVG ist dort nicht berücksichtigt. Auch der oben genannte Zweck der Einkommensuntergrenze in Form der perspektivisch selbstständigen Bedarfsdeckung spricht gegen die Einbeziehung eines etwaigen Verschuldens des Elternteils an deren Nichterreichung. Dementsprechend kann nicht berücksichtigt werden, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen und wegen der Betreuung ihres schwerbehinderten Sohnes kein Einkommen von … EUR erzielen kann.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).