Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.04.2025 – 8 BV 22.183
Titel:

Rückwirkende Erteilung einer beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis

Normenketten:
VwGO § 114 S. 2, § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1
WHG § 8 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 17
BayVwVfG Art. 31 Abs. 7, Art. 43 Abs. 2, Art. 48 Abs. 1, Abs. 3
AbwAG § 11 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine befristete wasserrechtliche Erlaubnis verliert nach Ablauf der Befristung ihre Wirksamkeit nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG grundsätzlich nur für die Zukunft (Rn. 25).
2. Eine wasserrechtliche Erlaubnis kann im Einzelfall auch rückwirkend zum Tag der Antragstellung erteilt werden. (Rn. 29 – 47)
Schlagworte:
Rücknahme einer wasserrechtlichen Erlaubnis, Rückwirkende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis, Rücknahmeermessen, Nachträgliche Ergänzung von Ermessenserwägungen, Jährlichkeitsprinzip des Abwasserabgabengesetzes, wasserrechtliche Erlaubnis, Jährlichkeitsprinzip, Einleitung, unbehandeltes Mischwasser, Abwasserbeseitigung, Rücknahme, Rückwirkung, Befristung, Wirksamkeit, Nachschieben von Gründen
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 18.10.2021 – B 7 K 20.1505
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9200

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Berufungsverfahren trägt diese selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts Forchheim vom 23. Dezember 2020, mit dem die ihm mit Bescheid vom 30. Dezember 2015 erteilte wasserrechtliche beschränkte Erlaubnis für das Einleiten unbehandelten Mischwassers aus vier Regenentlastungen in die Wiesent und in den Weilersbach für die Zeit vom 6. Juli bis 31. Dezember 2015 zurückgenommen wurde.
2
Der Kläger betreibt eine öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung (Entwässerungseinrichtung) für das Gebiet der Gemeinden K. … und W. … Mit Bescheid vom 12. Juli 1982 erteilte das Landratsamt dem Kläger erstmals eine stets widerrufliche gehobene Erlaubnis nach § 7 WHG a.F. i.V.m. Art. 16 BayWG (a.F.) zur Benutzung der Wiesent (staatseigenes Gewässer II. Ordnung) und des Weilersbachs (Gewässer III. Ordnung) durch Einleiten gesammelter Abwässer. Die Erlaubnis diente der Beseitigung des unbehandelten Mischwassers aus den Regenüberläufen und war bis zum 31. Dezember 2000 befristet. Auf Antrag des Klägers wurde die Erlaubnis mit Bescheid vom 19. Juni 2007 bis zum 31. Dezember 2014 verlängert.
3
Mit Schreiben vom 2. Juli 2015, eingegangen beim Landratsamt am 6. Juli 2015, und vom 1. Dezember 2015, eingegangen beim Landratsamt am 2. Dezember 2015, beantragte der Kläger die Verlängerung bzw. Neuerteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis für das Einleiten des bei Regenwetter aus vier Regenentlastungen anfallenden unbehandelten Mischwassers in die Wiesent und den Weilersbach.
4
Das Wasserwirtschaftsamt Kronach wies mit E-Mail vom 10. Juli 2015 darauf hin, dass die vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, um eine wasserrechtliche Erlaubnis zu erteilen. Nach Vorlage weiterer Unterlagen und Prüfungen nahm das Wasserwirtschaftsamt am 27. November 2015 als amtlicher Sachverständiger gutachterlich dahingehend Stellung, dass die Prüfung die Notwendigkeit von Änderungen oder Ergänzungen bei der Bemessung der Konstruktion der Mischwasserkanalisation einschließlich zugehöriger Sonderbauwerke ergeben habe. Gegen die beantragten Einleitungen von Mischwasser aus den Entlastungsbauwerken bestünden aber bei Beachtung der empfohlenen Inhalts- und Nebenbestimmungen keine Bedenken. Es werde vorgeschlagen, bis auf Widerruf eine beschränkte Erlaubnis befristet bis 31. Dezember 2017 zu erteilen.
5
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2015, dem Kläger zugestellt am 14. Januar 2016, wurde diesem die widerrufliche beschränkte und bis zum 31. Dezember 2017 befristete Erlaubnis gemäß Art. 15 BayWG, § 8 Abs. 1 WHG für die Benutzung der Wiesent und des Weilersbachs durch Einleiten gesammelter Abwässer rückwirkend ab dem 6. Juli 2015 erteilt.
6
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 nahm das Landratsamt mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. Dezember 2020 den Bescheid vom 30. Dezember 2015 teilweise für den Zeitraum vom 6. Juli bis 31. Dezember 2015 zurück und änderte den Bescheidtenor dahingehend, dass die widerrufliche beschränkte Erlaubnis erst ab dem 1. Januar 2016 erteilt sei. Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, Rechtsgrundlage für die Teilrücknahme sei Art. 48 BayVwVfG bzw. Art. 48 BayVwVfG analog. Die Erlaubnis vom 31. Dezember 2015 sei insoweit rechtswidrig, als sie für das abgeschlossene Jahr 2015, also vom 6. Juli bis 31. Dezember 2015 ausgesprochen worden sei. Nachträgliche Zulassungen von Gewässerbenutzungen für die Vergangenheit schieden aus rechtssystematischen Gründen aus. Zudem greife eine rückwirkende Erteilung mit Blick auf die Abwasserabgabe in unzulässiger Weise in bereits abgeschlossene Abgabetatbestände ein, was hier der Fall sei, da die Erlaubnis vom 31. Dezember 2015 erst am 14. Januar 2016, also nach Ablauf des Veranlagungsjahres 2015, bekanntgegeben worden sei.
7
Die Rücknahme stehe im Ermessen der Behörde. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers bzw. der Beigeladenen sei nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf das bei Gewässerbenutzungen geltende repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt hinzuweisen. Dieses vermittle keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis, sondern nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die rückwirkende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis sei nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen möglich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Abwasserabgabentatbestand für das Jahr 2015 bei Bekanntgabe der wasserrechtlichen Erlaubnis schon abgeschlossen gewesen sei mit der Folge, dass im Jahr 2015 in tatsächlicher Hinsicht die Einleitung formell und materiell rechtswidrig gewesen sei. Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers, der entgegen der bestehenden Rechtslage ohne wasserrechtliche Erlaubnis Abwasser in ein Gewässer einleite und damit abwasserabgabepflichtig geworden sei, sei nicht erkennbar. Zudem bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass geschuldete Abwasserabgaben gezahlt würden. Die rückwirkende Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis greife in unzulässiger Weise in einen abgeschlossenen abgaberechtlichen Tatbestand ein, ignoriere die im Abwassergesetz vorgesehenen Befreiungstatbestände und führe zu einer unzulässigen Besserstellung der Beigeladenen. Die Abwasserabgabe für das Jahr 2015 sei daher mit gesondertem Bescheid in voller Höhe anzusetzen.
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Mit Schreiben vom 29. Dezember 2020 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth gegen den Bescheid.
9
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18. Oktober 2021 den Bescheid aufgehoben und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Der Beklagte habe sein Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt. Zwar gehe der Beklagte im Ansatz zu Recht davon aus, dass im Wasserrecht die rückwirkende Erteilung von Erlaubnissen grundsätzlich unzulässig sei. Anders als in anderen Rechtsgebieten, wie dem Ausländerrecht, fehle es im Wasserrecht an einer rechtlichen Grundlage für solche Rückwirkungen. Der Gesetzgeber habe stattdessen Instrumente wie die Zulassung eines vorzeitigen Beginns nach § 17 WHG geschaffen, um praktische Bedürfnisse für Übergangslösungen zu berücksichtigen. Zudem spielten Belange Dritter im Wasserrecht eine wichtige Rolle, was eine rückwirkende Erlaubniserteilung zusätzlich erschwere. Als nicht tragfähig erweise sich jedoch die Annahme des Beklagten, dem im Abwasserabgabenrecht bedeutsamen Jahreswechsel komme bei der rückwirkenden Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung ebenfalls Bedeutung zu. Es möge sein, dass dem Jährlichkeitsprinzip im Abwasserabgabenrecht besondere Bedeutung zukomme (vgl. § 11 AbwAG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG). Dennoch sei nicht ersichtlich, dass sich die hieraus ergebenden Implikationen nicht sachgerecht mit dem dort zur Verfügung stehenden Instrumentarium bewältigen ließen und einer Berücksichtigung bei Ausübung des Bewirtschaftungsermessens im Rahmen einer Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis bedürften. Beispielsweise komme eine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung in Betracht (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 lit. b BayAbwAG i.V.m. § 164 AO).
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Gegen das Urteil legte der Beklagte am 13. Januar 2022 Berufung ein.
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Mit Schreiben vom 4. April 2022 ergänzte das Landratsamt gegenüber dem Kläger seine im Bescheid vom 23. Dezember 2020 getroffenen Ermessenserwägungen hilfsweise für den Fall, dass der Verwaltungsgerichtshof im Berufungsverfahren zu der Rechtserkenntnis gelangen sollte, dass die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit generell rechtlich unzulässig sei. Er strich in den Gründen des Bescheids die Ermessenserwägungen und stellte neue Ermessenserwägungen dahingehend an, dass sich die Rechtswidrigkeit der beschränkten Erlaubnis aus der generellen Unzulässigkeit von rückwirkenden Genehmigungen im Wasserrecht ergebe.
12
Mit Schriftsatz vom 6. April 2022 bezog der Beklagte die im Schreiben vom 4. April 2022 hilfsweise erklärte Ermessensergänzung in den Prozess ein und begründete die Berufung im Wesentlichen wie folgt: Das Erstgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass wasserrechtliche Erlaubnisse generell nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erteilt werden dürften. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus § 17 WHG, der eben kein passendes Instrument für Übergangslösungen im Bereich der Daseinsvorsorge vorsehe. Anders als das Verwaltungsgericht annehme, komme dem Jährlichkeitsprinzip des Abwasserabgabenrechts bei der Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis Bedeutung zu. Dieses Prinzip der Jährlichkeit sei bereits bei § 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG zu berücksichtigen, zumindest aber im Rahmen des Bewirtschaftungsermessens in § 12 Abs. 2 WHG. Es bilde bezogen auf den Zeitraum der Rückwirkung eine absolute Grenze.
13
Der Beklagte beantragt,
14
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Oktober 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt,
16
die Berufung zurückzuweisen.
17
Mit Schriftsätzen vom 3. Dezember 2024, 10. Januar 2025 und 13. Februar 2025 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Über die Berufung des Beklagten konnte der Senat nach § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
20
Die Berufung des Beklagten gegen das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2021 hat keinen Erfolg.
21
A. Die vom Verwaltungsgericht Bayreuth nach § 124a Abs. 1 i.V.m § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung ist zulässig. Sie ist rechtzeitig innerhalb der verlängerten Begründungsfrist nach § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO begründet worden, enthält einen bestimmten Berufungsantrag und im Einzelnen angeführte Berufungsgründe (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
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B. Die Berufung ist nicht begründet.
23
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Landratsamts vom 23. Dezember 2020, mit dem es die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis vom 30. Dezember 2015 für den Zeitraum vom 6. Juli bis 31. Dezember 2015 zurückgenommen hat, zu Recht als rechtswidrig aufgehoben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für eine Rücknahme auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG, der vorliegend unmittelbar anwendbar ist (1.), liegen nicht vor. Die wasserrechtliche Erlaubnis vom 30. Dezember 2015 ist, auch was den Zeitraum vom 6. Juli bis 31. Dezember 2015 anbelangt, nicht rechtswidrig (2.). Überdies hat das Landratsamt das ihm in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt (3.).
24
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf (Abs. 1 Satz 2). Für rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte, die – wie eine beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis – nicht unter Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG fallen, regelt Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG keine zusätzlichen Anforderungen für eine Rücknahme, sondern trifft nur Voraussetzungen für einen öffentlich-rechtlichen Ausgleichsanspruch.
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1. Art. 48 BayVwVfG ist vorliegend unmittelbar anwendbar. Die wasserrechtliche Erlaubnis vom 30. Dezember 2015 ist durch Ablauf der Befristung am 31. Dezember 2017 nicht unwirksam geworden. Nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben, oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt ein, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 7 C 5.08 – BayVBl 2009, 184 = juris Rn. 13; U.v. 19.4.2011 – 1 C 2.10 – BVerwGE 139, 337 = juris Rn. 14; Goldhammer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2024, § 43 Rn. 104 und 109). Danach hat die Erlaubnis mit Ablauf des 31. Dezember 2017 ihre Wirksamkeit zwar für die Zukunft verloren. Im Zeitraum ihrer Geltung vom 6. Juli 2015 bis 31. Dezember 2017 gehen von ihr aber weiterhin rechtliche Wirkungen aus. Sie bildet z.B. die Grundlage für die Erhebung von Abwassergebühren, wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayAbwAG ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 11.15 – NVwZ 2017, 1064 = juris Rn. 29 zu Kosten einer Abschiebung). Will die Behörde für den Geltungszeitraum die Wirksamkeit der wasserrechtlichen Erlaubnis beseitigen, muss sie diese auf der Grundlage des Art. 48 BayVwVfG zurücknehmen.
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2. Die wasserrechtliche Erlaubnis vom 30. Dezember 2015 war, auch soweit sie nachträglich für den Zeitraum ab dem 6. Juli 2015 erteilt wurde, zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. BVerwG, B. v. 2.11.2017 – 7 C 25.15 – NVwZ 2018, 986 = juris Rn. 23) rechtmäßig.
27
Rechtsgrundlage für die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis ist §§ 8, 10 WHG i.V.m. Art. 15 BayWG. Nach § 8 Abs. 1 WHG bedarf die Benutzung eines Gewässers der Erlaubnis, soweit nicht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassener Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Sie kann gemäß Art. 15 Abs. 1 BayWG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine gehobene Erlaubnis nach § 15 WHG nicht vorliegen oder eine beschränkte Erlaubnis beantragt wird. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 WHG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen zu erwarten sind (Nr. 1) oder andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht erfüllt werden (Nr. 2). Im Übrigen steht die Erteilung der Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen (Bewirtschaftungsermessen) der zuständigen Behörde (§ 12 Abs. 2 WHG).
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Nach Auffassung des Senats durfte das Landratsamt dieses Ermessen dahingehend ausüben, dass es dem Kläger die beantragte Erlaubnis rückwirkend für die Zeit ab dem 6. Juli 2015 erteilte.
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Grundsätzlich wird ein Verwaltungsakt mit der ihm enthaltenen Regelung erst von seiner Bekanntgabe an wirksam (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Die Geltung der getroffenen Regelung kann allerdings auch von einem früheren Zeitpunkt an, d.h. rückwirkend angeordnet werden, da der Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekannt gegeben wird. Zum Inhalt des Verwaltungsakts gehört auch die Regelung seines zeitlichen Geltungsbereichs, der – soweit es das materielle Recht zulässt – vor oder nach seiner Bekanntgabe liegen kann (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.1991 – 3 C 46.86 – BVerwGE 88, 278 = juris Rn. 19). Grundsätzlich ist die Rückwirkung eines Verwaltungsakts zulässig, wenn sie gesetzlich ausdrücklich oder dem Sinn nach zugelassen ist (vgl. OVG NW, U.v. 4.4.2006 – 15 A 5081/05 – NVwZ-RR 2007, 625 = juris Rn. 36 f.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2024, § 10 Rn. 11; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 48 Rn. 32). Das ist hier der Fall.
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a) Die Regelungen der §§ 8, 10 WHG i.V.m. Art. 15 BayWG verhalten sich nicht ausdrücklich dazu, ob die rückwirkende Erteilung einer beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis zulässig ist. Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 WHG lassen die rückwirkende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis aber zu.
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§ 8 Abs. 1 WHG wurde mit der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 1585) in das Wasserhaushaltsgesetz aufgenommen. Er normiert für die Benutzung von Gewässern ein grundsätzliches Verbot mit dem Vorbehalt der behördlichen Zulassung. Die Konzeption des § 8 Abs. 1 WHG beruht auf der Vorstellung, in dieser Vorschrift die generelle Zulassungsbedürftigkeit von Gewässerbenutzungen durch die Behörde zu regeln (vgl. BT-Drs. 16/12275 S. 55; „öffentlich-rechtliche Benutzungsordnung“ vgl. Schmid in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 2; zur Vorgängervorschrift in § 2 WHG vom 27.7.1957 [BGBl. I S. 1110 vgl. BT-Drs. II/2072, S. 21]). § 8 Abs. 1 WHG ist als ein sogenanntes repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt konzipiert (vgl. BVerfG, B.v. 15.7.1981 – 1 BvL 77/78 – NJW 1982, 745 = juris Rn. 173 ff.; HessVGH, U.v. 1.9.2011 – 7 A 1736/10 – NuR 2012, 63 = juris Rn. 91; Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand August 2024, § 8 Rn. 3; Czychowski/Reinhardt, WHG, 13. Aufl. 2023, § 8 Rn. 4). Dies ermöglicht eine präventive Kontrolle, bevor potenziell schädliche Nutzungen stattfinden (vgl. Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 8 Rn. 4).
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Dennoch bedeutet die Einordnung als repressives Verbot mit Erlaubnis(Befreiungs) vorbehalt nicht, dass Erlaubnisse und Bewilligungen im Wasserrecht nur ausnahmsweise erteilt werden dürfen (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, § 8 Rn. 4; Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 8 Rn. 8; Fellenberg/Schiller in Schink/Fellenberg, GK-WHG, 2021, § 8 Rn. 2). Vielmehr müssen die Gewässer aus Gründen der Daseinsvorsorge und für menschliche Zwecke der verschiedensten Art in vielfältiger Weise in Anspruch genommen werden. Entscheidend für die rechtssystematische Einordnung als repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und die daraus zu ziehenden Folgerungen ist, dass die Entscheidung über die Gewässerbenutzung immer in das Wohl der Allgemeinheit einzuordnen und der Ordnung des Wasserhaushalts im Sinn einer (nachhaltigen) Bewirtschaftung der Gewässer unterzuordnen ist (nunmehr insbesondere unter Beachtung der Vorschriften zu den Bewirtschaftungszielen – §§ 27, 30, 44, 47 WHG; vgl. BVerwG, U.v. 31.10.1975 – IV C 8.74 bis 11.74 u.a. – BVerwGE 49, 301 = juris Rn. 24; HessVGH, U.v. 1.9.2011 – 7 A 1736/10 – NuR 2012, 63 = juris Rn. 91; Czychowski/Reinhardt, WHG, § 8 Rn. 4). Dies zeigt auch der Titel des Wasserhaushaltsgesetzes als „Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts“. Leitziel ist eine nachthaltige Gewässerbewirtschaftung im Sinne des Umweltschutzes. Eine Gewässerbenutzung soll also grundsätzlich erst dann rechtmäßiger Weise stattfinden können, wenn zuvor behördlicherseits geprüft wurde, ob sie mit den Zielen des Wasserhaushaltsgesetzes vereinbar ist (vgl. auch BayVGH, B.v. 15.2.2019 – 8 CS 18.2411 – NuR 2019, 787 = juris Rn. 13).
33
Andererseits bedeutet eine ohne die erforderliche Erlaubnis erfolgte Gewässerinanspruchnahme nicht zwingend, dass diese auch zu wasserwirtschaftlich schädlichen Auswirkungen führt. Ob eine illegale Gewässerinanspruchnahme in dem Sinne gegen das Wasserrecht verstößt, dass sie unter Verletzung materieller wasserwirtschaftlicher Grundsätze in der Tat zu einer Beeinträchtigung des Wassers führt und sich deshalb als nicht gestattungsfähig erweist, lässt sich nur nach einer jeweiligen materiellen Prüfung sagen. Hat eine solche Prüfung noch nicht stattgefunden, so bleibt nicht nur die Frage nach der Schädlichkeit der Gewässerinanspruchnahme, sondern ebenso auch die Möglichkeit ihrer Legalisierung offen (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.1978 – IV C 71.75 – BayVBl 1978, 472 = juris Rn. 31; unten Rn. 36). Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 WHG schließen es daher nicht aus, eine wasserrechtliche Erlaubnis im Einzelfall auch rückwirkend zu erteilen. Die erforderliche behördliche Kontrolle findet in diesem Fall nachträglich statt.
34
Für dieses Ergebnis spricht auch die vergleichbare Sachlage in Fällen, in denen eine befristete wasserrechtliche Erlaubnis nach Ablauf der Frist rückwirkend verlängert wird. Es ist anerkannt, dass eine nach § 13 Abs. 1 WHG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG befristete wasserrechtliche Erlaubnis nach Art. 31 Abs. 7 Satz 2 BayVwVfG auch rückwirkend verlängert werden kann, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2018 – 8 ZB 16.1979 – W+B 2018, 169 = juris Rn. 17, 21; VG Ansbach, U.v. 4.8.2016 – AN 9 K 15.00961 – juris Rn. 48 ff.; Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 13 Rn. 31 und § 14 Rn. 75; vgl. auch § 14 Abs. 3 Satz 1 RhPfWG; a.A. BGH, U.v. 5.10.1995 – III ZR 61/93 – ZfW 1997, 27 = juris Rn. 16). Die Verlängerung einer alten wasserrechtlichen Erlaubnis stellt darüber hinaus rechtlich eine Neuerteilung dar, bei der die Wasserrechtsbehörde in keiner Weise an ihre frühere Entscheidung gebunden ist, sondern eine völlige Neubewertung vornehmen kann (vgl. BayVGH, U.v. 7.10.2004 – 22 B 03.3228 – BayVBl 2005, 339 = juris Rn. 38; B.v. 5.9.2019 – 8 ZB 16.1851 – juris Rn. 13; B.v. 23.10.2020 – 8 ZB 20.1178 – juris Rn. 14). Im Ergebnis rechtlich nichts Anderes gilt für eine wasserrechtliche Erlaubnis, die rückwirkend zum Tag der Antragstellung erteilt wird.
35
b) Auch die Regelungssystematik des Wasserhaushaltsgesetzes insgesamt steht der rückwirkenden Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis nicht entgegen.
36
aa) Die nachträgliche Legalisierung einer ohne die erforderliche Erlaubnis ausgeführten Gewässerbenutzung ist dem Wasserhaushaltsgesetz nicht fremd. Zwar kann eine nicht erlaubte Gewässernutzung grundsätzlich allein wegen ihrer formellen Illegalität auf der Grundlage des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG untersagt werden, da jede nicht gestattete, aber gestattungsbedürftige Einwirkung auf ein Gewässer deswegen rechtswidrig ist, weil auch materiell erst die Gestattung die Befugnis zur Benutzung oder zum Ausbau des Gewässers begründet (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2021 – 7 C 9.20 – BVerwGE 174, 322 = juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 19.3.2012 – 8 ZB 10.2343 – juris Rn. 14 m.w.N.). Denn bei einem so knappen Gut wie dem Wasser, das von lebenswichtiger Bedeutung ist, kann es nicht dem freien Belieben des Einzelnen überlassen bleiben, ein Gewässer einstweilen illegal weiterbenutzen zu können (vgl. OVG NW, B.v. 21.9.1982 – 19 A 1325/82 – ZfW 1983, 124/126). Dies heißt aber nicht, dass sie dies auch tun muss, weil jede andere Entscheidung als das begehrte Einschreiten ermessensfehlerhaft wäre (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 8 ZB 19.1323 – juris Rn. 20). Eine Pflicht zum Einschreiten ergibt sich nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf „Null“ anzunehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.1967 – IV C 208.65 – BVerwGE 27, 176 = juris Rn. 28 in Bezug auf § 35 Abs. 2 WHG a.F.; Lau in Schink/Fellenberg, GK-WHG, § 100 Rn. 24). Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann sich ebenso im Einzelfall ergeben, dass eine auf die bloße formelle Illegalität der Gewässerbenutzung gestützte Anordnung nur ausnahmsweise dann rechtmäßig ist, wenn eine Beeinträchtigung des Wasserhaushalts konkret zu erwarten ist und die Behörde zuvor die Möglichkeit einer Legalisierung der Gewässerbenutzung geprüft und verneint hat (vgl. BVerwG, B.v 21.12.1993 – 7 B 119.93 – NVwZ-RR 1994, 202 = juris Rn. 2; B.v. 8.10.1998 – 11 B 42.98 – juris Rn. 3; U.v. 17.12.2021 – 7 C 9.20 – BVerwGE 174, 322 = juris Rn. 16 f.). Auch Art. 67 Abs. 1 BayWG, wonach eine Antragstellung durch die Behörde erzwungen werden kann, zeigt, dass eine ohne die erforderliche Erlaubnis erfolgte Gewässerbenutzung nachträglich legalisiert werden kann (zum früheren Art. 77 BayWG vgl. LT-Drs. 6/3389, S. 37).
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bb) Auch die Regelung des § 17 WHG steht einer rückwirkenden Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 WHG nicht entgegen.
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Nach § 17 Abs. 1 WHG kann in einem Erlaubnisverfahren die zuständige Behörde auf Antrag zulassen, dass bereits vor der Erteilung der Erlaubnis mit der Gewässerbenutzung begonnen wird, wenn mit einer Entscheidung zugunsten des Benutzers gerechnet werden kann (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 WHG), an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse oder ein berechtigtes Interesse des Benutzers besteht (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 WHG) und der Benutzer sich verpflichtet, alle bis zur Entscheidung durch die Benutzung verursachten Schäden zu ersetzen und, falls die Benutzung nicht erlaubt oder bewilligt wird, den früheren Zustand wiederherzustellen (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 WHG).
39
Die Regelung trägt einem praktischen Bedürfnis Rechnung. Wasserrechtliche Verfahren können sich besonders bei umfangreichen oder in Einzelheiten schwer zu beurteilenden Vorhaben, in denen noch Sachverständigengutachten eingeholt oder Teile des Vorhabens geändert werden müssen, über längere Zeit erstrecken. Dann kann ein dringendes Interesse bestehen, mit der Benutzung nicht darauf zu warten, bis die Erlaubnis oder Bewilligung erteilt oder gar unanfechtbar geworden ist (BT-Drs. 7/888, S. 16 und 7/1088, S. 15 zur Vorgängervorschrift § 9a WHG). Der Gesetzgeber hat damit den Behörden ein Instrument an die Hand gegeben, eine Benutzung unter bestimmten Voraussetzungen vor einer abschließenden Entscheidung zuzulassen. Ohne eine entsprechende Regelung wäre entweder das Erlaubnisverfahren einem massiven Zeitdruck ausgesetzt oder der Unternehmer stünde vor der Frage, ob er eine illegale Gewässerbenutzung in Kauf nimmt (vgl. BT-Drs. 7/888 S. 16 zur Vorgängervorschrift § 9a WHG; Breuer/Gärditz, Öffentliches und privates Wasserrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 678). Allein für dieses Dilemma sieht § 17 WHG eine interessengerechte Lösung vor (vgl. Häfner in Schink/Fellenberg, GK-WHG, § 17 Rn. 2).
40
Für einen Schluss, dass § 17 WHG einer rückwirkenden Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis ausschließt, gibt die Regelung damit nichts her. Im Gegenteil ordnet das Wasserhaushaltsgesetz bei einer ohne die erforderliche Erlaubnis bestehenden Gewässerbenutzung ein aufsichtliches Einschreiten nach § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG nicht zwingend an, sondern stellt es in das pflichtgemäße Ermessen der Wasserbehörde. Eine Pflicht zum Einschreiten ergibt sich nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf „Null“ anzunehmen ist (vgl. oben Rn. 36). Das bedeutet, dass das Regelungssystem des WHG es zulässt, eine illegale Gewässerbenutzung zu „dulden“ (vgl. dazu Breuer/Gärditz, Öffentliches und Privates Wasserrecht, Rn. 697 f.) und nachträglich sogar zu genehmigen (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.1978 – IV C 71.75 – ZfW 1978, 371 = juris Rn. 33; Fellenberg/Schiller bzw. Lau in Schink/Fellenberg, GK-WHG, § 8 Rn. 25 bzw. § 100 Rn. 27).
41
c) Auch das das Abwasserabgabengesetz kennzeichnende Jährlichkeitsprinzip (§ 11 Abs. 1 AbwAG; vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 8 C 10.95 – BVerwGE 102, 1 = juris Rn. 12) spielt für die Frage einer rückwirkenden Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis keine Rolle.
42
aa) Bei § 11 Abs. 1 AbwAG handelt es sich nicht um eine andere Anforderung nach einer öffentlich-rechtliche Vorschrift im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG, bei deren Nichterfüllung die wasserrechtliche Erlaubnis zu versagen wäre. Denn andere öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG sind über die wasserrechtlichen Vorschriften hinaus nur Regelungen, die sonstige Anforderungen an die Gewässerbenutzung stellen (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 20.12.2018 – OVG 6 B 1.17 – ZfB 2019, 95 = juris Rn. 91; Czychowski/Reinhardt, WHG, § 12 Rn. 29 f.; Nr. 2.1.7.1 VVWas). § 11 Abs. 1 AbwAG stellt keine benutzungsbezogenen Anforderungen, sondern betrifft die der Gewässerbenutzung nachgelagerte Frage des Veranlagungszeitraums in Bezug auf Abwasserabgaben. Dort sollen aus Gründen der besseren Handhabbarkeit grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Kalenderjahrs für die Abgabenberechnung maßgeblich sein (BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 8 C 10.95 – BVerwGE 102, 1 = juris Rn. 12). Es handelt sich um ein typisches Strukturprinzip des Steuer- und Abgabenrechts (sog. Jahressteuerprinzip, vgl. § 25 Abs. 1 EStG, § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG, Bott/Walter, KStG, Stand März 2025, § 7 Anm. 10; NdsFG, U.v. 22.11.1990 – VI 549/90 – EFG 1991, 488 = juris Rn. 18; BVerwG, U.v. 28.10.1998 – 8 C 17.97 – NVwZ 1999, 1119 = juris Rn. 14). Etwas Anderes mag für die vom Beklagten erwähnten Mindestanforderungen für die Parameter Stickstoff gesamt und Phosphor gesamt (vgl. § 57 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 WHG i.V.m. Anhang 1 zur AbwV) gelten, da es sich hier um Anforderungen an die im Abwasser enthaltene Schadstofffracht handelt und damit um spezifische wasserrechtliche Anforderungen (vgl. NdsOVG, U.v. 22.4.2016 – 7 KS 35/12 – juris Rn. 332; Breuer/Gärditz, Öffentliches und privates Wasserrecht, Rn. 583). Aber selbst wenn diese Werte nicht in einem wasserrechtlichen Bescheid festgesetzt wären, würde dies aus abgabenrechtlicher Sicht nicht zur Rechtswidrigkeit der wasserrechtlichen Erlaubnis führen, da für diesen Fall das AbwAG die Abgabe einer entsprechenden Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorsieht.
43
bb) Auch im Rahmen des nach § 12 Abs. 2 WHG bei Erlass einer beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis auszuübenden Bewirtschaftungsermessens ist dem im Abwasserabgabengesetz zum Veranlagungszeitraum bestimmten Kalenderjahr (vgl. § 11 Abs. 1 AbwAG) keine besondere Bedeutung beizumessen.
44
Das Bewirtschaftungsermessen räumt den Wasserbehörden einen weiten planerischen Gestaltungsfreiraum ein (vgl. BVerwG, U.v. 18.9.1987 – 4 C 36.84 – DVBl 1988, 489 = juris Rn. 12) und ist allein an wasserwirtschaftlichen Gesichtspunkten auszurichten (vgl. BVerfG, B.v. 15. 7.1981 – 1 BvL 77/78 – BVerfGE 58, 300 = juris Rn. 178; BVerwG, B.v. 16.11.2017 – 9 C 15.16 – BVerwGE 160, 334 = juris Rn. 23). Es hat sich im Rahmen des durch § 12 Abs. 1 WHG vorgegebenen Zwecks der nachhaltigen Gewährleistung der wasserwirtschaftlichen Ordnung und insbesondere an den Bewirtschaftungsgrundsätzen des § 6 WHG und seinen Konkretisierungen in den Bewirtschaftungszielen der §§ 27, 28, 44, 47 WHG zu orientieren (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2022 – 8 ZB 22.1193 – AUR 2022, 472 = juris Rn. 24; Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 12 Rn. 46). Das vom Beklagten angeführte Jährlichkeitsprinzip des § 11 Abs. 1 AbwAG ist demgegenüber kein wasserwirtschaftlicher Gesichtspunkt, sondern ein steuer- und abgabenrechtliches Strukturprinzip (vgl. oben Rn. 42; Zöllner in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 11 AbwAG Rn. 1).
45
Unabhängig davon weist das AbwAG selbst Durchbrechungen dieses Prinzips auf (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.2005 – 9 C 7.04 – BVerwGE 123, 132 = juris Rn. 19 ff.; OVG NW, B.v. 22.12.2005 – 9 A 541/03 – NVwZ-RR 2006, 641 = juris Rn. 26).
46
Eine solche ergibt sich etwa aus § 9 Abs. 6 i.V.m. § 4 Abs. 5 AbwAG, wenn der Einleiter unterjährig erklärt, dass er die Bescheidswerte für einen bestimmten Zeitraum unterschreitet oder eine geringere als die im Bescheid festgelegte Abwassermenge einleitet (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.2005 – 9 C 7.04 – BVerwGE 123, 132 = juris Rn. 19 ff.). Auch der Landesgesetzgeber hat erkannt, dass sich die Abgabegrundlagen unterjährig ändern können und dahingehend reagiert, dass er die in Art. 12 Abs. 2 Satz 1 BayAbwAG bis 1. April 1996 enthaltene Pflicht zur Festsetzung der Abgabe für die Dauer des Einleitungsbescheids in eine Kannvorschrift umgewandelt hat, so dass besser berücksichtigt werden kann, dass sich Abgabengrundlagen nach den Erfahrungen in der Praxis häufig ändern (vgl. LT-Drs. 13/2782 S. 7; vgl. auch Zöllner in Sieder/Zeitler, BayWG, Stand Januar 2023, Art. 12 BayAbwAG Rn. 2 und 4). Zudem erklärt er bei der Festsetzung der Abgabe in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchstabe b BayAbwAG die Bestimmung des § 164 AO für entsprechend anwendbar, so dass vorübergehende Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gerade möglich sind.
47
Demgegenüber greift das Argument des Beklagten, mit dem gesetzgeberischen Ziel des Bundesgesetzgebers zur Verwaltungsvereinfachung würden sich nachträgliche Änderungsbescheide nicht vereinbaren lassen, nicht durch. Denn der Bundesgesetzgeber bezweckt mit dem Abwasserabgabengesetz nicht nur das Ziel der Verwaltungsvereinfachung, sondern insbesondere auch die Schaffung eines Anreizes, um die Einleiter zu weiteren Gewässerschutzinvestitionen zu veranlassen (vgl. z.B. BT-Drs. 10/5533 S. 1 f. und 8 f.; BT-Drs. 11/4942 S. 1 und 6 f.; Nr. 1.1 VwVBayAbwAG; vgl. BVerwG, U.v. 16.3.2005 – 9 C 7.04 – BVerwGE 123, 132 = juris Rn. 35).
48
3. Unabhängig davon erweist sich die Rücknahmeentscheidung auch deshalb als rechtswidrig, weil das Landratsamt im Bescheid vom 23. Dezember 2020 sein Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt hat (a) und die von ihm im Schreiben vom 4. April 2022 vorgenommene Ermessensergänzung nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässig und mithin unbeachtlich ist (b).
49
a) Das Landratsamt hat das ihm nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zustehende Rücknahmeermessen ermessensfehlerhaft ausgeübt. Die gerichtliche Kontrolle ist gemäß § 114 Satz 1 VwGO grundsätzlich auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde gemäß Art. 40 BayVwVfG den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gewahrt und das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage ausgeübt hat.
50
Ausgangspunkt der nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung ist, dass die materielle Gerechtigkeit, die für eine Korrektur unrichtiger Bescheide streitet, und die Rechtssicherheit, die für das Festhalten an der Bestandskraft spricht, gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt also zunächst kein höheres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist, was hier nicht der Fall ist. Dementsprechend gibt es keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2011 – 2 C 50.09 – NVwZ 2011, 888 = juris Rn. 11 und 14; B.v. 8.6.2021 – 9 B 26.20 – BayVBl 2021, 825 = juris Rn. 5 ff.). Vertrauensgesichtspunkte zugunsten des von der Rücknahmeentscheidung Betroffenen sind bei begünstigenden Verwaltungsakten, die wie hier nicht unter Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG fallen, im Rahmen der Ermessensausübung nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG grundsätzlich dahingehend zu prüfen, ob der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, ihm dadurch Vermögensnachteile entstanden sind und die Behörde trotz der Rechtsfolge des Art. 48 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG von der Möglichkeit der Rücknahme Gebrauch machen will (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2000 – 8 B 137.00 – NVwZ-RR 2001, 198 = juris Rn. 9; OVG NW, U. v. 14.7.2004 – 10 A 4471/01 – NWVBl 2005, 71 = juris Rn. 83 ff. m.w.N.; SächsOVG, U.v. 11.3.2021 – 1 A 565/17 – NVwZ-RR 2021, 792 = juris Rn. 35). Erforderlich ist eine umfassende Güterabwägung unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls, wozu auch etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte gehören (vgl. BVerwG, B.v. 30.9.2003 – 2 B 10.03 – Buchholz 237.7 § 20 NWLBG Nr. 1 = juris Rn. 5; U.v. 24.5.2012 – 5 C 17.11 – NVwZ-RR 2012, 862 = juris Rn. 27).
51
Diese Prüfung hat das Landratsamt nicht ermessensfehlerfrei vorgenommen, da es seine Erwägungen darauf gestützt hat, dass der Kläger kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand einer wasserrechtlichen Erlaubnis hat. Dabei hat das Landratsamt nicht berücksichtigt, dass der Kläger mit Bescheid vom 30. Dezember 2015 für die Zeit vom 6. Juli 2015 bis 31. Dezember 2017 im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung über eine seit fünf Jahren bestandskräftige, beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis verfügt hat, die ihm – unbeschadet des Art. 15 BayWG – gemäß § 10 Abs. 1 WHG eine öffentlich-rechtliche Befugnis zur Benutzung eines Gewässers eingeräumt hat. Auch wenn die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis vom 30. Dezember 2015 gem. Ziff. I.1 des Bescheidtenors widerruflich ist (vgl. § 18 Abs. 1 WHG), hätte dies in der Abwägung allenfalls zu einem geringeren Gewicht von Vertrauensschutzgesichtspunkten führen können, aber nicht zu ihrem gänzlichen Ausschluss (vgl. OVG Berlin, B.v. 8.6.2000 – 2 SN 15.00 – LKV 2000, 458 = BeckRS 2000, 21800). Darüber hinaus könnte das geringere Gewicht des Vertrauensschutzes nur mit Blick auf den Fortbestand der Erlaubnis in die Zukunft in die Abwägung eingestellt werden (vgl. Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG).
52
Der vom Landratsamt weiter angeführte Aspekt, dass die Erteilung einer rückwirkenden Erlaubnis nur ausnahmsweise in begründeten Einzelfällen in Betracht käme, trifft bei Betrachtung der Verwaltungspraxis des Landratsamts nicht zu und führt ebenfalls nicht zum Ausschluss von Vertrauensschutzgesichtspunkten. Der Erwägung widerspricht bereits der Vortrag des Landratsamts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2021, dass die rückwirkende Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse gerade seiner ständigen Verwaltungspraxis entspräche (vgl. GA des VG Bl. 160). Auch mit Blick auf die Verwaltungspraxis des Landratsamts gegenüber dem Kläger drängt sich der Eindruck auf, dass die rückwirkende Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse, auch über Jahreswechsel üblich ist, zumal alle den Kläger betreffenden wasserrechtlichen Erlaubnisse bislang rückwirkend erteilt wurden. So hat das Landratsamt dem Kläger bereits mit Bescheid vom 19. Juni 2007 die wasserrechtliche Erlaubnis vom 12. Juli 1982 rückwirkend zum 31. Dezember 2000 „verlängert“, d.h. neu erteilt (vgl. BA „… … … …“, Bl. 90; Schreiben der Klägerin vom 29.6.2020, BA „Verfahrensakte Stadtwerke … . … …“, Bl. 38), so dass rückwirkend sieben abgeschlossene Abgabetatbestände „geheilt“ wurden. Zuletzt hat das Landratsamt dem Kläger mit Bescheid vom 12. Juli 2018 eine gehobene wasserrechtliche Erlaubnis (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 15 WHG) rückwirkend zum 1. Januar 2018 erteilt (BA „Wasserrechtliches Verfahren Aug. 2017“, Bl. 47).
53
Ein weiterer Ermessenfehler liegt darin, dass das Landratsamt bei seiner Ermessensentscheidung das Vorbringen des Klägers während des Verwaltungsverfahrens nicht gewürdigt hat (z.B. Schreiben des Klägers vom 29.6.2020, BA „Verfahrensakte … … – NW 2015, Bl. 40; Schreiben des Klägers vom 30.6.2020, a.a.O, Bl. 43; Schreiben der Beigeladenen vom 23. Dezember 2020, BA, a.a.O., Bl. 258).
54
Sachfremd und daher ebenfalls ermessensfehlerhaft sind die Erwägungen des Landratsamts, die für das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustands streiten. Die Erwägung, es bestehe ein öffentliches Interesse an der Rücknahme der wasserrechtlichen Erlaubnis, damit die geschuldete Abwasserabgabe gezahlt werde, ist mit den Wertungen des Wasserhaushaltsgesetzes nicht vereinbar. Direktiven zur Ausübung des Rücknahmeermessens können sich insbesondere aus dem anzuwendenden Fachrecht, hier dem Wasserhaushaltsgesetz ergeben (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwVfG, § 48 Rn. 299, 302; SächsOVG, B.v. 5.6.2014 – 4 A 648/13 – SächsVBl 2014, 242 = juris Rn. 19). Danach will das Wasserhaushaltsgesetz und insbesondere der hier maßgebliche § 8 Abs. 1 WHG sicherstellen, dass der Staat seinem Auftrag zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Gewässern nach § 1 WHG nachkommen kann (vgl. Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 8 Rn. 3; Breuer/Gärditz, Öffentliches und Privates Wasserrecht, Rn. 287 ff.; vgl. BT-Drs. 16/12275, S. 40; oben Rn. 31) und keine Anforderungen für die Erhebung von Abwasserabgaben festlegen. Dies gilt selbst für die Regelungen zur Abwasserbeseitigung in §§ 54 ff. WHG. Diese, erst 1976 in das Wasserhaushaltsgesetz aufgenommenen und seit 2009 in der heutigen Form bestehenden Regelungen zur Abwasserbeseitigung, sind der Erkenntnis geschuldet, dass Gewässer heute nicht mehr „der von Natur aus gegebene Rezipient“ (vgl. RG, U.v. 2.6.1886 – V 334/85 – RGZ 16, 178/180) für das an den verschiedensten Stellen anfallende Abwasser sind, sondern Bestandteil des Naturhaushalts sowie Lebensraum von Tieren und Pflanzen und als solche schutzbedürftig sind. Die Vorschriften zur Abwasserbeseitigung in § 54 ff. WHG dienen daher allein dem Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Abwasser und ergänzen insoweit das Benutzungsregime der §§ 8 ff. WHG (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, § 54 Rn. 3), dienen aber nicht der Erhebung von Abwasserabgaben. Darüber hinaus ist die Erwägung auch deshalb gegenüber dem Kläger sachfremd, da nach Auffassung des Landratsamts nicht der Kläger gem. § 9 Abs. 1 AbwAG als Einleiter abgabepflichtig ist, sondern die Beigeladene, so dass der Kläger schon keine Abwasserabgaben „schuldet“. Die Rücknahme der wasserrechtlichen Erlaubnis würde insoweit zu Lasten eines unbeteiligten Dritten, nämlich der Beigeladenen, ergehen, was das Landratsamt bei der Ermessensausübung überhaupt nicht berücksichtigt hat.
55
b) Die fehlerhafte Ermessensausübung ist im vorliegenden Verfahren nicht im Wege des Nachschiebens von Gründen (§ 114 Satz 2 VwGO) geheilt worden.
56
Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. April 2022 hilfsweise die Ermessenserwägungen für den Fall ergänzt hat, dass der Verwaltungsgerichtshof im Berufungsverfahren zu der Rechtserkenntnis kommt, die Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse mit Wirkung für die Vergangenheit sei generell rechtlich unzulässig, ist dieser Fall nicht eingetreten (vgl. Rn. 26 ff.). Im Übrigen hält sich dieses Nachschieben nicht mehr im Rahmen einer nach § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren zulässigen Ergänzung von Ermessenserwägungen. Ermessenserwägungen können zwar gemäß § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden; unzulässig, weil keine bloße Ergänzung, ist jedoch die vollständige Auswechslung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe (vgl. BVerwG, U.v. 27.5.2014 – 1 WB 55.13 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 70 = juris Rn. 31; B.v. 8.2.2024 – 20 F 28.22 – juris Rn. 12).
57
Das ist hier der Fall. Schon nach dem äußeren Erscheinungsbild handelt es sich im Schreiben des Landratsamts vom 4. April 2022 nicht um eine Ergänzung, sondern um eine vollständige Auswechslung der Ermessenserwägungen. Das Landratsamt hat nämlich die gesamten Ermessenserwägungen im Bescheid vom 23. Dezember 2020 gestrichen und durch neue Erwägungen ersetzt. Auch inhaltlich handelt es sich um keine Ergänzung, sondern um eine Auswechslung. Gem. Art. 40 BayVwVfG ist das Ermessen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zielvorstellungen einerseits und der konkreten Umstände andererseits auszuüben. Voraussetzung hierfür ist die vollständige und zutreffende Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts. Dazu gehört auch, aus welchen Gründen sich der ursprüngliche Verwaltungsakt als rechtswidrig erweist. Ist ein Verwaltungsakt bereits unanfechtbar geworden, so ist bei der in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG erforderlichen Ermessensentscheidung zu prüfen, ob es aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls erforderlich erscheint, von der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes zugunsten der Bestandskraft unanfechtbarer Verwaltungsakte abzuweichen. Hierfür kommt es vor allem auf die Auswirkungen für den Betroffenen und die öffentlichen Interessen und die Art und Intensität des Rechtsverstoßes an (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 48 Rn. 77).
58
Hier lag den ursprünglichen, im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Dezember 2020 angestellten Ermessenserwägungen die Vorstellung zugrunde, dass eine rückwirkende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis grundsätzlich möglich ist, aber aus Gründen des im Abwasserabgabenrechts geltenden Prinzips der Jährlichkeit nicht rückwirkend auf ein vorangegangenes Jahr erstreckt werden kann (vgl. Bescheid vom 23.12.2020 S. 2). Dagegen liegt den neuen Ermessenserwägungen die Überlegung zugrunde, dass eine rückwirkende Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis generell unzulässig ist (vgl. Schreiben vom 4.4.2022, S. 2). Damit hat das Landratsamt seine Ermessenserwägungen an einer anderen Art des Rechtsverstoßes ausgerichtet und folglich neu angestellt. Aspekte der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung mit anderen Gewässernutzern sowie die Ausübung des Ermessens anhand des Schreibens des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 10. November 2014 sind zudem neu in die Ermessensentscheidung eingeflossen. Eine Ergänzung liegt nicht vor, wenn völlig neue Ermessensgesichtspunkte ins Feld geführt werden, die wie hier bei der ursprünglichen Entscheidung nicht einmal marginal eine Rolle spielten (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2006 – 19 CS 06.2383 – juris Rn. 6; OVG LSA, U.v. 5.9.2007 – 3 L 193/04 – juris Rn. 59).
59
Aber selbst wenn man die vom Landratsamt vorgenommene Ermessensergänzung für zulässig erachten würde, wäre diese ebenfalls fehlerhaft, weil sie sich in Bezug auf den angeführten Aspekt der Gleichbehandlung als widersprüchlich erweist. Soweit das Landratsamt vorbringt, es habe seine Verwaltungspraxis am Schreiben des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 10. November 2014 ausgerichtet, wonach die rückwirkende Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse nur zum jeweiligen Jahresersten möglich sei, so steht dieser Aspekt seiner die Ermessensentscheidung leitenden Ausgangsprämisse entgegen, eine rückwirkende Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse sei generell unzulässig. Der Aspekt der Gleichbehandlung trifft auch tatsächlich nicht zu, als das Landratsamt dem Kläger mit Bescheid vom 12. Juli 2018 eine gehobene wasserrechtliche Erlaubnis erneut rückwirkend (zum 1. Januar 2018) erteilt hat.
60
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
61
D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
62
E. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.