Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.04.2025 – 7 CE 25.10007 u.a.
Titel:

Universität R., Wintersemester 2024/2025, Zahnmedizin, Kapazitätserschöpfungsgebot, unbesetzte Studienplätze in höheren Fachsemestern, Erhöhung der Aufnahmekapazität für das 1. Fachsemester (verneint), Schwundquote

Normenketten:
GG Art. 12 Abs. 1
Staatsvertrags über die Hochschulzulassung Art. 6
HZV §§ 33, 51
Zulassungszahlsatzung 2024/2025.
Schlagworte:
Universität R., Wintersemester 2024/2025, Zahnmedizin, Kapazitätserschöpfungsgebot, unbesetzte Studienplätze in höheren Fachsemestern, Erhöhung der Aufnahmekapazität für das 1. Fachsemester (verneint), Schwundquote
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 21.03.2025 – RO 1 E Z 24.10118
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9195

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. März 2025 wird in Nr. II und III aufgehoben. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen jeweils die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin und der Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihre vorläufige Zulassung zum 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin an der Universität R. (UR) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2024/2025.
2
Mit Satzung zur Festsetzung von Zulassungszahlen der im Studienjahr 2024/2025 an der Universität R. als Studienanfänger und Studienanfängerinnen sowie in höheren Fachsemestern aufzunehmenden Bewerber und Bewerberinnen (Zulassungszahlsatzung 2024/2025) vom 23. Mai 2024 wurden die Zulassungszahlen für den Studiengang Zahnmedizin gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. c für das Wintersemester 2024/2025 wie folgt festgesetzt:
3

Fachsemester

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Zahnmedizin

49

48

47

46

44

43

42

41

40

39

4
Nach der amtlichen Statistik der UR zum Stichtag 1. Dezember 2024 ergeben sich im Studiengang Zahnmedizin für die jeweiligen Fachsemester folgende Einschreibungen und Beurlaubungen:
5

Fachsemester

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Summe

Festgesetzte Zulassungszahl

49

48

47

46

44

43

42

41

40

39

439

Eingeschriebene Studierende

49

49

46

43

45

41

38

39

37

40

427

Davon beurlaubt

0

1

0

0

1

0

0

2

0

0

4

Davon mehrfach beurlaubt

0

1

0

0

0

0

0

1

0

0

2

6
Die Bewerbungen der Antragsteller bei der UR um einen Studienplatz im 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht gab ihren hiergegen gerichteten Eilanträgen mit Beschluss vom 21. März 2025 statt und verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsteller im Studiengang Zahnmedizin, 1. Fachsemester, nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2024/2025 zum nächstmöglichen Termin des Studienbeginns vorläufig zuzulassen. Zwar seien die korrekt festgesetzten 49 Studienplätze für das 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin schon vergeben. Ein Anspruch auf Zuteilung eines Studienplatzes ergebe sich jedoch aus § 5 der Zulassungszahlsatzung und dem Kapazitätserschöpfungsgebot, da die für Zahnmedizin festgesetzte Gesamtzahl an Studienplätzen in Höhe von 439 Studienplätzen mit lediglich 427 vergebenen Studienplätzen nicht ausgeschöpft worden sei.
7
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde. Er macht im Wesentlichen geltend, dass mit der Besetzung der im Studiengang Zahnmedizin im Wintersemester 2024/2025 für das 1. Fachsemester zur Verfügung stehenden 49 Studienplätze die Kapazität ausgeschöpft sei und freie Studienplätze in höheren Fachsemestern nicht zu einer Erhöhung der in der Zulassungszahlsatzung festgesetzten Aufnahmekapazität des 1. Fachsemesters führen könnten.
8
Die Antragsteller widersetzen sich der Beschwerde ohne Begründung.
9
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
10
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts hält einer Überprüfung anhand der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vom Antragsgegner vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht stand. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts haben die Antragsteller keinen Anspruch auf vorläufige Zulassung zum 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin an der UR nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2024/2025. Nr. II und III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts sind daher aufzuheben und die Anträge abzulehnen.
11
1. § 1 Abs. 1 Buchst. c der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 setzt 49 Studienplätze für die zum Wintersemester 2024/2025 als Studienanfänger und Studienanfängerinnen in das 1. Fachsemester aufzunehmenden Studierenden im Studiengang Zahnmedizin fest. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Kapazitätsermittlung wurden im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht. Die für das Wintersemester 2024/2025 ermittelte Kapazität wurde mit der Einschreibung von 49 Studierenden ausgeschöpft.
12
2. Die UR ist nicht verpflichtet, über die in der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 festgesetzten und angenommenen 49 Studienplätze hinaus, weitere Studienplätze für das 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin zu vergeben, weil die in der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 festgesetzten Zulassungszahlen für höhere Fachsemester nach Saldierung mit Überbuchungen nicht ausgeschöpft wurden. Die anderweitige Auffassung des Verwaltungsgerichts teilt der Senat nicht.
13
a) Das aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitende Gebot der erschöpfenden Nutzung der Ausbildungskapazität verlangt nicht, die in höheren Fachsemestern unbesetzten Studienplätze an Bewerberinnen und Bewerber für das 1. Fachsemester zu vergeben.
14
Das Hochschulzulassungsrecht sieht eigenständige Vergabeverfahren bei Studienplätzen für das 1. Fachsemester (vgl. Art. 6 und 8 ff. des Staatsvertrags über die Hochschulzulassung, Art. 4 f. BayHZG, §§ 4 ff. HZV) und bei Studienplätzen für höhere Fachsemester (vgl. Art. 6 BayHZG, § 33 HZV) vor. Das Kapazitätserschöpfungsgebot ist demzufolge auf die Kapazität des jeweiligen zulassungsbeschränkten Fachsemesters begrenzt. Auch die Kapazitätsberechnungen erfolgen auf der Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazität (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayHZG, § 40 Abs. 1 HZV) für jedes Fachsemester und hinsichtlich der Berücksichtigung des Verbleibeverhaltens der Studierenden (Schwund) unterschiedlich. Bezogen auf das 1. Fachsemester führen die prognostizierten Abgänge in höheren Fachsemestern zu einer Erhöhung der ermittelten Studienanfängerzahl (vgl. § 51 HZV); bezogen auf die höheren Fachsemester wirken sie sich kapazitätsreduzierend aus. Gerade auch mittels der Schwundquote soll eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität gewährleistet werden (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 7 des Staatsvertrags über die Hochschulzulassung).
15
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, neben dem bereits in der Kapazitätsberechnung der UR für das Wintersemester 2024/2025 berücksichtigten Schwundausgleichsfaktor sei die Anzahl der im 1. Fachsemester aufzunehmenden Studierenden vorliegend um die zum 1. Dezember 2024 in höheren Fachsemestern tatsächlich unbesetzten Studienplätze zu erhöhen, führt zu einer Durchbrechung der Regelungen der Kapazitätsberechnung, die der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber gerade nicht vorgesehen hat und die durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht gefordert ist. Ungeachtet dessen, dass bereits Regelungen fehlen, wie derartige Studienplätze z.B. bei gleichzeitig vorliegenden Bewerbungen für das 1. Fachsemester und höhere Fachsemester zu vergeben wären, hat sich der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber in Art. 6 BayHZG und § 33 HZV dazu entschieden, freibleibende Kapazitäten in höheren Fachsemestern (nur) an Bewerber für diese zu vergeben. Ist zu erwarten, dass die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge, ist die Studienanfängerzahl nach § 51 HZV mittels der Schwundquote zu erhöhen. Wesentliche Änderungen sollen gemäß § 40 Abs. 3 HZV nur dann zu einer Neufestsetzung und Neuermittlung der Aufnahmekapazität führen, wenn sie vor Beginn des Berechnungszeitraums eintreten. Fallgestaltungen, wie sie ausweislich der zum 1. Dezember 2024 erstellten Statistik bei der UR im Wintersemester 2024/2025 aufgetreten sind, wirken sich somit regelmäßig erst im nächsten Studienjahr aus (vgl. dazu auch NdsOVG, B.v. 10.3.2016 – 2 NB 122/15 – juris Rn. 19, 24, 25; OVG Hamburg, B.v. 23.4.2002 – 3 Nc 2/02 – juris Rn. 8). Dies ist sachgerecht, da die Kapazitätsermittlung von dem Grundsatz pauschalierender und abstrahierender Berechnung der Ausbildungskapazität beherrscht wird (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2021 – 6 C 18.19 – juris Rn. 40), auf einen Stichtag abzustellen hat (vgl. § 40 Abs. 1 HZV) und das Kapazitätserschöpfungsgebot nicht die Verpflichtung enthält, das Zulassungswesen dergestalt zu optimieren, dass eine möglichst große Gesamtzahl von Bewerbern zum Studium zugelassen werden kann (vgl. BVerwG, U.v.15.12.1998 – 7 C 15.88 – juris Rn. 14).
16
b) Soweit das Verwaltungsgericht im Wege eines Umkehrschlusses aus § 3 Abs. 2 der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 ableitet, dass für die Zulassung keine strikte zahlenmäßige Beschränkung bis zur festgesetzten Studierendenzahl in dem entsprechenden Fachsemester bestehe, sondern maßgeblich auf die Gesamtzahl der den Fachsemestern mit Zulassungsbeschränkungen zuzuordnenden Studierenden des betreffenden Studiengangs, mithin auf die Gesamtausbildungskapazität abzustellen sei, überzeugt dies – unabhängig von der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Auslegung mit höherrangigem Recht – nicht.
17
Denn § 3 Abs. 2 der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 bezieht sich seinem Wortlaut nach nicht auf die hier inmitten stehende Vergabe von Studienplätzen für das 1. Fachsemester, sondern ausschließlich auf die Vergabe von Studienplätzen in höheren Fachsemestern. Im Übrigen führt die in § 3 Abs. 2 der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 in Bezug genommene Gesamtzahl zu einer Beschränkung der Studienplatzvergabe auf die insgesamt festgesetzte Kapazität und ermöglicht keine Erweiterung der Studienplatzvergabe.
18
c) Entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts folgt auch aus § 5 der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 nicht, dass Kapazitäten, die in höheren Fachsemestern ungenutzt bleiben, von Studienanfängern und Studienanfängerinnen in Anspruch genommen werden könnten.
19
Soweit die Kapazität einer Lehreinheit nicht erschöpfend genutzt ist, sieht § 5 der Zulassungszahlsatzung 2024/2025 die Zulassung einer entsprechenden Anzahl weiterer Studienbewerber und Studienbewerberinnen bis zur vollständigen Auslastung der Ausbildungskapazität der Lehreinheit vor. Diese Bestimmung trägt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur horizontalen Substitution freier Kapazität innerhalb einer Lehreinheit mit mehreren zugeordneten Studiengängen Rechnung. Das Prinzip der horizontalen Substitution erlaubt zu Gunsten der Studienplatzbewerber ausnahmsweise eine Durchbrechung der staatlichen Widmungsbefugnis bzw. der Anteilsquotenfestsetzung für die einzelnen Studiengänge der Lehreinheit, wenn dies unerlässlich ist, um ein mit dem Kapazitätserschöpfungsgebot unvereinbares Ergebnis, nämlich das Freibleiben von Studienplätzen zu vermeiden (BVerwG, U.v. 15.12.1989 – 7 C 15.88 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 11.2.2021 – 7 CE 20.10047 u.a. – juris Rn. 10 f.). Unter Berücksichtigung des jeweiligen Curriculareigenanteils erhöhen demnach freie Kapazitäten in einem Studiengang der Lehreinheit – gegebenenfalls nach Saldierung mit Überbuchungen aus weiteren Studiengängen – die Anzahl der Studienplätze in einem anderen Studiengang derselben Lehreinheit, in dem über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus keine Kapazität mehr vorhanden ist (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.2.2021 – 7 CE 20.10047 u.a. – juris Rn. 14). Dieses Prinzip der horizontalen Substitution gilt jedoch zum einen nur für Lehreinheiten, denen mehrere Studiengänge zugeordnet sind, was vorliegend bezogen auf die streitgegenständliche Lehreinheit Zahnmedizin nicht der Fall ist. Zum anderen ist die horizontale Substitution nur innerhalb desselben Fachsemesters möglich (vgl. zu dieser Beschränkung auf dasselbe Fachsemester auch die Erwägungen unter 2.a).
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
21
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).