Titel:
Duldungsanordnung für die Beseitigung eines Wohngebäudes, Planabweichende Bebauung, Erlöschen einer (alten) Baugenehmigung, Lage im Außenbereich
Normenketten:
BauGB § 35
BayBO Art. 76 S. 1
Schlagworte:
Duldungsanordnung für die Beseitigung eines Wohngebäudes, Planabweichende Bebauung, Erlöschen einer (alten) Baugenehmigung, Lage im Außenbereich
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 13.06.2024 – M 11 K 23.909
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9171
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger wenden sich gegen eine Anordnung des Beklagten, die Beseitigung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. …2, Gemarkung W. … (Vorhabengrundstück) zu dulden.
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Das vormals unbebaute Vorhabengrundstück liegt am Rande einer kleineren Ansiedlung des Stadtteils W. …, W. …; ein Bebauungsplan besteht für das Gebiet nicht.
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Mit Bescheid vom 23. März 2010 erteilte das Landratsamt der ehemaligen Eigentümerin E. zunächst einen Vorbescheid für die Errichtung von drei Wohngebäuden nebst Carports auf den damals ungeteilten Grundstücken FlNr. … und …, dann mit Bescheiden vom 10. und 12. September 2014 die Baugenehmigungen für die Errichtung von Einfamilienhäusern jeweils mit Carport auf den Vorhabengrundstücken (das von den Klägern als Mietern bewohnte „Haus 1“ auf dem jetzigen Grundstück FlNr. …2, „Haus 2“ auf dem jetzigen Grundstück FlNr. …2, und „Haus 3“ auf dem jetzigen Grundstück FlNr. …3). In den Baugenehmigungen wurde ausgeführt, dass die Vorhaben aufgrund ihrer Außenbereichslage nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen seien und die Entstehung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten ließen. Mit der Erteilung des Vorbescheids sei aber ein Vertrauensverhältnis geschaffen worden, welches höher zu werten sei als die bestehenden rechtlichen Bedenken gegen den erteilten Vorbescheid. Die drei Einfamilienhäuser wurden in der Folge vom ehemaligen Eigentümer W. planabweichend errichtet, insbesondere wurden jeweils die Wand- und Firsthöhen erhöht, das Gelände aufgeschüttet, die Dachneigung verändert, die Terrassenflächen erweitert, anstelle der Carports Doppelgaragen errichtet und die Baugrundstücke eingefriedet. Den im Jahr 2017 erlassenen Baueinstellungsverfügungen kam der ehemalige Eigentümer W. nicht nach und stellte die Vorhaben fertig. Die von ihm im gleichen Jahr beantragten Baugenehmigungen zur Legalisierung der errichteten Anlagen lehnte das Landratsamt mit Bescheiden vom 30. Mai 2018 ab. Die hiergegen gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht mit Urteilen vom 10. Juni 2021 (M 11 K 18.3186, M 11 K 18.3315 und M 11 K 18.3384) abgewiesen, der Senat hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 13. Mai 2022 (1 ZB 21.2603 und 1 ZB 21.2605) bestätigt.
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Mit Bescheiden vom 30. Januar 2023 wurde der ehemalige Eigentümer W. zur Beseitigung der drei Wohngebäude u.a. verpflichtet und die neue Eigentümerin zur Duldung der Beseitigung der Wohngebäude. Die Kläger wurden zur Duldung der Beseitigung des von ihnen bewohnten Gebäudes („Haus 1“) auf dem Vorhabengrundstück verpflichtet. Die dagegen gerichteten Klagen des ehemaligen Eigentümers W. und der neuen Eigentümerin (M 11 K 23.869) sowie der Kläger (M 11 K 23.909) hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die gegenüber den Klägern erlassene Duldungsanordnung sei nicht zu beanstanden. Die zugrundeliegende Beseitigungsanordnung sei formell und materiell rechtmäßig. Das Wohngebäude sei auch unter Zugrundlegung der nachgemessenen geringeren Wandhöhenüberschreitungen in Zusammenschau mit den Firsthöhenüberschreitungen und den übrigen Abweichungen nicht mehr durch die Baugenehmigung von 2014 gedeckt. Der ehemalige Eigentümer W. habe ein anderes als das genehmigte Bauvorhaben („aliud“) ausgeführt, damit sei die Baugenehmigung von 2014 erloschen. Das errichtete Wohngebäude sei aufgrund der Außenbereichslage des Vorhabengrundstücks nicht genehmigungsfähig. Für den Bebauungszusammenhang auf dem Baugrundstück seien weder die zwischenzeitlich errichteten Doppelhäuser auf den westlich gelegenen Grundstücken FlNrn. …1 u.a. relevant noch seien die auf dem Vorhabengrundstück und den Grundstücken FlNrn. …2 und …3 errichteten Einfamilienhäuser zu berücksichtigen, weil sie formell illegal seien und das Landratsamt sich nicht auf Dauer mit dem Fortbestand der Gebäude abgefunden habe. Auch könne ein Bebauungszusammenhang nicht zum Zeitpunkt der Rohbaufertigstellung angenommen werden, weil ein solches Bauwerk nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen diene und die Gebäude bereits im Rohbau die baurechtswidrigen Wand- und Firsthöhen aufgewiesen hätten. Dem nicht privilegierten Vorhaben ständen öffentliche Belange entgegen. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung machen die Kläger geltend, dass die Einordnung des errichteten Wohngebäudes als aliud angesichts der nunmehr feststehenden geringeren Überschreitungen bei den Wand- und Firsthöhen unzutreffend sei. Das vorhandene Wohngebäude sei von den Baugenehmigungen 2014 gedeckt. Um die genehmigte Wandhöhe zu erreichen, müsse lediglich das Dach angehoben, die maximal betroffenen 2 Mauersteinlagen entfernt und das Dach wieder aufgesetzt werden. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung 2014 habe Art. 59 BayBO (a.F.) keine Prüfung der Abstandsflächen vorgesehen; die Abstandsflächen würden – auch mit den tatsächlich ausgeführten Wandhöhen – ersichtlich eingehalten. Es handle sich um eine „zwangsläufige Unregelmäßigkeit im Zuge der Bauarbeiten“. Für die Frage, ob ein aliud vorliege, könne nicht auf die Nebenanlagen, die baulich-konstruktiv und visuell klar vom Hauptkörper zu unterscheiden seien, abgestellt werden. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des errichteten Wohngebäudes richte sich nach § 34 BauGB, jedenfalls sei auch bei Annahme eines aliuds der Baubeginn bzw. der Baufortschritt bis zum Zeitpunkt der Überschreitung der genehmigten Wandhöhe in rechtmäßiger Weise erfolgt. Die Baumaßnahmen seien vor dem angenommenen Erlöschen der Baugenehmigung im Jahr 2018 abgeschlossen worden. Der vorhandene Baubestand im Zeitpunkt des Rohbaus bzw. seiner Fertigstellung sei bis zu dem angenommenen Erlöschen der Baugenehmigungen in einer Art und Weise gefestigt gewesen, dass lediglich ein Teilrückbau hätte gefordert werden können; mit einer vollständigen Beseitigung des Vorhandenen sei nicht mehr zu rechnen gewesen. Diese prägende und die Innenbereichsqualität des Baugrundstücks begründende Wirkung habe auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestanden, weil die Verfestigung nicht mit dem Erlöschen der Baugenehmigung ende und Bestandteil des grundrechtlich geschützten Eigentums sei. Auch bei Annahme einer Außenbereichslage fehle es an einer rechtserheblichen Beeinträchtigung öffentlicher Belange. Zudem lägen Ermessenfehler vor und das Verhalten des Landratsamts entspreche nicht den an die Verhältnismäßigkeit zu stellenden Anforderungen.
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Der Beklagte tritt den Zulassungsanträgen entgegen und trägt unter Verweis auf die Ausführungen im Verfahren 1 ZB 24.1944 insbesondere vor, dass die erheblichen Überschreitungen der Wand- und Firsthöhen nicht ohne Eingriff in die Statik des bestehenden Gebäudes behoben werden könnten. Nach dem geltenden Normalformat für Mauersteine dürfte es sich um eine Wandhöhendifferenz von rd. 5 bis 6 Mauersteinlagen handeln. Bei der Prüfung der Erheblichkeit von Abweichungen bei einem aliud komme es weder darauf an, ob das Abstandsflächenrecht im konkreten Fall bei Erteilung der Baugenehmigung Bestandteil des Pflichtprogramms gewesen sei, noch auf die Grundstücksgröße; auch die Nebenanlagen könnten aufgrund der auf ein Gesamtvorhaben gerichteten Bauanträge nicht ausgeblendet werden. Für die bauplanerische Beurteilung müsse die auf den Vorhabengrundstücken realisierte Bebauung außer Betracht bleiben, insbesondere sei es für die Frage einer etwaigen dauerhaften Duldung durch die Behörde unerheblich, ob die errichteten Wohngebäude für einen gewissen Zeitraum bis zum Erlöschen der Baugenehmigungen von 2014 nur mit einer Teilrückbauanordnung hätten belegt werden können. Einen vorübergehenden Bestandsschutz gebe es – unabhängig davon, dass nur ein einheitliches Bauvorhaben genehmigt werde – nicht. Die Beseitigungsanordnung sei frei von Ermessensfehlern, insbesondere sei ein Teilrückbau nach Erlöschen der Baugenehmigungen nicht mehr möglich. Der ehemalige Eigentümer W. könne die Verantwortung für die errichteten Schwarzbauten und die damit verbundenen Folgen nicht auf das Landratsamt abwälzen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die digital vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 28. April 2025 (1 ZB 24.1944) hat der Senat den Antrag des ehemaligen Eigentümers W. und der neuen Eigentümerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Die auf Art. 76 Satz 1 BayBO gestützte Duldungsanordnung (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2007 – 14 CS 07.275 – juris Rn. 15) gegen die Kläger ist nicht zu beanstanden.
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Materielle Voraussetzung der Duldungsanordnung ist, dass die an den ehemaligen Eigentümer W. gerichtete Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist; dies hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen.
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1.1. Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem errichteten Wohngebäude auch unter Zugrundelegung der nachgemessenen (geringeren) Wand- und Firsthöhen um ein anderes als das 2014 genehmigte Vorhaben (sog. „aliud“) handelt, dessen Genehmigungsfähigkeit im Ganzen neu beurteilt werden muss, und die ursprüngliche Baugenehmigung aus dem Jahr 2014 wegen Zeitablaufs erloschen ist (Art. 69 Abs. 1 BayBO).
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Als für die Identität eines Bauvorhabens wesentliche Merkmale werden in der Rechtsprechung Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild herausgestellt. Ob eine Veränderung dieser für ein Vorhaben charakteristischen Merkmale die Identität von genehmigten und errichteten Vorhaben aufhebt, hängt vom Umfang der Abweichungen und von der Bewertung ihrer Erheblichkeit im jeweiligen Einzelfall ab. Es kommt dabei entscheidend darauf an, ob durch die Änderung Belange, die bei der ursprünglichen Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen waren, neuerlich oder andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage neu stellt (vgl. HambOVG, B.v. 9.5.2023 – 2 Bs 41/23 – BauR 2023, 1504; BayVGH, B.v. 13.5.2022 – 1 ZB 21.2603 u.a – juris Rn. 15; U.v. 26.10.2021 – 15 B 19.2130 – juris Rn. 28 m.w.N.). Auf ein aliud kann auch hinweisen, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der ursprünglich erteilten Genehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 – 1 ZB 18.1164 – juris Rn. 7).
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Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt und ist unter Verweis auf die Urteile der Kammer vom 10. Juni 2021 (M 11 K 18.3186 u.a.) und den Beschluss des Senats vom 13. Mai 2022 (1 ZB 21.2603 u.a.) aufgrund einer umfassenden Bewertung und der gebotenen Gesamtschau (weiterhin) zu der Einschätzung gelangt, dass der ehemalige Eigentümer W. auch bei Berücksichtigung der tatsächlichen Wandhöhenüberschreitungen im Vergleich zu den genehmigten Wandhöhen von 37 cm, der Firsthöhenüberschreitungen von immerhin noch 13 cm und den übrigen Abweichungen (Geländeaufschüttung, Veränderung der Dachneigung, Erweiterung der Terrassenflächen, Errichtung einer Doppelgarage anstelle von einem Carport und Einfriedung des Baugrundstücks) ein anderes Vorhaben als das im Jahr 2014 genehmigte Vorhaben errichtet hat. Den Wandhöhen kommt bei der Frage, ob ein Vorhaben der genehmigten Planung entspricht oder nicht, ein entscheidendes Gewicht zu, weil sich solche Veränderungen nicht mehr ohne ganz erhebliche Eingriffe in die Gebäudesubstanz einer anderslautenden Genehmigungsplanung anpassen lassen. Der pauschale Einwand in der Zulassungsbegründung, dass es sich nunmehr nur um eine unerhebliche Abweichung handle, weil die Reduzierung der Wandhöhenüberschreitung lediglich die Anhebung des Dachs, die Entfernung von maximal 2 Mauersteinlagen und das erneute Aufsetzen des Dachs erfordere, überzeugt nicht. Denn der Umfang der Substanzzerstörung ist nur ein Aspekt, der für ein aliud sprechen kann. Unabhängig davon lässt die bloße Behauptung, die Korrekturarbeiten an dem Dach seien unter baulich-konstruktiven Gesichtspunkten unproblematisch, den zur Anpassung tatsächlich erforderlichen Eingriff in die Bausubstanz – auch im Hinblick auf das in der Eingabeplanung nicht vorhandene weitere „Spitzgeschoss“ – nicht erkennen. Die Höhenveränderung überschreitet, unabhängig davon, wie viele Lagen von Mauersteinen entnommen werden müssen, für sich genommen und in der Zusammenschau mit der Firsthöhenüberschreitung von 13 cm, die infolge der Veränderung der Dachneigung erfolgt ist, ersichtlich die Schwelle einer (nur) geringfügigen Veränderung. Es kann daher nicht mehr die Rede von einer lediglich „zwangsläufigen Unregelmäßigkeit im Zuge der Bauarbeiten“ sein. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang geltend machen, dass die Bedeutung der Wandhöhe als maßgeblicher Parameter der baurechtlichen Prüfung, insbesondere im Hinblick auf die Prüfung der Abstandsflächen, vorliegend nicht tangiert sei, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung im Jahr 2014 nach Art. 59 BayBO (a.F.) eine Prüfung der Abstandsflächen nicht vorgesehen gewesen sei, übersehen sie, dass die Einschränkung des Prüfprogramms der Bauaufsichtsbehörde bezüglich der nicht geprüften Vorschriften nur dazu führt, dass insoweit keine Legalisierungswirkung durch die Baugenehmigung erfolgt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Dezember 2024, Art. 76 Rn. 99). Die Einhaltung dieser bauordnungsrechtlichen Anforderungen bzw. sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften obliegt insoweit dem Bauherrn. Für die Beurteilung der Erheblichkeit von Abweichungen bei der Prüfung eines aliuds kommt es hingegen weder auf die Besonderheiten des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens noch auf die Grundstücksgröße an, sondern auf die Veränderungen zwischen dem genehmigten und dem errichteten Vorhaben. Das Verwaltungsgericht hat bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung des Erscheinungsbildes des Vorhabens auch zu Recht nicht nur isoliert auf das Wohngebäude abgestellt, sondern auch auf die Nebenanlagen wie z.B. die mit dem Wohngebäude verbundene „Doppelgarage“, die das Vorhaben mit dem überdachten Bereich zwischen Haus und Garage deutlich massiver als die genehmigte Planung erscheinen lässt. Denn mit dem Bauantrag, der der Baugenehmigungen von 2014 zu Grunde liegt, wurde ein Gesamtvorhaben für die Errichtung eines Wohngebäudes mit Carport und Terrasse beantragt und genehmigt.
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1.2. Weiter hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die vorgenannten Entscheidungen zu Recht angenommen, dass das Gebäude im Außenbereich liegt. Zwar ist bei der Feststellung eines Bebauungszusammenhangs im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen. Eine – wie hier – nicht genehmigte Bebauung ist jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständigen Behörden mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden haben (vgl. BVerwG, U.v. 17.5.2002 – 4 C 6.01 – NVwZ 2003, 211; B.v. 23.11.1998 – 4 B 29.98 – NVwZ-RR 1999, 364; U.v. 6.11.1968 – IV C 31.66 – BVerwGE 31, 22; BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 1 B 19.221 – juris Rn. 16; U.v. 14.5.2021 – 1 B 19.2111 – juris Rn. 26; U.v. 9.9.2015 – 1 B 15.251 – juris Rn. 15). Da sich das Landratsamt, wie das anhängige Verfahren und das weitere Klageverfahren des ehemaligen Eigentümers W. und der neuen Eigentümerin gegen die Beseitigungs- bzw. Duldungsanordnungen zeigen, nicht dauerhaft mit dem Bestand der Gebäude abgefunden hat, müssen die planabweichend errichteten Gebäude auf den Vorhabengrundstücken für die bauplanerische Beurteilung unberücksichtigt bleiben. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem Zulassungsvortrag, wonach der Baubeginn des streitgegenständlichen Wohngebäudes sowie der weitere Baufortschritt bis zur Überschreitung der genehmigten Wandhöhe in rechtmäßiger Weise erfolgt sei und damit eine prägende Wirkung bis zum angenommenen Erlöschen der Baugenehmigung von 2014 anzunehmen sei. Denn zu den Bauwerken, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabbildend sind, zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275). Im Übrigen haben die Gebäude nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bereits im Rohzustand die baurechtswidrigen Wand- und Firsthöhen aufgewiesen (UA Rn. 39).
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1.3. Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dem nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilenden Vorhaben ständen öffentliche Belange entgegen, ist nicht ernstlich zweifelhaft.
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Die Bebauung stellt sich auch unter Berücksichtigung der nachgemessenen Wand- und Firsthöhen jedenfalls als eine siedlungsstrukturell zu missbilligende, nicht geordnete Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB dar. Eine durch verbindliche Bauleitplanung nicht geordnete Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang im Sinn des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175). Denn eine Ausweitung der Bebauung außerhalb des jeweiligen im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein soll planungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer Zersiedelung grundsätzlich nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans bzw. ggf. einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB erfolgen. Das Zulassungsvorbringen, wonach eine Vorbildwirkung insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Bebauung auf dem Vorhabengrundstück ebenso wie die Bebauung auf den Grundstücken FlNrn. …2 und …3 auf der Grundlage erteilter Baugenehmigungen errichtet wurden, nicht besteht, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 13. Mai 2022 (1 ZB 21.2603 u.a.) ausgeführt hat, muss sich der ehemalige Eigentümer W. (und damit auch die Kläger) im Zusammenhang mit § 35 Abs. 2 BauGB so behandeln lassen, als wenn er an den vorgesehenen Stellen erstmals ein Gebäude errichten wollte. Dass ein Vorhaben den Darstellungen eines Flächennutzungsplans entspricht, lässt diesen öffentlichen Belang nicht entfallen, da den Darstellungen eines Flächennutzungsplans unmittelbar keine solche positive Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747). In Bezug auf die geltend gemachte Gleichbehandlung mit der behaupteten (teilweise) rechtswidrigen Bebauung auf den Nachbargrundstücken (Anwesen I.-spitz Nrn. 23 bis 23c) kann offen bleiben, ob angesichts einer auf diesen Grundstücken zuvor vorhandenen Bebauung eine vergleichbare Fallkonstellation vorliegt. Denn auch bei Annahme der Rechtswidrigkeit der Baugenehmigungen für diese Bebauung besteht kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV („keine Gleichheit im Unrecht“, vgl. BayVGH, U.v. 27.7.2018 – 15 B 17.1169 – BayVBl 2019, 849 m.w.N.).
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Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
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1.4. Die Beseitigungsanordnung ist weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig.
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In Bezug auf die auf den Nachbargrundstücken errichteten Doppelhäuser hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Gebäude genehmigungskonform errichtet wurden, sodass ein bauaufsichtsrechtliches Einschreiten nicht in Betracht kommt.
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Soweit das Zulassungsvorbringen geltend macht, dass während eines langen Zeitraums bis zum Erlöschen der Baugenehmigung 2014 die Anordnung eines Teilrückbaus möglich gewesen wäre, das Landratsamt diese Option und eine Duldung des vorhandenen Baubestandes jedoch nicht in seine Überlegungen einbezogen habe, lassen die Kläger unberücksichtigt, dass nach dem Erlöschen der Baugenehmigung 2014 ein Teilrückbau rechtlich nicht mehr möglich war. Eine Teilbeseitigung als milderes Mittel anstelle einer vollständigen Beseitigung kommt nur dann in Betracht, wenn durch sie zumindest im Wesentlichen rechtmäßige Zustände hergestellt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 1 ZB 16.1905 – juris Rn. 13; B.v. 26.3.2008 – 15 ZB 07.3194 – juris Rn. 13). Nachdem sich das Vorhabengrundstück im Außenbereich befindet und eine Bebauung bauplanungsrechtlich unzulässig ist, war das Landratsamt nicht gehalten, das unzulässige Vorhaben weiter hinzunehmen. Es kommt daher nicht entscheidungserheblich darauf an, aus welchen Gründen der ehemalige Eigentümer W. den ihm – auch nach Ablehnung der Bauanträge zur Legalisierung – noch möglichen Teilrückbau nicht in Betracht gezogen und die Bauvorhaben fertiggestellt hat. Aus den vorliegenden Akten ergibt sich jedenfalls, dass sein (damaliger) Prozessbevollmächtigte das Landratsamt mit Schreiben vom 1. April 2019 gebeten hatte, auf den Erlass einer Rückbauanordnung (auch Teilrückbau) zu verzichten (S. 154 der Behördenakte). Ebenso kommt es nicht auf die Frage der Möglichkeit der bautechnischen Ausführung eines Teilrückbaus an.
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1.5. Soweit die Kläger eine unvollständige Berücksichtigung ihrer Belange als Mieter, z.B. im Hinblick auf ihre soziale Einbindung, rügen, übersehen sie, dass das Landratsamt ihre Interessen im Hinblick auf die Wohnnutzung berücksichtigt hat, indem eine ausreichend lange Frist für die Beseitigung festgesetzt wurde. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen.
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2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Die im Zulassungsvorbringen gestellten Fragen zur Berücksichtigung eines genehmigten, aber baugenehmigungsabweichend errichteten Bauvorhabens für die Begründung eines bauplanungsrechtlichen Innenbereichs sowie die etwaige Berücksichtigung einer zuvor möglichen Teilrückbauanordnung bei einer Beseitigungsanordnung sind nach den vorstehenden Ausführungen unter Nummer 1 nicht klärungsbedürftig.
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3. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Soweit die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache im Wesentlichen in den Fragen, die auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel behandelt wurden, gesehen werden, sind die Fragen aus den vorstehenden Erwägungen unter 2 nicht klärungsbedürftig und die Streitsache wirft aus den vorstehenden Erwägungen unter 1 keine über das normale Maß hinausgehenden Schwierigkeiten auf. Allein die unterschiedliche Bewertung der vorliegenden Sachverhalte durch das Verwaltungsgericht und die Kläger genügt nicht für die Darlegung von besonderen rechtlichen Schwierigkeiten.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).