Titel:
Ausweisung eines strafrechtlich verurteilten psychisch kranken Straftäters
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die bei Reststrafaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen zu erstellenden Prognosen gründen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext und sind deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB in einem rechtskräftigen Urteil begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Somit kann auch eine schuldunfähiger Täter ausgewiesen werden. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Paranoide Schizophrenie, Schuldunfähigkeit, Wiederholungsgefahr, Gefahrenprognose, Bewährung außerhalb des Maßregelvollzugs (verneint), Gesellschaftspolitische Fragestellungen, Verlust des Freizügigkeitsrechts, psychisch kranker Straftäter, Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus, paranoide Schizophrenie, keine Bewährung außerhalb des Maßregelvollzugs, besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, gesellschaftspolitische Fragestellungen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 18.11.2024 – RN 9 K 24.1445
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9164
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid vom 31. Mai 2024 in der Fassung vom 18. November 2024 weiter, mit dem der Verlust seines Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde (Ziff. 1.), sein Antrag vom 7. Februar 2019 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde (Ziff. 2) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren ab nachgewiesener Ausreise bzw. vollzogener Abschiebung erlassen wurde (Ziff. 4). Seine Abschiebung unmittelbar aus der Unterbringung heraus in den Kosovo wurde angeordnet (Ziff. 5) bzw. unter Fristsetzung angedroht (Ziff. 6). Mit Ziff. 7 wurde der Kläger verpflichtet, einen Wohnungswechsel oder ein Verlassen des Bezirks der zuständigen Ausländerbehörde für mehr als drei Tage der zuständigen Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.
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Der Verlust des Freizügigkeitsrechts gründete auf dem Umstand, dass mit Urteil des Landgerichts Regensburg vom 19. Juni 2020 die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden war. Gegenstand des Sicherungsverfahrens war ein Totschlag in Tatmehrheit mit versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das Landgericht Regensburg stellte in dem Urteil fest, dass der Kläger an einer auf Dauer bestehenden erheblichen ausgeprägten paranoiden Schizophrenie leide, die auch zum Zeitpunkt der Taten bestanden habe.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) ergeben.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind nicht dargelegt. Solche bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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1.1 Der Kläger rügt, es sei widersprüchlich, wenn das Verwaltungsgericht einerseits die Anwendung des Freizügigkeitsrechts ablehne, aber andererseits zu seinen Gunsten davon ausginge, dass er zu dem in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten Personenkreis gehöre.
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nicht mehr unter den Anwendungsbereich des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern fällt und hat deshalb die in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU in eine Ausweisung nach § 53 AufenthG umgedeutet. Hiergegen richtet sich die Zulassungsbegründung nicht. Wenn das Verwaltungsgericht zu Gunsten des Klägers unterstellt, er sei noch Inhaber eines tschechischen Daueraufenthaltsrechts im Sinne der RL 2003/109/EG, besteht kein Widerspruch zur Annahme, der Kläger sei unionsrechtlich nicht freizügigkeitsberechtigt. Die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter in Tschechien vermittelt keine Freizügigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU.
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1.2 Der Kläger verweist darauf, dass das Landgericht Regensburg mit Beschluss vom 24. Juni 2024 die mit Urteil des Landgerichts Regensburg vom 19. Juni 2020 verhängte Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt habe. Die Strafvollstreckungskammer sei davon ausgegangen, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Der Kläger meint, wenn aus der Perspektive der Strafvollstreckung eine Wiederholungsgefahr prognostisch verneint werde, müsse dies auch für das Ausweisungsrecht als Gefahrenabwehrrecht gelten.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich hieraus nicht:
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Es ist in der ständigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde liegen (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19; B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36). In seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 – juris Rn. 8 ff.) hat sich der Senat detailliert mit der Unterschiedlichkeit der Prognosen bei Reststrafaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen befasst. Er hat dargelegt, dass die Rechtsordnung insoweit (hinsichtlich des Prognoserahmens) aus guten Gründen nicht einheitlich ist. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen sei zu berücksichtigen, dass die in diesen beiden Rechtsbereichen zu erstellenden Prognosen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext gründen und deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren sind (systematische Auslegung, vgl. etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, JuS-Schriftenreihe 93, 11. Aufl. 2012, § 8 S. 36).
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Das Verwaltungsgericht ist – ebenfalls in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (z.B. B.v. 5.3.2025 – 19 ZB 23.1081 – juris Rn 11 zu Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen) – davon ausgegangen, dass sich der Kläger bislang nicht außerhalb des Maßregelvollzugs bewährt hat, weil sich der Kläger nach wie vor in einem beschützten Umfeld (Wohnstätte Haus I. in L. ) befinde. Der Kläger müsse belegen, dass sich sein Gesundheitszustand auch außerhalb eines geschützten Rahmens und im Alltagsleben nicht verschlechtere und er in der Lage sei, auf entsprechende ihn negativ beeinflussende Außenreize zu reagieren und sich selbstständig die erforderliche Hilfe zu besorgen. Zwar sei dem Kläger seitens des die Wohnstätte betreuenden Sozialteams bestätigt worden, dass er eine gute Absprachefähigkeit zeige und zu vereinbarten Terminen zuverlässig und pünktlich erscheine. Es lasse sich der Stellungnahme des Sozialteams aber auch entnehmen, dass sich der Kläger außerhalb eines fest definierten Rahmens verunsichert zeige und sich im Zweifelsfall mehr einschränke als nötig. Daraus sei erkennbar, dass eine Begleitung des Klägers weiterhin geboten sei und eine Bewährung außerhalb eines geschützten Raums eben gerade noch nicht erfolgt sei. Auch ergebe sich aus dem Gutachten, dass sich für den Kläger als potenzielle Stressoren vor allem emotional belastende Situationen darstellten, aber auch eine mögliche Beendigung der Aufenthaltsgenehmigung eine psychotische Exazerbation triggern könnte. Da sich der Kläger hier gerade mit einer möglichen Aufenthaltsbeendigung auseinandersetzen müsse, seien insbesondere diese Ausführungen nicht außer Betracht zu lassen.
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Hierzu führt der Kläger bezogen auf die Stellungnahme des Sozialteams vom 9. August 2024 aus, das Verwaltungsgericht verkenne, dass ein solch zurückhaltendes Verhalten gerade als Zeichen dafür zu werten sei, dass der Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Das Verwaltungsgericht gelange zu der Ansicht, dass eine Begleitung des Klägers weiterhin geboten sei, ohne dies im Hinblick auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. V. zu hinterfragen. Es sei auch nicht schlüssig, aus dem Umstand der Verunsicherung außerhalb eines fest definierten Rahmens den Schluss zu ziehen, eine Bewährung außerhalb eines geschützten Raums sei noch nicht erfolgt. Im Gegenteil: Diese Einschätzung des zuständigen Sozialteams setze denklogisch voraus, dass sich der Kläger bereits außerhalb eines geschützten Raums bewährt habe.
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Auch hiermit legt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar. Der Ansatz des Verwaltungsgerichts, auch der psychisch Kranke müsse sich wie ein Suchterkrankter außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren, wird vom Kläger nicht in Frage gestellt. Hinsichtlich der Frage, ob sich der Kläger seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug Mitte 2024 bewährt hat, kann die Formulierung im Schreiben des Sozialteams vom 9. August 2024: „Außerhalb eines fest definierten Rahmens zeigt er sich verunsichert und schränkt sich im Zweifelsfall mehr ein als nötig.“ nur in der Weise verstanden werden, dass der Kläger derzeit eines fest definierten Rahmens bedarf und sich damit gerade noch nicht außerhalb des Maßregelvollzugs bewährt hat bzw. bewähren konnte. Allein der Umstand, dass ausweislich des vorbezeichneten Schreibens die Medikamente im Haus I. ausgegeben werden, zeigt, dass der Kläger noch kein eigene Medikamentencompliance entwickeln konnte. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten offenbar doch fortbesteht, wie sich aus der Auferlegung einer fünfjährigen Führungsaufsicht, der möglichen Höchstdauer (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB), und der Unterstellung des Klägers unter die Aufsicht und die Leitung eines Bewährungshelfers ergibt. Der Kläger hat in seiner Antragsbegründung mit keinem Wort ausgeführt, dass er selbstständig – ohne Support Dritter – die notwendige Medikamentencompliance besitzt. Derzeit werden dem Kläger für die Dauer der Führungsaufsicht die regelgerechte Durchführung der Therapie als Weisung aufgegeben, die nicht ohne den Rat des behandelnden Therapeuten und nicht ohne Einverständnis des Bewährungshelfers beendet werden darf. Ebenso ist unter 5e) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer die Weisung enthalten, die neuroleptische Medikation (derzeit Xeplion Depot 100 mg i.m. 28-tägig) fortzuführen und nach ärztlicher Verordnung einzunehmen. Insoweit befindet sich der Kläger in einem engmaschigen Weisungsgeflecht und unterliegt der Kontrolle, sodass von einer Bewährung außerhalb des Maßregelvollzugs nicht ansatzweise ausgegangen werden kann. Im Übrigen räumt der Kläger auf S. 7 seiner Antragsbegründung selbst ein, dass er derzeit in einem geschützten Bereich lebt.
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1.3 Soweit der Kläger schließlich darauf aufmerksam macht, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen des § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht auf die Alternative „oder wenn von [dem Ausländer] eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht“, sondern darauf abgestellt habe, dass die Ausweisung des Klägers auf einer strafrechtlichen Verurteilung beruhe, und es wunderlich findet, weil es doch konsistent gewesen wäre, wenn das Verwaltungsgericht auch an dieser Stelle wie auch bei § 53 Abs. 3 AufenthG darauf abgestellt hätte, dass der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht dargelegt. Es ist sachlich und rechtlich zutreffend, dass die Ausweisung des Klägers auf einer strafrechtlichen Verurteilung (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) beruht.
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1.4 Weiter führt der Kläger aus, das Verwaltungsgericht nehme auf Seite 23 seines Urteils selbst eine fatale Bewertung des Sachverhalts vor. Es führe aus, dass der Kläger durch sein Verhalten gezeigt habe, dass er nicht willens sei, sich an die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Aufgrund der zweifelsfrei festgestellten psychischen Exazerbation des Klägers zum Tatzeitpunkt und dessen daraus folgender Schuldunfähigkeit seien derartige Ausführungen völlig vermessen. Der Antragsteller habe sich zum Tatzeitpunkt nachweislich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, in dem er keinen freien Willen habe bilden können. In keiner Weise könne dem Kläger also unterstellt werden, dass er mit der Tat gezeigt habe, dass er nicht willens sei, sich an die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Das Verwaltungsgericht übergehe in höchst ignoranter Weise die Feststellungen des Landgerichts Regensburg als dem damals für die Aburteilung der Angelegenheit zuständigen Strafgericht.
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Die von dem Kläger in den Blick genommene Formulierung des Verwaltungsgerichts „Er hat aber durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht willens ist, sich an die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu halten.“ bezieht sich nicht nur auf die strafrechtliche Verurteilung, sondern auch auf das Mitführen der Tatwaffe ohne waffenrechtliche Erlaubnis. Aber auch das kann letztlich auf sich beruhen, weil der Kläger mit dem Vorwurf der „Ignoranz“ und „Unangemessenheit“ die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass nicht ersichtlich sei, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung des Klägers nicht entgegenstehen würde, nicht ernstlich in Frage stellen kann, da die weitere und entscheidende Argumentation des Verwaltungsgerichts (UA S. 23 f.) nicht angegriffen wird.
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1.5 Der klägerische Einwand, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergäben sich auch in Anbetracht des Umgangs mit den Aspekten der körperlichen Unversehrtheit des Klägers, weil die Klageabweisung als potentieller Stressor eine psychotische Exazerbation triggern könne und die mangelnde familiäre Unterstützung im Kosovo „wohl“ mit erheblichen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des Klägers einhergehen werde, stellt weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage, sondern stellt schlicht mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers durch bzw. infolge des angefochtenen Urteils in den Raum. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben sich daraus nicht.
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1.6 Der Kläger vermag schließlich die vom Verwaltungsgericht vorgenommene ausführliche Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen nicht ansatzweise ernstlich in Frage zu stellen, da nur ein Aspekt der Abwägung, nicht aber das Abwägungsergebnis als fehlerhaft dargestellt wird. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass zwischen dem Kläger und seinen volljährigen Brüdern bzw. seiner Schwägerin kein Abhängigkeitsverhältnis wie zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern oder ein besonderes Näheverhältnis wie bei Eheleuten bestehen würde. Dem setzt der Kläger lediglich eine gegenteilige Ansicht entgegen und führt hierzu aus, das Verwaltungsgericht habe die sozialen Bindungen des Klägers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Brüdern und seiner Schwägerin (bzw. Exfrau) in bedenklicher Weise verkannt und diese ungerechtfertigter Weise erheblich abgewertet. Einen substanziellen Vortrag lässt er indes missen.
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1.7 Der Senat hat auch die weiteren Argumente des Klägers, die er in seinem Berufungszulassungsantrag vom 17. Januar 2025 vorgebracht hat, erwogen. Er hat sie jedoch ebenfalls nicht für geeignet gehalten, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidungen aufzuzeigen, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung bedurft hätte.
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2. Auch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor.
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2.1 Der Kläger weist darauf hin, dass die besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Natur darin begründet seien, dass die Beurteilung, ob der Kläger gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, gänzlich medizinischer und damit technischer Natur sei. Es seien medizinische und psychologische Erkenntnisse und Maßstäbe anzuwenden. Dabei sei insbesondere mit der Ambivalenz des Klägers als Schizophrenie-Patienten umzugehen. Das mache die besondere Berücksichtigung der derzeit noch bestehenden Einbindung in einen geschützten Bereich und der richtigen Medikamentation erforderlich. Dies jedoch sei der unmittelbaren juristischen Bewertung entzogen; diese müsse sich vielmehr auf die „im Vorhinein erfolgenden und aus ihrem Blickwinkel fachfremden Einschätzungen und Bewertungen unterwerfen“. Der Umfang der in der vorliegenden Rechtssache einer rechtlichen Bewertung zu unterziehenden fachfremden Umstände würden das Verfahren in seinem Schwierigkeitsgrad von dem in der verwaltungsgerichtlichen Praxis regelmäßig zu entscheidenden Streitsachen abheben.
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Allein, weil zwei medizinische Fachgebiete durch das Krankheitsbild des Klägers berührt sind (zum einen psychisch, zum anderen neurologisch) ist der Zulassungsgrund besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten nicht gegeben. Die Einbindung des Klägers in einem geschützten Bereich mit der dort sichergestellten richtigen Medikamentation konnte das Verwaltungsgericht berücksichtigen – hierfür bedurfte es keinerlei medizinischen Sachkunde, da es sich um eine schlichte Tatsache handelt.
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2.2 Hinsichtlich der besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Natur weist der Kläger darauf hin, dass zwei sich strukturell unterscheidende Rechtsgebiete zu berücksichtigen seien. Sowohl im Hinblick auf die derzeitige Bewertung der Angelegenheiten des Klägers aus dem Blickwinkel der Strafvollstreckung als auch die derzeitige Bewertung des Klägers aus gefahrenabwehrrechtlicher Perspektive sei die Frage maßgeblich, ob der Kläger gegenwärtig eine (schwerwiegende) Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Ein weiteres Mal weist er darauf hin, dass diese Einschätzung auf medizinischer Basis für beide Gebiete gleich sein müsse. Dem ist nicht so (vgl. oben 1.2), sodass insoweit auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten bestehen.
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Besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ergeben sich auch nicht daraus, dass „die anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor dem Hintergrund des zu berücksichtigenden und selbstverständlich zu wahrenden Rechtsstaatsprinzip auch die Belange der Menschen in einem anderen Staat [hier also des Kosovo] zu berücksichtigen“ habe.
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Es ist schlicht unzutreffend, dass dies ein Belang wäre, der im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wäre. Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach Absatz 1 nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstatt oder in einen anderen zur Ausnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner zu berücksichtigen. Es geht um eine Abwägung der Ausweisungsinteressen und Bleibeinteressen, nicht aber um eine umfassende Abwägung, bei der auch die Befindlichkeit der Bevölkerung des Heimatstaates in den Blick zu nehmen sind, wenn ein – wie hier – psychisch Kranker – in seine Heimat zurückkehrt und sein Bevollmächtigter offensichtlich nicht ausschließen kann, dass die körperliche Integrität von Anderen „in einem grenzüberschreitenden Umfang“ zu beachten ist. Es geht auch nicht um die Frage, „wieso eine Exazerbation des [Klägers], sollte diese sich im Kosovo ereignen, weniger schlimm“ sei, als wenn dies in der Bundesrepublik Deutschland geschehe. Der Senat kann schlicht keine Entscheidung dazu treffen, welchem Land der Kläger eher oder besser „zugemutet“ werden kann. Hier werden gesellschaftspolitische Fragen angesprochen, die sich einer rechtlichen Bewertung entziehen.
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3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
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Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht.
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3.1 Der Kläger formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung
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„ob der Allgemeinheit ein solches Vorgehen, also der vollständige Abbruch einer weit fortgeschrittenen Behandlung, in Anbetracht der von ihr getätigten Aufwendungen zugemutet werden kann.“
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Diese Frage ist bereits (rechtlich) nicht entscheidungserheblich. Es wird eine allgemeininteressierende Frage aufgeworfen. Die Erwartung des Klägers, dass durch die Beantwortung der Frage das Recht gefördert und ein Maßstab herausgearbeitet werden könne, anhand dessen ersichtlich sei, unter welchen Gesichtspunkten der Allgemeinheit zumutbar sei, derartige Ressourcen aufzuwenden, wenn die Person ohnehin ausgewiesen werden solle, kann der Senat als rechtsprechende Gewalt nicht erfüllen.
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3.2. Die weitere Frage,
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„inwiefern es dem [Kläger] als psychisch Kranken, dessen Erkrankung deshalb unter Kontrolle ist, weil ihm die erfolgte Behandlung zugutekam, zumutbar ist, dass er aus seinem Umfeld herausgerissen wird, wie es der Fall wäre, wenn es zu einer Aufenthaltsbeendigung käme“,
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bezieht sich auf die Berücksichtigung von Bleibeinteressen. Die ist stets eine Frage der Würdigung des konkreten Einzelfalls und damit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
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„inwiefern ist es rechtlich zulässig, dass jemand, der im Hinblick auf eine von ihm begangene Straftat für schuldunfähig erklärt wird, sodass aber gerade aufgrund der Erkrankung, mit der die Schuldunfähigkeit begründet wurde, zu einer Gefahr der Gesellschaft abgestempelt wird, denn denklogisch kann er für das Leiden an der psychischen Krankheit nicht verantwortlich gemacht werden: sprich, bedarf es nicht eines anderen rechtlichen Umgangs mit psychisch kranken Personen im Bereich des Gefahrenabwehrrechts“,
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lässt sich aus dem Gesetz beantworten. Aus § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AufenthG wird deutlich, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB in einem rechtskräftigen Urteil ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründet. Also auch ein schuldunfähiger Täter ausgewiesen werden kann. Die durch die Verhängung der Maßregel indizierte Gefährlichkeit des Ausländers rechtfertigt die Annahme eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 31.10.2024, § 54 AufenthG Rn. 25). Ob es einen anderen rechtlichen Umgang mit psychisch kranken Personen im Bereich des Gefahrenabwehrrechts bedarf, ist wiederum eine Frage, die der Senat als rechtsprechende Gewalt nicht beantworten kann.
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3.4 Die letzte Frage schließlich, der der Kläger grundsätzliche Bedeutung beimisst,
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„inwiefern ist es den Bürgern des Kosovo, deren Leben selbstredend genauso viel wert ist wie das der Bürger der Bundesrepublik, zumutbar, einer Exazerbation des [Klägers] ausgesetzt zu werden bzw. eine solche hinzunehmen, nur, weil der [Kläger] die kosovarische Staatsbürgerschaft besitzt“,
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ist wie Frage 1 ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.2 verwiesen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 2 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).