Titel:
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsinteresse
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
Schlagworte:
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsinteresse
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 12.02.2025 – RN 9 S 25.209
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9160
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein in erster Instanz erfolgloses Begehren weiter, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Januar 2025 anzuordnen. Mit diesem Bescheid wurde der Antrag des Antragstellers auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 1), der Antragsteller zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe aufgefordert, für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung insbesondere nach Kosovo angedroht (Ziffer 3) sowie für den Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Dauer von drei Jahren angeordnet (Ziffer 4).
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1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Nachprüfung das Beschwerdegericht im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung. Es ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht abgelehnt hätte.
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1.1 Soweit der Antragsteller ausführlich auf das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 BeschV eingeht, übersieht er bereits, dass das Verwaltungsgericht deren Vorliegen als unstreitig erfüllt angesehen hat (vgl. Beschluss S. 19). Das Verwaltungsgericht begründet seine Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz allein mit dem Nichtvorliegen der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses.
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1.2 Des Weiteren kommt es für den Erfolg der Beschwerde nicht darauf an, ob – wie der Antragsteller vorträgt – entgegen der Auffassung des Antragsgegners der Lebensunterhalt des Antragstellers gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert sei. Auch dies hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss dahinstehen lassen (vgl. Beschluss S. 24).
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1.3 Soweit der Antragsteller sich gegen die tragende Begründung des angegriffenen Beschlusses wendet, dass es für die in der Hauptsache begehrte Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehle, dass kein Ausweisungsinteresse besteht, kann er damit nicht durchdringen:
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Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, zwar unterfalle der mit Strafbefehl vom 18. Juli 2024 (mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen) geahndete Verstoß (gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 StVG durch fahrlässiges Fahren ohne Fahrerlaubnis) nach summarischer Prüfung nicht § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG. Allerdings sei ein weiterer Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 30. Oktober 2024 aktenkundig, wonach der Antragsteller wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 17 EUR verurteilt worden sei. Zwar sei dieser Strafbefehl noch nicht rechtskräftig; allerdings stehe aufgrund der polizeilichen Ermittlungen fest, dass der Antragsteller am 20. Juli 2024 als Fahrzeugführer weder über eine gültige kosovarische Fahrerlaubnis noch über eine deutsche Fahrerlaubnis verfügt habe. Er habe in einem informatorischen Gespräch selbst angegeben, dass er seinen Führerschein bei den Behörden in Kosovo wegen eines Verkehrsverstoßes habe abgeben müssen und somit aktuell keine gültige Fahrerlaubnis besitze. Aus der polizeilichen Sachverhaltsschilderung gehe weiter hervor, dass in der polizeilichen Datenbank keine deutsche Fahrerlaubnis hinterlegt sei. Da der Antragsteller am 6. April 2024 (anlässlich des mit dem erstgenannten Strafbefehl geahndeten Sachverhaltes) bereits auf die Notwendigkeit der Umschreibung seines kosovarischen Führerscheins polizeilich hingewiesen worden sei, sei auch von einem bewussten, mithin vorsätzlichen Verhalten auszugehen. Ein Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG sei damit objektiv gegeben. Dies sei für ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG ausreichend. Es bedürfe weder einer strafrechtlichen Ahndung des Verstoßes oder gar einer strafrechtlichen Verurteilung. Da der Verstoß erst 2024 begangen worden sei, sei das Ausweisungsinteresse auch noch verwertbar. Die Bevollmächtigte des Antragstellers übersehe, dass das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eben keine (analoge) Prüfung erfordere, ob dieses auch eine Ausweisung tragen könnte, mithin keine hypothetische Abwägungsprüfung zwischen privaten Bleibeinteressen des Antragstellers und öffentlichen Ausweisungsinteressen erforderlich sei. Ein atypischer Ausnahmefall sei nicht ersichtlich. Vielmehr würden gerichtsbekannt Verstöße in Form des Fahrens ohne Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Umschreibung einer ausländischen Fahrerlaubnis nicht selten begangen. Eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessen sei weder in § 5 Abs. 3 AufenthG noch in § 19c AufenthG vorgesehen.
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1.3.1 Dagegen wendet der Antragsteller ein, er sei im Bundesgebiet nicht strafrechtlich verurteilt worden. Die Rechtskraft des ersten Strafbefehls sei infolge der dem Antragsteller gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich seines Einspruchs aufgehoben worden. Die Bevollmächtigten des Antragstellers hätten die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO beantragt. Auch gegen den Strafbefehl vom 30. Oktober 2024 sei Einspruch eingelegt und die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO beantragt worden. Der jeweils zugrundeliegende Sachverhalt sei noch nicht festgestellt worden, da noch keine Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme stattgefunden habe. Ergänzend trägt der Antragsteller mit Schriftsatz vom 6. März 2025 vor, dass in der Hauptverhandlung über seinen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 18. Juli 2024 das diesbezügliche Strafverfahren gem. § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Aufgrund dessen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der zweite Strafbefehl – sollte es rein hypothetisch zu einer Verurteilung kommen – jedenfalls im Strafmaß erheblich zu reduzieren sei, da der erste Strafbefehl in die Strafzumessung eingeflossen, der Antragsteller nunmehr aber nicht vorbestraft sei. Damit bestehe erst recht kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG.
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Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen.
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Nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer oder die Ausländerin einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Ein Rechtsverstoß ist immer dann beachtlich im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Auch ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere dann nicht, wenn das Strafverfahren nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 19 ff.; zu § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG: BayVGH, U.v. 6.8.2024 – 19 B 23.924 – juris Rn. 27 m.w.N.).
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Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht (unter Berücksichtigung der Einstellung des ersten Strafverfahrens dennoch im Ergebnis) zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller mit dem Sachverhalt vom 20. Juli 2024 ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG verwirklicht hat, welches gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der in der Hauptsache begehrten Aufenthaltserlaubniserteilung bzw. -verlängerung entgegensteht. Zu Unrecht wendet der Antragsteller das Fehlen einer strafrechtlichen Verurteilung ein. Das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG ist mit der Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes erfüllt, ohne dass es einer Ahndung des Verstoßes oder gar einer strafrechtlichen Verurteilung bedarf (vgl. BayVGH, U.v. 6.8.2024 – 19 B 23.924 – juris Rn. 29 m.w.N.; Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 31.10.2024, § 54 AufenthG Rn. 397; ebenso BVerwG, U.v. 17.6.1998 – 1 C 27.96 – juris zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990). Das Verwaltungsgericht geht zu Recht aufgrund der den beiden Strafbefehlen zugrundeliegenden Sachverhalte davon aus, dass der Antragsteller am 20. Juli 2024 ein Kraftfahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt und damit den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verwirklicht hat. Ebenfalls zutreffend geht das Verwaltungsgericht von einer vorsätzlichen Begehungsweise und damit von einem nicht geringfügigen Verstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG aus. Der Antragsteller stellt nicht substantiiert in Frage, dass es ihm bei dem zweiten Vorfall am 20. Juli 2024 angesichts des polizeilichen Hinweises auf die Notwendigkeit der Umschreibung seines kosovarischen Führerscheins am 6. April 2024 bewusst gewesen sein musste, dass sein kosovarischer Führerschein keine gültige Fahrerlaubnis gem. § 29 FeV mehr darstellte.
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Diesen Annahmen des Verwaltungsgerichts steht die zwischenzeitlich erfolgte Einstellung des ersten Strafverfahrens nicht entgegen, weil die Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO nicht aus Rechtsgründen oder wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts erfolgt (vgl. insoweit § 170 Abs. 2 StPO), sondern einen solchen gerade voraussetzt (vgl. BayVGH, U.v. 6.8.2024 – 19 B 23.924 – juris Rn. 31 m.w.N.). Die Verwaltungsgerichte sind lediglich gehindert, allein aufgrund der Zustimmung des Angeklagten zur Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO und der Einstellung selbst davon auszugehen, ihm sei nachgewiesen, dass er die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Anders als der Antragsteller offenbar meint, ist es den Verwaltungsbehörden und den Gerichten aber nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für das Vorliegen der Voraussetzungen der verwaltungsrechtlichen Eingriffsgrundlage (hier der §§ 53 ff. AufenthG) ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – juris Rn. 21).
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Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass es in der auf seinen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 30. Oktober 2024 noch ausstehenden Hauptverhandlung (zumindest) zu einer erheblichen Reduzierung der verhängten Geldstrafe von 60 Tagessätzen kommen müsse, vermag er damit die Einstufung des Vorfalls vom 20. Juli 2024 als nicht geringfügigen Rechtsverstoß durch das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht in Frage zu stellen. Wie ausgeführt, geht das Verwaltungsgericht zu Recht von einer vorsätzlichen Tatbegehung und damit von einem nicht geringfügigen Rechtsverstoß aus. Dass dies in seinem Falle anders zu beurteilen wäre, hat der Antragsteller mit seinem Hinweis darauf, dass der vorausgehende Vorfall am 6. April 2024 nicht zu einer Verurteilung geführt habe, dass das Verwaltungsgericht diesen Vorfall selbst als geringfügig ansehe und dass die vom Verwaltungsgericht (nach der Auffassung des Antragstellers) angenommene Geringfügigkeitsgrenze von 500,00 € für die Geldauflage im Rahmen einer Einstellung nach § 153a StPO angesichts der extremen Inflation nicht angemessen sei, nicht dargelegt. Wie ausgeführt, ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere dann nicht, wenn das Strafverfahren nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist. Eine solche Einstellung liegt bezüglich des Vorfalls vom 20. Juli 2024 nicht vor. Im Übrigen gefährdet ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer in nicht unerheblichem Maße. Dies gilt auch dann, wenn der Verstoß sich allein auf den fehlenden Nachweis der Fahrerlaubnis mangels Umschreibung eines ausländischen Führerscheins gründet, weil es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, für dessen Strafbarkeit eine konkrete Gefährdung nicht nachgewiesen sein muss (vgl. König in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 21 StVG Rn. 1; Bollacher in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK StVG, Stand 15.1.2025, § 21 Rn. 1 f.).
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1.3.2 Soweit der Antragsteller das Bestehen einer konkreten Wiederholungsgefahr verneint, vermag er damit die Annahme eines Ausweisungsinteresses gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch das Verwaltungsgericht nicht in Frage zu stellen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers können auch allein generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen. Der Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG lässt generalpräventive Gründe zu, da nicht verlangt wird, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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1.3.3 Unbehelflich ist schließlich der Hinweis des Antragstellers darauf, dass die lange Aufenthaltsdauer des (am 1.5.2019 zum Zweck der Erwerbstätigkeit eingereisten) Antragstellers, dessen bestehende Bindungen im Bundesgebiet und die erheblichen Integrationsleistungen gegenüber den „Ordnungsbelangen“ überwögen. Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Vielmehr reicht es aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt, d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen, vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist. Eine Abwägung mit den privaten Bleibeinteressen erfolgt erst im Rahmen der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt (vgl. dazu 1.3.5) bzw. im Rahmen einer – wie hier nicht – spezialgesetzlich vorgesehenen Ermessensentscheidung (BVerwG, U.v. 12.6.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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1.3.4 Auf die weiteren Ausführungen des Antragstellers zum Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) AufenthG kommt es nicht an. Der Antragsteller lässt außer Acht, dass das Verwaltungsgericht ebenfalls ein Ausweisungsinteresse nach dieser Vorschrift verneint hat (vgl. Beschluss S. 19 ff.). Des Weiteren gehen die Überlegungen des Antragstellers zur Geringfügigkeit der Schuld im Falle einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO fehl, weil das erste Strafverfahren – wie ausgeführt – nach § 153a Abs. 2 StPO und damit aufgrund anderer Voraussetzungen eingestellt wurde und im zweiten Strafverfahren im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch keine Hauptverhandlung stattgefunden hat.
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1.3.5 Die Rüge des Antragstellers, seine privaten Bleibeinteressen würden das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiegen, führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Soweit der Antragsteller mit diesem Vortrag zum Ausdruck bringen will, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine atypische Fallgestaltung vorliege und deshalb ein Abweichen von der Regelfolge der Versagung der Aufenthaltserlaubnis gerechtfertigt sei, vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen:
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Eine Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung besteht, wenn besondere, atypische Umstände gegeben sind, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie Art. 6 oder Art. 2 Abs. 1 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GR-Charta eine Titelerteilung geboten ist (vgl. VGH BW, B.v. 16.2.2021 – 12 S 3852/20 – juris Rn. 20; Maor in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.10.2024, § 5 AufenthG Rn. 20 m.w.N.). Derartiges legt der Antragsteller jedoch nicht dar. Soweit er mit den „bestehenden Bindungen im Bundesgebiet“ seine familiären Bindungen anspricht, begründen diese mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK keinen atypischen Ausnahmefall. Die am 21. Juni 2021 nachgezogene Ehefrau des Antragstellers und die drei zwischen September 2021 und Januar 2024 im Bundesgebiet geborenen Kinder sind ebenfalls nicht mehr im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen. Deren Wiedererteilung bzw. Verlängerung ist nach § 30 Abs. 1 bzw. § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vom Aufenthaltsrecht des Antragstellers abhängig. Dies bedeutet, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Antragsteller und die damit verbundene Aufenthaltsbeendigung nicht zu einer Trennung der Kernfamilie führen würde. Des Weiteren begründet auch ein länger dauernder Voraufenthalt in Deutschland (im Falle des Antragstellers seit seiner Einreise am 1. Mai 2019, mithin annähernd sechs Jahre) und eine damit verbundene wirtschaftliche Integration für sich genommen nicht die Annahme eines Ausnahmefalls (vgl. Maor a.a.O., Rn. 20d, m.w.N.). Mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK ist eine Abwägung der Gesamtumstände vorzunehmen (vgl. VGH BW, B.v. 16.2.2021 – 12 S 3852/20 – juris Rn. 21), die aber nicht zu einem Vorrang der Interessen des Antragstellers an der Fortsetzung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet gegenüber dem vorliegenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresse führt. Der Antragsteller ist am 1. Mai 2019 mit einem Visum zur Erwerbstätigkeit in das Bundesgebiet eingereist, er hält sich mithin seit annähernd sechs Jahren im Bundesgebiet auf. Während dieser Zeit war er in wechselnden Arbeitsverhältnissen als Bauhelfer tätig. Entgegen seiner Rechtsauffassung ist der Antragsteller nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, weil diese mit dem 26. Mai 2024 abgelaufen ist und ihm seitdem nur noch Fiktionsbescheinigungen bzw. ab 10. Januar 2025 eine Fortgeltungsbescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausgestellt wurden. Der Antragsteller kann damit kein schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Anspruch nehmen (vgl. dazu, dass eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich erteilt worden sein muss und eine Fiktionsbescheinigung nicht ausreicht: BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris). Folglich besteht trotz der vorhandenen wirtschaftlichen Integration des Antragstellers kein dem vorliegenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gleichrangiges Bleibeinteresse gegenüber. Des Weiteren steht der Annahme einer Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland die genannte strafrechtliche Verfehlung entgegen. Schützenswerte familiäre oder sonstige soziale Bindungen sind, wie ausgeführt, nicht dargelegt. Folglich überwiegen die Bleibeinteressen des Antragstellers nicht das schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG, weshalb ein Abweichen von dem Regelfall nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass für eine Aufenthaltserlaubniserteilung kein Ausweisungsinteresse bestehen darf, nicht gerechtfertigt ist.
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1.4 Der Antragsteller kann auch nicht mit der Rüge durchdringen, aufgrund der Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis sei auch die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtswidrig. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 1.1 bis 1.3 verwiesen werden, wonach die Versagung der Aufenthaltserlaubniserteilung bzw. -verlängerung voraussichtlich rechtmäßig ist. Auch insoweit ist der angegriffene Beschluss deshalb nicht abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen.
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1.5 Dem Antragsteller ist des Weiteren nicht darin zu folgen, dass die Ausreisefristsetzung und Abschiebungsandrohung mangels Ausreisepflicht voraussichtlich rechtswidrig wären. Mit der Zurückweisung der Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Versagung der Aufenthaltserlaubniserteilung (vgl. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ist der Antragsteller gem. § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Folglich durfte ihm gem. § 59 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Abschiebung unter Ausreisefristsetzung angedroht werden. Die allgemeinen Ausführungen des Antragstellers zum Verhältnis von vollziehbarer Ausreisepflicht und Abschiebungsandrohung weisen keinen Fallbezug auf und sind daher zur Darlegung eines Beschwerdegrundes ungeeignet.
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1.6 Schließlich steht dem Antragsteller auch nicht der hilfsweise gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO geltend gemachte Anspruch auf eine Verfahrensduldung zu. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der darauf gerichtete Antrag bereits nicht statthaft und damit unzulässig, weil der einstweilige Rechtsschutz des Antragstellers im Wege des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO zu verfolgen ist. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug und sieht von einer weiteren Begründung ab.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 8.1. des Streitwertkatalogs.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).