Titel:
Anordnung eines beidseitigen Haltverbots
Normenkette:
StVO § 45 Abs. 9 S. 1, S. 3
Leitsatz:
Die Anordnung eines beidseitigen Haltverbots ist bei einer 6 Meter breiten Fahrbahn zulässig, da aufgrund der höchstzulässigen Fahrzeugbreite von 2,50 m für Personenkraftwagen bzw. 3,00 m für land- oder forstwirtschaftliche Fahrzeuge eine Durchfahrt bei beidseitig abgestellten Fahrzeugen ausgeschlossen und auch bei nur einseitig abgestellten Fahrzeugen nur schwer und ohne Begegnungsverkehr möglich wäre. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung eines beidseitigen eingeschränkten Haltverbots (Zeichen 286) in einem Teilbereich einer Ortsstraße, zwingende Erforderlichkeit aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse, Haltverbot, Gefahr, Verkehr, Anliegergebrauch
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.10.2024 – M 23 K 23.3648
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9155
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgelegt.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung eines eingeschränkten Haltverbots.
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Der Kläger ist nach eigenen Angaben Nebenerwerbslandwirt und Miteigentümer eines Anwesens in der M. straße im Bereich der beklagten Gemeinde. Hierbei handelt es sich um eine als O. straße gewidmete Verbindung zwischen den Ortsteilen Forstinning und Moos mit dem dortigen Gewerbegebiet und Anschluss an die A 94. Der Gemeinderat der Beklagten beschloss am 21. März 2023 für einen Teilbereich der M. straße die Anordnung eines beidseitigen eingeschränkten Haltverbots. Umgesetzt wurde dieser Beschluss durch entsprechende Anordnung des ersten Bürgermeisters vom 20. Juni 2023 mit der Begründung, durch das Parken von Fahrzeugen am Straßenrand werde der fließende Verkehr gefährdet, da die erforderliche Sicht nicht vorhanden sei. In einer ergänzenden Begründung vom 12. Juli 2023 führt die Beklagte aus, eine Ortseinsicht habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Anordnung vorlägen. Im fraglichen Bereich seien „Beinahe-Unfälle“ gemeindebekannt. Die M. straße verschwenke im Bereich des Haltverbots in einem derart ungünstigen Winkel, dass bei Sichtbehinderung durch parkende Pkw ohne jegliche Sicht eingefahren werden müsse. Entgegenkommender Pkw-Verkehr könne nicht mehr rechtzeitig wahrgenommen werden. Diese Gefahrenlage werde durch den Schattenwurf der vorhandenen Laubbäume verstärkt. Der Hell-Dunkel-Effekt in den Sommermonaten führe dazu, dass parkende Autos, aber auch entgegenkommende Fahrzeuge und Radfahrer nochmals schlechter gesehen würden. Die Gefahrenlage könne nur durch ein beidseitiges eingeschränktes Haltverbot gebannt werden. Zugunsten der Anrainer und Anlieger sei von einem absoluten Haltverbot Abstand genommen worden.
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Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 20. Juli 2023 Klage beim Verwaltungsgericht München einreichen. Nach einem Augenschein des Gerichts am 6. Juni 2024 beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 15. Oktober 2024 die Einkürzung des eingeschränkten Haltverbots bis zum „Marterl“ als westliches Ende des Anordnungsbereichs. Bei dem Ortstermin habe sich herausgestellt, dass die verkehrsrechtliche Anordnung ab Höhe des Marterls beidseitig ausreiche, um der Gefahrenlage zu begegnen. Eine Aufhebung des eingeschränkten Haltverbots für einzelne Abschnitte ortseinwärts auf der südlichen Seite begegne der Gefahrenlage nicht ebenso effektiv, da in diesem sehr schwer einsehbaren Kurvenbereich nur eine gesamte Freimachung von ruhendem Verkehr Unfällen wirksam begegnen könne. Umgesetzt wurde dieser Beschluss durch entsprechende Anordnung des ersten Bürgermeisters vom 23. Oktober 2024.
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Mit Urteil vom 23. Oktober 2024 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die zuletzt streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger weder als Verkehrsteilnehmer noch als Anlieger in seinen Rechten. Die Beklagte habe den besonderen örtlichen Verhältnissen im Bereich der M. straße Rechnung getragen und die Interessen der Anlieger ausreichend in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Auch wenn es bislang zu keinen Unfällen gekommen sei, bestünden in dem noch verbliebenen Streckenabschnitt aufgrund Verschwenkung der Straße, baumbedingter Verschattung, ungenügender Sichtverhältnisse insbesondere ortsauswärts, der Straßenbreite sowie des beim Augenschein mitgeteilten relativ hohen Verkehrsaufkommens spezielle örtliche Verhältnisse, denen die Maßnahme Rechnung trage, um den Durchgangsverkehr gefahrenfrei zu gewährleisten. Durch Einkürzung der ursprünglichen Strecke auf etwa die Hälfte bleibe es den Anliegern problemlos möglich, ihre Fahrzeuge in dem nunmehr freigegebenen Bereich abzustellen.
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Zur Begründung des hiergegen eingereichten Antrags auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Das Gericht habe die besonderen Voraussetzungen für die verkehrsrechtliche Anordnung verkannt. Es lägen keinerlei Erkenntnisse vor, dass mit einem Schadenseintritt jemals zu rechnen sei. Beim Augenschein habe das Gericht festgestellt, dass die Einsehbarkeit der Straße durchaus gegeben sei. Das beim Augenschein bestehende hohe Verkehrsaufkommen sei dem Umstand geschuldet, dass die M. straße zu diesem Zeitpunkt eine Umleitungsstrecke gewesen sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen. Die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der Ausgangsentscheidung mit schlüssigen Argumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – BayVBl 2023, 176 Rn. 23 m.w.N.). Dies kann hier jedoch der Antragsbegründung des Klägerbevollmächtigten, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (VerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – VerfGHE 68, 180 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 54), nicht entnommen werden.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da es sich bei der Anordnung von Verkehrszeichen um Dauerverwaltungsakte handelt (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2017 – 3 B 50.16 – NVwZ-RR 2018, 12 Rn. 8; BayVGH, B.v. 13.1.2025 – 11 ZB 22.2678 – juris Rn. 22; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 80). Grundsätzlich gilt für jedes Verkehrszeichen, dass dessen Anordnung angesichts der allen Verkehrsteilnehmern obliegenden Verpflichtung, die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften der Straßenverkehrsordnung eigenverantwortlich zu beachten, nur dort getroffen werden darf, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten (§ 39 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung [StVO] vom 6.3.2013 [BGBl I S. 367], zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.12.2024 [BGBl I Nr. 411]) bzw. zwingend erforderlich (§ 45 Abs. 9 Satz 1 StVO) ist. Die darüber hinausgehenden erhöhten Anforderungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, die voraussetzen, dass auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt, gelten insbesondere für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs und kommen daher für das hier streitgegenständliche, den ruhenden Verkehr betreffende Haltverbot gemäß Zeichen 286 (lfd.Nr. 63 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) nicht zur Anwendung (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 11 ZB 21.388 – juris Rn. 11 m.w.N.).
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Eine zwingende Erforderlichkeit im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO ist bereits dann gegeben, wenn die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO konkret gefährdet ist, d.h. wenn der Eintritt eines schädigenden Ereignisses, hauptsächlich von Verkehrsunfällen, hinreichend wahrscheinlich ist. Zur Annahme einer derartigen Gefahrenlage bedarf es nicht des Nachweises, dass es bereits zu Unfällen gekommen oder dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist. Es genügt die Feststellung, die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder auf einer bestimmten Strecke einer Straße lege die Befürchtung nahe, es könnten – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten (BayVGH, B.v. 19.4.2021 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.). Aufgrund besonderer Umstände zwingend geboten bzw. erforderlich kann ein Verkehrszeichen auch dann sein, wenn auch ohne Verkehrszeichen geltende Regelungen in der Straßenverkehrsordnung, hier etwa das Verbot, an engen Straßenstellen zu halten (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO) oder das allgemeine Rücksichtnahmegebot und Behinderungsverbot (§ 1 StVO), ständig missachtet werden.
10
Diese Voraussetzungen, die die Antragsbegründung nicht substantiiert in Zweifel gezogen hat, hat das Verwaltungsgericht für den nach der Anordnung der Beklagten vom 15. Oktober 2024 verbliebenen Abschnitt der M. straße zutreffend bejaht. Auf der südlichen Seite verläuft ein 1,50 m breiter Gehweg, auf dem das Halten oder Parken nicht erlaubt ist. Auf der nördlichen Seite des fraglichen Straßenabschnitts ohne Gehweg und Randstreifen grenzt unmittelbar eine Wiese bzw. Ackerbau an. Auf beiden Seiten stehen in Fahrbahnnähe hohe Laubbäume. Gehalten bzw. geparkt werden kann daher nur auf der etwa 6 m breiten Fahrbahn. Aufgrund der höchstzulässigen Fahrzeugbreite von 2,50 m für Personenkraftwagen (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 8 StVZO) bzw. 3,00 m für land- oder forstwirtschaftliche Fahrzeuge (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 8 StVZO), jeweils ohne Spiegel und andere Einrichtungen für indirekte Sicht (§ 32 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 56 StVZO), wäre eine Durchfahrt bei beidseitig abgestellten Fahrzeugen ausgeschlossen und auch bei nur einseitig abgestellten Fahrzeugen nur schwer und ohne Begegnungsverkehr möglich. Hinzu kommt, dass die M. straße in diesem Bereich kurvig verläuft und durch die Bäume begrenzt und verschattet ist, was die Sichtverhältnisse zusätzlich beeinträchtigt.
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Nach Angaben der Beklagten beim Augenschein und dem übergebenen Verkehrsgutachten ergab eine Verkehrszählung im Jahr 2019 eine Verkehrsbelastung von 2.700 Fahrzeugen pro Tag. Diese vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Zahlen beruhen somit nicht auf der im Zeitpunkt des Augenscheins bestehenden Umleitung über die M. straße aufgrund vorübergehender Straßenbaumaßnahmen. Bei ruhendem Verkehr müsste ein Fahrzeug folglich ggf. zurücksetzen, um entgegenkommenden Verkehr durchfahren zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass die ohnehin beengte Situation durch abgestellte Fahrzeuge nochmals verschärft würde und dass unzureichende Sicht und etwa erforderliches Rangieren oder Zurücksetzen nicht nur zu den Verkehrsfluss behindernden Rückstaus, sondern auch zu Gefahrensituationen führen kann.
12
Die Anordnung erweist sich auch nicht als ermessensfehlehrhaft. Abgesehen davon, dass das Recht auf Anliegergebrauch dem Eigentümer eines Grundstücks keinen Anspruch darauf gibt, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen und Plätzen unmittelbar bei seinem Grundstück oder in dessen Nähe eingerichtet werden oder erhalten bleiben (BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58.80 – BayVBl 1983, 57 = juris Rn. 12 ff.; B.v. 20.12.1991 – 3 B 118.91 – NVwZ-RR 1992, 587 = juris Rn. 4 ff.; BayVGH, B.v. 28.12.2020 – 11 ZB 20.2176 – NJW 2021, 961 Rn. 23), hat der nach Einkürzung verbliebene Streckenabschnitt eine Länge von weniger als 200 m und endet in Richtung Westen (Moos) in unmittelbarer Nähe des klägerischen Anwesens, wodurch das Halten und Parken von Fahrzeugen unweit dieses Anwesens möglich bleibt.
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Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
14
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).