Titel:
Einstweilige Anordnung, Akteneinsicht, Vorwegnahme der Hauptsache, Anordnungsgrund (nicht glaubhaft gemacht)
Normenketten:
VwGO § 123
SGB X § 25
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Akteneinsicht, Vorwegnahme der Hauptsache, Anordnungsgrund (nicht glaubhaft gemacht)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8572
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einsichtnahme in die vom Antragsgegner hinsichtlich der Antragstellerin zu 3) geführten pädagogischen Jugendhilfeakten sowie in die Ergänzungspflegschaftsakten.
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Die Antragstellerin zu 3) war im Juli 2019 durch den Antragsgegner in Obhut genommen worden. Die Inobhutnahme endete im Jahr 2020.
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Zuletzt mit Schreiben vom 8. April 2024 beantragten die Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) beim Antragsgegner Akteneinsicht gemäß § 25 SGB X in alle Jugendamtsakten („allgemeine Jugendhilfe“, „wirtschaftliche Hilfe“, „Ergänzungspflegschaft“) betreffend die Antragstellerin zu 3), die beim Antragsgegner geführt werden. Es werde insbesondere auch die Überlassung bzw. Einsichtnahme in das Videomaterial beantragt, das im Sommer 2019 im Gemeindekindergarten R. in G. angefertigt worden sein solle.
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Daraufhin gewährte der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 24. April 2024 Akteneinsicht in das laufende Verwaltungsverfahren der wirtschaftlichen Hilfe bezüglich des Kostenbeitrags in Höhe des Kindergeldes (Az. 2.1.1.3/13373) und lehnte die Gewährung von Akteneinsicht in die weiteren, bereits abgeschlossenen, Verfahren ab.
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Diese Ablehnung wurde damit begründet, dass ein Anspruch der Antragsteller auf Akteneinsicht gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X in die bereits abgeschlossenen sonstigen Verwaltungsakten mangels rechtlichem Interesse zur Akteneinsicht nicht bestehe. Da keine Möglichkeit zur Geltendmachung oder Verteidigung rechtlicher Interessen in den bereits abgeschlossenen Verfahren bestehe, werde die Akteneinsicht auch unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens abgelehnt.
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Mit Schreiben vom 12. Mai 2024 legten die Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) Widerspruch gegen den o.g. Bescheid des Antragsgegners vom 24. April 2024 ein und äußerte sich gegenüber der Regierung von Oberbayern zudem ergänzend mit Schreiben vom 24. September 2024.
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Die Regierung von Oberbayern wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2025 zurück.
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Sie begründete dies insbesondere damit, dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 25 SGB X in die Jugendamtsakte hinsichtlich der Teile „pädagogische Akte“ und der Akte der Ergänzungspflegschaft hätten. Es fehle bereits an einem Verwaltungsverfahren i.S.v. § 25 SGB X, da die Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) bereits im Jahr 2020 beendet gewesen sei und im familiengerichtlichen Verfahren bestätigt worden sei. Die Antragsteller seien nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens auch keine Beteiligten gemäß § 25 SGB X mehr. Hinsichtlich der Ergänzungspflegschaftsakten bestehe ein Anspruch gemäß § 25 SGB X zudem von vorneherein deshalb nicht, da es sich bei dieser Tätigkeit des Jugendamts nicht um ein Verwaltungsverfahren gemäß § 8 SGB X handele. Insoweit komme Akteneinsicht allein auf Grundlage des § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und somit nur insoweit in Betracht, als das Gestatten der Akteneinsicht für das Wahrnehmen der Aufgaben des Jugendamts als Ergänzungspfleger erforderlich sei. Dies sei vorliegend nicht erkennbar, so dass die Gestattung von Akteneinsicht insoweit ausscheide.
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Es bestehe auch kein Anspruch gegenüber dem Antragsgegner auf nochmalige (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über das Akteneinsichtsbegehren in analoger Anwendung von § 25 Abs. 1 SGB X. Denn hierfür sei ein konkretes rechtliches Interesse erforderlich. Dieses ergebe sich nicht aus dem allgemeinen Wunsch, die Vorgänge, die zur Inobhutnahme geführt haben zu erfahren. Das familiengerichtliche Amtsverfahren im Rahmen der Inobhutnahme sei bereits abgeschlossen. Soweit die Antragsteller die Akteneinsicht insbesondere auch deswegen begehren würden, um zu untersuchen, ob in den Akten ein mutmaßlich im Kindergarten aufgenommenes Video der Antragstellerin zu 3) enthalten sei, liege es nahe, dass es sich hierbei um Sozialdaten handele, die dem Schutz des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unterfallen. Wegen des Überwiegens der Sperrwirkung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII sei daher der Ermessensspielraum des Antragsgegners auf Null reduziert.
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Ein Anspruch auf die begehrte Akteneinsicht ergebe sich auch nicht aus anderen Rechtsgrundlagen, insbesondere nicht aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
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Am 21. Februar 2025 erhoben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Klage (Az. M 18 K 25.1175) und beantragten gleichzeitig,
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das Kreisjugendamt des Antragsgegners und den Ergänzungspfleger (Vormundschaften, Kreisjugendamt des Antragsgegners) im Wege der einstweiligen Anordnung dazu zu verpflichten, ihnen unverzüglich Einsicht in die Akten der Antragstellerin zu 3. („pädagogische Akten“ und Ergänzungspflegschaft) zu gewähren.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die Antragsteller gemäß § 25 SGB X, § 68 SGB VIII, § 83 SGB X, § 29 VwVfG und Art. 15 DS-GVO ein Akteneinsichts- und Auskunftsrecht hätten, um so ihre (rechtlichen) Interessen geltend machen zu können. Den Antragstellern würden bei weiteren zeitlichen Verzögerungen irreversible Nachteile entstehen, die später nicht mehr berichtigt werden könnten. Aufgrund des nahenden Ablaufs der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen und der drohenden Gefahr, dass mit voranschreitender Zeit die Akten durch den Antragsgegner und den Ergänzungspfleger, wie dies bereits geschehen sei, immer weiter bereinigt werden könnten, drohe ein endgültiger Rechtsverlust durch die teilweise bzw. vollständige Vernichtung der ersuchten Akteninhalte. Der Antragsgegner habe den Antragstellern im Jahr 2020, also während des damals noch laufenden Verwaltungsverfahrens, Akteneinsicht zugesichert, diese dann jedoch seitdem durch Verzögerungstaktiken und sachfremde Erwägungen mutwillig verhindert. Der Antragsgegner sei auch deswegen verpflichtet, den Antragstellern die begehrte Akteneinsicht zu gewähren, da diese gerade anwaltlich prüfen lassen würden, inwieweit sie eine Feststellungsklage bzgl. der Rechtmäßigkeit der bereits abgeschlossenen „Inobhutnahme“ der Antragstellerin zu 3) einreichen bzw. Schadensersatzansprüche gegenüber dem Antragsgegner geltend machen können und sie sonst weiterhin an der Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen gehindert wären. Bei den angeblichen „Beweisvideos“ aus dem Jahr 2019 handele es sich nicht um „anvertraute Sozialdaten“ i.S.v. § 65 SGB VIII, deren Herausgabe dem Antragsgegner „untersagt“ sei. Zudem seien auch Videos Bestandteil von Jugendamtsakten und somit Gegenstand des Akteneinsichtsrechts. Falls die Videoaufnahmen tatsächlich nicht (mehr) existieren sollten, stelle sich die berechtigte Frage, wie diese trotz gesetzlicher Aufbewahrungsfristen vom Antragsgegner aus der Jugendhilfeakte hätten entfernt werden können und welche anderen Aktenbestandteile womöglich ebenfalls aussortiert worden sein könnten bzw. gerade aussortiert würden. Gerade aufgrund dieser berechtigten Sorge würde ein weiteres Verzögern der bereits im Jahr 2020 beantragten Akteneinsicht dazu führen, dass die Antragsteller ihre Akteneinsichts- und Auskunftsrechte womöglich gar nicht mehr geltend machen könnten, was eine unverzügliche Gewährung der beantragten Akteneinsicht unumgänglich mache.
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Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 26. Februar 2025,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass vorliegend bereits kein Anordnungsgrund gegeben sei. Den Antragstellern würde bei einem Abwarten der Hauptsache keinerlei erheblicher Nachteil entstehen. Der von den Antragstellern genannte Grund des nahenden Ablaufs der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen sei unzutreffend. Denn der Antragsgegner folge bezüglich der Aufbewahrungsfristen für die Akten, in welche Akteneinsicht beantragt werde, den Empfehlungen des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen mit Schreiben vom 26. Juli 2004. Demnach laufe die Aufbewahrungsfrist für die pädagogischen Akten betreffend die Antragstellerin zu 3) noch bis zum 31. Dezember 2031 sowie die Aufbewahrungsfrist für die Akte betreffend die Ergänzungspflegschaft noch bis 31. Dezember 2063. Es sei auch kein Anordnungsanspruch erkennbar.
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Ein Anspruch auf Einsicht in die Akte über die Führung der Ergänzungspflegschaft bestehe nicht. Diese Akten des Jugendamtes würden nicht im Rahmen eines auf Erlass eines Verwaltungsaktes gerichteten Verwaltungsverfahren geführt. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII gehöre die Aufgabe der Pflegschaft und Vormundschaft des Jugendamtes nicht zu den Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VIII, sondern zu den anderen Aufgaben zu Gunsten junger Menschen und Familien. Insoweit sei der Verwaltungsrechtsweg i.S.v. § 40 VwGO nicht eröffnet.
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Ein Anspruch auf Akteneinsicht in die pädagogische Akte sei ebenfalls nicht gegeben. Aus § 25 SGB X könne ein solcher Anspruch nicht abgeleitet werden, da sich das Akteneinsichtsbegehren auf kein laufendes Verwaltungsverfahren beziehe. Die Verfahren, in die Akteneinsicht beantragt werde, seien abgeschlossen. Auch im Rahmen des dem Antragsgegner zustehenden Ermessens werde die Akteneinsicht abgelehnt. Die Antragsteller würden ihr Interesse an der Akteneinsicht insbesondere mit der Einsichtnahme in einen USB-Stick mit Videoaufnahmen der Kindertagesstätte begründen. Dieser USB-Stick sei jedoch nicht zu den Akten des Jugendamtes genommen worden, sondern im Jahr 2019 über das Austauschfach der Poststelle des Antragsgegners an die Gemeinde G. geschickt worden. Dementsprechend gebe es keinen Nachweis über den Versand. In der Akte sei jedoch kein USB-Stick mit Filmaufnahmen vorhanden.
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Mit Schriftsatz vom 25. März 2025 führten die Antragsteller ergänzend insbesondere aus, dass die Antragserwiderung insbesondere im Hinblick auf die nachweislich zu den Akten genommenen, aber mittlerweile wohl wieder entfernten, „Beweisvideos“ den Eindruck einer nicht ordnungsgemäßen, von Verdunkelungsabsichten geprägten, Aktenführung des Antragsgegners sowie die immanente Gefahr einer fortwährenden Bereinigung der angeforderten Akten noch weiter intensiviert habe. Aufgrund des drohenden permanenten Rechtsverlusts sei besondere Eile geboten. Eine weitere Verzögerung der seit Anfang 2020 vom Antragsgegner systematisch verhinderten umfassenden Akteneinsicht würde die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Antragsteller stark einschränken und beim Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu einem permanenten Rechtsverlust führen, der nicht mehr kompensiert werden könnte.
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Mit Beschluss der Kammer vom 27. März 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte im Verfahren M 18 K 25.1175 und der vorgelegten Widerspruchsakte der Regierung von Oberbayern verwiesen.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, § 40 VwGO.
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Ausreichend für die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ist, dass eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist. Maßgeblich für die Frage des Rechtsweges ist wiederum der Streitgegenstand, der als der prozessuale Anspruch verstanden wird, der durch die erstrebte, im Klageantrag umschriebene, Rechtsfolge und den Klagegrund, d.h. den Lebenssachverhalt, aus dem sich die Rechtfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 14.11.2016 – 5 C 10/15 D – juris Rn. 17 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.2.2014 – 12 C 13.2646 – juris Rn. 14.).
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Vorliegend begehren die Antragsteller vorrangig Akteneinsicht in die pädagogischen Jugendhilfeakten und die Ergänzungspflegschaftsakte betreffend die Antragstellerin zu 3), die beim Antragsgegner geführt werden. Die Antragsteller stützen den geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht unter anderem ausdrücklich auf § 25 SGB X. Für die Prüfung eines solchen Akteneinsichtsanspruchs gemäß § 25 SGB X ist vorliegend sowohl in Bezug auf die pädagogische Jugendhilfeakte, als auch hinsichtlich der Ergänzungspflegschaftsakte, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet (so explizit auch für Ergänzungspflegschaftsakten: VG Bayreuth, B.v. 13.1.2025 – B 8 E 24.1176 – juris Rn. 22; VG Bayreuth, B.v. 13.1.2025 – B 8 E 25.30 – juris Rn. 28; zur Akteneinsicht in eine Beistandschaftsakte: VG München, B.v. 14.2.2024 – M 18 E 23.5867 – juris Rn. 25; vgl. überdies: BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.467 – juris Rn. 21 f.).
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Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Der Anordnungsgrund erfordert somit gerade die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Entscheidung über die Hauptsache. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 15 CS 23.606 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 15 CE 22.2689 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 12 CE 11.2215 – juris Rn. 6).
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von den Antragstellern begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber vollständig vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache – jedenfalls dem Grunde nach – spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
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Nach diesen Grundsätzen haben die Antragsteller vorliegend bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
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Denn die Antragsteller haben nicht ausreichend dargelegt, dass sie, obwohl seit den Vorgängen bezüglich der Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) in den Jahren 2019/ 2020, die in den streitgegenständlichen pädagogischen Jugendhilfeakten des Antragsgegners und in der Ergänzungspflegschaftsakte dokumentiert seien, inzwischen mehrere Jahre vergangen sind, ohne eine einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wären und mit ihrem Begehren nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden könnten.
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1. Soweit sich die Antragsteller hinsichtlich der Dringlichkeit der Akteneinsicht auf den behaupteten nahen Ablauf von gesetzlichen Aufbewahrungsfristen beriefen, wurde hierdurch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner aktuell oder in naher Zukunft unter Berufung auf den Ablauf solcher Aufbewahrungsfristen Aktenbestandteile vernichten könnte, auf die sich der geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht bezieht.
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Denn der Antragsgegner führte in seinem o.g. Schreiben vom 26. Februar 2025 insbesondere aus, dass der von der Antragstellerin genannte Grund des nahenden Ablaufs der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen unzutreffend sei. Der Antragsgegner folge bezüglich der Aufbewahrungsfristen für die Akten, in welche Akteneinsicht beantragt werde, den Empfehlungen des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen mit Schreiben vom 26. Juli 2004. Demnach laufe die Aufbewahrungsfrist für die pädagogischen Akten betreffend die Antragstellerin zu 3) noch bis zum 31. Dezember 2031. Denn die letzten Schriftstücke seien im Jahr 2021 zu den Akten genommen worden und die Aufbewahrungsfrist betrage zehn Jahre zum Ablauf des Jahres, in dem das letzte Schriftstück zum Akt genommen worden sei. Die Aufbewahrungsfrist für die Akte betreffend die Ergänzungspflegschaft laufe noch bis 31. Dezember 2063. Denn die Antragstellerin zu 3) werde am 26. September 2032 volljährig und die Aufbewahrungsfrist betrage 30 Jahre mit Ablauf des Jahres, in dem Volljährigkeit eingetreten ist.
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Dadurch hat der Antragsgegner klargestellt, dass er vor dem Jahr 2031 keine der streitgegenständlichen Akten unter Berufung auf den Ablauf von Aufbewahrungsfristen vernichten werde. Auch im Übrigen liegen dem Gericht keine objektiven Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsgegner aktuell oder in näherer Zukunft unter Berufung auf einen Ablauf von gesetzlichen Aufbewahrungsfristen die Vernichtung von Bestandteilen der o.g. Akten planen könnte.
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Abgesehen davon ist eine zeitnahe Vernichtung der streitgegenständlichen Akten durch den Antragsgegner vorliegend allein schon wegen des nach Abschluss des Eilverfahrens weiterhin laufenden gerichtlichen Hauptsacheverfahrens (M 18 K 25.1175) rechtlich nicht zulässig.
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2. Auch soweit sich die Antragssteller darauf beriefen, dass „Verdunkelungsgefahr“ bestehe, insbesondere, weil der Antragsgegner in der Vergangenheit ein angebliches „Beweisvideo“ der Kindertagesstätte aus der Akte entfernt haben könnte, haben sie nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts deshalb ein Anordnungsgrund gegeben ist.
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Die Antragsteller begründeten insoweit die Dringlichkeit ihres Antrags auf Akteneinsicht zuvorderst damit, dass die Gefahr bestehe, dass mit voranschreitender Zeit die streitgegenständlichen Akten durch den Antragsgegner und den Ergänzungspfleger, wie dies bereits geschehen sei, immer weiter bereinigt werden könnten, und somit ein endgültiger Rechtsverlust durch die teilweise bzw. vollständige Vernichtung der ersuchten Akteninhalte drohe.
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Es lassen sich den diesbezüglichen Ausführungen der Antragsteller jedoch auch insoweit jedenfalls keine hinreichend konkreten objektiven Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Antragsgegner tatsächlich aktuell oder in näherer Zukunft planen könnte, Aktenbestandteile aus den streitgegenständlichen Akten zu entnehmen und damit Akteneinsichtsrechte der Antragsteller unumkehrbar zu vereiteln.
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Denn die Antragsteller haben zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags, dass der Antragsgegner in der Vergangenheit Aktenbestandteile entnommen haben könnte und dass dies deswegen aktuell auch weiterhin drohen könnte, als konkretes Beispiel lediglich einen bereits mehrere Jahre in der Vergangenheit liegenden Vorgang angeführt. Konkret haben sie insoweit geschildert, dass der Antragsgegner das o.g. angebliche „Beweisvideo“ der Kindertagesstätte im Jahr 2019 zunächst zu den Akten genommen habe und es am 13. September 2019 sogar offiziell als „Beweismittel“ in das damals noch laufende familiengerichtliche Verfahren eingeführt habe, es dann aber (wohl) wieder aus den Akten entfernt habe. Ein angebliches „Zurückgeben“ der Videoaufnahmen durch den Antragsgegner an die Gemeinde G. habe die Gemeinde mehrere Male dementiert und es scheine hierfür auch keinen Nachweis zu geben. Der Antragsgegner entgegnete hierzu in seiner Antragserwiderung vom 26. Februar 2025, dass er den USB-Stick mit diesen Videoaufnahmen der Kindertagesstätte gerade nicht zu den Akten des Jugendamtes genommen habe, sondern diesen im Jahr 2019 lediglich über das Austauschfach der Poststelle des Antragsgegners an die Gemeinde G. geschickt habe. Dementsprechend gebe es auch keinen Nachweis über den Versand. In der Akte sei kein USB-Stick mit Filmaufnahmen vorhanden. Im Eilverfahren kann dahinstehen, wie die Handhabung des o.g. USB-Sticks durch den Antragsgegner im Jahr 2019 aktentechnisch tatsächlich erfolgt ist. Denn selbst wenn der oben dargestellte diesbezügliche Vortrag der Antragsteller zutreffen würde, kann allein aus diesen mehrere Jahre zurückliegenden Vorgängen im Jahr 2019 nicht auf eine dringliche Gefahr dahingehend geschlossen werden, dass der Antragsgegner aktuell oder in naher Zukunft planen könnte, Bestandteile aus den streitgegenständlichen Akten zu entnehmen und damit ggf. Rechtspositionen der Antragsteller endgültig zu vereiteln.
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Jenseits dieses Vortrags zu den o.g. Videoaufnahmen wurde von den Antragstellern insoweit lediglich allgemein gehalten ausgeführt, dass sich angesichts der Vorgänge im Jahr 2019 betreffend diese Videoaufnahmen die Frage stelle, welche anderen Aktenbestandteile vom Antragsgegner womöglich bereits ebenfalls „aussortiert“ worden sein könnten bzw. gerade aussortiert würden. Diese bloßen Vermutungen der Antragsteller sind gerade nicht ausreichend konkret, um im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts von einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Dringlichkeit ausgehen zu können. Dasselbe gilt für den ebenfalls lediglich allgemein gehaltenen und nicht hinreichend belegten Vortrag der Antragsteller, dass eine von Verdunkelungsabsichten geprägte Aktenführung des Antragsgegners sowie die immanente Gefahr einer fortwährenden Bereinigung der angeforderten Akten vorliege und somit aufgrund des drohenden permanenten Rechtsverlusts besondere Eile geboten sei.
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3. Auch soweit die Antragsteller vortrugen, dass sie anwaltlich prüfen lassen würden, inwieweit sie eine Feststellungsklage bzgl. der Rechtmäßigkeit der bereits abgeschlossenen „Inobhutnahme“ der Antragstellerin zu 3) einreichen bzw. Schadensersatzansprüche gegenüber dem Antragsgegner geltend machen können und dass sie ohne die Akteneinsicht weiterhin an der Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen gehindert wären, haben sie keine einen Anordnungsgrund begründende Dringlichkeit glaubhaft gemacht.
41
Dabei kann dahinstehen, ob die Antragsteller eine (Fortsetzungs-)Feststellungsklage hinsichtlich der bereits im Jahr 2020 beendeten Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) noch in zulässiger Weise erheben könnten, oder ob insoweit insbesondere bereits Verwirkung eingetreten sein könnte (vgl. dazu VG München, GB v. 4.4.2023 – M 18 K 18.5285 – Rn. 40 ff.) und ob nach so langer Zeit eine klageweise Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Antragsgegner noch in zulässiger Weise möglich ist.
42
Denn mit ihrem auch insoweit lediglich allgemein gehaltenen Vortrag haben die Antragsteller gerade nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im Hinblick auf die vorgetragene anwaltliche Prüfung einer (Fortsetzungs-)Feststellungklage bzw. von Schadensersatzansprüchen betreffend die mehrere Jahre zurückliegende Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben sein könnte, die zu einer Unzumutbarkeit des Abwartens des Hauptsachverfahrens führen könnte.
43
Die Antragsteller haben in ihrem Eilantrag zwar umfangreiche Ausführungen dazu gemacht, dass der Antragsgegner sie seit fünf Jahren durch Hinauszögern der Akteneinsicht an der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen hindere. Sie haben jedoch nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt, warum sie angesichts dessen gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein Eilverfahren in Bezug auf die begehrte Akteneinsicht betreiben müssen. Die Antragsteller haben insbesondere nicht hinreichend dargelegt, aus welchem konkreten Anlass trotz des mehrjährigen Zeitablaufs im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine besondere Dringlichkeit bestehen soll, aufgrund derer gerade jetzt in Bezug auf die o.g. anwaltliche Prüfung von etwaigen Ansprüchen gegen den Antragsgegner bei weiterem Zuwarten ein nachträglich nicht mehr zu beseitigender endgültiger Rechtsverlust drohe, der eine Vorwegnahme der Hauptsache erfordert.
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Die Antragsteller trugen insoweit lediglich vor, dass eine weitere Verzögerung der Anfang 2020 bereits fest zugesicherten, vom Antragsgegner bislang aber durch Verzögerungstaktiken systematisch verhinderten, umfassenden Akteneinsicht die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen stark einschränke und beim langwierigen Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu einem permanenten Rechtsverlust führen würden, der nicht mehr kompensiert werden könnte. Es sei nicht zumutbar, nach den vergangenen fünf Jahren noch weitere zwei bis drei Jahre auf die Akteneinsicht zu warten. Insoweit kann dahinstehen, ob der Antragsgegner vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens betreffend die o.g. Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) tatsächlich eine Akteneinsicht durch die Antragsteller rechtswidrig verzögert hat. Denn selbst wenn der Antragsgegner dies in der Vergangenheit getan hätte, ergibt sich aus den obigen allgemein gehaltenen Ausführungen der Antragsteller gerade nicht in nachvollziehbarer Weise, warum aus etwaigen Verzögerungen der Akteneinsicht in der Vergangenheit bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ein endgültiger Rechtsverlust hinsichtlich der beantragten Akteneinsicht eintreten könnte und die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Antragsteller vereitelt werden könnte.
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4. Soweit die Antragsteller im Widerspruchsverfahren in ihrer ergänzenden Stellungnahme an die Regierung von Oberbayern von Oberbayern vom 24. September 2024 ausführten, dass falsche Aussagen in den Akten des Antragsgegners dringend berichtigt werden müssten, damit dieser keine Falschinformationen verbreiten könne, ist zwar nachvollziehbar, dass die Antragsteller etwaiges Fehlverhalten oder Versäumnisse des Antragsgegners in Bezug auf die Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) in der Vergangenheit aufdecken und berichtigt haben wollen. Jedoch wurde von den Antragstellern auch insoweit wiederum nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass mehrere Jahre nach Beendigung der Inobhutnahme der Antragstellerin zu 3) eine für das Bestehen eines Anordnungsgrundes erforderliche Dringlichkeit vorliegen würde.
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Da die Antragsteller somit nicht hinreichend substantiiert glaubhaft gemacht haben, dass sie ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wären, kann und muss die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht besteht, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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Der Antrag war daher abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.