Inhalt

VG München, Beschluss v. 24.04.2025 – M 19L DK 25.1981
Titel:

Einstellung eines Disziplinarklageverfahrens nach Entlassung auf eigenen Antrag, Feststellung der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 BayDG, Vorteilsannahme in drei Fällen, Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht

Normenketten:
BayDG Art. 11 Abs. 6
BayDG Art. 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2
BayDG Art. 57 Abs. 2 Nr. 2
StGB § 331 Abs. 1
StGB § 353b Abs. 1
Schlagworte:
Einstellung eines Disziplinarklageverfahrens nach Entlassung auf eigenen Antrag, Feststellung der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 BayDG, Vorteilsannahme in drei Fällen, Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8560

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayDG vorliegen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Mit Disziplinarklage vom 8. November 2021 beantragte der Kläger im Verfahren M 19L DK 21.5870 die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Dem Beklagten wurde vorgeworfen, ein Dienstvergehen begangen zu haben, indem er als Leiter des Sachgebiets … des Landratsamts … von einer Baufirma (* …*) zwei Baustellenjacken sowie sechs Drainagerinnen (ACO-Rinnen) mit den dazugehörigen Stegrosten und einem Einlaufkasten angenommen, gebrauchte Pflastersteine gefordert und außerdem eine Auflistung der Einheitspreise einer Bietergemeinschaft aus einer Ausschreibung an diese Firma weitergeleitet hat. Auf den Inhalt der Disziplinarklage wir gemäß § 117 Abs. 3 VwGO verwiesen.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2024 beantragte der Beklagte seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zum 31. Dezember 2024, dem der Dienstherr nachkam.
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Mit Schreiben vom 21. März 2025 beantragte der Beklagte die Verfahrenseinstellung nach Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayDG unter Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 BayDG. Der Beklagte erhielt Gelegenheit zur Äußerung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (Az. M 19L DK 21.5870 und M 19L DK 25.1981) sowie die von der Disziplinarbehörde vorgelegten Akten verwiesen.
II.
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1. Das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ist nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayDG einzustellen. Mit dem Eintritt der Wirksamkeit der Entlassung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 2024 kann eine Disziplinarmaßnahme gemäß Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayDG nicht mehr verhängt werden, weil der Beklagte nicht mehr dem Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 BayDG unterfällt. Die Verfahrenseinstellung erfolgt gemäß Art. 57 Abs. 2 BayDG durch Beschluss.
6
2. Die Einstellung des Disziplinarverfahrens wird mit der Feststellung, dass die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayDG vorliegen, verbunden, da die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis im Wege der Disziplinarklage nur deshalb nicht erfolgte, weil das Dienstverhältnis vor der gerichtlichen Entscheidung durch Entlassung beendet wurde. Die Feststellung hat zur Folge, dass der Beklagte bei einem bayerischen Dienstherrn nicht erneut zum Beamten ernannt werden darf und insoweit auch kein anderes Beschäftigungsverhältnis begründet werden soll.
7
a) Der Kläger ist in der Disziplinarklage zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte mit der Annahme zweier Baustellenjacken im Wert von ca. 235 Euro gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 331 Abs. 1 StGB in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung), seine Pflichten zu uneigennützigem sowie achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 2 und 3 BeamtStG in der Fassung bis zum 6.7.2021 – a.F.) sowie gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen (§ 42 BeamtStG in der bis 30.6.2017 gültigen Fassung – a.F.) verstoßen hat. Auf die betreffenden Ausführungen in der Disziplinarklage wird vollumfänglich Bezug genommen. Im Hinblick auf die als Tatbestandsvoraussetzung des § 331 Abs. 1 StGB zu fordernde „Unrechtsvereinbarung“ zwischen dem Vorteilsgeber und dem Vorteilsnehmer, also darauf, dass ein Vorteil für die Dienstausübung des Amtsträgers gewährt werden sollte, ist ausreichend, wenn die Vorteilsgewährung geeignet ist und darauf abzielt, das allgemeine Wohlwollen des Beamten bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben zu erkaufen; dazu ist es nicht erforderlich, dass der Beamte eine Bereitschaft zur Missachtung von Recht und Gesetz hat erkennen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 3.12 – juris Rn. 31 m.w.N.). Die Zuwendung der Jacken kann auch keinesfalls als im Rahmen des sozial Üblichen und von der Allgemeinheit Gebilligten liegend angesehen werden (vgl. Korte im Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 331 Rn. 134), zumal nach den Richtlinien des Landratsamtes Freising bereits im Fall der Überlassung eines Gegenstandes, dessen Wert über 25 Euro liegt, eine Genehmigung einzuholen gewesen wäre.
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Entsprechendes gilt in Bezug auf die Annahme von ACO-Rinnen nebst Zubehör im November oder Dezember 2012, wofür die dies liefernde Firma … unter dem 10. April 2013 und somit erst während des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bzw. nach dem Vollzug mehrerer Durchsuchungsbeschlüsse am 20. März 2013 eine Rechnung über 719,89 Euro stellte. Selbst wenn man dem Vortrag des Beklagten folgt, wonach eine Bezahlung der von der Baufirma beschafften Gegenstände von Anfang an vorgesehen gewesen sei, ist von der Annahme eines finanziellen Vorteils auszugehen. Wie der Beklagte selbst einräumte, versprach er sich durch die Bestellung über die Baufirma eine erhebliche Kostenersparnis gegenüber einem Bezug der Ware im Baustoffhandel. Der Vorteil im Sinne von § 331 Abs. 1 StGB kann in der Gewährung von Rabatten oder Preisnachlässen bestehen; ein korrespondierender Nachteil des Vorteilsgebers ist nicht Voraussetzung (vgl. v. Heintschel-Heinegg/Kudlich in BeckOK StGB, Stand Februar 2025, § 331 Rn. 20 f. m.w.N.). Ausgehend von den von der Kriminalpolizei ermittelten Listenpreisen für die bestellten Rinnenkörper, Stegroste und den Einlaufkasten (vgl. Beiakte 3a auf CD, Sonderband Durchsuchungen, Bl. 44 ff.) und unter Berücksichtigung der vom Mitbeschuldigten … übermittelten Eingangsrechnung der Firma … … … vom 17. Juli 2012, der Ausgangsrechnung an den Beklagten vom 10. April 2013 sowie einer Gegenüberstellung von Preisen (vgl. a.a.O. Bl. 57 ff.) ist von Einsparungen in Höhe von ca. 250 Euro oder mehr auszugehen, die der Beklagte erzielte.
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Eine vollendete Vorteilsannahme gemäß § 331 Abs. 1 StGB und die weiteren genannten beamtenrechtlichen Pflichtenverstöße ergeben sich schließlich auch aus der Forderung von Pflastersteinen durch den Beklagten gegenüber der Firma …, die einem Dritten, nämlich der Feuerwehr …, bei der der Beklagte Mitglied war, zugewendet werden sollten. Vorsatz, zumindest in Form des dolus eventualis, und Schuld sind zu bejahen.
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b) Des Weiteren hat der Beklagte dadurch, dass er mit E-Mail vom 23. März 2011 nach der Submission ein Schreiben einer Bietergemeinschaft (* …*) vom 22. März 2011 mit dem Formblatt 223 an Herrn … … jun. weitergeleitet hat, gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 353b Abs. 1 StGB in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung) sowie gegen die Verschwiegenheitspflicht (§ 37 BeamtStG in der bis 1.7.2023 gültigen Fassung – a.F.) verstoßen. Der Disziplinarbehörde ist darin zu folgen, dass das Absehen von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach § 154a StPO im Hinblick auf den verfolgten Verstoß gegen § 298 Abs. 1 StGB die disziplinarrechtliche Relevanz nicht entfallen lässt. Das erkennende Gericht stimmt mit den Feststellungen in der Disziplinarklage zudem insoweit überein, als es die unbefugte Offenbarung eines dem Beklagten als Amtsträger anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisses und dadurch die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen als gegeben erachtet. Dies gilt auch unabhängig davon, ob die übermittelten Dokumente nur versehentlich nicht anonymisiert bzw. geschwärzt wurden. Denn aus dem vom Beklagten geschilderten vorangegangenen Telefongespräch mit Herrn … junior musste letzterem bereits klar sein, dass es sich bei den mitgeteilten Einheitspreisen um die der namentlich vom Beklagten erwähnten erstplatzierten Bietergemeinschaft handelte. Das Verhalten des Beklagten gefährdete das staatliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Gebots der Vertraulichkeit des Vergabewettbewerbs, dass über die Beendigung des Vergabeverfahrens hinaus gilt (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12 – juris Rn. 46). Der Vertraulichkeitsgrundsatz gewährleistet, dass der öffentliche Auftraggeber seiner gesetzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Beschaffung nachkommen kann. Kennt ein Bieter Leistungsumfang und Preise seines Konkurrenten, besteht die Gefahr, dass er sein Angebot nicht so niedrig wie möglich kalkuliert, sondern dieses nur noch an den ihm bekannt gewordenen Bedingungen ausrichtet (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 4.2.2013 a.a.O. Rn, 46, 48). Diese Gefahr bestand hier auch konkret, zumal zum Zeitpunkt der Versendung der E-Mail, wie der Beklagte auch wusste, bereits die Neuvergabe der betreffenden Ausschreibung im Raum stand. Dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten vom 12. März 2018 zufolge (vgl. auch noch Ergänzungsgutachten vom 20.2.2019, S. 8) hätte die Kenntnis der Einheitspreise in diesem Fall aufgrund der ähnlichen Rahmenbedingungen der Firma … Vorteile verschaffen können. Im Hinblick darauf, dass sich der Vorsatz im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB auch auf die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen erstrecken muss (Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 353b Rn. 12) und der Beklagte angab, es sei aus seiner Sicht bei der Datenübermittlung nur um ein Beispiel für ein subventioniertes Angebot und nicht um die konkreten Preise gegangen, ist vorliegend jedenfalls von der fahrlässigen Tatbegehung (vgl. § 353b Abs. 1 Satz 2 StGB) auszugehen. Darüber hinaus hat der Beklagte auch den Tatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB) verwirklicht.
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c) In Anbetracht dreier innerdienstlich begangener Verstöße gegen das Verbot der Vorteilsannahme mit einem gemäß § 331 Abs. 1 StGB zugrunde zu legenden Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und unter Berücksichtigung der weiteren Umstände wäre vorliegend die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis die verhältnismäßige Disziplinarmaßnahme gewesen. Es ist nach der gebotenen Gesamtschau von einem vollständigen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit auszugehen.
12
Der Beklagte war als Leiter des Sachgebiets … am Landratsamt Inhaber eines hervorgehobenen Amtes (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2019 – 16a D 17.65 – juris Rn. 27 m.w.N.), der wiederholt einen nicht unerheblichen Vorteil angenommen bzw. gefordert hat (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 3.12 – BVerwGE 146,98 = juris Rn. 31). Die uneigennützige, nicht auf einen privaten Vorteil bedachte Amtsführung eines Beamten stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 a.a.O. Rn. 15; BayVGH, B.v. 15.7.2020 – 3 ZB 19.601 – juris Rn. 13). Der Beklagte hat durch die Vorteilsannahme in drei Fällen im Kernbereich seiner ihm obliegenden Dienstpflichten versagt (vgl. OVG NW, U.v. 19.10.2022 – 31 A 3030/21.O – juris Rn. 94).
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Erschwerend tritt der ebenfalls innerdienstlich begangene Verstoß gegen § 353b Abs. 1 StGB bzw. die Verschwiegenheitspflicht hinzu, während durchgreifende Milderungs- oder Entlastungsgründe nicht ersichtlich sind. Der nicht allzu hoch anzusetzende Wert der Warnwesten und der Kostenersparnis in Bezug auf die Dränagerinnen nebst Zubehör kann sich schon deshalb nicht begünstigend auswirken, weil die vom Beklagten ebenfalls geforderten Pflastersteine für die Pflasterung eines Feuerwehrhofes deutlich darüber liegen dürften. Insoweit ist zwar die Fremdnützlichkeit des begehrten Vorteils zu berücksichtigen. Es handelt sich aber um insgesamt drei Vorfälle, bei denen jeweils die Grenze der Sozialadäquanz deutlich überschritten wurde. Hinzu kommt, dass der Beklagte trotz seiner Stellung als Sachgebietsleiter und der damit verbundenen Vorbildfunktion sowie Außenwirkung seines Handelns alle drei Vorgänge selbst, jeweils gegenüber immer derselben Firma, angestoßen hat.
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Der Beklagte konnte sich im Hinblick auf den Erhalt der ACO-Rinnen auch nicht auf eine freiwillige Offenbarung vor Tatenentdeckung berufen, weil er diesen anlässlich seiner Beschuldigteneinvernahme selbst angesprochen hat. Mildernd könnte sich eine Offenbarung nur dann auswirken, wenn sie vor der Aufdeckung aus eigenem Antrieb und ohne Furcht vor konkreter Entdeckung erfolgt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 16.10 – juris Rn. 36). Dies war hier nicht der Fall.
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Das vom Landratsamt übermittelte Persönlichkeitsbild zum Beklagten enthält sowohl positive wie auch eher negative Aspekte. Dass der Beklagte bisher straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, ist eine Selbstverständlichkeit und kann sich nicht zu seinen Gunsten auswirken. Im Übrigens konnte hier auch die zunächst erfolgte Weiterbeschäftigung des Beklagten nach dem Aufkommen des Verdachts eines Dienstvergehens nicht zu einer milderen Maßnahme führen (vgl. BVerwG, B.v. 27.9.2017 – 2 B 6/17 – juris Rn. 7). Gleiches gilt in Bezug auf die Dauer des Verfahrens, die bei dem hier eingetretenen vollständigen Vertrauensverlust keine Auswirkungen mehr haben kann.
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Die Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände ergibt somit auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, dass der Beklagte in Anbetracht der ihm zur Last zu legenden Dienstpflichtverletzungen aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen gewesen wäre.
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3. Über die Kosten des Verfahrens ist nach Art. 72 Abs. 4 Satz 2 BayDG i.V.m. § 161 Abs. 2 VwGO zu entscheiden. Danach ist die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen zu treffen, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, gegen den ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses der Entlassung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen worden wäre.