Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.04.2025 – 101 AR 32/25 e
Titel:

Antragsgegner, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Allgemeiner Gerichtsstand, Gerichtsstandsbestimmung, gemeinschaftlicher Gerichtsstand, Streitgenossenschaft, Gesamtschuldner, Auszahlungsansprüche, Zuständigkeitsbestimmung, gesetzliches Schuldverhältnis, Örtlich zuständiges Gericht, Geschäftsführung ohne Auftrag, Prozesswirtschaftlichkeit, Eingriffskondiktion, Erbengemeinschaft, Nachlaßverbindlichkeiten, Beschlüsse, Landgerichte, Örtliche Zuständigkeit, Erweiterter Gerichtsstand der Erbschaft

Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, Streitgenossenschaft, Prozessökonomie, Zweckmäßigkeit, Mieteinnahmenstreit, Erbengemeinschaft, Geschäftsführung ohne Auftrag
Vorinstanz:
LG Memmingen vom -- – 35 O 355/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8556

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landgericht Memmingen bestimmt.

Gründe

I.
1
Mit seiner zum Landgericht Memmingen erhobenen Klage vom 8. März 2025 macht der im Landgerichtsbezirk Ravensburg wohnhafte Antragsteller gegen die Antragsgegner als Gesamtschuldner einen Zahlungsanspruch in Höhe von 67.775,32 € wegen angeblich zu Unrecht vereinnahmter Mieten aus einem Anwesen in M. geltend.
2
Die Antragsgegnerin zu 1) und der Antragsgegner zu 2) haben ihren allgemeinen Gerichtsstand in Me. , die Antragsgegnerin zu 3) ist in H. wohnhaft.
3
Zur Begründung der Klage führt der Antragsteller aus, er und sein Bruder seien aufgrund eines notariellen Überlassungsvertrags vom 27. Dezember 1995, den sie mit ihren Eltern geschlossen hätten, jeweils zur Hälfte Miteigentümer des Anwesens in M.. Nießbraucherin sei nach dem Tod des Vaters bis zu ihrem Versterben am 14. Dezember 2023 zuletzt allein die Mutter des Antragstellers und seines Bruders gewesen. Die Antragsgegner seien die Abkömmlinge seines Bruders und Erben nach seiner und seines Bruders Mutter (Erblasserin). Anders als das Anwesen gehöre ein bei der … M. geführtes Girokonto mit der Kontonummer … zum Nachlass. Auf dem Konto hätten die Antragsgegner seit dem Versterben der Erblasserin sämtliche Mieteinnahmen aus dem Anwesen vereinnahmt, obwohl diese seit dem 14. Dezember 2023 ausschließlich den Miteigentümern, also ihm, dem Antragsteller, und seinem Bruder jeweils zur Hälfte zugestanden hätten. Außergerichtlich sei er, der Antragsteller, bemüht gewesen, mit der Antragsgegnerin zu 1), die auch seinen Bruder vertrete, seinen Auszahlungsanspruch gegenüber der Erbengemeinschaft einvernehmlich zu regeln. Eine Einigung sei jedoch nicht zustande gekommen. Ihm stehe ein „Auszahlungsanspruch der Früchte“ gemäß § 743 Abs. 1 BGB abzüglich der mit dem Anwesen verbundenen Ausgaben, die bereits von dem Konto abgebucht worden seien, in Höhe der Hälfte des Betrags von 108.361,12 € („Kontostand des Kto: …“) zu. Es sei außerdem zu Unrecht von den Antragsgegnern am 20. November 2024 eine „Abverfügung“ von dem Girokonto in Höhe von 34.013,78 € auf ein Sparkonto „…“ vorgenommen worden, bei dem es sich um das „Kautionskonto der Mieter des Anwesens“ handele. Von diesem Betrag sei ein hälftiger Anteil in Höhe von 17.006,89 € an ihn zu bezahlen. Abzüglich anerkannter Gegenansprüche der Antragsgegner in Höhe von 3.412,13 € ergebe sich die streitgegenständliche Klagesumme.
4
Mit Schriftsatz vom 16. März 2025 hat der Antragsteller beim Bayerischen Obersten Landesgericht beantragt, das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen und das Landgericht Memmingen zu benennen. Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand sei nicht begründet. Da zwei der Antragsgegner ihren Wohnsitz in Me. hätten und dort die von den Antragsgegnern beauftragte Rechtsanwaltskanzlei ihren Sitz habe, werde gebeten, für die Klage das Landgericht Memmingen als zuständiges Gericht zu bestimmen.
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Die Antragsgegner sind im Bestimmungsverfahren angehört worden. Sie haben mitgeteilt, dass von einer örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen ausgegangen werde. Zwei der Antragsgegner hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt und die Antragsgegnerin zu 3) noch immer ihren Zweitwohnsitz in Me. . Das Landgericht Memmingen werde als das sachnächste Gericht erachtet.
II.
6
Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht Memmingen als das für den Rechtsstreit örtlich zuständige Gericht.
7
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig (§ 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO), weil die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Hamburg) haben, sodass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist. Die Anmeldung eines Zweitwohnsitzes führt noch nicht zu der Bewertung, dass die Antragsgegnerin zu 3) ihren allgemeinen Gerichtsstand nach § 13 ZPO i. V. m. § 7 Abs. 2 BGB auch in Me. begründet hätte. Die Anmeldung kann zwar ein Beweisanzeichen sein. Der bloße Hinweis auf die melderechtlichen Gegebenheiten legt aber noch nicht die Annahme nahe, dass neben Hamburg auch dieser Ort den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Antragsgegnerin zu 3) bildet (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 1990, XII ARZ 1/90, NJW-RR 1990, 506 [juris Rn. 6]; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 1988, AR 1 Z 75/88, NJW-RR 1989, 262 [juris Rn. 11]; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Oktober 2019, 32 SA 64/19, juris Rn. 36; Ellenberger in Grüneberg, BGB, 84. Aufl. 2025, § 7 Rn. 7; Roth in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 13 Rn. 3, 5).
8
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
9
a) Der Antrag auf Bestimmung des Landgerichts Memmingen wird lediglich als Anregung verstanden, denn die Auswahl im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO obliegt dem bestimmenden Gericht, das seine Entscheidung nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie trifft (BGH, Urt. v. 16. Mai 2017, XI ZR 586/15, NJW 2017, 2340 Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 19. August 2022, 102 AR 77/22, juris Rn. 8).
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b) Die Antragsgegner sind nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 28) Vortrag des Antragstellers hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche Streitgenossen im Sinne der §§ 59, 60 ZPO. Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, MDR 2018, 951 Rn. 12). Dies ist hinsichtlich der Beträge, die von den Antragsgegnern als Gesamtschuldnern verlangt werden, weil die Antragsgegner unberechtigt in Vermögenspositionen des Antragstellers eingegriffen haben sollen, der Fall. Es genügt die schlüssige Behauptung der Streitgenossenschaft. Auf die Schlüssigkeit der Klage im Übrigen kommt es bei der Prüfung einer Streitgenossenschaft nicht an (BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 20; Beschluss vom 10. Juni 2020, 1 AR 39/20, juris Rn. 34; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 28).
11
c) Die Voraussetzungen für das Bestehen eines gemeinsamen Gerichtsstands sind nicht schlüssig dargetan.
12
aa) Soweit der Antragsteller meint, die Antragsgegner seien gemäß § 743 Abs. 1 BGB zur Zahlung verpflichtet, obwohl er zugleich vorbringt, dass nicht die Antragsgegner Miteigentümer des Anwesens seien, sondern sein Bruder (und er), hätte ein gegen die Antragsgegner gerichteter Anspruch auf Früchte – dessen Bestehen lediglich unterstellt – schuldrechtlichen und keinen dinglichen Charakter (vgl. BGH, Urt. v. 25. September 1997, II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 [juris Rn. 11]). Da vorliegend eine vertragliche Regelung zwischen den Bruchteilseigentümern weder vorgetragen wurde noch ersichtlich ist, wären Gerichtsstände aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis des § 743 Abs. 1 BGB (vgl. Fehrenbacher in BeckOGK, Stand: 1. März 2025, BGB § 748 Rn. 3 zum Innenausgleich unter den Teilhabern im Hinblick auf die Lasten und Kosten) nur an den Wohnsitzen der Antragsgegner begründet (§§ 12, 13 ZPO).
13
bb) Es besteht auch keine ausschließliche örtliche Zuständigkeit gemäß § 29a ZPO am Ort der Belegenheit des vermieteten Anwesens in München, da die Klage keine Streitigkeit über Ansprüche aus einem Mietverhältnis, sondern die Auszahlung eines Teils der bereits vereinnahmten Mieten von den Antragsgegnern an den Antragsteller betrifft.
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cc) Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand nach § 28 ZPO im erweiterten Gerichtsstand der Erbschaft kommt nicht in Betracht, da der Rechtsstreit keine Nachlassverbindlichkeiten zum Gegenstand hat.
15
dd) Soweit Ansprüche aus § 687 Abs. 2, §§ 677, 678, 681, 667 BGB wegen unberechtigten Eingriffs in die Rechtssphäre des Antragstellers, wegen Eingriffskondiktion oder deliktischer Handlungen gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit strafrechtlichen Bestimmungen grundsätzlich in Erwägung zu ziehen sein könnten, ist im vorliegenden Bestimmungsverfahren auch kein gemeinschaftlicher Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO festzustellen (zur Geltung des § 32 ZPO für Ansprüche aus § 687 Abs. 2 BGB: OLG Hamm, Beschluss vom 10. Oktober 2022, 22 U 46/02, juris Rn. 36 f.; zur Geltung des § 32 ZPO für Ansprüche aus Eingriffskondiktion: OLG München, Beschluss vom 23. März 2023, 29 U 3365/17, juris Rn. 62 m. w. N; offengelassen BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 2020, 1 AR 14/20, juris Rn. 26). Das Tatsachenvorbringen des Antragstellers bietet keine hinreichende Grundlage für eine zuverlässige Bewertung dahin, dass sich eine Haftung der Antragsgegner aus den genannten Anspruchsgrundlagen ergeben könnte. Es werden keine Tatsachen behauptet, aus denen sich – ihre Richtigkeit unterstellt – bei zutreffender rechtlicher Würdigung das Vorliegen einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 32 ZPO als Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche schlüssig ergäbe. Die Verwirklichung von Straftatbeständen wird bereits nicht behauptet. Das bloße Vorbringen, „Geldguthaben“ würden „derzeit“ „zu Unrecht“ verwaltet und die noch streitgegenständlichen Mieteinnahmen seien während laufender Vergleichsverhandlungen unter Einbeziehung auch der Interessen des Bruders des Antragstellers sowie nach Verrechnung von im Rahmen der Einigungsbemühungen geltend gemachten Ansprüchen mit Ansprüchen des Antragstellers „zu Unrecht“ vereinnahmt worden, trägt nicht hinreichend sicher die Annahme einer Geschäftsanmaßung der Antragsgegner im Sinne des § 687 Abs. 2 BGB. Entsprechendes gilt, soweit vorgetragen wird, es sei eine Überweisung „zu Unrecht“ vorgenommen worden und es habe „bis heute“ „keine Einigung“ zur Errichtung eines neuen Kontos für die Hausverwaltung „gefunden werden [können]“. Der pauschale Vortrag des Antragstellers kann auch nicht zuverlässig dahin bewertet werden, die Antragsgegner hätten rechtswidrig in die Sphäre gerade des Antragstellers eingegriffen und dadurch „in sonstiger Weise“ ohne rechtlichen Grund etwas auf Kosten des Antragstellers erlangt. Im Hinblick auf Zahlungen der Mieter auf das Girokonto der Erbengemeinschaft könnte außerdem der Vorrang der Leistungskondiktion (der Mieter gegen die Antragsgegner) gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB vor der Nichtleistungskondiktion (des Antragstellers gegen die Antragsgegner) nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu beachten sein. Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO ist damit nicht schlüssig dargetan.
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ee) Für Ansprüche aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis einer Geschäftsführung ohne Auftrag wären Gerichtsstände lediglich an den allgemeinen Gerichtsständen der Antragsgegner begründet, §§ 12, 13 ZPO (BayObLG, Beschluss vom 30. Oktober 1980, Allg. Reg. 101/80, MDR 1981, 233; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 13).
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3. Der Senat bestimmt das Landgericht Memmingen als das für den Rechtsstreit örtlich zuständige Gericht.
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Die Auswahl erfolgt nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit (Sachdienlichkeit) und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei das bestimmende Gericht ein Auswahlermessen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2008, 1 BvR 2788/08, NJW 2009, 907 [juris Rn. 12] m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 3. August 2023, 102 AR 132/23 e, juris Rn. 23; Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 39; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 29 m. w. N).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen wählt der Senat das Landgericht Memmingen, in dessen Bezirk die Antragsgegner zu 1) und zu 2) ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Die in H. wohnhafte Antragsgegnerin zu 3) hat sich mit der Bestimmung des Landgerichts Memmingen als zuständiges Gericht einverstanden erklärt. Dieses Einverständnis der von der Auswahl benachteiligten Partei hat bei der Gerichtsstandsbestimmung regelmäßig maßgebliche Bedeutung. Denn mit den Regelungen über die allgemeinen Gerichtsstände hat der Gesetzgeber eine auch am Gerechtigkeitsgedanken orientierte prozessuale Lastenverteilung vorgenommen (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 2; Roth in Stein, ZPO, vor § 12 Rn. 3 sowie § 12 Rn. 2). Ist einer der Streitgenossen bereit, auf die damit für ihn verbundene Erleichterung zu verzichten, ist dies bei der Auswahlentscheidung regelmäßig zu beachten (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26. Mai 2023, 101 AR 157/22, VersR 2024, 1234 [juris Rn. 69]).