Inhalt

LG München II, Endurteil v. 28.01.2025 – 1 O 3941/23
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch nach Impfung mit Comirnaty

Normenkette:
AMG § 84, § 84a
Leitsätze:
1. Wie beim Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG so gilt entsprechend § 84 Abs. 2 S. 2 AMG auch für den Auskunftsanspruch nach § 84a AMG, dass die Klägerin den gesamten Lebenssachverhalt vortragen muss, der zur Beurteilung der Verbindung zwischen der Arzneimittelverwendung und dem eingetretenen Schaden von Bedeutung ist. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG besteht nur, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, und zwar hinausgehend über ein Maß, das nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbar ist. Die medizinische Vertretbarkeit in diesem Sinne ist gewahrt, wenn der therapeutische Wert die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels überwiegt. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den Arzneimittelanwender trifft sowohl im Rahmen des Auskunftsanspruchs, wie auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach § 84 AMG eine erweiterte Darlegungslast. Daher muss der Arzneimittelanwender den gesamten Lebenssachverhalt vortragen, der zu Beurteilung der Verbindung zwischen der Arzneimittelverwendung und dem eingetretenen Schaden von Bedeutung ist. (Rn. 102) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Coronavirus, Nutzen-Risiko-Verhältnis, Schadensersatz, Impfstoffhaftung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 853

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Ansprüche im Zusammenhang mit einer Impfung geltend.
2
Im Jahr 2020 brach die Covid-19-Pandemie aus. Die Beklagte entwickelte zu deren Bekämpfung den Impfstoff Comirnaty. Den prüfte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Anschließend ließ die Europäische Kommission den Impfstoff am 21.12.2020 bedingt zu. Knapp zwei Jahre später, am 10.10.2022, erteilte sie die Standardzulassung.
3
Im Zusammenhang mit dieser späteren Standardzulassung teilte der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA (Committee for Medicinal Products for Human Use = CHMP) am 28.10.2022 mit: Es hätten sich während des Zeitraums der jährlichen Verlängerung neue Daten ergeben. Diese hätten jedoch keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty in der zugelassenen Indikation gehabt; genauer: Die neuen Daten hätten das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigt.
4
Die EMA als zentrale Behörde in der EU bestätigte am 30.08.2023 die Sicherheit von Comirnaty insofern, als sie der Europäischen Kommission empfahl, den auf die Covid-19-Subvariante Omikron XBB.1.5 angepassten Comirnaty-Impfstoff zuzulassen. Der CHMP erklärte, er habe alle verfügbaren Daten zu Comirnaty geprüft einschließlich der Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit.
5
Der Impfstoff Comirnaty wurde seit seiner Zulassung in Deutschland und weltweit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt. Bis Juni 2022 wurden weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht.
6
Der Klägerin erhielt am ... 11.2021 ihre erste und am ... 01.2022 ihre zweite Corona-Schutzimpfung mit dem Impfstoff Comirnaty, Ch.-B. ... und ... des Herstellers BioNTech/Pfizer.
7
Im geltenden Aufklärungsmerkblatt (Stand 01. April 2021, Anlage K15) wurde als mögliche Impfreaktion auf vier Fälle von Gesichtslähmung, auf die Möglichkeit eines anaphylaktischen Schocks sowie auf seltene Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) hingewiesen (Replik vom 16.09.2024, S. 44).
8
Wegen von der Klägerin dargelegten (bestrittenen) Beschwerden nach der zweiten Impfung (s.u.) unterzog sich die Klägerin einer Vielzahl von ärztlichen Untersuchungen.
9
Am ... 04.2022 begab sie sich zunächst zu einem Internisten und dann zu einem Lungenfacharzt.
10
Am ... 04.2022 suchte sie die Kardiologie auf. Einen Tag später wurde sie erneut beim Internisten vorstellig. Gleiches geschah am ... 05.2022.
11
Auch am ... 05.2022 suchte die Klägerin einen Kardiologen sowie ihren Hausarzt auf.
12
Am ... 05.2022 ließ sie eine radiologische Untersuchung durchführen. Am ... 05.2022 begab sie sich erneut zu ihrem Hausarzt. Am ... 06.2022 wurde sie sodann wiederholt bei einem Neurologen vorstellig.
13
Am ... 06.2022 begab sie sich zu ihrem Hausarzt und am ... 06.2022 in ein Krankenhaus. Am ... 06.2022 wurde ein MRT durchgeführt. Am ... 06.2022 unterzog sie sich einer hausärztlichen Untersuchung und suchte einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf.
14
Am ... 07.2022 wurde sie beim Lungenfacharzt vorstellig und sodann beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Am ... 07.2022 wurde ein Belastungs-EKG durchgeführt; die Besprechung fand am ... 07.2022 statt. Am ... 07.2022 suchte die Klägerin ihren Hausarzt und am ... 07.2022 einen Endokrinologen auf.
15
Im Zuge einer am ... 08.2022 durchgeführten Untersuchung wurde ein ausgeprägtes PostVac-Syndrom, Bell Skala 10-20, sowie ein positiver Nachweis gegen Autoantikörper gegen ET- und beta2-Rezeptoren festgestellt (Ambulanzarztbrief ... vom ... 08.2022, Anlage K3).
16
Wegen schweren Post-Vac-Syndroms in Form von Fatigue, Schlafstörungen, kognitiver Störung mit Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Dyspnoe und Myalgien wurde ihr die Durchführung einer Immunadsorption empfohlen (Bericht ortsübergreifende Gemeinschaftspraxis vom ... 08.2022 Anlage K4).
17
Wegen nach wie vor anhaltender Beschwerden unterzog sich die Klägerin einer am ... 01.2023 durchgeführten Untersuchung, im Rahmen derer ihr Fatigue-Syndrom, Palpitation, Belastungsdyspnoe, Konzentrationsschwierigkeiten, generalisierter Haarausfall, Gliederschmerzen, Arthralgien der Handgelenke und der Sprunggelenke, Malleolus lateralis beidseits sowie der Verdacht auf Histamin-Intoleranz diagnostiziert wurden (Bericht Praxis für Rheumatologie vom ... 01.2023, Anlage K5). Es wurde festgestellt, dass sich die Beschwerden im Rahmen eines Post-Covid-Vakzinationssyndroms erklären lassen.
18
Die Klägerin litt vor den Impfungen an Vorerkrankungen u.a. Hörsturz, Tinnitus, eine Zystitis (Blasenentzündung), eine viral bedingte Innenohrschädigung, Schwangerschaftsdiabetes und eine Hundebissverletzung (ärztlicher Bericht der ... vom ... 02.2009, Anlage K 16, S. 15 und Karteikarte der Praxis ..., Anlage K 23, S. 10 der Klage).
19
Die Klägerin behauptet, sie leide aufgrund der zweiten Impfung mit Comirnaty u. a. an Gelenk- und Gliederschmerzen, Muskel- und Knochenschmerzen, starken Rückenschmerzen, Schmerzen an den Lymphknoten, Kurzatmigkeit, Atemnot, Kreislaufproblemen, Schwindel, Fatigue (krankhafte Erschöpfung), Herzrasen, Schlafstörungen, ein die Brust betreffendes Druckgefühl, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Haarausfall, Schluckbeschwerden, Fremdkörpergefühl, Verdauungsbeschwerden, Unwohlsein, Appetitlosigkeit sowie Krämpfen (S. 4 ff., 25 und 39 der Klage).
20
Die Klägerin behauptet, sie habe unmittelbar nach Erhalt der zweiten Corona-Schutzimpfung erstmals Gelenkschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Schmerzen im Impfarm, Kurzatmigkeit, Gliederschmerzen, Muskelschmerzen betreffend Arme und Beine, Krankheitsgefühl, Kreislaufprobleme, Schmerzen an den Lymphknoten, starke Rückenschmerzen, Herzrasen und ein die Brust betreffendes Druckgefühl wahrgenommen.
21
Die Klägerin behauptet, ausweislich des Berichts der Praxis für Rheumatologie vom ... 01.2023 (Anlage K5) sei der dringende Verdacht auf ein Post-Covid-Vakzinationssyndrom festgestellt worden.
22
Die Klägerin leide auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt infolge der Corona-Schutzimpfung an Kurzatmigkeit, Atemnot, Druckgefühl, Gliederschmerzen, Schwindel, Schluckbeschwerden, Fremdkörpergefühl, Muskel- und Knochenschmerzen, Muskelzuckungen, Erschöpfung, Verdauungsbeschwerden, Unwohlsein, Kreislaufproblemen, Schlaflosigkeit, Krämpfen und Appetitlosigkeit.
23
Die Klägerin behauptet, dass sie sich nicht hätte impfen lassen, sofern sie „um die möglichen Nebenrisiken der Corona-Schutzimpfung gewusst“ hätte (Klageschrift, S. 41) und dass sie sich „gegen eine Impfung entschieden“ hätte, sofern die Beklagte eine andere Kennzeichnung der Nebenwirkungen vorgenommen hätte (Klageschrift, S. 28 f.).
24
Die Klägerin behauptet, ihr sei impfungsbedingt ein finanzieller Schaden entstanden. Seit dem ... 05.2023 sei die Klägerin aufgrund gesundheitlicher Probleme arbeitsunfähig, wodurch sie Krankengeld beziehe und gleichzeitig einen Verdienstausfall erleide, da eine geplante Erhöhung der Arbeitsstunden auf Vollzeit nach dem Ende der Elternzeit des ... Kindes nicht umgesetzt werden konnte. Zusätzlich beliefen sich die Kosten für die Behandlungsmaßnahmen im Rahmen mehrerer H.E.L.P.-Apheresen auf ca. 7.000 €, exklusive der Fahrt- und Betreuungskosten der Kinder.
25
Auch ihre Lebensqualität sei seither stark eingeschränkt. Nicht zuletzt durch das permanente allgemeine Krankheitsgefühl werde ihr Alltag erheblich beeinträchtigt.
26
Infolge der gesundheitlich erlittenen Beeinträchtigungen sei sie nicht in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Hinzu trete, dass infolge der Beschwerdesymptomatik auch die Beziehung zu ihren ... Kleinkindern stark beeinträchtigt werde.
27
Wie sich der weitere Krankheitsverlauf entwickele, sei vollkommen ungewiss. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin überhaupt keine Heilung mehr erfahren werde.
28
Es lägen keine einschlägigen Vorerkrankungen der Klägerin vor, welche die gegenwärtige Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin verursacht haben könnten.
29
Vor der Impfung sei die Klägerin gesund gewesen. Die derzeitigen Symptome seien für sie schwer erträglich. Sie wünsche nichts sehnlicher zurück, als Normalität.
30
Die Klägerin ist der (Rechts-) Ansicht, dass die Beklagte ihr aus § 84 Abs. 1 AMG Schmerzensgeld schulde, weil sie durch die Anwendung des Impfstoffes der Beklagten an seiner Gesundheit verletzt worden sei, nämlich einen Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG [Fassung vor 2024] erlitten habe, indem ihre Schädigung über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehe.
31
Die Kausalität der streitgegenständlichen Impfung für ihre Beschwerden sei hier nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG zu vermuten, weil der Impfstoff Comirnaty der Beklagten „generell schadensgeeignet“ sei. Vorliegend habe die Kläger an keinen einschlägigen Vorerkrankungen gelitten. Die jetzigen Symptome seien untypisch für Personen im Alter der Klägerin und zeitlich kurz nach der streitgegenständlichen Impfung erstmalig aufgetreten.
32
Der Impfstoff Comirnaty weise kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis auf, weder für die Gemeinschaft noch für die Klägerin im Einzelfall:
33
Es sei mangels Langzeitstudien nicht absehbar, wie sich die Impfung auf längere Zeit verhalten und welche Nebenwirkungen und Impfreaktionen sie auf lange Sicht hervorrufen könne. Die Schutzimpfung habe geringen oder sogar keinen therapeutischen Nutzen, weil sie von geringer Wirkung sei, indem sie weder vor Selbstinfektion schütze noch vor Weiterverbreitung. Auch vor schweren Verläufen der Erkrankung schütze sie wenig oder gar nicht.
34
Die Standardzulassung führe nicht zu einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis, da keine aussagekräftigen Daten vorgelegen hätten. Die Zulassung beruhe auf einem fehlerhaften Gutachten der CHMP. Im Rahmen der Zulassungsstudien sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen.
35
Die Standardzulassung habe zur Zeit der streitgegenständlichen Impfung zudem noch gar nicht vorgelegen und sei daher hier irrelevant, da es auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis zum Zeitpunkt der Impfung ankomme.
36
Davon unabhängig hätte die Standardzulassung von Oktober 2022 niemals erteilt werden dürfen. Sie berücksichtige nämlich nicht die bei der Klägerin aufgetretenen Nebenwirkungen.
37
Die Produktinformation der Beklagten habe nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprochen, die vorgelegen hätten, als die Beklagte den Impfstoff in den Verkehr gebracht habe.
38
Die Beklagte habe die Gefährlichkeit gekannt; hierauf deute zweierlei hin: Die Beklagte habe erstens in den Verträgen mit der EU einen Haftungsausschluss durchgesetzt, obwohl zweitens bereits das Gesetz (§ 3 Abs. 4 MedBVSV) die Haftung der Beklagten entschärft habe.
39
Hätte die Beklagte den Impfstoff als gefährlich gekennzeichnet, so hätte die Klägerin sich nicht impfen lassen. Ihre Gesundheitsbeschädigung beruhe daher auf der unzureichenden Information.
40
Die Klägerin vertritt weiter die Ansicht, ihr stehe daneben ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hafte nach den Grundsätzen der Produkthaftung. Die Beklagte sei nach dem Inverkehrbringen weiter verpflichtet, das Produkt zu beobachten. Daher habe die Beklagte vor spezifischen Impfnebenwirkungen warnen müssen. Entgegen dieser Verpflichtung seien jedoch Nebenwirkungen nicht an die Öffentlichkeit kommuniziert worden. Der Verharmlosung in den Medien hätte die Beklagte entgegentreten müssen.
41
Der Klägerin stehe ferner ein (klageerweiternd ins Verfahren eingeführter) Auskunftsanspruch nach § 84a AMG zu, der nicht etwa nach § 84a Abs. 1 am Ende AMG ausgeschlossen sei, denn die Auskunft sei erforderlich zur Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG bestehe: Die Auskunft sei relevant für die Bewertung des Verhältnisses zwischen Nutzen und Risiko. Auch sonst komme es darauf an, was die Beklagte zum relevanten Zeitpunkt über Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen gewusst habe, ferner über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen. Außerdem stelle erst die Auskunft eine prozessuale Waffengleichheit zwischen den Parteien her.
42
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 80.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus der Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty am ... 11.2021 und ... 01.2022 entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine monatliche Geldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, bis zur Vollendung des Renteneintrittsalters zu zahlen.
4.
Die Beklagte zu verurteilen, Auskunft zu erteilen übera.
a. zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Impfstoffs Comirnaty sowie der streitgegenständlichen Charge Ch.-B.: ... bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen soweit diese Post-Vac-Symptome, Kurzatmigkeit, Gliederschmerzen, Muskelzuckungen, Verdauungsbeschwerden, Kreislaufprobleme, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit betreffen,
b. sowie ihr bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen die in ihrem Schadensbild den bei der Klägerin aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen vergleichbar sind,
c. über sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit der bei der Klägerin eingetretenen schädlichen Wirkungen des Impfstoffes Comirnaty von Bedeutung sein können,
d. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die Erkenntnisse liefern über Vergleichbarkeit und Unterschiede des „process 1“ und „process 2“, insbesondere in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des nach dem jeweiligen Prozedere hergestellten Impfstoffes Comirnaty,
e. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Charge Ch.-B.: ... angefertigt wurden, insbesondere jene, die sich auf die Aussagen über Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Chargen beziehen.
43
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
44
Die Beklagte behauptet, das „Post-Vac-Syndrom“ sei kein wissenschaftlich klar definiertes Krankheitsbild, sondern eine Sammelbezeichnung für unterschiedlichste Symptome. Diese deckten sich im wesentlichen mit denjenigen, die unter der Bezeichnung „Long-COVID-Syndrom“ erörtert würden.
45
Wie die behandelnden Ärzte auf „Post-Vac-Syndrom“ als Diagnose kommen, sei unklar.
46
Die Klägerin müsse in Arzneihaftungsmittelsachen dazu vortragen, wie ihr Gesundheitszustand vor der Impfung gewesen sei, also welche Grund- und Parallelerkrankungen sie gehabt habe, welche Risikofaktoren bei ihr bestanden hätten und welche anderen Arzneimittel sie genommen habe. Daran fehle es hier. Die Klägerin lege nicht einmal sämtliche Krankenunterlagen aus der Zeit vor der Impfung vor (Klageerwiderung Bl. 37 ff.).
47
Die Beklagten beanstandet: Die Klägerin wurde in den Monaten nach den Impfungen bei 53 verschiedenen Ärzten vorstellig (Ambulanzarztbrief der ... ... Klinik am ... vom ... .08.2022, Anlage K 19, S. 2), legte jedoch Unterlagen von insgesamt nur 15 Ärzten vor.
48
Aus dem für die Bewertung entscheidenden Zeitraum der ersten Wochen und Monate lege die Klägerin gar keine Unterlagen vor.
49
Aufgrund der unvollständigen Krankenakte sei der vorgetragene Krankheits- und Behandlungsverlauf in weiten Teilen nicht nachvollziehbar.
50
Den Anspruchsteller treffe im Arzneimittelhaftungsverfahren eine erweiterte Darlegungslast. Lege der Anspruchsteller wie hier nur unvollständige Krankenunterlagen vor, sei sein Vortrag nicht substantiiert. Auch das von den Klägervertretern auf Seite 10 der Klageschrift als Beweis angebotene Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, den Vortrag der Klägerin zu belegen und als bloßer Beweisermittlungsantrag zurückzuweisen. Es bestehe im vorliegenden Fall kein Anlass für die klägerseits angeregte Beweiserhebung. Die Klägerin komme hinsichtlich der von ihr behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen schon ihrer Darlegungspflicht nicht nach. Ohne einen vollständigen und nachvollziehbaren Vortrag zur Krankengeschichte sowie der Einführung vollständiger Krankenunterlagen in den Prozess fehle es jedoch an den notwendigen Anknüpfungstatsachen für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Mangels ausreichender Tatsachengrundlage würde die Beauftragung eines Sachverständigen eine unzulässige Ausforschung darstellen. Vor diesem Hintergrund müsse die Beklagte bereits aus prozessualer Vorsicht mit Nichtwissen bestreiten, dass die Klägerin seit den Impfungen überhaupt an den behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Form von Kreislaufproblemen, starken Rückenschmerzen, Herzrasen, geschwollenen Lymphknoten, einem Fremdkörpergefühl, Schluckbeschwerden, Schwindel, einer kognitiven Störung, einem die Brust betreffenden Druckgefühl, Muskelzuckungen, Verdauungsbeschwerden, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen leide (Klageschrift, S. 4 ff., 25 und 39). Die Klägerin lege hierzu keine medizinischen Belege vor. Die in den Behandlungsunterlagen teilweise wiedergegebenen Eigenschilderungen der Klägerin stellten gerade keinen validen Beleg dar. Anamnestische Angaben seien prozessual als einfacher Klägervortrag zu werten und somit beweispflichtig. Ihrer Beweispflicht sei die Klägerin allerdings nicht nachgekommen (Im Einzelnen: Klageerwiderung Bl. 40ff).
51
Als Ursache der von der Klägerin geschilderten Symptome komme – abseits der streitgegenständlichen Impfung – gleich mehrerlei in Betracht:
- Psychische Ursachen
- Asthma bronchiale
- Blockierungen der Brustwirbelsäule
- Reizdarmsyndrom
- Coronavirus-Infektion
52
Schon die allgemeine These der Klägerin, dass der streitgegenständliche Impfstoff „generell schadensgeeignet“ sei, stimme nicht: Es gebe nach dem Stand der Wissenschaft keine Anhaltspunkte dafür, dass Comirnaty zum Fatigue-Syndrom führe, und die beschriebenen Beschwerden auslöse.
53
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty sei positiv, d.h. der Nutzen überwiege deutlich die Risiken. Das sei vom EMA und durch die Europäische Kommission geprüft. Der Impfstoff werde auch fortwährend auf Sicherheit und Nebenwirkungen überwacht. Während der zur Zeit der streitgegenständlichen Impfung geltenden vorläufigen Zulassung seien keine Daten zutage getreten, die Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis hätten haben können. Die Zulassung habe als Verwaltungsakt Tatbestandswirkung auch im Zivilprozess und sei nicht vom Landgericht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
54
Die Fach- und Gebrauchsinformationen hätten zu jeder Zeit dem Stand der Wissenschaft entsprochen und seien mit den Zulassungsbehörden abgestimmt gewesen.
55
Einen Auskunftsanspruch (§ 84a Abs. 1 S. 1 AMG) habe die Klägerin nicht. Auskunft sei nicht nötig, um den Schadensersatzanspruch der Klägerin zu prüfen, da dieser unabhängig von der erstrebten Auskunft unbegründet sei.
56
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2024 (Bl. 362/364 d.A.).

Entscheidungsgründe

A.
57
Die zulässige Klage ist unbegründet.
58
I. Der Auskunftsanspruch nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG besteht nicht:
59
I.1. Es fehlt bereits an der Voraussetzung des § 84 Abs. 1 S. 1 1. Hs AMG:
60
Die Annahme, dass die streitgegenständliche Impfung die beklagten Beschwerden verursacht habe, ist nicht begründet im Sinne einer hierfür nötigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BeckOGK/Franzki, AMG § 84a Rn 12 f).
61
I.1.a. Schon die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen sind im Rahmen der hier gebotenen Plausibilitätskontrolle dahin zu werten, dass für die o.g. Annahme nicht mehr spricht als für ihr Gegenteil.
62
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin, wie dargelegt, in der Zeit nach der streitgegenständlichen Impfung häufig ärztlichen Rat aufgesucht hat und Symptome eines „chronischen Fatigue-Syndroms“ und eines „Post-Vac-Syndroms“ aufgewiesen hat, als da wären u.a.: Gelenkschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Schmerzen im Impfarm, Kurzatmigkeit, Gliederschmerzen, Muskelschmerzen betreffend Arme und Beine, Krankheitsgefühl, Kreislaufprobleme, Schmerzen an den Lymphknoten, starke Rückenschmerzen, Herzrasen und ein die Brust betreffendes Druckgefühl.
63
All diese Beschwerden sind jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich durch die streitgegenständliche Impfung verursacht.
64
Denn schon die vorgelegten Patientenunterlagen der Klägerin zeigen, dass einige Diagnosen gestellt wurden, aus denen sich auch die vorgenannten Symptome erklären lassen. Mehrere behandelnde Ärzte haben andere Ursachen als kausal für die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingestuft.
Psychische Ursachen
65
Mehrere behandelnde Ärzte sind ausweislich der vorgelegten Unterlagen der Auffassung, dass eine psychische Erkrankung der Klägerin ursächlich für die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist. So kommt Frau Dr. ... in ihrem Befundbericht vom ... 01.2023 zu nachfolgender Schlussfolgerung und empfiehlt eine Gesprächstherapie: „Unter Zusammenschau der Befunde gehe ich am ehesten von einem psychosomatischen Syndrom mit Schwäche, Erschöpfung, Schwindel und vegetativer Dysregulation aus.“ (Anlage K 30, S. 3). Ebenso merkt Herr Dr. ... in dem ärztlichen Bericht der Gemeinschaftspraxis Orthopädie vom ... 09.2022 an, dass eine somatische Ursache nicht erkennbar ist (Anlage K 16, S. 5). Diese Wortwahl legt im Umkehrschluss nahe, dass Herr Dr. psychische Ursachen für wahrscheinlich hält. Auch der Hausarzt Dr. ... diagnostiziert am .09.2022 eine „gesicherte psychologische Belastung“ (Anlage K 23, S. 13). Dr. geht von „emotionale[r]/“psychische[r]“ (Mit-)Ursächlichkeit und einem Erschöpfungssyndrom aus (Schreiben der Praxisgemeinschaft für Kardiologie, Innere Medizin und Allgemeinmedizin vom ... 07.2023, Anlage K 27.1, S. 5). Aus dem Ambulanzarztbrief der ...kliniken, Klinik am ... vom .... 08.2022 ist zudem ersichtlich, dass keine organische Ursache gefunden und der Klägerin „die stationäre Einweisung in eine Psychiatrie“ empfohlen wurde (Anlage K 19, S. 2). Daneben ist auffällig, dass die Klägerin in dem Zeitraum nach der zweiten Impfung am .01.2022 bis zu der Vorstellung in der kliniken, Klinik am ... rund acht Monate später am ... 08.2022 wohl bei 53 (!) verschiedenen Ärzten vorstellig wurde (Anlage K 19, S. 2). Zudem involvierte sie im Jahre 2022 zeitgleich parallel zueinander die Hausärzte Dr. ... Dr. ...  Dr. ... Dr. ... Dr. ... und die Hausärzte ... (siehe etwa Anlage K 17, S. 2, Anlage K 23, S. 11, Anlage K 27.1, Anlage K 22, S. 2 und Anlage K 25, S. 6). Im Rahmen dieser bereits per se auffälligen Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen konnten die meisten der konsultierten Ärzte keine körperlichen Erkrankungen der Klägerin feststellen. Bei einer Gesamtwürdigung der vorgenannten Umstände, der vorgelegten ärztlichen Einschätzungen, des exzessiven „Ärztehoppings“ sowie des Umstandes, dass bei den meisten Konsultationen eine organische Ursache der Beschwerden nicht gefunden werden konnte, stellt sich für die Kammer die Möglichkeit psychischer Ursachen für die geklagten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als durchaus naheliegend dar.
Asthma bronchiale
66
In dem Schreiben der ... Klinik ... vom ... 04.2022 wird ein Asthma bronchiale (chronische Erkrankung der Atemwege) diagnostiziert (Anlage K 16, S. 6). Diese Erkrankung kann die Ursache für die geschilderte Belastungsdyspnoe (Kurzatmigkeit, die bei Aktivität oder bei Stress auftritt), das Druckgefühl in der Brust, das allgemeine Krankheitsgefühl und die Erschöpfung sein.
Blockierungen der Brustwirbelsäule
67
In dem Arztbericht der Gemeinschaftspraxis Orthopädie ... vom ... 09.2022 werden Blockierungen der Brustwirbelsäule diagnostiziert (Anlage K 6, S. 3). Diese Blockierungen kommen als naheliegende Alternativursache für die von der Klägerin geltend gemachten Rückenschmerzen, Brustschmerzen und den Druck auf der Brust in Frage.
Reizdarmsyndrom
68
Anamnestisch wird in dem Arztbericht der Neuropraxis ... vom ... 01.2023 ein Wechsel von Durchfall und Obstipation (Verstopfung) beschrieben (Anlage K 30, S. 2). Außerdem wurden im September 2022 Übelkeit und Gewichtsabnahme diagnostiziert (Karteikarte der Praxis Dr. ... , Anlage K 23, S. 12 f.). Diese Symptome passen zu einem Reizdarmsyndrom. Ein Reizdarmsyndrom kommt als Alternativursache für die empfundene Müdigkeit, das allgemeine Krankheitsgefühl und die Erschöpfung in Frage. In dem Laborbefund der Rheumapraxis ... vom ... 01.2023 ist die Klägerin positiv auf Yersinien Bakterien getestet worden (Anlage K 29, S. 5). Yersinien können typischerweise ein Reizdarmsyndrom auslösen. Weitere Untersuchungen dazu, etwa in Form von Stuhlproben, sind aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich.
Coronavirus-Infektion
69
Schließlich ist es auch durchaus wahrscheinlich, dass sich die Klägerin in der Hochphase der Pandemie mit dem Coronavirus infiziert hat. Einige der vorgetragenen Beeinträchtigungen wie Herz- und Lungenbeschwerden und der Bluthochdruck stellen mögliche Spätfolgen einer (ggf. nicht erkannten) Coronavirus-Infektion bzw. mögliche Long-COVID-Symptome dar. Die Klägerin erwähnte zwar gegenüber einem Arzt, sie wäre nie an COVID erkrankt gewesen (Ambulanzarztbrief der ... ... Klinik am ... vom ... 08.2022, Anlage K 19, S. 2), legt aber hierzu im Verfahren keine Nachweise wie einen Corona Antikörper Test (Nucleocapsid Antikörper) vor. Vortrag und Belege zu einer (nicht erfolgten) Coronavirus-Infektion fehlen.
70
Diese Diagnosen sind somit geeignet, von der Klägerin geschilderte Symptome zu erklären.
71
Dass diese vom Impfstoff der Beklagten herrühren könnten, ist allenfalls gleich wahrscheinlich (nicht: überwiegend wahrscheinlich) wie eine von der Impfung unabhängige Ursache.
72
Die medizinischen Unterlagen, in denen ein kausaler Zusammenhang zu den Impfungen und damit dem streitgegenständlichen Impfstoff hergestellt wird, sind überwiegend nicht belastbar. In sämtlichen Unterlagen fehlen ein körperlicher Untersuchungsbefund und eine Beschreibung diagnostischer Maßnahmen, die die Diagnose im Fall der Klägerin rechtfertigen. So ist in der Bescheinigung über die Notwendigkeit von Haushaltshilfe des Allgemeinmediziners Dr. ... vom ... 06.2023 die Diagnose „Post Vac Syndrom“ festgehalten (Anlage K 25, S. 16). Wie der Arzt – beinahe anderthalb Jahre nach den Impfungen – zu dieser Diagnose gelangt ist, wird nicht erläutert. In dem Schreiben der ... ... Klinik am ... 08.2022 wird die Diagnose „PostVac-Syndrom“ damit begründet, dass der Autoantikörper-Wert erhöht sei (Anlage K 3, S. 3). Dies wäre nur bei PostCovid oder „PostVac-Patienten“ der Fall. Da die Klägerin behauptet, sie wäre „nie an Covid erkrankt gewesen“ (Anlage K 3, S. 2), schlussfolgert der Kardiologe Dr. ... offenbar, dass (alternativ) die Impfung/en ursächlich sein müsste/n. Eine solche Vorgehensweise ist wissenschaftlich nicht fundiert. Die ungeprüfte Übernahme der anamnestischen Angaben der Klägerin ist, gerade angesichts der aufgezeigten Widersprüche, nicht angezeigt. Auch dieser mehr als sieben Monate nach der zweiten Impfung erstellte Arztbericht enthält keinen körperlichen Untersuchungsbefund und – abgesehen von der Laboruntersuchung – keine Beschreibung diagnostischer Maßnahmen.
73
Dr. ... der „unerwünschte Nebenwirkungen“ des Impfstoffes vermutet (Schreiben der Praxisgemeinschaft für Kardiologie, Innere Medizin und Allgemeinmedizin vom 19.07.2023, Anlage K 27.1, S. 1), stützt seine Diagnose ausschließlich auf Untersuchungsmethoden, wie „Body Check-Up“, „NO-Messung“ und „SO-Check“. Hierbei handelt es sich nicht um etablierte Untersuchungsmethoden, so dass die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht valide nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar sind.
74
Insbesondere auch die zeitlichen Abläufe bleiben unklar. Die Klägerin legt keinerlei Behandlungsunterlagen aus den ersten drei Monaten nach der zweiten und letzten Impfung und kaum Behandlungsunterlagen aus der Zeit vor den Impfungen vor. Die ersten medizinischen Unterlagen nach den Impfungen, in denen einzelne gesundheitliche Beeinträchtigungen genannt werden, datieren vom ... 04.2022 (etwa Schreiben des Dr. ..., Anlage K 24, S. 2). Die ersten Behandlungsunterlagen, in denen ein größerer Teil der genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen diagnostiziert wurde, datieren sogar nochmals einige Monate später (etwa Schreiben der Praxis für Rheumatologie vom ... 01.2023, Anlage K 29, S. 2). Zudem macht die Klägerin widersprüchliche Angaben dazu, wann die Beeinträchtigungen angeblich erstmals aufgetreten sein sollen. In dem Ambulanzarztbrief der ... Klinik am ... vom ...08.2022 wird die Eigenschilderung der Klägerin wiedergegeben, wonach die Symptome „etwa 10 Tage nach der Zweitimpfung“ begonnen hätten (Anlage K 19, S. 2). Demgegenüber heißt es in dem Schreiben der Neurologie ... vom 09.06.2022 „Ihr gehe es seit etwa 8 Wochen nicht gut“ (Anlage K 16, S. 16). Passend dazu wird im Schreiben der Kardiologie ... vom ... 05.2022 wiedergegeben, dass „in den letzten Wochen“ Erschöpfungszustände und Gefühle der Kurzatmigkeit aufgetreten seien (Anlage K 17, S. 4). Demnach sind die Beeinträchtigungen erst seit Mitte oder Ende April 2022 und damit rund vier Monate nach der ersten und mehr als drei Monate nach der zweiten Impfung aufgetreten. Dies erklärt auch, weshalb die Klägerin offenbar in den ersten Wochen und Monaten nach den Impfungen – entgegen ihren Angaben – keine Ärzte aufgesucht hat.
75
Die ersten vorgelegten Behandlungsunterlagen datieren, wie oben dargelegt, ab dem ... 04.2022 (Anlage K16, S. 6 und Anlage K 23 sowie Anlage K 24, S. 2) und damit exakt in dem Zeitraum, der sich aus den Angaben in dem Ambulanzarztbrief der ..., Klinik am vom ... 08.2022 und dem Schreiben der Neurologie ... vom ... 06.2022 ergibt. Dass bei der Klägerin gesundheitliche Beeinträchtigungen „unmittelbar“ im Anschluss an die Impfungen aufgetreten seien, ist damit nicht nachvollziehbar. Ein zeitlicher Zusammenhang erlaubt ohnehin für sich genommen nicht ohne Weiteres einen Rückschluss auf einen Kausalzusammenhang (Brock in Kügel/Müller/Hoffmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 84 Rn. 45).
76
Diese Faktoren sprechen nicht (überwiegend) für eine Kausalität der Impfungen für die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und schließen erst recht eine Kausalitätsvermutung aus. Die vorgelegten Unterlagen (und damit der Vortrag) reichen nicht aus, um die von den Beklagten begründete Darlegung zu widerlegen, dass die Klägerin bereits vor den Impfungen dieselben Beschwerden oder zumindest Vorerkrankungen hatte, die ursächlich für die jetzt geklagten Beschwerden sind.
77
I.1.b. Abgesehen davon ist die Klägerin ihrer aus § 138 ZPO folgenden – sekundären – Darlegungslast nicht vollständig nachgekommen. Die Frage einer Kausalität zwischen der Anwendung eines Arzneimittels und einer Rechtsgutsverletzung ist Gegenstand der Regelung in § 84 Abs. 2 AMG. Nach S. 1 dieser Vorschrift wird vermutet, dass der Schaden durch ein angewendetes Arzneimittel verursacht wurde, wenn es nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Dabei sind in § 84 Abs. 2 S. 2 AMG beispielhaft Umstände genannt, die für diese Beurteilung eine Rolle spielen können. Diese Umstände einer Schadenseignung im Einzelfall muss der Anspruchsteller darlegen und beweisen. Dazu gehören insbesondere auch Ausführungen zum Gesundheitszustand vor, während und nach der Anwendung des Arzneimittels, unabhängig davon, ob diese für oder gegen eine Schadensverursachung sprechen. Im Rahmen dieser Darlegungslast ist es grundsätzlich erforderlich, Krankenunterlagen vorzulegen. Relevant sind nicht nur Krankenunterlagen, die Informationen über die vorgetragenen Schadensfolgen enthalten. Erforderlich ist darüber hinaus die Vorlage aller Krankenunterlagen, in denen über Parallelerkrankungen, Lebensumstände und sonstige Risikofaktoren berichtet wird.
78
Die Klägerin war seit mindestens 2005 in der Praxis ... in Behandlung (vgl. Arztbrief Kl. FFB vom ... 01.2005 = S. 12 der als Anlage K 16 vorgelegten BU der Praxis ... . Von dieser Praxis fehlt aber jede Verlaufsdokumentation. Auch die Unterlagen der hausärztlichen Praxis Dr. ... (K 25) wurden vollständig ohne Behandlungsunterlagen vorgelegt.
79
Das Fehlen der Verlaufsdokumentation wurde mit Verfügung vom 29.04.2024 gerügt.
80
Mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.06.2024 wurde das Dokument. „Korrektur_1-18_Allgemeinarzt“ von Dr. ... (wohl Praxis ...) vorgelegt, welches aber nur S. 1-4 von 41 aus der Verlaufsdokumentation enthält – alle Einträge von vor 2016 wurden nicht vorgelegt (obwohl sie vom Arzt sogar wohl ausgedruckt waren – ausweislich des Aufdrucks „S. … von 41“).
81
Ähnlich verhält es sich mit K 27_2: Ab S. 10 folgen angeblich weitere 40 Seiten Behandlungsunterlagen, von welchen dann aber nur 11 Seiten vorgelegt wurden.
82
Mit Beschluss vom 15.10.2024 hat das Gericht – erneut – Beibringungsfrist gesetzt. Weitere Behandlungsunterlagen wurden jedoch nicht vorgelegt, obwohl die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.11.2024 auf die fehlenden Behandlungsunterlagen hinwies.
83
Hier fehlen teilweise Unterlagen zu Behandlungen, die vor dem Jahr 2021 stattfanden. Die überwiegende Mehrzahl der bisher vorgelegten Unterlagen stammt – soweit ersichtlich – aus dem Jahr 2022, mit Ausnahme z.B. Anlage K16.
84
Der Klägerin obliegt die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich ihres gesundheitlichen Zustands vor der Impfung, um qualifiziert auf das Vorbringen der Beklagten zu erwidern, ein anderer Umstand sei nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen (§ 84 AMG, § 138 ZPO). Wenn die Klägerin gezielt die Verlaufsdokumentation ihrer Hausärzte, welche die entscheidende Quelle für diese Prüfung darstellt, um die Einträge vor der Impfung verkürzt und trotz Beibringungsfrist nicht vorlegt, hat sie letztlich ihrer diesbezüglichen Darlegungslast nicht entsprochen.
85
Da die Klägerin nur unvollständige Kranken- und Behandlungsunterlagen vorlegt, kann die Beklagte wiederum nicht weiter zu möglichen Alternativursachen vortragen. Da aktuelle medizinische Unterlagen fehlen, kann die weitere gesundheitliche Entwicklung der Klägerin bis zum heutigen Tage nicht beurteilt werden.
86
I.1.c. Von der Klägerin ist zudem nicht substantiiert dargelegt worden, dass ihr ein Schaden entstanden ist und dass der Klägerin aufgrund der Impfungen materielle Schäden entstanden sein sollen (Klageschrift, Klageantrag Ziffer 2.).
87
Wie beim Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG so gilt entsprechend § 84 Abs. 2 S. 2 AMG auch für den Auskunftsanspruch nach § 84a AMG, dass die Klägerin den gesamten Lebenssachverhalt vortragen muss, der zur Beurteilung der Verbindung zwischen der Arzneimittelverwendung und dem eingetretenen Schaden von Bedeutung ist. Denn über Umstände, die in der Sphäre der Klägerin liegen, kann die Beklagte nichts wissen und auch keine Kenntnis erlangen, weil sie keinen eigenen Auskunftsanspruch hat (BeckOGK/Franzki AMG § 84a Rn. 11).
88
I.2. Unabhängig davon ist die Auskunft auch nicht erforderlich:
89
Der Auskunftsanspruch scheidet mangels Erforderlichkeit aus, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits im Rahmen der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs andere schadensgeeignete Umstände gemäß § 84 Abs. 2 S. 3 AMG darlegen und beweisen kann. Der Auskunftsanspruch ist schließlich nur dazu da, der Klägerin (= Arzneimittelanwenderin) die Informationen zu verschaffen, die sie braucht, um der Beklagten (= Herstellerin) die Schadensgeeignetheit des Arzneimittels nachzuweisen und damit die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG auszulösen.
90
Diese ist aber ohnehin (nach § 84 Abs. 2 S. 3 AMG) dann ausgeschlossen, wenn der Hersteller andere schadensgeeignete Umstände nachweist, etwa Vorerkrankungen (BeckOGK/Franzki AMG § 84a Rn. 16 m.w.N.).
91
So liegt es hier, da sich bereits aus dem klägerischen Vortrag und der von ihr vorgelegten Patientenakte zahlreiche Diagnosen ablesen lassen, welche die von der Klägerin geltend gemachten Symptome hervorrufen können.
92
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG.
93
1. Dieser scheitert schon deshalb, weil der Impfstoff Comirnaty der Beklagten kein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweist.
94
Eine Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG besteht nur, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, und zwar hinausgehend über ein Maß, das nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbar ist. Die medizinische Vertretbarkeit in diesem Sinne ist gewahrt, wenn der therapeutische Wert die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels überwiegt. Prüft man das, so ist nicht nur auf die im konkreten Fall eingetretenen Schäden abzustellen, sondern abstrakt abzuwägen zwischen Nutzen und Risiko, folglich sind sämtliche schädlichen Wirkungen zu erfassen (BeckOGK/Franzki, AMG § 84 Rn. 83 m.w.N.).
95
Die Zulassungsentscheidung hat, wie jeder Verwaltungsakt, grundsätzlich Bindungswirkung (= Tatbestandswirkung) nach folgendem Grundsatz: Erlässt die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt (beispielsweise: genehmigt), so sei die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen, solange und soweit der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben wurde oder nichtig ist.
96
Der Umfang der Tatbestandswirkung richtet sich nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsakts und ergänzend nach den ihm zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen.
97
Hiervon ausgehend trägt die Genehmigung bereits die Feststellung in sich, dass Comirnaty aufgrund eines günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses arzneimittelrechtlich unbedenklich ist, auch wenn die klägerische behaupteten Beschwerden auftreten können. Wäre es anders, so hätte die Genehmigung nach Art. 26 RL 2001/83/EG ebenso wie nach deutschem Recht nach § 25 Abs. 2 AMG versagt werden müssen; LG Frankfurt/Main 12 O 264/22 Rz.70 ff.; LG Düsseldorf 3 O 60/23 Rz. 39 f.).
98
Daher kann ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis im Hinblick auf die mit dem Fatigue-Syndrom zusammenhängenden gesundheitlichen Einschränkungen per se nicht festgestellt werden.
99
Soweit die Kläger darauf hinauswill, dass die Zulassung hätte versagt werden müssen, verfängt dies nicht: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der EMA nicht alle erforderlichen Informationen erteilt worden sind, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty zutreffend zu bewerten. Im Gegenteil hat die EMA zuletzt am 30.8.2023 ausgeführt, dass bei der Entscheidung, der Europäischen Kommission, die Zulassung zu empfehlen, das CHMP alle verfügbaren Daten zu Comirnaty und seinen anderen adaptierten Impfstoffen, einschließlich Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität (also der Fähigkeit, Immunreaktionen auszulösen) berücksichtigt hat.
100
Soweit die Klägerin die Feststellungen der europäischen Behörden angreifen und eine neue Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erreichen will, hätte sie dies allenfalls mit der Behauptung tun können, dass nach der Zulassungsentscheidung vom 01.9.2023 neue Erkenntnisse aufgetreten wären, die eine andere Zulassungsentscheidung veranlasst hätten (LGU S. 15; OLG Bamberg v. 14.08.2023 – 4 U 15/23; LG Saarbrücken, Urteil vom 01.12.2023, Az. 16 O 33/23).
101
Das behaupte die Klägerin aber nicht und trägt auch abgesehen von einer pauschalen Behauptung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, welche zu einem abweichenden Ergebnis geführt hätten, wenn man sie berücksichtigt hätte. Wenn die Klägerin meint, erst die Erteilung der geforderten Auskunft könne sie in die Lage versetzen, konkret zu neuen Erkenntnissen vortragen, reicht für den Anspruch ihre Darlegung ihres Gesundheitsverlaufs nicht aus:
102
Den Arzneimittelanwender trifft sowohl im Rahmen des Auskunftsanspruchs, wie auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach § 84 AMG eine erweiterte Darlegungslast. Daher muss der Arzneimittelanwender den gesamten Lebenssachverhalt vortragen, der zu Beurteilung der Verbindung zwischen der Arzneimittelverwendung und dem eingetretenen Schaden von Bedeutung ist (BeckOGK/Franzki, 1.11.2024, AMG § 84a Rn. 11, beck-online), was hier jedoch nicht in ausreichendem Maße erfolgt ist (s.o.).
103
Soweit die Klägerin rügt, vor der Erteilung der bedingten Zulassung seien die erforderlichen Studien nicht durchgeführt worden, kommt es hierauf vor dem Hintergrund der laufenden Überwachung, der Erteilung der Standardzulassung sowie der Zulassung für den adaptierten Impfstoff – nicht mehr an (LG Frankfurt/Main a.a.O. Rz. 86 ff.).
104
2. Auch im übrigen hat die Klägerin kein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis darlegen können. Bezüglich der Erkenntnisse, die in die Nutzen-Risiko-Abwägung eingehen, ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, abzustellen. Denn Sinn und Zweck der Arzneimittelhaftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG ist es ja, Entschädigung auch in denjenigen Fällen vorzusehen, in denen die unvertretbaren schädlichen Wirkungen ursprünglich nicht erkennbar waren.
105
Soweit es darum geht, welchen objektiven Stand die Entwicklung des streitgegenständlichen Arzneimittels (oder anderer Arzneimittel) gehabt hat, ist hingegen auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das streitgegenständliche Arzneimittel in den Verkehr gebracht wurde.
106
Das bedeutet, dass man die heutigen Erkenntnisse auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels zurück zu projizieren hat und fragen muss: „Angenommen, die schädlichen Eigenschaften wären bei der Zulassung bereits bekannt gewesen – wäre dann die Impfung angesichts der damals verfügbaren alternativen Therapiemöglichkeiten vertretbar gewesen oder hätte damals die Zulassung versagt oder später entzogen werden müssen?“ (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Auflage 2022, AMG § 84 Rn. 87 f. mwN; BeckOGK/Franzki AMG § 84 Rn 92 mwN).
107
Entscheidend ist der therapeutische Nutzen des Präparates, insbesondere der Grad der Wirksamkeit des Arzneimittels. Je ausgeprägter die Wirksamkeit des Präparates sei, je gravierender die Indikation und je geringer die Möglichkeiten einer anderen Therapie seien, desto schwerere unerwünschte Wirkungen kann man hinnehmen (Rehmann, 5. Auflage 2020, AMG- § 84 Rn. 5).
108
Dafür, dass nach diesen Maßstäben das Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht vertretbar gewesen ist, trägt die Klägerin die volle Darlegungs- und Beweislast. Die Klägerin hat weder aufzeigen können, dass Comirnaty nutzlos sei noch dass andere Bedenken hätten durchgreifen müssen:
109
3. Die Klägerin kann einen fehlenden Nutzen des Impfstoffs Comirnaty nicht darlegen und beweisen.
110
Die Klägerin behauptet zwar, dass die Schutzimpfung nur einen geringen bzw gar keinen therapeutischen Nutzen hat, weder Selbstinfektion noch Weiterverbreitung hinderte und schwere Krankheitsverläufe nicht banne. Dem ist aber entgegenzusetzen, dass es in der pandemischen Lage darum gegangen ist, das Virus, dessentwegen weltweit massenhaft Menschen gestorben und die Gesundheitssysteme zusammengebrochen oder dem Kollaps nahe waren, schnell einzudämmen und die weitreichenden gesamtgesellschaftlichen Schäden durch Lockdowns zu begrenzen (LG Hannover 2 O 76/23 und des LG Frankfurt/M 12 O 264/22).
111
Soweit die Klägerin dem Impfstoff einen nur geringe Wirksamkeit zuspricht, ist das unsubstanziiert und daher unbeachtlich: Die Klägerin stellt Vermutungen ohne jegliche Tatsachengrundlage an; das von ihr angebotene Sachverständigengutachten ist nicht zu erholen.
112
Von Nutzen ist der Impfstoff auch dann, wenn er die Übertragung des Virus von Mensch auf Mensch nicht verhindert. Denn § 2 Nr. 9 IfSG definiert „Schutzimpfung“ als Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen. Die Schutzimpfung muss daher nicht die Übertragung einer Krankheit verhindern.
113
Im Übrigen ist offenkundig und wissenschaftlich nicht ernstlich bestreitbar, dass der Impfstoff Comirnaty der Beklagten vor einer schweren Erkrankung mit dem Corona-Virus schützen habe können und könne, wobei das genaue Maß des Schutzes hier dahinstehen kann (LG Frankfurt a.M. aaO Rz. 106 ff.).
114
Die Klägerin kann den Nutzen auch nicht schlüssig bezweifeln mit dem Argument, dass die Wirksamkeit des Impfstoffes nach vier Monaten abnähme. Erstens sind im Hinblick auf die pandemische Lage auch vier Monate ungeschmälerter Wirkung ein beachtlicher Nutzen. Zweitens trägt die Klägerin hier auch nicht etwa vor, dass die Impfeffektivität nach vier Monaten verloren gehe: Sie behauptet lediglich, diese gehe soweit zurück, dass sie am Ende immer noch 84% betrage. Ein Nutzen verbleibt also in erheblichem Umfang selbst dann, wenn man das Tatsachenvorbringen der Klägerin unterstellt.
115
4. Die Klägerin hat umgekehrt auch keine Risiken dargelegt, welche zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen könnten:
116
Soweit die Klägerin Verdachtsfälle heranzieht, beschreibt sie keine gesicherten Impfschäden, sondern eben nur einen Verdacht. Die Meldung eines Verdachtsfalles besagt nichts über das tatsächliche Aufkommen von Impfschadensfällen.
117
Der Impfstoff Comirnaty ist seit seiner Zulassung in Deutschland und weltweit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt worden. Bis Juni 2022 hat man weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht. Bei einer derart hohen Anzahl an Impfungen binnen eines vergleichsweise kurzen Zeitraums ist es nicht verwunderlich, wenn in kurzer Zeit zahlreiche Verdachtsfälle gemeldet würden.
118
Aber selbst wann man unterstellt, die geschilderten Verdachtsfälle würden tatsächliche Impfschäden abbilden, so wären diese bei der Anzahl der Impfungen nicht so gewichtig, dass dies zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen würde.
119
Soweit die Klägerin auf mögliche Mängel bei den Zulassungsstudien verweist, hat die Beklagte klargestellt, dass davon allenfalls etwa 1.000 von gesamt ca. 40.000 Probanden betroffen gewesen sind. Zudem sind die ursprünglichen Zulassungsstudien von untergeordneter Bedeutung für die dann erfolgte endgültige Standardzulassung des Impfstoffs: Diese ist erteilt worden, nachdem der Impfstoff – allein schon bis April 2022 – millionenfach in Deutschland und weltweit im Milliardenbereich verimpft wurde. Bei der endgültigen Standardzulassung ist die Datenbasis nach alledem ganz erheblich größer gewesen als nach dem Abschluss der ersten Zulassungsstudien (LG Rottweil 2 O 325/22 Rz 35).
120
Verfehlt ist auch der Einwand der Klägerin, dass das PEI in den Sicherheitsberichten die Anzahl der im Zusammenhang mit der Impfung als Verdachtsfälle gemeldeten Todeszahlen unzutreffend bewertet hätte. Das PEI hat ein Warnsignal nicht davon abhängig gemacht, dass die Anzahl der Verdachtsfälle höher sein müsste als die üblicherweise im gleichen Zeitraum auftretenden Todesfälle. Sondern die Methode der „Observed-versus-Expected-Analyse“ besteht darin, die beobachtete und die zu erwartende Anzahl von unerwünschten Nebenwirkungen miteinander zu vergleichen (bei Todesfällen also darin, in Relation zu setzen, (a) wieviele Todesfälle man statistisch zufällig in der geimpften Population erwartet hätte und (b) wieviele Todesfälle nach der Verabreichung des interessierenden Impfstoffes gemeldet worden sind). Bei dieser Analyse sind denknotwendig auf der Meldungs-Seite („(b)“ nicht jegliche Todesfälle (unabhängig von der vermuteten oder festgestellten Todesursache) einzustellen. Denn sonst käme man zu dem Ergebnis, dass bereits ein einziger Todesfall im Zusammenhang mit einer Impfung geeignet sein könnte, ein Warnsignal hervorzurufen. Das PEI hat vielmehr die gemeldeten Todesfälle in Relation zu den zu erwartenden Todesfällen gesetzt. Da die als mögliche Impfnebenwirkung eingetretenen Todesfälle verhältnismäßig zu vernachlässigen waren, hat das Institut folgerichtig keine Übersterblichkeit festgestellt.
121
Nicht zu folgen ist der Klägerin, soweit sie ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bereits daraus herleiten will, dass für den Impfstoff keine Langzeitstudien existieren:
122
Das ist für die rechtliche Beurteilung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG irrelevant. Die Klägerin ist nun einmal darlegungs- und beweisbelastet für die Anspruchsvoraussetzung des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses; ihr Vortrag läuft lediglich darauf hinaus, dass sie zu möglichen Langzeitfolgen nicht vortragen kann, weil hierzu aktuell kein Datenmaterial vorhanden ist.
123
Das Gericht kann Langzeitfolgen nicht kurzerhand als gesichert unterstellen. Auch tritt keine Beweislastumkehr dahingehend ein, dass die Beklagte mögliche Langzeitfolgen zu widerlegen hätte. Das Gericht kann nach alledem lediglich davon ausgehen, dass Langzeitfolgen zwar existierten, aber nicht über das hinausreichen, was in der Wirkungsweise des Impfstoffes liegt und bei den Zulassungsentscheidungen bekannt gewesen und berücksichtigt worden ist (LG Rottweil, aaO Rz 39).
124
Hierhin gehört auch die Haftungsfreistellung der Beklagten in den Verträgen mit der Europäischen Union: Politik und Gesellschaft waren sich 2020 und 2021 weitgehend einig gewesen in dem Wunsch, dass schnellstmöglich Impfstoffe auf den Markt kommen sollten, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Das war nur möglich, wenn man auf vorherige Langzeitstudien verzichtete. Hier hat für die Impfstoffhersteller ein Haftungsrisiko gelegen: Langzeitfolgen waren zum damaligen Zeitpunkt nicht auszuschließen; nicht auszuschließen war somit auch, dass später (und retrospektiv) das Nutzen-Risiko-Verhältnis anders zu bewerten sein würde, was – verglichen mit der üblichen Entwicklung von Arzneimitteln – erheblich höhere Haftungsrisiken der Hersteller begründete. Dass dieses Risiko im Wege der Haftungsfreistellungen letztlich auf die Gesamtgesellschaft übergewälzt wurde, kann man politisch hinterfragen, aber vorliegend nicht als Indiz dafür werten, dass der Impfstoff tatsächlich ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis hat (LG Rottweil aaO Rz. 40).
125
III. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG.
126
Die behaupteten Gesundheitsschädigungen sind zumindest nicht kausal auf die behauptete nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation zurückzuführen.
127
Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung setzt voraus, dass die Gesundheitsverletzung bei ordnungsgemäßer Information vermieden worden wäre. Ein Kausalzusammenhang fehlt folglich dann, wenn der Anwender oder der anwendende Arzt die Arzneimittelinformation gar nicht zur Kenntnis genommen hat (BeckOGK/Franzki, AMG § 84 Rn. 58).
128
Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie den Arzneiinformationsbogen bzw. jedenfalls das Aufklärungsblatt gelesen hat, was aber erforderlich wäre (vgl. LG Bamberg, Endurteil v. 26.01.2024 – 45 O 183/23, BeckOGK/Franzki, 1.6.2024, AMG § 84 Rn. 106).
129
Damit ist ein Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt, worauf die Beklagte auf S. 11/12 der Klageerwiderung hingewiesen hat. Es ist daher nicht schlüssig dargetan, dass sich die Klägerin bei weitergehender als der von ihr beanstandeten Information von der Impfung abhalten hätte lassen.
130
Stattdessen ist die Kammer davon überzeugt, dass sich die Klägerin auch bei anderweitiger Information zugunsten der Impfung entschieden hätte, weil sie von dem Nutzen profitieren wollte und hierfür ein damit verbundenes Risiko von Komplikationen in Kauf genommen hat.
131
Zudem hat die Klägerin sich schon bei der – der streitgegenständlichen zweiten Impfung vorangegangenen – ersten Impfung weder vor noch nach der Impfung mit möglichen Gesundheitsschädigungen befasst.
132
IV. Die Beklagte haften nicht nach § 823 Abs. 1 und § 826 BGB.
133
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 aufgrund von Produkthaftung besteht nicht Der Vorwurf, das Produkt nicht ordentlich beobachtet zu haben oder (hilfsweise) die „Kennzeichnung“ nicht aktualisiert zu haben, verfängt nicht. Der Sachvortrag der Klägerin geht ins Blaue und lässt offen, welche Erkenntnisse die Beklagte bei richtiger Beobachtung ab wann hätte gewonnen haben sollen und welchen Bezug das samt der „Kennzeichnung“ (die der Impfling regelmäßig nicht zu sehen bekommt) zu den behaupteten Schäden der Klägerin habe.
134
Die Klägerin kann nicht beweisen, dass ihre Beschwerden sich erst nach dem Inverkehrbringen des Impfstoffs, am 27.12.2020 (Replik Bl. 2) (meint wohl: kurz nach der streitgegenständlichen Impfung) geäußert hätten, sondern hatte schon vorher dazu passende Diagnosen, siehe oben. Es gibt hier daher kein Indiz dafür, dass die Beklagte sie schon vorher als mögliche Nebenwirkungen hätte entdecken können (s.o.).
135
Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch die beweisbelastete Klägerin. Bei Instruktionsfehlern wie auch bei der Verletzung von Produktbeobachtungs- und daran geknüpften Warnpflichten hängt die Haftung davon ab, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln „mit Sicherheit“ vermieden worden wäre; die bloße Wahrscheinlichkeit, dass der Geschädigte die Warnung befolgt hätte, genügt nicht (OLG Koblenz, a. a. O., m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Klägerin nicht dargelegt hat, dass ihr Impfarzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder sie selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hätte. (OLG München Hinweisbeschluss v. 5.11.2024 – 14 U 2313/24 e, BeckRS 2024, 31623 Rn. 412-418, beck-online)
136
Dass die Beklagte ihre Produktbeobachtungspflicht oder die Pflicht zum Produktrückruf verletzt haben könnte, kann nicht festgestellt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden, da nicht ersichtlich wäre, wieso die Beklagte nach § 823 Abs. 1 BGB strenger haften sollte als nach § 84 Abs. 1 AMG. So hat das OLG Bamberg im von der Klägerin zitierten Urteil vom 08.04.2024 (Anlage K31, dort S. 7) betont, dass ein Auskunftsanspruch der Klägerin gemäß § 84a Abs. 1 Satz 1 AMG gegen die Beklagte bestand, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass der Impfstoff der Beklagten den Schaden der Klägerin verursacht hat. Dies konnte vorliegend jedoch nicht festgestellt werden (s.o.).
137
V. Mangels Anspruchs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 AMG besteht auch weder ein Anspruch auf Feststellung für die Haftung künftiger Schäden noch auf die Nebenforderungen.
B.
138
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit nach § 709 ZPO.