Titel:
Feststellung des Nichteintritts der Fälligkeit eines angedrohten Zwangsgelds wegen Verstoßes gegen die Leinenpflicht - erfolglose Klage
Normenketten:
BayVwZVG Art. 19, Art. 23, Art. 29, Art. 31, Art. 36
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. Von einem frei umherlaufenden großen Hund geht stets eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter aus, zu deren Bekämpfung eine Leinenpflicht angeordnet werden kann. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fällig wird ein wirksam angedrohtes Zwangsgeld iSd Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 BayVwZVG, wenn die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und wenn die von der Grundverfügung auferlegte Pflicht nach deren Ablauf nicht oder nicht vollständig erfüllt ist. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Fälligkeitsmitteilung ist mangels Regelungswirkung kein Verwaltungsakt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fälligstellung eines bestandskräftig angedrohten Zwangsgeldes, Feststellungsklage zur Feststellung des Nichteintritts der Fälligkeit, Verletzung einer Anordnung gegen den Hundehalter nach Art. 18 Abs. 2 LStVG, Vollstreckung, Zwangsgeld, Leinenpflicht, Feststellungsklage, Fälligkeitsvoraussetzungen, Fälligkeitsmitteilung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8427
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass ein von der Beklagten fällig gestelltes Zwangsgeld nicht fällig geworden ist.
2
Der Kläger ist Halter des Hundes „…“ – eines Rüden der Rasse Cane Corso.
3
Mit Bescheid vom 8. August 2023 traf die Beklagte gegenüber dem Kläger u.a. folgende Regelungen:
„1. …, wohnhaft in …, wird verpflichtet, bei der Haltung seines Hundes, Cane Corso, männlich, namens „…“ die folgenden Anordnungen einzuhalten bzw. umzusetzen:
1.4. Der Hund ist innerorts und bei Begegnungen mit Passanten oder anderen Hunden angeleint an einer höchstens 1,50 Meter langen Leine mit schlupfsicherem Halsband oder stabilem Brustgeschirr zu führen. In freier übersichtlicher Umgebung kann außerdem jeweils eine Schleppleine mit bis zu zehn Meter Länge verwendet werden.“
Hinweis: Diese Anordnung gilt nicht für ausbruchsicher eingefriedete und nicht öffentlich zugängliche Freiflächen (z. B. entsprechende „Hundespielwiesen“), d.h., dass in diesen Bereichen die Hunde auch unangeleint laufen dürfen.
2. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheids wird angeordnet.
3.4. [sic!] Für den Fall, dass der Hund entgegen Punkt 1.3 [sic!] nicht ab sofort innerorts und bei Begegnungen mit Passanten oder anderen Hunden angeleint an einer höchstens 1,50 Meter langen Leine mit schlupfsicherem Halsband oder stabilem Brustgeschirr geführt werden [sic!] oder in freier übersichtlicher Umgebung nicht zumindest jeweils eine Schleppleine mit bis zu 10,00 Metern Länge verwendet wird, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € zur Zahlung fällig.
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In der Bescheidbegründung führt die Beklagte insb. aus, der Hund des Klägers sei ein „Kategorie-II-Hund“, dessen Kampfhundeeigenschaft nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (VO) vermutet werde. Ihr sei mittels Wesenstest das Fehlen der Aggressivität und Gefährlichkeit des Hundes nachgewiesen worden (§ 1 Abs. 2 der VO). Sie habe dem Kläger unter dem 8. August 2023 ein Negativ-Attest ausgestellt. Die Kampfhundeeigenschaft sei widerlegt und dem Kläger die Haltung erlaubt. Vom Hund gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aus – möge sie sich bislang auch nicht realisiert haben. Daher werde sie auf Basis von Art. 18 Abs. 2 LStVG tätig. Ferner führt die Beklagte zur ihres Erachtens bestehenden Verhältnismäßigkeit der Anordnungen aus.
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Weiter begründet die Beklagte näher, weshalb ihres Erachtens ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) bestehe.
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Die Zwangsgeldanordnungen stützten sich auf Art. 29, 30 Abs. 1 Satz 1 iVm. Art. 20 Nr. 1, Art. 31 und 36 VwZVG. Nach den Umständen des Einzelfalls seien die Fristen zur Erfüllung der Verpflichtungen angemessen. Es sei dem Kläger möglich, innerhalb der Frist seiner Verpflichtung nachzukommen (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter entspreche die Höhe der Zwangsgelder dem wirtschaftlichen Interesse (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 und 4 VwZVG). Die Androhung enthalte einen Leistungsbescheid iSd. Art. 23 Abs. 1 VwZVG. Das Zwangsgeld könne mit Eintritt der Fälligkeit ohne neuen Verwaltungsakt beigetrieben werden (Art. 31 Abs. 3 Sätze 2 und 3 VwZVG). Die Zwangsmittel könnten so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt sei (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG).
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Nach einem Aktenvermerk aus der beigezogenen Behördenakte habe sich bei der Beklagten am Morgen des 16. Mai 2024 die Zeugin … gemeldet. Sie habe mitgeteilt, dass der Kläger seinen Hund kurz zuvor ohne Leine ausgeführt habe.
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Mit Mitteilung vom 23. Mai 2024 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger ein Zwangsgeld von 300,00 EUR fällig. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Kläger seinen Hund „…“ „entgegen der Anordnung im Bescheid vom 8. August 2023 beim Spaziergang nicht“ anleine.
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Am 8. Juli 2024 hat der Kläger Klage erhoben. Er bringt im Kern vor, die Auflage Ziff. 1.4. des Bescheides vom 8. August 2023 nicht verletzt zu haben. Er leine seinen Hund immer pflichtgemäß an; wie er der Beklagte in der Vergangenheit gezeigt habe, nutze er die Leine „WowWow“ – diese sei in das Hundehalsband integriert, das „…“ dauerhaft trage. Weiter meint der Kläger, dass die Beklagte hätte begründen müssen, weshalb sie das Zwangsgeld „im obersten Rahmen […] des festgelegten Ermessenspielraums“ ansetze; der Bescheid vom 8. August 2023 bestimme seines Erachtens nur eine Obergrenze. Außerdem sei die Fälligkeitsmitteilung seines Erachtens nicht ausreichend begründet; die Beklagte hätte ein Beweismittel benennen müssen. Zudem hätte die Beklagte ihn nicht ausreichend über das ihm vorgeworfene Verhalten aufgeklärt. Das Handeln der Beklagten sei unverhältnismäßig.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung von 300,00 € wegen Verstoßes gegen einen im Bescheid der Beklagten vom 08.08.2023 angeordneten „Leinenzwang“ zusteht.
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Die Beklagte beantragt zuletzt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung verweist sie auf die Gründe ihrer angegriffenen Verwaltungsentscheidung. Ergänzend bringt sie insb. vor, ihr komme nur iRd. Androhung ein Ermessen hinsichtlich der Höhe des Zwangsgeldes zu (verwiesen wird auf: Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG) – nicht iRd. Fälligstellung (verwiesen wird auf: Art. 37 Abs. 5 VwZVG). Zuletzt meint sie, dass der Kläger die Aussagen der Zeugin und der Mitteilerin nicht widerlegt habe.
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Der Kläger repliziert, das Nachschieben von Beweisen könne seines Erachtens „den Ausgangsverwaltungsakt“ nicht heilen. Die Beklagte hätte nach seiner Ansicht weitere Ermittlungen anstellen müssen. Er bezweifle die Vertrauenswürdigkeit der benannten Zeuginnen. Eine der beiden sei nach ihren Angaben vom früheren Hund des Klägers angegriffen worden; es liege nahe, dass mit der Mitteilung an die Beklagte Rache genommen werden solle. Zudem seien die Damen wohl befreundet. Es stehe zu befürchten, dass etwaige Aussagen abgesprochen würden; insofern komme ihnen seines Erachtens a priori kein hoher Beweiswert zu.
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Zuletzt verweist der Kläger darauf, dass die Beklagte ihn mehrfach zur Zahlung des Zwangsgeldes ermahnt und unter dem 21. November 2024 die Zwangsvollstreckung angekündigt habe.
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In der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2025 hat die Kammer mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert; die anwesenden Beteiligten hat sie ergänzend informatorisch befragt. Im Übrigen hat sie die Zeugin … einvernommen.
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Zu weiteren Einzelheiten wird im Übrigen Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Schriftsätze der Beteiligten sowie das Sitzungsprotokoll. Sie alle sind Grundlage der richterlichen Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Klage ist zulässig. Das klägerische Begehr iSv. § 88 VwGO zielt auf die Feststellung des Nichteintritts der Fälligkeit des betreffenden Zwangsgelds von 300,00 EUR.
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Die Feststellungsklage nach § 43 VwGO ist statthaft.
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Es geht dem Kläger um die Feststellung des Nichtbestehens der Fälligkeit des im Bescheid vom 8. August 2023 angedrohten Zwangsgeldes. Die Fälligkeit ist ein Rechtsverhältnis, mithin eine zwischen den Beteiligten streitige rechtliche Beziehung, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlichen Norm ergibt.
21
§ 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Die Fälligkeitsmitteilung vom 23. Mai 2024 ist mangels Regelungswirkung kein Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 BayVwVfG. Somit ist die Anfechtungsklage iSv. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO nicht statthaft.
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Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG liegt in der Androhung eines bestimmten Zwangsgeldes ein nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 VwZVG vollstreckbarer, aufschiebend bedingter Leistungsbescheid. Kommt der Verpflichtete der mit der Grundverfügung auferlegten Verpflichtung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nicht bis zum Ablauf der Erfüllungsfrist nach, tritt die Bedingung ein; das angedrohte Zwangsgeld wird qua Gesetz fällig (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG). Es bedarf keines weiteren Verwaltungsaktes. Die Fälligkeitsmitteilung weist den Betroffenen auf den Bedingungseintritt und die gesetzliche Rechtsfolge hin (zum Ganzen: BayVerfGH, E.v. 24.1.2007 – Vf. 50-VI-05 – juris Rn. 46; BayVGH, B.v. 17.4.2023 – 10 ZB 22.1666 – juris Rn. 6).
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2. Die Klage ist unbegründet. Das mit Mitteilung vom 23. Mai 2024 fällig gestellte Zwangsgeld ist zur Zahlung fällig geworden.
24
Die Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Der bestandskräftige Grundverwaltungsakt vom 8. August 2023 ist wirksam. Ferner ist die Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger am 16. Mai 2024 der Anordnung aus Ziff. 1.4 des Bescheides vom 8. August 2023 nicht nachgekommen, mithin das unter Ziff. 3.4 des genannten Bescheides angedrohte Zwangsgeld iHv. 300,00 EUR fällig geworden ist.
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a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 VwZVG sind gegeben. Insbesondere handelt es sich bei der Anordnung aus Ziff. 1.4 des Bescheides vom 8. August 2023 um einen wirksamen Verwaltungsakt mit vollstreckungsfähigem Inhalt.
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Die Verfügung aus Ziff. 1.4 des Bescheides vom 8. August 2023 ist vollstreckbar i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 VwZVG. Sie ist nach Ziff. 2 des Bescheides vom 8. August 2023 sofort vollziehbar. Im Übrigen hat der anwaltlich vertretene Kläger gegen den Bescheid vom 8. August 2023 respektive die darin enthaltenen Anordnungen selbst niemals Klage erhoben.
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Zweifel an der Wirksamkeit der Verfügung bestehen nicht.
28
Wirksamkeit in diesem Sinn adressiert, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt als solcher existieren muss – mithin darf es sich nicht etwa infolge Erledigung, Aufhebung (jeweils Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG) oder Nichtigkeit i.S.d. Art. 44 BayVwVfG um ein rechtliches nullum handeln.
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Hier wurden weder Nichtigkeits- oder sonstige Unwirksamkeitsgründe vorgetragen noch sind solche sonst erkennbar.
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b) Darüber hinaus liegen auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Art. 29 ff. VwZVG) vor und das betreffende Zwangsgeld von 300,00 EUR ist fällig geworden.
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aa) Das Zwangsgeld ist zulässiges Zwangsmittel zur Vollstreckung eines Verwaltungsakts, mit dem eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gefordert wird (Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 VwZVG). Hier drohte die Beklagte in Ziff. 3.4 des Bescheides vom 8. August 2023 für die Nichterfüllung von Ziff. 1.4 – einer Handlungspflicht – ein Zwangsgeld iHv. 300,00 EUR an. Sie drohte insofern mit einem bestimmten Zwangsmittel (Art. 36 Abs. 3 Satz 1 VwZVG) in bestimmter Höhe (Art. 36 Abs. 5 VwZVG).
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Im Hinblick auf eine Handlungspflicht stellt das Zwangsgeld nach Art. 31 Abs. 1 VwZVG das richtige, mildeste und insofern vorrangige Zwangsmittel dar.
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Dabei ist die Androhung nach Überzeugung der Kammer ausreichend bestimmt: Ziff. 3.4 droht das Zwangsgeld von 300 EUR für den Fall an, dass der Hund – seinerseits konkretisiert in Ziff. 1 – nicht ab sofort innerorts und bei Begegnungen mit Passanten oder anderen Hunden angeleint an einer höchstens 1,50 Meter langen Leine mit schlupfsicherem Halsband oder stabilem Brustgeschirr geführt wird (wobei in freier übersichtlicher Umgebung jeweils eine Schleppleine mit bis zu zehn Meter Länge verwendet werden darf). Zudem erklärt Ziff. 3.4, das Zwangsgeld von 300 EUR werde bei Nichterfüllung von Ziff. 1.3 („entgegen Punkt 1.3“) fällig.
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Demnach beschreibt Ziff. 3.4 wiederholend die zu erfüllende (Leinen-)Pflicht aus der Grundverfügung und verknüpft sie mit einem drohenden Zwangsgeld von 300,00 EUR für den Fall ihrer Nichterfüllung. Angesichts dessen ist unschädlich, dass Ziff. 1.4 und nicht Ziff. 1.3 die zwangsgeldbewehrte Leinenpflicht verfügt, mithin der Passus „entgegen Punkt 1.3“ fehlerhaft ist. Die Verknüpfung aus Ziff. 3.4 ist nach Ansicht der Kammer eindeutig. Es ist klar, welche Pflicht zwangsgeldbewehrt wird. Bei objektivierter Auslegung der Grundverfügungen aus Ziff. 1 – insb. Ziff. 1.4 – und der Zwangsgeldandrohungen aus Ziff. 3. – insb. Ziff. 3.4 – drängt sich auf, dass es sich beim Verweis in Ziff. 3.4 auf Ziff. 1.3 um ein offensichtliches Schreibversehen iSd. Art. 42 BayVwVfG handelt.
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bb) Die Beklagte hat dem Kläger auch eine ausreichende Erfüllungsfrist gesetzt, indem sie unter Ziff. 3.4 bestimmte, dass er die Leine sowie das Halsband bzw. das Brustgeschirr „ab sofort“ verwenden muss.
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Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bei der Androhung der Zwangsmittel bzw. Vollstreckung für die Erfüllung der Verpflichtung aus dem Grundverwaltungsakt eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zuzumuten ist.
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Die Frist iSd. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG muss bestimmbar sein. Das Bestimmtheitsgebot (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) verlangt, dass der Inhalt der getroffenen Regelung für den Adressaten so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann (VG München, B.v. 5.8.2021 – M 8 S 21.3781 – juris Rn. 32f m.w.N.).
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Die Länge der Frist steht im Ermessen der Behörde. Bei der Festsetzung im Einzelfall ist das öffentliche Interesse an der Schnelligkeit der Ausführung zu berücksichtigen. Es muss sich nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG um eine Frist handeln, innerhalb derer dem Pflichtigen der Vollzug „billigerweise zugemutet werden kann“. Angemessen und zumutbar ist die Frist dabei, wenn sie das behördliche Interesse an der Dringlichkeit der Ausführung berücksichtigt und zugleich dem Betroffenen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung notwendige Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen (BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451, juris Rn. 26 m.w.N.). Insofern muss die Erfüllung der durchzusetzenden Verpflichtung vor Fristablauf tatsächlich und rechtlich möglich sein. Abzustellen ist hierbei auf den Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Androhung und dem Ende der dort gesetzten Frist.
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Zwar müssen Fristen grundsätzlich so bemessen werden, dass der Pflichtige rechtzeitig vor deren Ablauf Rechtsschutz erlangen kann. Angesichts der Gefahr, dass die Behörde durch die Vollstreckung vollendete Tatsachen schafft, folgt dieses Erfordernis aus dem Postulat effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Indes muss Betroffenen nicht stets die Gelegenheit eingeräumt werden, die regulären Rechtsbehelfsfristen voll auszuschöpfen. Die Behörde darf, insbesondere in Gefahrensituationen, deutlich kürzere als die Monatsfrist setzen (zum Ganzen statt Vieler: HK-VerwR/Hanno-Dirk Lemke, 5. Aufl. 2021, VwVG § 13 Rn. 9, 10). Sie kann die Frist u.U. „sofort“ auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe setzen – was „augenblicklich“ respektive „ohne jedes Zögern“ meint (zum gleichlautenden Bundesrecht: Tillmanns in: Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 11. Auflage 2024, § 13 VwVG, Rn. 35). Zulässig ist diese Bestimmung, wenn die sofortige Durchsetzung der Grundverfügung zur Gefahrenabwehr unabweisbar notwendig ist (OVG Berlin-Brandenburg B.v. 11.9.2014 – OVG 10 S 8.13 – juris Rn. 5 = NVwZ-RR 2015, 90).
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Hier verfügte die Beklagte, dass der Kläger den Cane Corso „…“ ab sofort innerorts und bei Begegnungen mit Passanten oder anderen Hunden angeleint an einer max. 1,50m langen Leine mit schlupfsicherem Halsband oder stabilem Brustgeschirr führen muss (wobei er in freier übersichtlicher Umgebung alternativ eine Schleppleine von max. 10m Länge nutzen kann).
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Eine solchermaßen knapp bemessene Frist ist nach den Umständen des Einzelfalles auch angemessen. Unter dem Blickwinkel des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist zwar zu bedenken, dass der Kläger die Anordnung sofort erfüllen muss und eingedenk des natürlichen Bewegungsdrangs des Hundes faktisch keine – legale – Möglichkeit der Umgehung der Anordnung besteht. Andererseits ist der mit Anordnung Ziff. 1.4 verbundene Eingriff für den Kläger – auf den es maßgeblich ankommt, vgl. BeckOK PolR Bayern/Schwabenbauer, 24. Ed. 1.3.2024, LStVG Art. 18 Rn. 139c – nicht gravierend. Zudem blieb dem Kläger unbenommen, (vorläufigen) Rechtsschutz gegen die Anordnung zu suchen. Unter dem Blickwinkel der mit der Anordnung geschützten Rechtsgüter ist zu sehen, dass die Anordnung öffentlichen Interessen dient – namentlich dem Schutz emporgehobener Individualrechtsgüter wie Leben und Gesundheit. So gehört der klägerseits gehaltene Rüde zur Rasse Cane Corso. Der männliche Cane Corso weist im Durchschnitt eine Schulterhöhe von deutlich über 60cm auf (vgl. etwa: https://www.zooroyal.de/magazin/hunde/hunderassen/cane-corso/, zuletzt abgerufen am 18.3.2025). Folglich ist das Tier ein großer Hund iSv. Ziff. 18.1 Satz 1 der Vollzugsbekanntmachung zum LStVG. Von einem frei umherlaufenden großen Hund geht stets eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter aus, zu deren Bekämpfung eine Leinenpflicht angerordnet werden kann (stRspr. BayVGH, vgl. B.v. 21.2.2024 – 10 CS 24.190 – juris Rn. 12 mwN). Zuletzt ist nichts erkennbar, was gegen die tatsächliche Möglichkeit der Erfüllung der Pflicht innerhalb der Frist spricht. Der Leinenzwang begründet eine einfache Handlungspflicht. Die Erfüllung dieser Pflicht bedarf keiner besonderen Vorbereitung bzw. Vorlaufzeit – auch weil ein Halter eines solchen großen Hundes lebensnah betrachtet unabhängig von der etwaigen sicherheitsrechtlichen Anordnung eines Leinenzwangs ohnehin über eine Leine mit Halsband bzw. Brutgeschirr verfügt – etwa aufgrund der zivilrechtlich mit der Hundehaltung einhergehenden (Gefährdungs-)Haftung.
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cc) Fällig wird ein wirksam angedrohtes Zwangsgeld i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG, wenn die Vollstreckungsvoraussetzungen wie hier während der Erfüllungsfrist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG vorliegen und wenn die von der Grundverfügung auferlegte Pflicht i.S.d. 31 Abs. 1 VwZVG nach deren Ablauf nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, Art. 31 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 VwZVG (BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris Rn. 14f; B.v. 24.2.2005 – 1 ZB 04.276 – juris Rn. 42).
43
Hier liegt die Fälligkeitsvoraussetzung vor: Der Kläger hat nach der insb. aus der Beweisaufnahme gewonnenen Überzeugung der Kammer am 16. Mai 2024 gegen 8:00 Uhr den Cane Corso Rüden … auf dem Feldweg im Bereich der Kleingartenanlage in … unangeleint ausgeführt, obwohl ihm dies nach Auffassung der Kammer möglich gewesen wäre. Dementsprechend hat er die Anordnung aus Ziff. 1.4 des Bescheides verletzt.
44
Irrelevant ist vor diesem Hintergrund, ob er in der konkreten Situation iSd. Ziff. 1.4 Satz 2 eine Schleppleine hätte verwenden dürfen. Dahinstehen kann auch, ob der Bereich um die Schrebergartenanlage dem Innenbereich iSv. Ziff. 1.4 des Bescheides vom 8. August 2023 zuzurechnen ist. Denn jedenfalls führte er den Hund unangeleint, obwohl er der auf dem Feldweg außerhalb der Kleingartenanlage in … befindlichen Zeugin … begegnete.
45
Das Aufeinandertreffen der Zeugin und des Klägers am betreffenden Tag als solches ist nicht streitig geblieben. Der Zeugin widersprechend behauptete der Kläger nur, dass sein Hund beim Treffen angeleint gewesen sei.
46
Folglich handelt es sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, wobei der Aussage der einvernommenen unbeteiligten Zeugin für die Kammer ein erhöhter Beweiswert zukommt.
47
Die Zeugin … erschien der Kammer glaubwürdig. Ihre Aussage wirkte glaubhaft: Die Zeugin hat ihre Beobachtungen plausibel dargelegt. Ihre Aussage erschien erlebnisbasiert. Die Situation des Aufeinandertreffens mit dem Kläger bzw. dessen Hund hat sie nachvollziehbar beschrieben. Die Zeugin schilderte das ihres Erachtens relevante Kerngeschehen. Diverse ergänzende Nachfragen der Kammer und des Klägervertreters beantwortete sie ohne zu zögern und widerspruchsfrei.
48
Die Kammer erkennt kein besonderes Motiv der Zeugin, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Für sie erwächst ein solches insb. nicht daraus, dass die Zeugin wohl der Meinung war, dass die Beklagte für „…“ nicht nur eine Leinen-, sondern auch eine Beißkorb-Pflicht festgesetzt habe – was wohl in der von der Zeugin besuchten Hundeschule kolportiert worden war. Objektiv betrachtet folgt daraus nur, dass der Hund des Klägers Gesprächsthema in der Hundeschule gewesen ist. Es ist allgemeinkundig, dass Laien behördliche Anordnungen nicht zwingend richtig verstehen; dasselbe gilt für das Phänomen, dass eine bestimmte Tatsache – hier die Anordnung der Leinenpflicht – in der zwischenmenschlichen Kommunikation mit zunehmender Zahl von Informationsträgern bzw. Multiplikatoren verfälscht oder ergänzt zu werden droht („Stille-Post-Prinzip“). Die Kammer erkannte auch nicht im Ansatz, dass die Zeugin den Informationen „Leinenpflicht“ und/oder „Beißkorbpflicht“ in irgendeiner Form wertend gegenüberstand.
49
Unabhängig davon mag die Zeugin dem Kläger aufgrund von durch sie als Angriffe des klägerischen Hundes geschilderten Ereignissen eher distanziert gegenübertreten. Es erscheint aber bereits wenig lebensnah, dass die Zeugin mehrere Jahre wartet, um nunmehr – wie vom Klägerbevollmächtigten nahegelegt – mit einer falschen Aussage Rache für nach Meinung der Zeugin 2020 und 2021 stattgefundene Angriffe des klägerischen Hundes zu nehmen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine „Verschwörung“ der Klägerin und ihrer Bekannten. Nach dem von der Kammer gewonnenen Eindruck von der Zeugin hat diese den Vorfall bei der Beklagten nicht impulsgesteuert und von sachfremden Motiven geleitet gemeldet. Vielmehr scheint sie rational abgewogen zu haben. Ein leichtfertiges Falsch-Bezichtigen erscheint der Kammer im Übrigen auch deshalb fernliegend, da sich die Zeugin angesichts des eher dörflichen Umfeldes mit einiger Wahrscheinlichkeit auch künftig mit dem Kläger konfrontiert sehen wird. Die Kammer hat aber von der Zeugin nicht den Eindruck gewonnen, dass es ihr darum gegangen sein könnte, einen nachhaltigen Konflikt zu beginnen respektive zu befeuern.
50
Zudem geht es um die Frage, ob der Kläger am 16. Mai 2024 der Pflicht zum Anleinen nachkam. Dies ist nach der aus dem Verfahren gewonnenen Überzeugung der Kammer nicht der Fall. Sollte sich die Zeugin bei der Meldung bei der Beklagten von einem Motiv des „dieses Mal müssen wir etwas unternehmen“ haben leiten lassen, so ist dies ihr gutes Recht. Sollte sie auch ein etwaiges – sich für die Kammer notabene im Aussageverhalten der Zeugin nicht manifestierendes – Gefühl der Genugtuung geleitet haben, so darf dies Ursache und Wirkung nicht vertauschen. Ausgangspunkt bleibt der Pflichtverstoß des Klägers – die Nichterfüllung der Anleinpflicht. Dieses schilderte die Zeugin in einer Weise, die für die Kammer nicht zu einer ernsthaft in Erwägung zu ziehenden anderen Geschehenshypothese führt – wie einem bewusst wahrheitswidrigen Zeugnis oder einem unbewussten Irrtum der Zeugin.
51
Der Kammer erscheint auch nicht plausibel, dass sich die Zeugin über das Unterlassen des Anleinens mithin die Verletzung der Anleinpflicht durch den Kläger geirrt haben könnte. So enthielt ihre konsistente Aussage keinerlei diesbezügliche Indizien. Die Kammer erkennt weder logische Brüche noch Ansatzpunkte, die auf ein Missverständnis der Zeugin hindeuten. Im Übrigen muss es zur Zeit des Zusammentreffens – 16. Mai 2024, gegen 8:00 Uhr – taghell gewesen sein und die Zeugin war vom Kläger nach ihrer nicht bestrittenen Angabe nur etwa 5-10m entfernt.
52
Gegen die Verletzung der dem Kläger im Bescheid vom 8. August 2023 auferlegten Handlungspflicht spricht nach Ansicht der Kammer nicht, dass der Kläger nach seinem Vortrag eine schwer erkennbare Leine („WowWow“) verwendet haben will. Die diesbezüglichen schriftsätzlichen Einlassungen und die Schilderung iRd. mündlichen Verhandlung erschienen der Kammer als Schutzbehauptung. So schilderte die Zeugin mit Gewissheit, dass der Hund nicht angeleint gewesen sei. Sie habe weder eine Leine noch eine Schlaufe in der Hand des Klägers gesehen. Dies erscheint der Kammer glaubhaft.
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Daneben glaubt die Kammer auch, dass die von der Zeugin geschilderte Wahrnehmung, wonach der Kläger ihr mit einem vor den Mund gehaltenen Zeigefingers gegenübertrat, während er den Laut „Psst“ von sich gab. Der Kläger hat die Geste nicht einmal bestritten. Eine andere Erklärung, als dass der Zeugin damit signalisiert werden sollte, Stillschweigen über das Treffen zu bewahren, wurde weder vorgetragen noch ist eine solche für die Kammer sonst ersichtlich.
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dd) Wie oben näher dargelegt, weist eine Fälligkeitsmitteilung den Betroffenen – deklaratorisch – darauf hin, dass das Zwangsgeld qua Gesetz fällig geworden ist. Die Fälligkeitsmitteilung enthält keine eigene Regelung iSd. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG (vgl. dazu oben S. 6).
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Angesichts dessen dringt der Kläger mit seinem Vortrag zur nicht ausreichenden Begründung der Fälligkeitsmitteilung von vornherein nicht durch. Dies gilt auch für die klägerische – von der Beklagten zutreffend entkräftete – Erwägung, wonach die Beklagte iRd. Fälligkeitsmitteilung noch über einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Höhe des Zwangsgeldes verfüge.
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Ist dies in der hiesigen Feststellungsklage auch kein Prüfungsgegenstand, so merkt die Kammer schließlich an, dass die von der Beklagten gewählte Höhe des angedrohten Zwangsgeldes nach den Grundsätzen von Art. 31 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 BayVwZVG nicht zu beanstanden war. Sie liegt eher am unteren Rand des Möglichen. Das wirtschaftliche Interesse war nach pflichtgemäßem Interesse zu schätzen, wobei Fehler insoweit nicht erkennbar sind.
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Nach alledem bleibt die Klage ohne Erfolg. Die Kostenentscheidung ergibt sich demnach aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vorstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.