Titel:
Widerrufsrecht bei Ergänzung des Versicherungsvertrags
Normenketten:
BGB § 242
ZPO § 301, § 304
VVG § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 (idF bis 12.6.2014)
Leitsätze:
Zum Widerrufsrecht bei Ergänzung des Versicherungsvertrages um einen zusätzlichen Beitragsentlastungstarif in der privaten Krankenversicherung (Fortführung von OLG Nürnberg, BeckRS 2024, 27889). (Rn. 23)
1. Der Widerruf kann sachlich auf einen Vertragsteil beschränkt werden, der sich vom Restbetrag objektiv teilen lässt (hier: nachträglich vereinbarter Beitragsentlastungstarif in der privaten Krankenversicherung). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Angabe einer Postfachadresse anstelle einer ladungsfähigen Anschrift stellt einen nur geringfügigen Belehrungsmangel dar, der einer Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB entgegensteht. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf, Widerrufsbelehrung, Krankenversicherung, Beitragsentlastungstarif, Postfachadresse, ladungsfähige Anschrift
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Grund- und Teilurteil vom 29.05.2024 – 2 O 107/23
Fundstellen:
BeckRS 2025, 828
FDVersR 2025, 000828
LSK 2025, 828
NJOZ 2025, 560
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29.05.2024, Az. 2 O 107/23, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 32.546,25 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über den Widerruf des Abschlusses eines Krankenversicherungstarifs sowie über hieraus folgende Erstattungsansprüche des Klägers.
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 2002 eine private Krankenversicherung. Am 19.09.2011 beantragte der Kläger die Erweiterung des bestehenden Versicherungsvertrages um einen Tarif zur Beitragsentlastung im Alter (Tarif „B …“). Das von dem Kläger unterzeichnete Antragsformular (Anlage B 1) enthielt auf der Vorderseite oberhalb des Unterschriftenfeldes u.a. folgenden mit der fettgedruckten Zwischenüberschrift „Wichtig für den Antragsteller“ versehenen Hinweis (Fettdruck im Original):
„ … Bevor Sie diesen Antrag unterschreiben, lesen Sie bitte auch die Erklärungen und Hinweise auf der Rückseite dieses Antrags. Diese enthalten unter anderem auch die Einwilligung zur Erhebung gesundheitsbezogener Daten, die Entbindung von der Schweigepflicht und die Ermächtigung zur Datenverarbeitung. …“
3
Die Rückseite des Antragsformulars war mit der fettgedruckten Überschrift „Wichtige Erklärung des Antragstellers / der Antragstellerin und der zu versichernden Person(en) sowie Hinweise!“ versehen (Anlage B 2). Untermittelbar nach dieser Überschrift folgte der Hinweis (Hervorhebung im Original):
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen nach deren Abgabe ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt, nachdem Sie den Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 des Versicherungsvertragsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1, 3 und 4 der VVG-Informationspflichtverordnung und diese Belehrung jeweils in Textform erhalten haben. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: A. … Konzern AG, Kundenservice, Postfach …, K…, Fax …, E-Mail: … Sofern Sie einen Versicherungsbeginn beantragen, der vor dem Ablauf der Widerrufsfrist liegt, erklären Sie sich einverstanden, dass der Versicherungsschutz vor Ablauf dieser Frist beginnt und der erste oder einmalige Beitrag – abweichend von der gesetzlichen Regelung – vor Ablauf der Frist fällig, d.h. unverzüglich zu zahlen ist.“
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Die Beklagte nahm den Antrag des Klägers an und übersandte diesem mit Schreiben vom 11.10.2011 den neuen Versicherungsschein (Anlage B 3). Das 2-seitige Policenbegleitschreiben der Beklagten enthielt auf Seite 1 folgende durchgehend fettgedruckte Passage:
„Sie können Ihre Vertragserklärung (Antrags- oder Annahmeerklärung) innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Versicherungsscheines ohne Angabe von Gründen widerrufen. Eine Erklärung in Textform (z.B. per Fax oder E-Mail) ist ausreichend. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
Die genaue Adresse, an die der Widerruf zu richten ist, entnehmen Sie bitte dem Briefkopf dieses Schreibens.
Im Falle des Widerrufs steht uns die anteilige Prämie für den Zeitraum vom Versicherungsbeginn/Änderungszeitpunkt bis zum Zugang Ihrer Widerrufserklärung zu, wenn Sie sich in Kenntnis der Beitragspflicht für einen Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist entschieden haben.
Ein Beitragsguthaben werden wir Ihnen im Falle eines Widerrufs erstatten.“
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Aus dem Versicherungsschein ergibt sich, dass für den Tarif „B …“ ab 01.12.2011 eine monatliche Prämie von 110,40 € zu zahlen war.
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In diesem Tarif nahm die Beklagte zum 01.04.2012, 01.04.2013, 01.01.2015, 01.05.2016, 01.01.2019, 01.01.2020 und 01.01.2023 Beitragserhöhungen vor (Anlagen B 4a bis 4g). Zuletzt betrug die Tarifprämie monatlich 194,57 €.
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Mit einer vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth erhobenen Klage (Az. 2 O 3786/21) hatte der Kläger die Unwirksamkeit der zum 01.04.2012, 01.04.2013 und 01.01.2015 erfolgten Beitragserhöhungen geltend gemacht. Der Prozess endete mit einer am 08.02.2022 erklärten Klagerücknahme.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2022 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerruf der Vertragsänderung hinsichtlich der Einbeziehung des Tarifs „B …“. Er forderte die Rückerstattung der auf diesen Tarif gezahlten Prämien nebst gezogener Nutzungen (Anlage K 1). Dies lehnte die Beklagte ab (Anlage K 3).
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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In erster Instanz hat der Kläger zuletzt im Wege einer Zwischenfeststellungsklage begehrt festzustellen, dass er den Abschluss des Tarifs „B …“ wirksam widerrufen habe und für die Zukunft nicht mehr zur Zahlung der Tarifprämie verpflichtet sei. Er verlangte außerdem die Zahlung von 21.744,18 € (Erstattung für den Zeitraum Januar 2012 bis März 2024) sowie Herausgabe gezogener Nutzungen in Höhe von 2.630,13 €.
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Das Landgericht hat am 29.05.2024 ohne Beweisaufnahme ein Grund- und Teilurteil erlassen. Es hat der Zwischenfeststellungsklage stattgegeben und die Zahlungsklage für dem Grunde nach berechtigt erklärt. Zur Begründung hat die Zivilkammer im Wesentlichen ausgeführt, dass die Feststellungsklage zulässig sei. Ferner sei der am 29.11.2022 erklärte Widerruf des Klägers wirksam. Der Kläger sei nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt worden. Maßgeblich sei hierbei die zweite, im Policenbegleitschreiben vom 11.10.2011 erfolgte Belehrung. Dieser fehle eine Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Versicherers und sie enthalte auch keine ausreichenden Hinweise auf den Fristbeginn und die Rechtsfolgen des Widerrufs. Es handele sich weder um geringfügige Belehrungsfehler noch sei der Widerruf des Klägers wegen Verwirkung ausgeschlossen. Über den Zahlungsantrag könne noch nicht abschließend entschieden werden, so dass insofern ein Grundurteil zu erlassen sei.
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Dieses Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 05.06.2024 zugestellt. Die hiergegen gerichtete Berufung ging am 27.06.2024 beim Oberlandesgericht Nürnberg ein (Bl. 1 f. d. OLG-A.). Das Rechtsmittel wurde innerhalb verlängerter Frist mit einem am 02.09.2024 eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 9 ff. d. OLG-A.).
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Die Beklagte beantragt im Berufungsrechtszug,
das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29.05.2024 (Az. 2 O 107/23) aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil mit seiner Berufungserwiderung vom 04.11.2024 (Bl. 35 ff. d. OLG-A.) sowie dem weiteren Schriftsatz vom 15.01.2025 (Bl. 57 ff. d. OLG-A.).
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Der Senat hat am 20.01.2025 mündlich zur Sache verhandelt (Bl. 70 ff. d. OLG-A.). Beweise wurden nicht erhoben.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
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1. a) Das angefochtene Grundurteil zu Ziffer 2. des Tenors ist in Bezug auf die Berufung als Endurteil anzusehen (§ 304 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob das Grundurteil erlassen werden durfte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 04.12.2012 – II ZR 159/10, NJW-RR 2013, 363 Rn. 14 m.w.N.). Dies ist zu bejahen, da der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist (§ 304 Abs. 1 ZPO; LGU 19) und das Landgericht nach seinem Standpunkt davon ausgehen durfte, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch des Klägers in irgendeiner Höhe besteht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.01.2012 – V ZR 224/10, BeckRS 2012, 5600 Rn. 7 m.w.N.). Die Zweckmäßigkeit eines Grundurteils ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahren. Vielmehr beschränkt sich dessen Gegenstand auf die Frage, ob der eingeklagte Anspruch dem Grunde nach besteht (vgl. Senatsurteil vom 27.05.2024 – 8 U 1004/23, NJW-RR 2024, 1093 Rn. 24; BeckOK-ZPO/Elzer, § 304 Rn. 40 f. [Stand: 01.12.2024]).
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b) Über die Zwischenfeststellungsklage hat das Landgericht unter Ziffer 1. des Tenors verfahrensfehlerfrei durch Teilurteil entschieden (§ 301 Abs. 1 ZPO). Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zwischen Teilurteil und Schlussurteil (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 21.11.2017 – VI ZR 436/16, NJW 2018, 623 Rn. 7 m.w.N.) besteht hier nicht. Soweit die Vorinstanz den Antrag jedenfalls als Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO für zulässig angesehen hat (LGU 6), bestehen hiergegen keine durchgreifenden Bedenken (vgl. auch BGH, Urteil vom 21.02.2024 – IV ZR 32/22, NJW 2024, 1496 Rn. 19). Ein Teilurteil darf insofern ergehen, als es sich um eine Zwischenfeststellungsklage handelt, bei welcher die Entscheidung auch für die Behandlung der noch offenen Anträge bindet (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rn. 7). Auch dies ist im Streitfall zu bejahen.
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2. Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen jedoch eine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Die Klage ist in beiden Anträgen unbegründet und folglich insgesamt abzuweisen. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben.
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a) Im Zeitpunkt des Schreibens vom 29.11.2022 war der Kläger nicht mehr berechtigt, seine Vertragserklärung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. (hier und im Folgenden: in der vom 04.08.2011 bis 12.06.2014 geltenden Fassung) zu widerrufen. Die maßgebliche Frist von 14 Tagen war seit langem verstrichen.
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aa) Bei dem vom Kläger am 19.09.2011 geäußerten Wunsch nach Abschluss eines zusätzlichen Tarifs handelte es sich um eine Vertragserklärung, die auf eine Erweiterung des Versicherungsschutzes bezogen war (vgl. HK-VVG/Schimikowski, 4. Aufl., § 8 Rn. 5; Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24). Der Beitragsentlastungstarif „B …“ betrifft nicht nur eine Vereinbarung von Versicherungsbedingungen zu den Modalitäten der Beitragszahlungen in der Hauptversicherung. Vielmehr handelt es sich um einen rechtlich eigenständigen Tarif, dessen Leistung darin besteht, ab einem festgelegten Lebensalter der versicherten Person die Höhe der Prämie der Hauptversicherung zu mindern (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2024 – IV ZR 51/22, NJW 2024, 758 Rn. 11 f.). Dem Versicherungsnehmer stand daher in Bezug auf die vereinbarte Vertragsänderung ein gesetzliches Widerrufsrecht zu (vgl. Senatsbeschluss vom 19.09.2024 – 8 U 785/24, BeckRS 2024, 27889 Rn. 13). Dieser Widerruf kann sachlich auf einen Vertragsteil beschränkt werden, der sich vom Restvertrag objektiv teilen lässt (vgl. Heinig/Makowsky in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 4. Aufl., § 8 Rn. 39; LGU 6/7).
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bb) Dem Kläger sind im Rahmen der Vertragsänderung unstreitig der Versicherungsschein, die für den neuen Tarif geltenden Versicherungsbedingungen („Vertragsgrundlage 385“) sowie die sonstigen Verbraucherinformationen mitgeteilt worden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VVG a.F.).
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cc) Der Kläger ist vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform und deutlich gestaltet über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs belehrt worden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG a.F.). Bei dem hier erfolgten Vertragsschluss nach dem sog. Antragsmodell genügt es, wenn sich die Belehrung im Antragsformular befindet (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 32. Aufl., § 8 Rn. 26; BeckOK-VVG/Brand, § 8 Rn. 34.1 [Stand: 01.08.2023]). Denn damit ist sichergestellt, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit, sich vom Vertrag wieder lösen zu können, rechtzeitig vor Augen geführt wird (vgl. auch Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 8 Rn. 13; NK-VersR/Reusch, 3. Aufl., VVG, § 8 Rn. 34).
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So war es auch im Streitfall. In dem übersichtlich gestalteten, lediglich ein Blatt umfassenden Antragsformular (Anlage B 1) wurde der Kläger vor der Unterschriftszeile mit dem seitlich herausgerückten und fett gedruckten Stichwort „Wichtig für den Antragsteller“ unmissverständlich auf die Hinweise auf der Rückseite des Antragsformulars aufmerksam gemacht. Die entsprechende Passage war ihrerseits fett gedruckt. Auf der Rückseite des Antragsformulars (Anlage B 2) befand sich die mit der fettgedruckten Überschrift „Widerrufsrecht“ versehene Belehrung direkt unterhalb der einleitenden Bezeichnung „Wichtige Erklärung des Antragstellers / der Antragstellerin und der zu versichernden Person(en) sowie Hinweise!“. Diese Belehrung sprang einem aufmerksamen Versicherungsnehmer ohne Weiteres ins Auge und konnte ohne Probleme gefunden werden. Sie genügte daher den Anforderungen an eine deutliche Gestaltung (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 17.05.2024 – 8 U 149/23, Anlage B 33, Seiten 5 f.).
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dd) Die Belehrung entsprach inhaltlich in weiten Teilen, wenngleich nicht vollständig, der Musterwiderrufsbelehrung gem. § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. und war nicht zu beanstanden. Das gilt namentlich für die Hinweise zu Beginn und Dauer der Frist, zur einzuhaltenden Textform sowie zur für die Fristwahrung ausreichenden Absendung der Erklärung (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VVG a.F.).
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Das Gesetz verlangte außerdem eine Belehrung über die ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten. Hier wurde innerhalb des Belehrungstextes lediglich die Postfachadresse der „A … Konzern AG, Kundenservice“ angegeben. Zwar ist der Widerruf gegenüber dem Versicherer zu erklären (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VVG a.F.), dieser ist jedoch nicht gehindert, einen für ihn empfangsbereiten abweichenden Adressaten zu benennen. Insofern besteht ein Spielraum des Versicherers, anzugeben, wer innerhalb einer Unternehmensgruppe für die Entgegennahme des Widerrufs zuständig sein soll. Der hier erteilten Belehrung konnte ein Versicherungsnehmer problemlos entnehmen, dass es für die gesamte Unternehmensgruppe, zu der die Beklagte gehört, einen konzernweit eingerichteten Kundenservice gibt, an den die Widerrufserklärung – auch per Telefax oder E-Mail – gerichtet werden kann.
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Es kann offen bleiben, ob die Angabe einer Postfachadresse den gesetzlichen Anforderungen einer „ladungsfähigen Anschrift“ entsprach (vgl. hierzu OLG Hamburg, NJW 2004, 1114; OLG Koblenz, NJW 2006, 919, 920 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.07.2021 – 17 U 105/20, juris Rn. 57). Denn es würde sich nur um einen geringfügigen Belehrungsfehler handeln, der einer Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB entgegensteht (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 17.01.2024 – IV ZR 19/23, VersR 2024, 346 Rn. 13 f. und vom 15.03.2023 – IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13). Dem Kläger ist hierdurch nicht die Möglichkeit genommen worden, sein Widerrufsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Irgendwelche Erschwernisse sind nicht ersichtlich. Durch die eindeutige und unmissverständliche Adressbezeichnung des Widerrufsempfängers ist der Versicherungsnehmer in gleicher Weise wie durch die Mitteilung der Hausanschrift in die Lage versetzt worden, seine Widerrufserklärung rechtzeitig auf den Postweg zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 564/15, NJW 2016, 3512 Rn. 16 m.w.N.).
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Die Angabe des Widerrufsadressaten hat – anders als etwa nach der Regelung des Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB – auch nicht die Funktion, den Vertragspartner zu identifizieren und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zu geben, etwaige Ansprüche gegen den Versicherer schnell und effektiv im Klagewege geltend zu machen. Im Ergebnis wäre es daher unverhältnismäßig, dem Kläger allein wegen des im Raum stehenden Fehlers einer bloßen Postfachangabe zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 19.09.2024 – 8 U 785/24, BeckRS 2024, 27889 Rn. 20; OLG Celle, Urteil vom 17.05.2024 – 8 U 149/23, Anlage B 33, Seite 6).
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ee) Nicht zu beanstanden sind schließlich die Hinweise auf die Widerrufsfolgen. Das gilt zum einen für die Beendigung des Versicherungsschutzes. Die Hinweise enthalten zudem eine Erläuterung zur Berechnung des von der Beklagten einzubehaltenden Betrages, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt. Dieser wird in der nachfolgenden Tabelle durch Ankreuzen von 1/90 der im Antrag ausgewiesenen Vierteljahresprämie pro Anzahl der Tage, an denen Versicherungsschutz bestanden hat, bezeichnet. Hiernach schließt sich der – dem Text der Musterbelehrung entnommene – Hinweis über die Erstattung zurückzuzahlender Beträge und die Herausgabe gezogener Nutzungen an.
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ff) Entgegen der Ansicht des Landgerichts (LGU 8/9) ergibt sich aus dem Inhalt des Policenbegleitschreibens der Beklagten vom 11.10.2011 (Anlage B 3) keine andere Rechtsfolge.
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Ist eine von mehreren Belehrungen insgesamt ordnungsgemäß oder mit lediglich geringfügigen Mängeln behaftet, kommt es insoweit darauf an, ob der Versicherungsnehmer durch eine weitere – formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße – Belehrung irregeführt oder von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten wird (vgl. BGH, Urteile vom 16.12.2015 – IV ZR 71/14, BeckRS 2015, 21001 Rn. 11 und vom 26.04.2023 – IV ZR 300/22, NJW 2023, 2274 Rn. 16). Letzteres kann im Streitfall nicht angenommen werden.
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Die ebenfalls fett gedruckte Belehrung im Policenbegleitschreiben ist in rechtlicher Hinsicht ohnehin nicht die maßgebliche, weil der Vertragsschluss hier im sog. Antragsmodell erfolgte und die Belehrung daher im Zusammenhang mit der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers zu erfolgen hatte (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, a.a.O., § 8 Rn. 25 f.). Die Hinweise im Policenbegleitschreiben waren im Vergleich zu der ausführlichen Belehrung auf der Rückseite des Antragsformulars knapper gefasst und enthielten nur die wesentlichen Angaben zum Widerruf, nämlich die 2-Wochen-Frist, die durch rechtzeitige Absendung gewahrt werde, die Textform und eine Kurzfassung der anteiligen Prämienberechnung im Falle eines Versicherungsbeginns vor Ablauf der Widerrufsfrist. Wegen der genauen Adressierung des Widerrufsschreibens wird auf den Briefkopf verwiesen, in welchem zusätzlich zu der Großkundenpostleitzahl der Beklagten (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 19.09.2024 – 8 U 785/24, BeckRS 2024, 27889 Rn. 19) der Name und die postalische Anschrift des Vertreters der Beklagten in N. mit Straße und Hausnummer aufgeführt sind. Die in der weiteren Belehrung enthaltenen Angaben sind in der Sache zutreffend; insbesondere ist die Fristangabe von zwei Wochen aufgrund ihrer inhaltlichen Gleichwertigkeit nicht geeignet, den Versicherungsnehmer gegenüber der in der ausführlichen Belehrung enthaltenen gesetzlichen Formulierung („14 Tage“) in die Irre zu führen.
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Etwaige Erschwernisse ergeben sich auch nicht daraus, dass die im Policenbegleitschreiben erfolgte Belehrung hinsichtlich des Widerrufsadressaten auf den Briefkopf des Anschreibens verweist und dort neben dem Namen und der Adresse der Beklagten mit dem Hinweis „Es betreut Sie:“ auch der Name und die Anschrift der „Hauptvertretung G. L.“ erwähnt werden. Zwar bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. ausdrücklich, dass die Widerrufserklärung gegenüber dem Versicherer zu erfolgen hat. Es ist dem Versicherer jedoch gestattet, einen Empfangsvertreter zu benennen, sofern es dem Versicherungsnehmer zumutbar ist, den Widerruf an diesen Adressaten zu richten (vgl. BeckOGK/Knops, BGB, § 495 Rn. 92 m.w.N. [Stand: 15.08.2024], Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, 12. Aufl. 2012, § 495 Rn. 33; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10. Aufl., BGB, § 495 Rn. 104). Es können auch mehrere Anschriften angegeben werden (vgl. jurisPK-BGB/Hönninger, 10. Aufl., § 355 Rn. 39). Die zuvor genannten Voraussetzungen sind im Falle eines für den Versicherer tätigen Vertreters zu bejahen. Daneben stand es dem Kläger erkennbar offen, den Widerspruch auch gegenüber der Beklagten selbst wirksam erklären. Eine unzulässige Abweichung von dem Grundgedanken des § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. und ein relevantes Hindernis zu Lasten des Versicherungsnehmers sind nach Ansicht des Senats nicht zu erkennen. Da es zur Fristwahrung allein auf die rechtzeitige Absendung des Widerrufs ankommt und der Versicherungsvertreter als empfangsbevollmächtigt gilt (§ 69 Abs. 1 Nr. 1 VVG), kann der Versicherungsnehmer ohne weiteres einen der beiden angegebenen Ansprechpartner als Adressaten des Widerrufs wählen. Damit sind dem Kläger lediglich Alternativen eröffnet worden, ohne Verwirrung zu stiften.
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Insgesamt gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass ein Versicherungsnehmer durch die weitere Belehrung von einem rechtzeitigen Widerruf hätte abgehalten werden können (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 17.05.2024 – 8 U 149/23, Anlage B 33, Seiten 8 f.; OLG Dresden, Beschluss vom 06.05.2024 – 6 U 2093/23, Anlage B 35, Seite 5). Mit den im Policenbegleitschreiben enthaltenen komprimierten Informationen wird auch der Zweck des Widerrufsrechts, dem Versicherungsnehmer eine einfache und unbedingte Lösungsmöglichkeit zu eröffnen, nicht in Frage gestellt.
37
b) Bei dieser Sachlage kommt es auf den Einwand missbräuchlicher Rechtsausübung (Verwirkung, § 242 BGB) und die entsprechenden Ausführungen der Vorinstanz (LGU 13-16) nicht mehr entscheidungserheblich an.
38
c) Demgemäß besteht kein Zahlungsanspruch des Klägers aus § 9 VVG i.V.m. § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F., § 346 BGB (vgl. zur Anspruchsgrundlage ausführlich LGU 15 ff.; ferner BGH, Urteil vom 13.09.2017 – IV ZR 445/14, NJW 2017, 3784 Rn. 19 ff.) und er kann auch keine Herausgabe gezogener Nutzungen verlangen.
39
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
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4. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Senat hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der von höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten abweicht. Den vom Kläger wiederholt in Bezug genommenen Sitzungsprotokollen des OLG Köln in der Sache 20 U 277/23 (Anlagen G B 1 und G B 3) sowie dem dortigen Anerkenntnisurteil vom 12.12.2024 (Anlage G B 4) lassen sich keinerlei Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt entnehmen. Aus dem in der genannten Sache ergangenen erstinstanzlichen Urteil (LG Bonn – 41 O 118/22, Anlage B 23) wird vielmehr deutlich, dass die tatsächlichen Umstände mit dem vorliegenden Streitfall nicht identisch waren.
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Ob eine Widerrufsbelehrung inhaltlich und formal den gesetzlichen Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG a.F. genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Eine höchstrichterliche Klärung, ob einzelne Belehrungen formal und inhaltlich ordnungsgemäß sind, ist nicht geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2018 – IV ZR 201/16, r+s 2018, 363 Rn. 9 m.w.N.).
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5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO festgesetzt.
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Die Feststellungsklage enthält (auch) eine in die Zukunft gerichtete Negierung der Zahlungspflicht des Klägers. Sie ist daher analog § 9 ZPO mit 42 x 194,57 € = 8.171,94 € zu bewerten.
44
Die für den Streitwert maßgebliche Berufungsbeschwer der durch das Grundurteil belasteten Beklagten entspricht im Fall der unbeschränkt eingelegten Berufung der Höhe der Klageforderung, der dem Grunde nach stattgegeben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.01.2024 – VI ZB 45/23, BeckRS 2024, 4567 Rn. 10 m.w.N.). Dies betrifft hier den zuletzt geforderten Betrag von 21.744,18 € sowie die – streitwerterhöhend zu berücksichtigenden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2018 – IV ZB 10/18, NJW-RR 2019, 545 Rn. 8 ff.) – Nutzungen in Höhe von 2.630,13 €.