Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.01.2025 – 9 ZB 23.2296
Titel:

Anforderungen an die Wirksamkeit und Bestimmtheit von Bebauungsplänen

Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2, Art. 20 Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 63 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Die teilweise Funktionslosigkeit und die damit einhergehende Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans führt dann nicht zur Gesamtnichtigkeit, wenn die Restbestimmung auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das bloße Nichteinschreiten im Hinblick auf Verstöße gegen Festsetzungen in einem Beabauungsplan bindet die zuständige Behörde nicht dahingehend, dass sie entsprechende Befreiungen zu erteilen hätte. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans, Bestimmtheitsgebot, Funktionslosigkeit, Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel, Teilunwirksamkeit, zeichnerische Festsetzung, textliche Festsetzung, Nichteinschreiten, Befreiungen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 23.10.2023 – AN 3 K 22.1244
Fundstelle:
BeckRS 2025, 826

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin ist Miteigentümerin der Grundstücke FlNrn. … und … der Gemarkung … Sie begehrt von der Beklagten die Erteilung einer isolierten Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. …, der einschließlich der Genehmigung durch die Regierung von … vom 4. Januar 1972 am 4. Februar 1972 gekannt gemacht wurde, für das Vorhaben „Errichtung eines Sichtschutzzaunes“. Ausweislich der eingereichten Bauvorlagen soll der Zaun eine Höhe von ca. 2 m aufweisen und auf einer Länge von 18,51 m entlang der Zufahrt zum klägerischen Grundstück auf dem Grundstück FlNr. … zum Grundstück FlNr. … hin errichtet werden. § 6 Buchst. c des Bebauungsplans bestimmt hierzu: „Einfriedungen sind nur für die Baugrundstücke östl. der …str. sowie den Baugrundstücken südl. des Sportplatzes der … … an der …str., …str., … …str. u. Am …weg zulässig. Die Einfriedungen dürfen an der Straße nur auf der Straßenbegrenzungslinie (grüne Linie) errichtet werden. Ihre Höhe beträgt einschließlich Sockel max. 1,30 m. Die Einfriedungsart ist nicht festgesetzt. Die Baugrundstücke auf den Flurstücken Nr. … u. Nr. … dürfen nicht eingefriedet werden.“ Das Vorhabengrundstück liegt im benannten Bereich.
2
Mit Bescheid vom 31. März 2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Aufgrund der beantragten Länge seien die Grundzüge der Planung berührt. Außerdem seien nachbarliche Belange beeinträchtigt, der Nachbar habe sich bereits eindeutig gegen das Vorhaben ausgesprochen.
3
Die hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Oktober 2023 ab; die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO. Die geltend gemachte Funktionslosigkeit des Bebauungsplans sei auf den mit dem Stadion bebauten Bereich begrenzt. Der streitgegenständliche Bebauungsplan sei, soweit er das Baugrundstück betrifft, im Hinblick auf die hier in Frage stehende Festsetzung – die zulässige Höhe von Einfriedungen – wirksam und nicht funktionslos geworden. Das Vorhaben der Klägerin berühre die Grundzüge der Planung.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt und liegt im Übrigen nicht vor.
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Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss die Rechtsmittelführerin im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen. Daran fehlt es hier. Nur mit einer Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens oder der Darstellung der eigenen Rechtsauffassung wird dem Darlegungsgebot nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 9 ZB 21.2366 – juris Rn. 11 ff.).
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Die Ausführungen der Klägerin in der Zulassungsbegründung sind auch inhaltlich nicht geeignet, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegt, dass sich die Funktionslosigkeit des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der Nutzung nur auf das Stadiongelände bezieht, die Regelung in § 6 Buchst. c des Bebauungsplans zu Einfriedungen weder zu unbestimmt noch ihrerseits funktionslos geworden ist und die Klägerin keinen Anspruch auf die beantragte Befreiung hat, weil Grundzüge der Planung berührt sind. Hierauf wird verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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a) Ob das Stadion der … … … bereits lange vor Erlass des Bebauungsplans Nr. … errichtet worden ist oder ob die auf Grundlage des Bescheids vom 15. Dezember 2015 vorgenommene Modernisierung des Stadions eine erstmalige Errichtung darstellt, ist für die Frage, ob die streitgegenständliche Festsetzung im Bereich der klägerischen Grundstücke funktionslos geworden ist, unerheblich. Befreiungen von der Art der Nutzung im Stadionbereich wirken sich weder auf die gestalterische Festsetzung der Einfriedungen, noch auf den streitgegenständlichen Teilbereich des Bebauungsplans überhaupt aus.
12
b) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der Bebauungsplan nicht insgesamt funktionslos bzw. unwirksam geworden ist (UA S. 10 ff.), begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Eine Funktionslosigkeit und die damit einhergehende Unwirksamkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung führt dann nicht zur Gesamtnichtigkeit, wenn die Restbestimmung auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre. Zu prüfen ist, ob die für sich genommen unbedenklichen Festsetzungen noch ihre Aufgabe erfüllen können, eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Planbereichs zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 – BVerwG 4 C 28.83 – juris Rn. 14). Diese Frage ist zu verneinen, wenn die Nichtigkeit einzelner Festsetzungen das Planungskonzept in seinem Kerngehalt trifft, so dass nur noch ein Planungstorso übrigbleiben würde (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.1989 – 4 NB 2.89 – juris Rn. 15; B.v. 18.12.1990 – 4 NB 19.90 – juris Rn. 32).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Funktionslosigkeit eines Teilbereichs des Bebauungsplans nicht zur Nichtigkeit seiner weiteren Teilbereiche führt, da diese für sich betrachtet auch noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können (UA S. 12). Mit ihrem Vortrag, der Annahme des Verwaltungsgerichts, der Bebauungsplan sei in drei selbständige Teilbereiche gegliedert, könne nicht gefolgt werden, begründet die Klägerin an dieser Rechtsauffassung keine ernstlichen Zweifel. Das Verwaltungsgericht stützt seine Rechtsansicht der Zweigliedrigkeit der Planbereiche westlich der …straße auf das Maß der baulichen Nutzung, die sich im nördlichen Teil des festgesetzten allgemeinen Wohngebiets mit drei- bis achtgeschossigen Mehrfamilienhäusern in Hausgruppen und vorgeschriebenem Flachdach in klar begrenzten Baufenstern vom südlichen Teil erkennbar abgrenze, der eine maximal zweigeschossige Bebauung in Einzel- und Doppelhausbauweise zulasse und die überbaubare Grundstücksfläche großzügiger begrenze. Diese Unterteilung des Bebauungsplans westlich der …straße in weitere zwei Teilbereiche lässt sich diesem anhand der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Kriterien klar entnehmen, ohne dass es auf die konkrete Belegenheit des Sportplatzes der … … … im Plangebiet ankommt. Jeder Teilbereich kann für sich allein eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewährleisten und wäre vom Satzungsgeber auch unabhängig von den anderen Bereichen erlassen worden.
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c) Der Vortrag der Klägerin, die streitgegenständliche Festsetzung in § 6 Buchst. c der Bebauungsplansatzung sei mangels Bestimmtheit hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs unwirksam, da sich dem Bebauungsplan nicht entnehmen lasse, welche Baugrundstücke sich „südlich des Sportplatzes der … …“ befänden, begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
15
Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn muss den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplans Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Der planenden Gemeinde steht es dabei frei, zu entscheiden, welcher Mittel sie sich bedient, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen. Sie hat die Wahl zwischen zeichnerischer Festsetzung und textlicher Beschreibung; sie kann auch beide Elemente kombinieren. Entscheidend ist nur, dass – gegebenenfalls nach Auslegung – hinreichend klar ist, welche Regelungen mit welchem Inhalt normative Geltung beanspruchen. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2008 – 1 NE 07. 2946 u.a. – juris Rn. 49; U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 – juris Rn. 50; U.v. 21.6.2016 – 9 N 12.218 -juris Rn. 44; OVG NRW, U.v. 7.11.2005 – 10 D 3/03.NE – juris Rn. 57; U.v. 2.12.2016 – 2 D 121/14.NE – juris Rn. 62 ff.). Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit begründet die Unwirksamkeit der Festsetzung.
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Hieran gemessen ist die Festsetzung wirksam. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass sich die „Baugrundstücke südlich des Sportplatzes der … …“ dem Bebauungsplan nicht entnehmen lassen. Die streitgegenständliche Festsetzung definiert die Bereiche jedoch nicht ausschließlich über ihre Lage südlich des Sportplatzes, sondern benennt die Straßen konkret, in denen Einfriedungen bis zu 1,30 m zulässig sind, so dass sich der Geltungsbereich der Gestaltungsregelung eindeutig bestimmbar unmittelbar aus dem Bebauungsplan ergibt.
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d) Schließlich steht der Klägerin auch kein Befreiungsanspruch von § 6 Buchst. c der Bebauungsplansatzung zu. Eine Befreiung von der Einfriedungsregelung hat die Beklagte nach ihren von der Klägerin unwidersprochenen Angaben bisher nicht erteilt. Das bloße (bisherige) Nichteinschreiten gegen die einzelnen tatsächlich vorhandenen Fälle eines Verstoßes gegen die Festsetzung bindet die Beklagte noch nicht dahingehend, Befreiungen erteilen zu müssen. Zudem ist festzustellen, dass selbst unter Zugrundelegung der klägerischen Angaben allenfalls etwa 14% der Einfriedungen im Bereich südlich des Stadions nicht der Festsetzung entsprechen. Damit ist die Festsetzung zur Einfriedung offensichtlich noch nicht obsolet geworden. Schließlich wäre die Erteilung einer Befreiung aufgrund der Länge und Höhe der beabsichtigten Einfriedung so weitgehend, dass dadurch in die – weiterhin vorhandene – Planungskonzeption erheblich eingegriffen würde (vgl. UA S. 14).
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, kann die Rechtssache anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften rechtlich beurteilt werden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).