Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.01.2025 – 2 N 21.2620
Titel:

Erforderlichkeit eines Bebauungsplans

Normenkette:
BauGB § 1 Abs. 3
Leitsatz:
Wenn die Planung nur deshalb erfolgt, um eine vom ursprünglichen Bebauungsplan abweichende Fehlentwicklung im Interesse des oder der betroffenen Bauherren zu legalisieren, ohne dass gleichzeitig städtebauliche Gründe – die sich aus der Begründung des Bebauungsplans selbst ergeben müssen – für eine solche Änderung sprechen, liegen sachfremde Motive für die Bauleitplanung vor, da es an dem für die Bauleitplanung notwendigen städtebaulichen Bezug fehlt (vgl. OVG Koblenz BeckRS 1986, 5111). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Erforderlichkeit, städtebauliche Rechtfertigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 814

Tenor

I. Die erste Änderung des Bebauungsplans „Westliche S. straße" der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 20.000, – Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die erste Änderung des Bebauungsplans „Westliche S. straße“ der Antragsgegnerin, die am 13. Oktober 2020 als Satzung beschlossen und am 30. Oktober 2020 bekannt gemacht wurde.
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Das Grundstück der Antragsteller liegt mit einer Teilfläche von etwas mehr als 400 m² im Geltungsbereich des streitgegenständlichen Bebauungsplans. Der Bebauungsplan setzt für diese Teilfläche ein allgemeines Wohngebiet und zwei zu erhaltende Bäume fest. Für das südlich angrenzende Grundstück wird eine Baugrenze im Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze der Antragsteller festgesetzt. Weiter wird eine Fläche für Tiefgarage, Stellplätze oder Carports direkt an der Grundstücksgrenze der Antragsteller festgesetzt. Zur Rechtfertigung der Planung heißt es in der Begründung des streitgegenständlichen Bebauungsplans ausschließlich: „Anlass und Ziel der Planung: Innerhalb des Plangebiets ist der Neubau eines Mehrfamilienhauses beabsichtigt“. Der Geltungsbereich liegt innerhalb des rechtskräftigen Bebauungsplanes „Westliche S. straße“ vom 04. Mai 2010 mit einer Festsetzung als allgemeines Wohngebiet. Der Bebauungsplan sieht im südlichen Teil des ehemals zusammenhängenden Grundstücks FlNr. 142/3 ein ergänzendes Baufenster für ein Mehrfamilienhaus vor. Im Rahmen des Grundstücksverkaufs wurde eine neue Grundstücksaufteilung der ehemals drei Grundstücke FlNrn. 142/3, 142/4 und 142/6 vorgenommen. Durch die Teilung sowie die zwischenzeitlich hergestellte private Erschließungsstraße FINr. 142/7 ist eine Bebauung innerhalb des parallel zur Erschließungsstraße verlaufenden Baufensters nicht mehr möglich. Zur Ermöglichung der vorgesehenen Wohnbebauung innerhalb des neu gebildeten Grundstücks FINr. 142/10 ist eine Änderung des Bebauungsplanes erforderlich.“
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Die Antragsteller tragen verschiedene Gründe gegen die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes vor; unter anderem führten die Festsetzungen dazu, dass die gesetzlich vorgesehene Abstandsfläche zu ihrem Grundstück nicht eingehalten werden müsse.
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Sie beantragen,
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den streitgegenständlichen Bebauungsplan für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin verteidigt den Bebauungsplan.
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Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlussverfahren angehört und darauf hingewiesen, die städtebauliche Rechtfertigung des Bebauungsplans erscheine fraglich, nachdem ausschließlich private Wünsche als Rechtfertigung für die getroffenen Festsetzungen angegeben wurden. Die Antragsgegnerin äußerte sich innerhalb der hierfür gesetzten Frist nicht.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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1. Die Entscheidung kann im Beschlussweg ergehen, weil der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus dem Zusammenwirken von § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ergibt sich nichts Anderes, nachdem sich die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht auf letztere Vorschrift berufen kann.
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2. Der Antrag ist zulässig. Er wurde gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres nach der Bekanntmachung des Beschlusses des angegriffenen Bebauungsplans beim Verwaltungsgerichtshof gestellt. Die Antragsteller sind auch als Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks, das von den bauplanerischen Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplans betroffen ist, antragsbefugt i.S.d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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3. Der Antrag ist auch begründet. Dem streitgegenständlichen Bebauungsplan fehlt es an der notwendigen städtebaulichen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 HS 1 BauGB).
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a) Bauleitpläne sind erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB, soweit sie nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich sind. In ständiger Rechtsprechung weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass es Sache der Gemeinde sei, wie sie ihre Planungshoheit handhabe und welche Konzeption sie ihr zu Grunde lege, dass die Entscheidung über planerische Zielsetzungen eine Frage der Gemeindepolitik und nicht bloße Rechtsanwendung sei und dass sich die geordnete städtebauliche Entwicklung im Einzelfall nach den vorhandenen, hinreichend konkretisierten planerischen Willensbetätigungen der Gemeinde bestimme (vgl. zuerst BVerwG, U. v.. 29.4.1964 – 1 C 30.62 – juris Rn. 20). Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinde, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (vgl. etwa BVerwG, U.v. 27.3.2013 – 4 C 13.11 – juris). An der städtebaulichen Erforderlichkeit fehlt es jedoch im Fall von sogenannten Gefälligkeitsplanungen, bei denen die Gemeinde insbesondere lediglich einem Wunsch von Grundstückseigentümern auf Ausweisung ihre Fläche als Bauland nachkommen will oder auch sonstige unsachliche, also nicht im Städtebaurecht wurzelnde Motive für die Planung besitzt. Dabei ist nicht jede Planung, die nur einzelne Grundstückseigentümer begünstigt, rechtlich problematisch. Die Gemeinde darf sich auch im Rahmen ihrer Bauleitplanung an Wünschen und Interessen von Grundstückseigentümern im Plangebiet orientieren, allerdings nur, wenn sie ihre Planung auch auf hinreichend gewichtige städtebauliche Überlegungen stützen kann (vgl. VGH BW, B.v. 5.6.1996 – 8 S 487/96 – NVwZ-RR 1997, 684). Ob für die entsprechende Planung nach Art und Umfang ein Bedarf besteht, ist dabei keine Frage der städtebaulichen Erforderlichkeit, sondern entscheidet sich erst auf der Ebene der Abwägung. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit erscheint deshalb auch die Überplanung nur eines einzigen Grundstücks oder weniger Grundstücke nicht von vornherein als unzulässig, wenn nur die Gemeinde eine entsprechende Begründung für ihr Vorgehen geben kann (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2022 – 9 NE 22.705 – BeckRS 2022, 15432). Ebenso kann ein Bebauungsplan erforderlich sein, der nur einen einzelnen Bauträger begünstigt (vgl. VGH BW, B.v. 14.2.1992 – 8 S 2695/91 – NVwZ-RR 1993, 67). Auch insoweit ist wieder ausschlaggebend, welchen Zweck die Gemeinde mit ihrer konkreten Planung verfolgt. Dass ein einzelnes Vorhaben Rechtfertigung für eine Bauleitplanung sein kann, wird auch durch die Existenz des rechtlichen Instruments des vorhabenbezogenen Bebauungsplans deutlich (vgl. BeckOK BauGB/Dirnberger, 64. Ed. 1.11.2024, § 1 Rn. 39).
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b) Im hier zu entscheidenden Fall fehlt allerdings jeder Anhaltspunkt dafür, ob und warum sich die Gemeinde den privaten Bauwunsch aus städtebaulichen Gründen zu eigen gemacht hat. Deswegen ist davon auszugehen, dass allein aufgrund privater Interessen eine bauliche Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die vom bislang geltenden Bebauungsplan abweicht und vor diesem Hintergrund eine Fehlentwicklung darstellt. Um die Realisierung eines privaten Bauwunsches möglich zu machen, wurde die streitgegenständliche Änderung des ursprünglichen Bebauungsplans beschlossen. Sonstige Planungsziele sind der Begründung nicht zu entnehmen. Wenn die Planung – wie hier – nur deshalb erfolgt, um eine vom ursprünglichen Bebauungsplan abweichende Fehlentwicklung im Interesse des oder der betroffenen Bauherren zu legalisieren, ohne dass gleichzeitig städtebauliche Gründe – die sich aus der Begründung des Bebauungsplans selbst ergeben müssen – für eine solche Änderung sprechen, liegen sachfremde Motive für die Bauleitplanung vor, da es an dem für die Bauleitplanung notwendigen städtebaulichen Bezug fehlt (vgl. OVG RhPf, U. v. 5.3.1986 – 10 C 45/85 – BauR 1986, 412).
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c) Folge einer fehlenden Erforderlichkeit und damit Planungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 ist auch unter Berücksichtigung der Vorschriften der §§ 214 f. BauGB die Unwirksamkeit des Bauleitplans (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, 155. EL August 2024, BauGB, § 1 Rn. 31 a.E.).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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6. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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7. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
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8. Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 HS 2 VwGO ist die Nr. I. der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss von der Antragsgegnerin in derselben Weise veröffentlicht werden wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).