Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.01.2025 – 22 ZB 23.1625
Titel:

Untersagung der Ausübung des Gewerbes 

Normenketten:
GewO § 12 S. 1, § 35 Abs. 1 S. 1
ZPO § 240
AO § 89 Abs. 1, § 162 Abs. 1 S. 1
VwGO § 86 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein verwaltungsgerichtlicher Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit des Gewerbeuntersagungsbescheides geht, betrifft nicht die Insolvenzmasse. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das personenbezogene Recht zur Gewerbeausübung ist nicht Teil der Insolvenzmasse. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelung in § 12 S. 1 GewO hat anders als § 240 ZPO keinen prozessrechtlichen, sondern allein einen materiell-rechtlichen Regelungsgehalt; eine Unterbrechung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann dadurch nicht ausgelöst werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Gewerbetreibender ist auch dann unzuverlässig, wenn er sich zur Erledigung beruflich bedingter Pflichten Dritter bedient, die die ihnen übertragenen Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Gewerbetreibenden das Fehlverhalten des Dritten bekannt sein musste, ohne dass er sogleich für Abhilfe sorgt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ob steuerliche Rückstände auf Steuerschätzbescheiden beruhen, ist für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit unerheblich. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbrechung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (verneint), gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Zurechnung des Fehlverhaltens eines Steuerberaters, Steuerschätzbescheide, behauptete Nichtigkeit von Steuerbescheiden, nachträgliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, Gewerbe, Unzuverlässigkeit, Steuerberater, Fehler, Zurechnung, Steuerschätzbescheid, Steuerrückstände, Nichtigkeit, Insolvenzverfahren, nachträgliche Eröffnung, gerichtliches Verfahren, Unterbrechung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 26.07.2023 – W 6 K 22.1394
Fundstellen:
FDInsR 2025, 000809
BeckRS 2025, 809

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. Juli 2023 – W 6 K 22.1394 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 11. August 2022 weiter.
2
Der Kläger betreibt einen Gerüstbau und -verleih. Mit Bescheid vom 11. August 2022 untersagte ihm das zuständige Landratsamt die Ausübung des angemeldeten Gewerbes sowie die Ausübung sämtlicher weiterer stehender Gewerbe, die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person ganz und auf Dauer (Nr. I des Bescheides). Dies wurde im Wesentlichen auf Steuerrückstände beim Finanzamt sowie Beitragsrückstände bei zwei Krankenkassen, der Berufsgenossenschaft Bau sowie der Handwerkskammer gestützt.
3
Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 26. Juli 2023 ab, dem Klägerbevollmächtigten am 3. August 2023 zugestellt.
4
Der Kläger beantragte am 4. September 2023, einem Montag, beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag mit am 4. Oktober 2023 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. August 2024 teilte der Kläger mit, es sei mit Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 17. Juli 2024 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden. Aufgrund dessen sei das (verwaltungsgerichtliche) Verfahren nach § 173 VwGO i.V.m. § 240 ZPO unterbrochen. Der Kläger führte mit weiterem Schriftsatz vom 29. Oktober 2024 aus, der Sinn und Zweck des § 12 Satz 1 GewO stehe dem laufenden Verfahren entgegen, da dadurch eine Sanierung des Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzplanes verhindert werde. Es sei aber gerade Ziel des § 12 Satz 1 GewO, die Möglichkeit einer Sanierung des Unternehmens im Rahmen des Insolvenzverfahrens offenzuhalten. Daher sei bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens das verwaltungsgerichtliche Verfahren unterbrochen.
5
Der Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten; er hat zudem ausgeführt, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen worden sei.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
7
Der Senat kann über den Antrag auf Zulassung der Berufung entscheiden, weil eine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 240 ZPO nicht eingetreten ist. Die Voraussetzungen des § 240 ZPO liegen nicht vor, weil es sich bei dem vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit des Gewerbeuntersagungsbescheides geht, nicht um ein Verfahren handelt, das die Insolvenzmasse betrifft. Es geht vorliegend nicht um Ansprüche, die etwa aus der Insolvenzmasse befriedigt werden sollen; die Insolvenzmasse umfasst gemäß § 35 Abs. 1 InsO allein das Vermögen des Schuldners, nicht aber das personenbezogene Recht zur Gewerbeausübung (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 16.8.2012 – 22 ZB 12.949 – juris Rn. 6). Anderes ergibt sich auch nicht aus § 12 Satz 1 GewO. Die Vorschrift hat anders als § 240 ZPO keinen prozessrechtlichen, sondern allein einen materiell-rechtlichen Regelungsgehalt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 20 ff.). Eine Unterbrechung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann dadurch nicht ausgelöst werden.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung des Klägers (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass einer der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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1. Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, die jedoch nicht vorliegen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1.1 Der Kläger trägt vor, er sei weder leistungsunfähig noch leistungsunwillig, sondern Opfer der Verhältnisse. Das Wissen kleiner Gewerbetreibender reiche nicht aus, um die exponentiell angestiegenen Mengen an Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Vorschriften wahrnehmen und beachten zu können. Die daraus folgende häufige Beauftragung von Steuerbüros führe zu einem absoluten Personalmangel auf dem Gebiet der Steuerberatung. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Gewerbetreibende müsse sich das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen lassen, werde der Praxis nicht gerecht, weil ein Handwerker, der von steuerlichen Dingen nichts verstehe, seinen Steuerberater nicht kontrollieren könne. Der Kläger sei über den Stand der Steuerschulden nicht ausreichend informiert gewesen. Festsetzungsbescheide in Bezug auf die Einkommensteuer seien ihm nicht übermittelt worden, sondern müssten im Steuerbüro hängen geblieben sein.
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1.1.1 Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, es gehöre zum Pflichtenkreis eines zuverlässigen Gewerbetreibenden, seine steuerlichen Belange so zu organisieren, dass er seinen steuerlichen und sonstigen Beitragsverpflichtungen nachkomme. Ein etwaiges Verschulden von Hilfspersonen wie einer Steuerberaterin müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
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1.1.2 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers nicht.
14
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender auch dann unzuverlässig, wenn er sich zur Erledigung beruflich bedingter Pflichten Dritter bedient, die die ihnen übertragenen Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Gewerbetreibenden das Fehlverhalten des Dritten bekannt sein musste, ohne dass er sogleich für Abhilfe sorgt (BayVGH, B.v. 22.3.2017 – 22 ZB 17.374 – juris Rn. 8; B.v. 22.10.2021 – 22 ZB 21.1938 – juris Rn. 16). Der Kläger kann sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm seine Steuerschulden nicht bekannt gewesen seien. Der Kläger hätte auch als Laie wissen müssen, dass er hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit Steuern zu entrichten hat. Wären ihm dazu über einen längeren Zeitraum vom Steuerberatungsbüro keinerlei Informationen zugegangen, so hätte er dort nachfragen und ggf. selbst beim Finanzamt Erkundigungen einholen müssen. Auch hätte ihm klar sein müssen, dass Steuererklärungen abgegeben werden müssen und dies nur auf der Basis von Informationen über seinen Betrieb möglich war, die er dem Steuerberaterbüro hätte übermitteln müssen.
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1.2 Der Kläger rügt weiter, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob die vom Finanzamt behaupteten Rückstände überhaupt existierten. Der Kläger habe im Jahr 2018 aufgrund einer Steuererklärung eine Einkommensteuerschuld von 26.229 € gehabt. Für das Jahr 2019 sei seine Einkommensteuerschuld auf 55.190 € geschätzt worden, für das Jahr 2020 auf 57.404 €. Mit Bescheid vom 25. August 2023 sei jedoch gegenüber dem Kläger und seiner Frau für 2020 eine Einkommensteuer von 10.678 € zuzüglich Verspätungszuschläge und Solidaritätszuschlag festgesetzt worden. Die geschätzte Steuerschuld für das Jahr 2020 habe damit bei 566,28% der tatsächlichen Steuerschuld gelegen. Die Schätzung sei mithin objektiv fehlerhaft. Nach den Entscheidungen BFH, Urteil vom 15. Juli 2014 – X R 42/12 (BFH/NV 2015, 145) sowie BFH, Urteil vom 15. Mai 2002 – X R 34/99 (juris) sei eine solche Besteuerung nichtig, weil ein besonders schwerer Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO vorliege. Dies sei immer dann der Fall, wenn die Finanzbehörde bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätze. Vorliegend sei dem Kläger weder der Schätzungsbescheid zur Kenntnis gegeben worden noch habe er eine Begründung für die Schätzung erhalten. Das Schätzungsergebnis weiche krass von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Auch habe das Finanzamt entgegen der Anweisung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 26. Februar 2020 vor Erlass des Schätzungsbescheides kein Zwangsgeldverfahren durchgeführt, um den Steuerzahler zur Erklärungsabgabe zu bewegen. Der Kläger sei vom Finanzamt nicht kontaktiert worden. Auch für die Jahre 2021 und 2022 sei Einkommensteuer in Höhe von jeweils über 50.000 € im Wege der Schätzung festgesetzt worden. Das Landratsamt habe völlig unkritisch die Angaben des Finanzamtes übernommen. Auch das Verwaltungsgericht habe sich trotz entsprechender Schriftsätze mit der Frage, ob die Steuerfestsetzungen rechtlich wirksam erfolgt seien, nicht beschäftigt.
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1.2.1 Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat sich das Verwaltungsgericht mit der Frage, inwieweit Steuerschätzungen der Einschätzung zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit zugrunde gelegt werden können, wenn auch nur sehr knapp, befasst, nachdem dieser Aspekt wohl erstmals in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite vorgebracht worden war (vgl. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 26.7.2023, S. 2).
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1.2.2 Auch insoweit ergeben sich aus dem klägerischen Vortrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, unabhängig von der Frage erhöhter Darlegungsanforderungen im Berufungszulassungsverfahren mit Blick auf den äußerst knappen erstinstanzlichen Vortrag zu diesem Gesichtspunkt.
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1.2.2.1 Ob steuerliche Rückstände auf Steuerschätzbescheiden beruhen, ist für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit unerheblich. Dies folgt zum einen daraus, dass der Erlass von Schätzbescheiden die von der Rechtsordnung zwingend vorgesehene Folge der Nichterfüllung der Steuererklärungspflicht darstellt (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO); eine Person, die diese Pflicht missachtet, kann nicht verlangen, von den daran geknüpften rechtlichen Konsequenzen verschont zu bleiben. Zum anderen kommt auf Schätzungen beruhenden Steuerbescheiden bezüglich der Verbindlichkeit der in ihnen enthaltenen feststellenden Regelungen (insbesondere über das Bestehen und die Höhe einer Steuerschuld) grundsätzlich die gleiche rechtliche Wirkung wie solchen Steuerbescheiden zu, die auf einer Steuererklärung oder auf einer von Amts wegen erfolgten Ermittlung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen beruhen. Denn auch Schätzbescheide bilden nach § 218 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AO die Grundlage für die Verwirklichung der Steuerschuld; auch sie sind so lange den Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner zugrunde zu legen, als sie nicht aufgehoben wurden oder ihre kraft Gesetzes bestehende Vollziehbarkeit (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO) ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 19; B.v. 13.6.2017 – 22 C 16.2481 – juris Rn. 10; B.v. 28.2.2022 – 22 ZB 21.360 – juris Rn. 19).
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1.2.2.2 Unabhängig von der Frage, ob – wie der Beklagte meint – die Nichtigkeit von Steuerbescheiden im Gewerbeuntersagungsverfahren grundsätzlich nicht eingewandt werden kann, solange diese nicht gemäß § 125 Abs. 5 AO festgestellt wurde (so VG München, U.v. 7.11.2014 – M 16 K 13.3930 – juris Rn. 18), ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Schätzbescheide für die Jahre 2019 – 2022 entsprechend der Auffassung des Klägers nichtig seien und deshalb keine Grundlage für die Gewerbeuntersagung darstellen könnten. Insoweit ist der Kläger bereits seiner Darlegungspflicht im Zulassungsverfahren (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht ausreichend nachgekommen, weil die von ihm erwähnten Schätzbescheide, die pro Jahr eine Einkommensteuerschuld von über 50.000 € ausgewiesen haben sollen, nicht vorgelegt wurden. Der vorgelegte Kontoauszug des Finanzamtes B. K. vom 14. Juli 2022 genügt insoweit nicht, weil er keinerlei Grundlagen der Steuerfestsetzung erkennen lässt. Der weiter vorgelegte Steuerbescheid vom 25. August 2023 lässt lediglich erkennen, dass die Steuerfestsetzung für das Jahr 2020 deutlich nach unten korrigiert wurde, lässt aber keine Rückschlüsse auf die Nichtigkeit eines früheren Bescheides zu. Nach den vom Kläger zitierten Entscheidungen des BFH erweist sich eine Steuerschätzung zwar als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt; Nichtigkeit folgt daraus im Allgemeinen aber nicht (BFH, U.v. 15.7.2014 – X R 42/12 – juris Rn. 23; U.v. 15.5.2002 – X R 34.99 – juris Rn. 17). Im Übrigen kann durch den Senat aufgrund der Angaben des Klägers nicht beurteilt werden, ob vorliegend der durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlassen wurde. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Schätzungsbescheid nur dann willkürlich und damit nichtig im Sinne von § 125 Abs. 1 AO, wenn der Bedienstete subjektiv willkürlich gehandelt hat, was hier nicht festgestellt werden kann, oder wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden (BFH, U.v. 15.7.2014 – X R 42/12 – juris Rn. 24; U.v. 15.5.2002 – X R 34.99 – juris Rn. 18). Ob dies hier der Fall war, kann mangels Vorlage der betroffenen Bescheide, zu der der Kläger aufgrund seiner Darlegungslast nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verpflichtet gewesen wäre, nicht festgestellt werden. Das Vorbringen des Klägers, die geschätzte Steuerschuld habe um 566% über der nach der Einreichung der Steuererklärung festgesetzten Steuerschuld gelegen, reicht keinesfalls für die Darlegung der Nichtigkeit eines Schätzbescheids aus.
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1.2.2.3 Schließlich bliebe der vom Kläger behauptete Verstoß gegen eine innerdienstliche Anweisung des Bayerischen Landesamts für Steuern ohne Auswirkung auf die Wirksamkeit der infrage stehenden Steuerbescheide.
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1.3 Der Kläger trägt weiter vor, er habe im Zeitraum 2020 bis September 2023 an das Finanzamt 374.498,36 € gezahlt; die Finanzverwaltung müsse daneben im Wege der Pfändung von Kundenforderungen einen weiteren mittleren 5-stelligen Betrag eingebracht haben. Angesichts dessen sei eine anhaltende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit offensichtlich nicht gegeben. Im Übrigen habe der Kläger nach seiner Anhörung im Juni 2022 seine Ankündigung, die Verbindlichkeiten zurückführen zu wollen, auch umgesetzt. Sämtliche Gläubiger des Klägers außerhalb der Finanzverwaltung seien schon während des erstinstanzlichen Verfahrens komplett bezahlt gewesen. Soweit das Verwaltungsgericht ein tragfähiges Sanierungskonzept gefordert habe, sei vom Kläger etwas verlangt worden, was er als Handwerksmeister nicht leisten könne. Das Sanierungskonzept des Klägers habe darin bestanden, sämtliche Gläubiger außerhalb der Finanzverwaltung zeitnah zu befriedigen, was auch geschehen sei. Um die Problematik mit dem Finanzamt durch Beauftragung eines neuen Steuerberaters abschließend zu klären, habe er vorab um Ratenzahlung bei dem Finanzamt nachgesucht. Über dieses Ratenzahlungsgesuch vom März 2023 sei bis zum 4. Oktober 2023 nicht abschließend gefunden worden. Er bezahle dennoch das ganze Jahr 2023 die monatlichen Raten in Höhe von 4.000 €, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
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1.3.1 Das Verwaltungsgericht hat angenommen, angesichts der erheblichen Steuer- und Beitragsrückstände des Klägers im Zeitpunkt des Bescheiderlasses könne die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nur durch ein tragfähiges Sanierungskonzept, das eine Abtragung der aufgelaufenen Steuerrückstände und das Nichtentstehen neuer Steuerschulden erwarten lasse, ausgeräumt werden. Vereinzelte Rückzahlungen oder guter Wille zum Abbau der Steuerschulden seien nicht geeignet, die Annahme der Unzuverlässigkeit zu erschüttern, ebenso wenig wie ein momentanes Wohlverhalten unter dem Druck des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Der Kläger habe im Zeitpunkt des Bescheiderlasses ein tragfähiges Sanierungskonzept nicht vorgelegt. Es sei auch nicht erkennbar, dass er zu diesem Zeitpunkt tragfähige Bemühungen unternommen habe, seine Steuer- und Beitragsschulden nachhaltig zu reduzieren. Vielmehr hätten sich die Steuerschulden vom Zeitpunkt der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses von 116.771,42 € auf 164.029,90 € erhöht. Die vereinzelten Rückzahlungsbemühungen des Klägers seien nicht ausreichend, um die Annahme der Unzuverlässigkeit zu erschüttern.
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1.3.2 Ernstliche Zweifel an diesen Ausführungen ergeben sich aus dem klägerischen Vortrag nicht. Die Behauptung, der Kläger habe zwischen 2020 und September 2023 374.498,36 € an das Finanzamt gezahlt, das zusätzlich noch Kundenforderungen von ihm gepfändet habe, wird entgegen den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO durch nichts belegt. Darüber hinaus ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, wie sich die Steuerschulden zwischen der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens und dem Bescheiderlass auf 164.029,90 € erhöhen konnten und bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2023 nach Mitteilung des Beklagten, die auf einer Information des Finanzamts basierte, eine weitere Erhöhung der Steuerschulden eintreten konnte (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, S. 2).
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Soweit die behaupteten Zahlungen nach Bescheiderlass vorgenommen worden wären, wären sie für die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung nicht maßgeblich, da es insoweit nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung allein auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses ankommt (BVerwG, U.v. 2.2.1882 – 1 C 146.80 – juris Rn. 14; U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 15).
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1.4 Der Kläger macht weiter geltend, bei der Gewerbeuntersagung gelte das ultima ratio-Prinzip hinsichtlich der Abwehr von Gefährdungen aus der Unzuverlässigkeit. Es sei darauf abzustellen, inwieweit das Risiko der Vermögensgefährdung der öffentlichen Hand durch niederschwelligere Maßnahmen als die Gewerbeuntersagung ausgeschlossen werden könne. Der Kläger würde durch die Gewerbeuntersagung staatliche Transferleistungen in Anspruch nehmen müssen, um sich und seine Familie zu unterhalten. Es liege ein Extremfall vor, bei dem die Verhältnismäßigkeit in keiner Weise gewahrt worden sei.
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1.4.1 Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, aufgrund der erheblichen Steuer- und Beitragsrückstände, die sich im laufenden Verwaltungsverfahren sogar noch erhöht hätten, seien keine milderen gleich wirksamen Mittel als die Gewerbeuntersagung zum Schutz der Allgemeinheit ersichtlich. Die Gewerbeuntersagung sei auch nicht unverhältnismäßig, weil eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen könne und Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall hier nicht vorlägen.
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1.4.2 Mit diesen Ausführungen hat sich der Kläger in seinem Zulassungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt. Er legt nicht dar, welches mildere Mittel im Vergleich zu einer Gewerbeuntersagung gleich geeignet wäre, insbesondere die öffentliche Hand vor der Schädigung ihres Vermögens durch nicht bezahlte Steuern und Beiträge zu schützen. Die Behauptung, der Kläger müsse durch die Gewerbeuntersagung zwangsläufig staatliche Transferleistungen in Anspruch nehmen, ist auch nicht geeignet, die die Unverhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung darzulegen. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, kann eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8). Hier ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Vollzug der Gewerbeuntersagung grundsätzlich als angestellter Handwerker weiterarbeiten kann; die Voraussetzungen eines extremen Ausnahmefalls hat er nicht dargelegt.
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1.5 Soweit der Vortrag des Klägers aus dem Schriftsatz vom 29. Oktober 2024 dahin zu verstehen sein sollte, er sei der Meinung, der angefochtene Bescheid sei aufgrund der nach Bescheiderlass vorgenommenen Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 12 Satz 1 GewO nachträglich rechtswidrig geworden, träfe dies unabhängig von der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit dieses nach Ablauf der Begründungsfrist bei Gericht eingegangenen Vortrages nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 15. April 2015 – 8 C 6.14 – juris ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen § 12 Satz 1 GewO an der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Erlasses des angefochtenen Bescheides für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit nichts ändert. Eine Berücksichtigung nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens eingetretener Umstände würde die in § 35 Abs. 1 und 6 GewO normierte Systematik von Untersagungs- und Wiedergestattungsverfahren durchbrechen (BVerwG a.a.O. Rn. 23). Auch wenn § 12 Satz 1 GewO den Zweck verfolgt, insbesondere die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens nicht durch eine Gewerbeuntersagung zu vereiteln, so bedeutet dies nicht, dass ein erst nach Abschluss des Gewerbeuntersagungsverfahrens eröffnetes Insolvenzverfahren unter Durchbrechung der Trennung von Untersagungs- und Wiedergestattungsverfahren die nachträgliche Rechtswidrigkeit einer auf ungeordnete Vermögensverhältnisse gestützten Untersagung auslöst. Zwar normiert § 12 Satz 1 GewO kein Verbot der Vollstreckung von Gewerbeuntersagungen wegen wirtschaftlicher Unzuverlässigkeit (BVerwG a.a.O. Rn. 25), doch kann dem Ziel der Vorschrift, dem Gewerbetreibenden die mit der Durchführung eines Insolvenzverfahrens eröffnete Chance zu einem Neuanfang zu sichern, dadurch Rechnung getragen werden, dass ein nach Abschluss des Gewerbeuntersagungsverfahrens eröffnetes Insolvenzverfahren die Grundlage für eine Wiedergestattung der Gewerbeausübung bieten kann, unter der Voraussetzung, dass die Prognose gerechtfertigt ist, dass der Gewerbetreibende künftig wirtschaftlich hinreichend leistungsfähig sein wird, um das Gewerbe ordnungsgemäß ausüben zu können (BVerwG a.a.O. Rn. 26). Auf die vom Kläger in Bezug genommene Aussage aus Rn. 24 des genannten Urteils, wonach der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter das Gefährdungspotenzial kompensiere, das von der weiteren Ausübung des Gewerbes des insolventen Gemeinschuldners ausgehe, kommt es vorliegend gar nicht an, weil diese nicht den Fall des Klägers betrifft, in dem das Insolvenzverfahren erst nach Abschluss des Gewerbeuntersagungsverfahrens eröffnet wurde, sondern die umgekehrte Konstellation.
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2. Der Kläger macht weiterhin einen Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend. Die Finanzverwaltung sei ihren Verpflichtungen nach § 89 Abs. 1 AO in keiner Weise gerecht geworden, wonach sie die Abgabe von Erklärungen durch den Steuerpflichtigen hätte anregen müssen. Die Ausgangsbehörde habe die Mitteilung des Finanzamts ungeprüft übernommen; das Erstgericht habe entgegen dem Amtsermittlungsprinzip nach § 86 Abs. 1 VwGO die steuerliche Behandlung des Klägers und dessen finanzielle Situation nicht aufgeklärt. Ohne diesen Verfahrensverstoß hätte die angefochtene Entscheidung anders ausfallen müssen. Auch sei seitens der Finanzverwaltung im Rahmen der Zwangsvollstreckung weder eine Vermögensoffenbarung noch ein Insolvenzverfahren beantragt worden.
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Ein Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ergibt sich daraus nicht. Soweit der Kläger das Vorgehen der Finanzverwaltung und des Landratsamtes beanstandet, gehen seine Rügen ins Leere, weil die genannte Vorschrift nur Verfahrensfehler des Erstgerichts erfasst. Auch ein Aufklärungsmangel nach § 86 Abs. 1 VwGO seitens des Verwaltungsgerichts besteht nicht.
31
Denn die gerichtliche Aufklärungspflicht endet dort, wo das Vorbringen der Beteiligten keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Aufklärung bietet (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 46 m.w.N. und weiter auch BVerwG, B.v. 16.12.2019 – 4 BN 16.19 – juris Rn. 2). Die Aufklärungsrüge ist kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem das Unterlassen des Stellens von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung, zu kompensieren (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 75). Hat ein anwaltlich vertretener Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht durch Stellung eines Beweisantrags auf die von ihm nunmehr beanstandete unterbliebene Sachaufklärung hingewirkt, kann eine Aufklärungsrüge keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2009 – 9 B 64.08 – juris Rn. 5), außer es wird dargelegt, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne einen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2021 – 2 B 69.20 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 10 ZB 22.1265 – juris Rn. 6).
32
Abgesehen davon, dass der auch im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger dort keinen Beweisantrag gestellt hat (vgl. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 26.7.2023), ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen auch nicht, dass sich dem Gericht weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Der Kläger legt insoweit schon nicht ausreichend substantiiert dar, was genau er mit der „steuerlichen Behandlung des Klägers und dessen finanzieller Situation“ meint. Eine erfolgreiche Verfahrensrüge hätte aber jedenfalls vorausgesetzt, dass die tatsächlichen Umstände, deren nicht ausreichende Aufklärung der Kläger bemängelt, im Einzelnen substantiiert benannt werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
34
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).