Titel:
Akteneinsicht Dritter, Verweigerung der Akteneinsicht, Sofortige Beschwerde, Zwangsversteigerungsverfahren, Versteigerungstermin, Verkehrswertgutachten, Elektronisches Dokument, Einsichtsrecht, Einsichtnahme, Verfahrensbeteiligte, Entscheidung des Amtsgerichts, Elektronischer Rechtsverkehr, Rechtliches Interesse, Rechtspfleger, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Aktenbestandteil, Grundbuchauszug, Beschwerdeführer, Schutzwürdigkeit, Anderweitige Erledigung
Schlagworte:
Akteneinsicht, Zwangsversteigerung, Bietinteressent, Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Elektronische Akte, Interessenabwägung
Vorinstanz:
AG Coburg, Beschluss vom 02.01.2025 – 1 K 94/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8098
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des sonstigen Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Coburg vom 02.01.2025, Az. 1 K 94/23, abgeändert:
Dem weiteren Beteiligten … ist elektronische Akteneinsicht über das Akteneinsichtsportal des Bundes und der Länder im folgenden Umfang zu gewähren:
- Grundbuchauszug und etwaige spätere Grundbuchmitteilungen
- Versteigerungs- und Beitrittsanträge
- Anmeldungen von Beteiligten
2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsversteigerung aus einem Grundstück der Schuldner. Der Beschwerdeführer ist am Verfahren nicht beteiligt und beantragte als … Bietinteressent mit Schreiben vom 29.12.2024 Akteneinsicht im Hinblick auf den Grundbuchauszug und etwaige spätere Grundbuch-Mitteilungen, Versteigerungs- und Beitrittsanträge, Anmeldungen von Beteiligten und Verkehrswertgutachten. Die Einsicht sollte über das Justizportal Bayern, hilfsweise durch Übermittlung an das beA-Postfach eines von ihm mandatierten Rechtsanwalts erfolgen.
2
Mit Schreiben vom 02.01.2025 antwortete die zuständige Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts, dem Antrag könne nicht stattgegeben werden. Anordnungs- und Beitrittsbeschlüsse unterlägen nicht der Einsicht. Überdies erfolge die Einsichtnahme nur während der Dienststunden auf der Geschäftsstelle. Das Gutachten könne unter dieser Voraussetzung zugänglich gemacht werden, die übrigen Aktenbestandteile nicht. Der Grundbuchauszug liege im Versteigerungstermin aus.
3
Mit Schreiben vom 11.01.2025 legte der Beschwerdeführer Erinnerung gegen die Entscheidung vom 02.01.2025 ein. Zu Begründung führte er aus, er sei als Bietinteressent nicht auf Ad-hoc-Überlegungen im Versteigerungstermin angewiesen. Für seine Bietentscheidung seien die angeforderten Unterlagen maßgebend.
4
Der Erinnerung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 27.01.2025 nicht abgeholfen. Bezüglich des angeforderten Grundbuchauszuges sei es so, dass kurz vor den Versteigerungsterminen oftmals noch Rechte im Grundbuch gelöscht würden, sodass vorhergehende Einsichten zu falschen Bewertungen der Bietinteressenten führten. Im Übrigen stehe der Einsicht Persönlichkeitsrechte der Schuldner bzw. Eigentümer entgegen. Ein berechtigtes Interesse an den persönlichen Daten seien auch nicht dargelegt.
5
Mit Beschluss vom 17.02.2025 hat der Erinnerungsrichter sich für unzuständig erklärt und die aus sofortige Beschwerde auszulegende Erinnerung dem Beschwerdegericht vorgelegt.
6
1. Die Erinnerung ist als sofortige Beschwerde auszulegen. Die befristete Erinnerung gemäß § 573 ZPO ist der statthafte Rechtsbehelf gegen die Verweigerung der Akteneinsicht durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Hat hingegen der Rechtspfleger – wie hier – über die Akteneinsicht entschieden, ist die sofortige Beschwerde nach § 11 Abs. 1 RPfIG, § 567 ZPO gegeben (Bachmann in: Depré, ZVG, 3. Aufl., § 42 Rn. 16). Auch im Übrigen ist die sofortige Beschwerde zulässig.
7
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
8
Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts ist entgegen der Einleitung in der Verfügung vom 02.01.2025, wonach dem Antrag aus erweiterte Akteneinsicht nicht stattgegeben werde, nicht so zu verstehen, dass der Antrag vollständig abgelehnt wird, sondern dass die Einsicht in das Verkehrswertgutachten beschränkt auf die Dienstzeiten der Geschäftsstelle gewährt werde, die Einsicht in den Grundbuchauszug im Versteigerungstermin und für die übrigen angeforderten Aktenbestandteile abgelehnt werde. Diese Beschränkung der Akteneinsicht verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten.
9
Gemäß § 42 Abs. 1 ZVG ist die Einsicht der Mitteilungen des Grundbuchamts sowie der erfolgten Anmeldungen jedem gestattet. Das gleiche gilt gemäß § 42 Abs. 2 ZVG von anderen das Grundstück betreffenden Nachweisungen, welche ein Beteiligter einreicht, insbesondere von Abschätzungen. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine gegenüber § 299 ZPO speziellere Regelung, die den Kreis der Berechtigten erweitert. Danach kann jede Person, gleich ob am Verfahren beteiligt oder nicht, ohne Darlegung eines rechtlichen Interesses für sich oder andere im geregelten Umfang Einsicht in die Gerichtsakten nehmen (Gojowczyk in: Stöber, ZVG, 23. Aufl., § 42 ZVG Rn. 2). Dieses Recht wurde durch die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts in unzulässiger Weise verkürzt, indem bestimmte Teile von der Einsicht ganz ausgenommen wurden und den Beschwerdeführer im Übrigen auf die Einsichtnahme vor Ort verwiesen wurde.
10
a) Was die Anmeldung von Beteiligten und die Versteigerungs- und Beitrittsanträge betrifft, hat das Amtsgericht die vom Beschwerdeführer begehrte Einsicht versagt, ohne die Gründe hierfür darzulegen. Dass die Anmeldungen vom Einsichtsrecht erfasst ist, ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut in § 42 Abs. 1 ZVG. Auch der Anordnungsantrag zur Zwangsversteigerung sowie sämtliche Beitrittsanträge fallen unter die erweitere Einsicht in § 42 Abs. 1 ZVG (Keller in: Schneider, ZVG, § 42 Rn. 13). Die entsprechenden Unterlagen sind Interessenten somit zugänglich zu machen.
11
b) Aber auch die Art und Weise der gewährten Einsichtnahme ist rechtlich zu beanstanden. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer auf die Einsicht des Verkehrswertgutachtens auf der Geschäftsstelle und der Grundbuchmitteilungen im Versteigerungstermin verwiesen. Dieses Vorgehen findet keine gesetzliche Grundlage.
12
aa) Zwar findet sich in der einschlägigen Literatur teilweise die Ansicht, dass die Einsichtnahme nach § 42 ZVG auf der Geschäftsstelle des Gerichts erfolge (vgl. etwa Gojowczyk in: Stöber, ZVG, 23. Aufl., § 42 ZVG Rn. 2; Böttcher in: Böttcher, ZVG, 7. Aufl., § 42 Rn. 4). Dem kann aber nicht gefolgt werden. Die betreffenden Literaturstellen beschreiben erkennbar noch den Rechtszustand vor Einführung der elektronischen Akte in Verfahren der Zwangsversteigerung. Die Möglichkeit der Akteneinsicht auf elektronischem Wege wird dort weder behandelt noch ausgeschlossen.
13
Richtigerweise ist die Akteneinsicht elektronisch zu gewähren. § 42 ZVG enthält selbst keine Aussage dazu, wie die beantragte erweiterte Akteneinsicht zu gewähren ist. Geregelt ist dies hingegen in § 299 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 869 ZPO, auf den Rückgriff genommen werden kann (LG Ravensburg, Beschluss vom 26.02.2025 – 5 T 3/25, BeckRS 2025, 2499 Rn. 11). Danach gewährt die Geschäftsstelle Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg, wenn die Prozessakten elektronisch geführt werden. Aus § 299 Abs. 3 Satz 4 ZPO ergibt sich dabei, dass die Akteneinsicht ausnahmsweise durch Einsichtnahme in den Diensträumen gewährt werden kann, wenn der Akteneinsicht durch Abruf oder Übermittlung wichtige Gründe entgegenstehen. Solche . Gründe sind vom Amtsgericht aber nicht benannt worden. Soweit die angegriffene Entscheidung so zu verstehen sein sollte, dass der elektronischen Akteneinsicht durch Abruf oder Übermittlung datenschutzrechtliche Bedenken entgegenstehen, vermag das vorliegend nicht zu überzeugen. Zwar kann die besondere Schutzwürdigkeit von Akteninhalten als wichtiger Grund im Sinne von § 299 Abs. 3 Satz 4 ZPO im Einzelfall in Betracht gezogen werden (Gomm in: Ory/Weth, juris-PK-ERV, 2. Aufl., § 299 ZPO, Stand: 01.09.2022 Rn. 50). Wollte man aber die Schutzwürdigkeit von persönlichen Daten der Schuldner bzw. Eigentümer generell zur Verweigerung der Akteneinsicht durch elektronischen Abruf anführen, würde das Regel-Ausnahmeverhältnis in § 299 Abs. 3 ZPO umgekehrt, weil die der Einsicht nach § 42 ZVG unterliegenden Aktenbestandteile stets persönliche Daten enthalten. Dass die Schutzwürdigkeit dieser Daten durch Einsicht in den Diensträumen des Gerichts besser gewahrt würde, ist auch nicht erkennbar. Auch bei einer Akteneinsicht vor Ort würden dem Interessenten persönliche Daten von Verfahrensbeteiligten oder Dritten zugänglich gemacht. Insoweit ist aber anerkannt, dass der Interessent von den zur Verfügung gestellten Unterlagen Aufzeichnungen, Abschriften und sogar Ablichtungen machen kann (Gojowczyk in: Stöber, ZVG, 23. Aufl., § 42 ZVG Rn. 8). Dass die Akteneinsicht auf der Dienststelle persönliche Daten besser zu schützen vermag, ist nicht anzunehmen (vgl. LG Ravensburg, Beschluss vom 26.02.2025 – 5 T 3/25, a.a.O. Rn. 12).
14
bb) Soweit vom Amtsgericht erwogen werden sollte, persönliche Daten in den bereitzustellenden Aktenbestandteilen zu schwärzen, wie dies in der Verfügung vom 30.01.2025 erwogen wird, begegnet dies Bedenken.
15
Zwar ist das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beteiligten eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn Dritten Einsicht in die Verfahrensakten gewährt werden soll (BGH, Beschluss vom 10.04.2007 – I ZB 15/06, GRUR 2007, 628 Rn. 14). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt seinerseits Schranken. Der Einzelne muss Beschränkungen seines Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse, auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots hinnehmen (BGH, Beschluss vom 10.04.2007 – I ZB 15/06, GRUR 2007, 628 Rn. 14). Ein grundsätzlicher Vorrang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Recht auf Akteneinsicht Dritter besteht nicht (BGH, Beschluss vom 05.04.2006 – IV AR (VZ) 1/06, NZI 2006, 472 Rn. 23; BayObLG, Beschluss vom 02.09.2021 – 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 27). Die Bindung an das bezeichnete Grundrecht schränkt den Ermessensspielraum des Gerichts bei der Entscheidung gemäß § 299 Abs. 2 ZPO, ob und inwieweit Akteneinsicht an Dritte gewährt wird, im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit ein (BayObLG, Beschluss vom 02.09.2021 – 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 29).
16
Die im Rahmen der Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO vorzunehmende Interessenabwägung ist bei der erweiterten Akteneinsicht gemäß § 42 ZVG durch den Gesetzgeber aber bereits vollzogen worden. Indem diese Vorschrift pauschal bestimmte Aktenbestandteile mit vergleichbarem Inhalt der Einsicht unterstellt, räumt der Gesetzgeber den grundsätzlichen Vorrang der Einsicht gegenüber den betroffenen Persönlichkeitsrechten ein. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Grundrechtsrelevanz bei der erweiterten Akteneinsicht im Zwangsversteigerungsverfahren bewusst war, er aber aufgrund des vorbehaltlos regelten Einsichtsrechts nicht die Vornahme von Schwärzungen gewollt hat. Sie haben daher zu unterbleiben (LG Bonn, Beschluss vom 24.04.2023 – 6 T 47/23; LG Traunstein, Beschluss vom 25.08.2023 – 4 T 1841/23; wohl auch LG Ravensburg, Beschluss vom 26.02.2025 – 5 T 3/25, a.a.O. Rn. 12; Gojowczyk in: Stöber, ZVG, 23. Aufl., § 42 ZVG Rn. 4; a.A. LG Bamberg, Beschluss vom 24.02.2025 – 32 T 3/25).
17
Die Tatsache, dass bei der Veröffentlichung der Terminsbestimmung gemäß § 38 ZVG keine personenbezogenen Daten mitgeteilt werden sollen (vgl. Hintzen in: Dassler/Schiffthauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 16. Auflage, § 38 Rn. 11), steht dem nicht entgegen. Denn diese Vorschrift regelt die Veröffentlichung, nicht die Akteneinsicht. Wie sich nunmehr aus der mit Wirkung vom 15.07.2024 eingeführten Regelung in § 299 Abs. 4 ZPO ergibt, ist durch technische und organisatorische Maßnahmen ist zu gewährleisten, dass im Rahmen der Akteneinsicht Dritte keine Kenntnis vom Akteninhalt nehmen können. Zudem sind die Akteneinsichtsberechtigte verpflichtet, die erlangten Informationen Dritten nicht zugänglich zu machen.
18
Auch datenschutzrechtliche Bestimmungen hindern die Einsicht der Schriftstücke durch den Interessenten nicht. Denn mit der Entscheidung über ein Einsichtsgesuch erfüllt die Justizbehörde eine ihr nach § 299 Abs. ZPO, § 42 ZVG obliegende Aufgabe in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gemäß Art. 4 Art. 2 Satz 1 BayDSG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. e, Abs. 3 UAbs. 1 Buchst. b DSGVO (BayObLG, Beschluss vom 02.09.2021 – 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 33 m.w.N.).
19
Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (Nr. 2241 KV GKG).