Titel:
Ausweisung, algerischer Staatsangehöriger, Revision, Strafurteil
Normenkette:
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Ausweisung, algerischer Staatsangehöriger, Revision, Strafurteil
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8095
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
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1. Der Kläger ist algerischer Staatsangehöriger und wurde am … … … in Algier geboren. Er reiste im Oktober 2021 ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.
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Ab 1. Juli 2022 war der Kläger unbekannten Aufenthalts.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar 2023 (Az. … …) wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt, weil der Kläger zuvor in Spanien Asyl beantragt hatte (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), die Abschiebung nach Spanien angeordnet (Ziffer 3) sowie ein auf 21 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet (Ziffer 4). Am 4. März 2024 teilte das Bundesamt mit, die Überstellungsfrist sei abgelaufen und ein förmlicher Asylantrag liege nicht vor, sodass die weitere Bearbeitung durch die Ausländerbehörde erfolgen müsse.
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Bei den Akten befindet sich eine Mitteilung der Polizeistation S. vom 31. August 2022, wonach gegen den dort unter einer Alias-Identität aufgeführten Kläger wegen „Ladendiebstahl mit Waffe/bandenmäßig; Hausfriedensbruch“ ermittelt werde.
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Laut Haftbescheinigung der Justizvollzugsanstalt B. vom 22. November 2023 befand sich der Kläger dort zwischen dem 6. Oktober und dem 22. November 2022 in Haft.
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Laut weiterer Mitteilung der Polizei B. vom 22. Dezember 2022 sei gegen den Kläger am 17. August 2022 ein Strafverfahren wegen Diebstahls eingeleitet worden.
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Am 20. April 2023 teilte die Polizei B. als Ergebnis eines Personenfeststellungsverfahrens mit, der Kläger befinde sich dort unter einer Alias-Identität in Untersuchungshaft.
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Die Justizvollzugsanstalt B. teilte am 5. Mai 2023 mit, die Haft beruhe auf einem Haftbefehl vom 19. Februar 2023 wegen Tatverdachts bzgl. eines schweren Raubs. Der Kläger sei am 18. Februar 2023 festgenommen worden. Am 31. Januar 2024 teilte die Justizvollzugsanstalt mit, die Haft dauere weiter fort.
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Am 8. Juni 2023 teilte die Bundespolizeiinspektion B. mit, sie habe ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls von Handgepäck mit einer Schadenshöhe von 500,00 EUR gegen den Kläger eingeleitet (Tatzeit: 4. September 2022).
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Mit Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. Oktober 2023 (Az. 11 KLs 230 Js 900003/23) wurde der Kläger wegen besonders schweren Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil stellt fest, der Kläger habe sich in einer Beziehung mit einer der Mittäterinnen befunden, die im Februar 2023 geendet habe. Er habe mit zwölf Jahren mit dem Cannabiskonsum begonnen und später auch Rivotril, Lyrica, Amphetamin und Kokain konsumiert, auch zur Tatzeit. Der Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger gemeinsam mit anderen einer alkoholisierten Person eine Tasche entwendet hatte, in der die Täter Wertsachen vermuteten. Dabei hatte der Kläger Pfefferspray gegen die Geschädigte eingesetzt. Die Geschädigte sei nach den Feststellungen des Urteils anschließend erheblich psychisch belastet gewesen. Wenig später schloss sich eine ähnliche Tat an, wobei der Kläger hier ein Mobiltelefon und ca. 180,00 EUR sowie persönliche Dokumente entwendete.
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Mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. September 2024 (Az. 5 StR 172/24) wurde das Urteil vom 25. Oktober 2023 im Schuldspruch dahin geändert, dass in einem Fall lediglich von versuchtem besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auszugehen ist. Die zugehörige Einzelstrafe und die Gesamtstrafe wurden aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Im Übrigen (bzgl. der weiteren Tat des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) wurde die Revision verworfen. Das Landgericht Bremen teilte mit Schreiben vom 4. März 2025 mit, dass gegen eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung in der zurückverwiesenen Streitsache erneut Revision eingelegt worden sei.
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Mit E-Mail vom 1. Mai 2024 teilte die Justizvollzugsanstalt B. mit, der Kläger habe am 26. Oktober 2023 geäußert, so schnell wie möglich nach Algerien abgeschoben werden zu wollen. Das gegen ihn ergangene Urteil sei nicht rechtskräftig, weshalb die Untersuchungshaft fortdauere. In der Nachricht wurden diverse Disziplinarmaßnahmen in Haft wegen positiver Urinkontrollen auf THC, Besitzes von Drogen, eines Angriffs auf einen Mitgefangenen und Beleidigung sowie Nichtbeachtung von Weisungen von Bediensteten aufgelistet und festgestellt, der bisherige Vollzugsverlauf sei nicht besonders gut. Der Kläger habe als Untersuchungshäftling keinen Anspruch auf Beschäftigung. Vom 13. März bis 31. Mai 2023 habe er an einer Schulmaßnahme teilgenommen und seit 4. April 2024 sei er an zwei Vormittagen in einem Sprachkurs Deutsch. Mit seiner Familie in Algerien habe er etwa einmal im Monat telefoniert und inzwischen Skype-Kontakte beantragt, die noch nicht stattgefunden hätten. Ein in Deutschland lebender Onkel habe ihn außerdem im April 2024 einmal besucht. Mit einem Freund in Deutschland habe er einmal telefoniert. Über Haftraumtelefonie könne er auch eigenständig Telefonate führen.
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2. Mit Schreiben 18. April 2024, am 29. April 2024 zugestellt, hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ausweisung an. Eine Äußerung erfolgte nicht.
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3. Mit Bescheid vom 10. Juni 2024, dem Kläger zugestellt am 17. Juni 2024, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den gesamten Schengen-Raum für die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise verhängt, das unter die Bedingung eines Nachweises der zwischenzeitlichen Straffreiheit gegenüber der deutschen Auslandsvertretung durch eine geeignete Bescheinigung gestellt wurde. Anderenfalls gelte eine Frist von neun Jahren (Ziffer 2). Weiter wurde die Abschiebung aus der Haft nach Algerien oder einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rücknahme verpflichteten Staat ab Bestandskraft des Bescheides angedroht. Im Fall der Entlassung aus der Haft wurde eine Ausreisefrist von 30 Tagen ab Unanfechtbarkeit des Bescheids gesetzt (Ziffer 3). Es wurde auf die Kostenfreiheit des Bescheids hingewiesen (Ziffer 4).
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In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage sei § 53 Abs. 1 AufenthG. Der Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Seit seiner illegalen Einreise sei er massiv polizeilich aufgefallen, beispielsweise wegen besonders schweren Raubes. Am 25. Oktober 2023 sei ein Urteil gegen ihn ergangen, gegen das der Kläger in Revision gegangen sei. Anhand des Urteils werde eine Missachtung der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums Dritter erkennbar. Diesbezüglich bestehe auch eine hinreichende Wiederholungsgefahr. Der Kläger habe keine Reue gezeigt und sich mit seinen Taten nicht auseinandergesetzt. Er habe keine schulische oder berufliche Ausbildung und sich auch nicht um einen Ausbildungsplatz bemüht. Er habe kein regelmäßiges Einkommen, unzureichende Deutschkenntnisse und keine sozialen Bindungen oder Verwurzelung im Bundesgebiet. Zwischen seinem Onkel und ihm gebe es keine besondere gegenseitige Angewiesenheit. Die Ausweisung sei nicht nur spezialpräventiv begründet, sondern solle auch generalpräventive Abschreckungswirkung entfalten.
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Das Verhalten des Klägers habe Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG begründet. Hier seien die illegale Einreise, die Nichtmitwirkung bei den ausländerrechtlichen Pflichten, Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz und vorsätzlich begangene Straftaten einzuordnen. Ein vertyptes Bleibeinteresse gebe es nicht. Der Kläger sei erwachsen, gesund und alleinstehend. Auch sonstige Bleibeinteressen seien nicht ersichtlich, nachdem ein gegenseitiges Angewiesensein zwischen seinem Onkel und ihm sowie Freunden im Bundesgebiet nicht ersichtlich sei. Es handele sich daher lediglich um ein allgemeines Bleibeinteresse.
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Bei einer Interessenabwägung sei das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers gegenüber dessen Bleibeinteressen, auch unter Berücksichtigung grundrechtlich geschützter Positionen gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, höher zu gewichten. Dies sei bei einem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse, dem kein vertyptes Bleibeinteresse gegenüberstehe, im Regelfall anzunehmen. Unter anderem seien die häufigen disziplinarischen Ahndungen des Klägers in der Justizvollzugsanstalt und der mangelnde Respekt vor dem Eigentum und der körperlichen Unversehrtheit Dritter einzustellen. Laut Strafurteil sei die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Klägers bei der Tatbegehung trotz seiner Abhängigkeitserkrankung nicht eingeschränkt gewesen. Der Kläger habe keine gefestigten Strukturen in der Bundesrepublik, die ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnten. Zudem stehe er in telefonischem Kontakt zu seiner Familie in Algerien, sei gesund, alleinstehend und erwachsen. Eine Rückkehr sei ihm zumutbar.
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot stütze sich auf § 11 Abs. 1, Abs. 5 AufenthG. Die Frist von sieben Jahren folge aus dem erheblichen straffälligen Verhalten des Klägers. Sollte der Kläger seine zwischenzeitliche Straffreiheit nicht nachweisen können, sei auch eine neunjährige Frist verhältnismäßig. Auf diese Weise würden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeschlossen. Durch die Bedingung der Straffreiheit könne das rechtstreue Verhalten in der Zwischenzeit geprüft werden. Diese öffentlichen Interessen, die eine längere Frist nahelegten, führten zu einem nur geringfügigen Eingriff in Rechte des Klägers. Dieser könne keine besonderen Bleibeinteressen oder Integrationsleistungen vorweisen, mangels familiärer Bindungen im Bundesgebiet bestehe allenfalls ein allgemeines Bleibeinteresse. Die Verhältnismäßigkeit werde durch später mögliche Verkürzungsanträge abgesichert.
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Die Abschiebungsandrohung stütze sich auf § 59 Abs. 1 AufenthG. Die Überwachung der Ausreise sei nach § 58 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG erforderlich. Die Setzung einer Ausreisefrist während der Haft sei nach § 59 Abs. 5 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG entbehrlich. Für den Fall der Haftentlassung sei eine Ausreisefrist von 30 Tagen angemessen.
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Gegen den Bescheid vom 10. Juni 2024 erhob der Kläger am 16. Juli 2024 Klage und beantragt,
die Verfügung vom 10. Juni 2024, zugegangen am 17. Juni 2024, aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wird insbesondere vorgetragen, die Revision gegen das Urteil vom 25. Oktober 2023 sei weiterhin anhängig. Der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Insbesondere das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei offensichtlich rechtswidrig. Denn zu der Bedingung der Straffreiheit sei keine Anhörung erfolgt. Diese sei aber auch bei einer Nebenbestimmung erforderlich. Zudem sei die Bedingung nicht hinreichend bestimmt. Der Kläger wisse nicht, was konkret von ihm erwartet werde. Eine Straffreiheitsbescheinigung nach der DurchführungsVO (EU) 2015/1998 könne der Kläger nicht erhalten, weil Algerien nicht zu den Unterzeichnerstaaten zähle. Die Unbestimmtheit schlage auf das gesamte Einreise- und Aufenthaltsverbot durch und führe als Mangel hinsichtlich der Angemessenheit der Befristung zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung insgesamt. Eine Frist im Rahmen des § 11 Abs. 5 AufenthG könne außerdem nur bei rechtskräftiger Verurteilung gesetzt werden. Die Frist sei insgesamt zu lang bemessen, wenn man bedenke, dass sie sich fast an der Höchstfrist orientiere.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, ein Freispruch sei im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht zu erwarten, weil die Taten nachgewiesen worden sein. Allenfalls ein geringeres Strafmaß könne das Ergebnis sein. Ein Anhörungsmangel bzgl. des Einreise- und Aufenthaltsverbots liege nicht vor. Das Anhörungsschreiben weise auf den Erlass einer Einreisesperre hin. Zudem habe sich der Kläger nun anwaltlich vertreten zu dieser Frage äußern können. Der Kläger habe es angesichts der Bedingung der Straffreiheit auch selbst in der Hand, die Bedingung zu erfüllen. Die DurchführungsVO (EU) 2015/1998 sei auf den Fall nicht anwendbar. Die Bedingung sei auch nicht zu unbestimmt. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sei auch bei schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anwendbar. Diese lägen hier vor, ohne dass es auf eine rechtskräftige Verurteilung ankomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers und seiner Bevollmächtigten verhandelt und entschieden werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 10. Juni 2024 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die unter Ziffer 1 des Bescheids tenorierte Ausweisung ist rechtmäßig.
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Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Die besonderen Schutzvorschriften der Abs. 3, 3a, 4 sind auf den Kläger nicht anwendbar.
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Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise (sog. Ausweisungsinteressen) mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet (sog. Bleibeinteressen) ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei steht der Behörde weder hinsichtlich der Gefahrenprognose noch hinsichtlich der Abwägung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu. Ob sie diese Tatbestandsvoraussetzungen zu Recht angenommen hat, muss das Gericht vielmehr anhand einer eigenständigen Gefahrenprognose sowie einer Abwägung der Ausweisungs- und der Bleibeinteressen im Einzelfall, bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung, überprüfen (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8). Liegen danach die gesetzlichen Voraussetzungen vor, so ergibt sich die Ausweisung als gebundene Rechtsfolge.
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aa) Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass der Aufenthalt des Klägers zu einer Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG führt.
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Insbesondere hat der Kläger ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Denn er wurde zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt.
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Das Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. Oktober 2023 (Az. 11 KLs 230 Js 900003/23) ist nach Bescheiderlass teilweise rechtskräftig geworden und kann im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unter § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG subsumiert werden. Nachdem es sich bei der Ausweisung um eine gebundene Entscheidung handelt, ist es auch unschädlich, dass der Beklagte bei Bescheiderlass – zum damaligen Zeitpunkt zutreffend – nicht auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, sondern die Tat allein als schwerwiegendes Ausweisungsinteresse unter § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG gefasst hat.
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Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. September 2024 (Az. 5 StR 172/24) ist das Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. Oktober 2023 insoweit rechtskräftig geworden, als gegen den Kläger wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt wurde (Fall II.2 der Urteilsgründe). In einem weiteren tatmehrheitlichen Fall (Fall II.1 der Urteilsgründe) wurde entgegen der Vorinstanz auf lediglich versuchten besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erkannt und der Schuldspruch geändert. Nur diesbezüglich wurde die Einzelstrafe aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die aufgehobene Gesamtstrafe, an das Landgericht Bremen zurückverwiesen. Die Einzelstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. Oktober 2023 von sechs Jahren ist rechtskräftig geworden, ebenso wie beide abgeurteilte Taten im Schuldspruch.
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Auch wenn das Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. Oktober 2023 nach erneuter Revisionseinlegung weiterhin nicht vollständig rechtskräftig ist, ist doch jedenfalls eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (die Einzelstrafe von sechs Jahren) rechtskräftig geworden. Bereits eine solche rechtskräftige Einzelstrafe genügt, um ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse in diesem Sinne annehmen zu können. Denn eine Ermäßigung des Strafmaßes kann auch nach der noch ausstehenden Verhängung einer weiteren Einzelstrafe und der anschließenden Gesamtstrafenbildung nicht eintreten. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB i.V.m. § 39 StGB wird infolge der Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens sechs Jahren und einem Monat verhängt werden, nachdem die kleinste Strafeinheit bei Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr einen Monat beträgt. Die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sind daher schon jetzt erfüllt.
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Ein weiteres schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG folgt aus der unerlaubten Einreise des Klägers, die – auch wenn sie keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen hat – §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG widerspricht und nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbar ist, nachdem das Asylverfahren des Klägers nicht zum Erfolg geführt hat. Es handelt sich hierbei um eine vorsätzlich begangene Straftat, die grundsätzlich nicht als geringfügig einzustufen ist (BayVGH, B.v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 12). Ohnehin ist der Gesetzesverstoß angesichts späterer strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, der Verurteilung des Klägers und der fehlenden Mitwirkung an der Passbeschaffung trotz Belehrung vom 11. Mai 2023 (entgegen § 48 Abs. 3 AufenthG) nicht vereinzelt geblieben.
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Diese Ausweisungsinteressen sind auch weiterhin aktuell. Die Verurteilung des Klägers ist angesichts der fehlenden Rechtskraft weder getilgt noch tilgungsreif (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 34). Auch einen entgegenstehenden Vertrauenstatbestand, der zum Verbrauch des Ausweisungsinteresses führen könnte, hat der Beklagte nicht geschaffen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 39).
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bb) Für die Ausweisung als Mittel der Gefahrenabwehr sprechen hier sowohl Gründe der Spezialprävention (1) als auch der Generalprävention (2).
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(1) Der Beklagte hat zu Recht angenommen, dass von dem persönlichen Verhalten des Klägers eine konkrete Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht.
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Diese Gefahrenprognose stützt sich insbesondere auf die mit Urteil vom 25. Oktober 2023, in der Fassung nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. September 2024, geahndeten Taten sowie die weiteren strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, die sich aus verschiedenen polizeilichen Meldungen ergeben. Der Kläger ist im Oktober 2021 unerlaubt ins Bundesgebiet eingereist. Die erste polizeiliche Mitteilung eines Ermittlungsverfahrens datiert auf August 2022. Der Kläger trat damals unter einer Alias-Identität in Erscheinung, weshalb die Informationsweitergabe zunächst verzögert erfolgte. Seit 18. Februar 2023 – bis heute – befindet sich der Kläger in Untersuchungshaft. In den knapp eineinhalb Jahren, die er im Bundesgebiet in Freiheit verbracht hat, ist der Kläger ganz erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat mit den Raubtaten die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums erheblich beeinträchtigt. In Deutschland hat der Kläger nur wenige soziale Bindungen. Seine Familie lebt weit überwiegend in Algerien, in Deutschland hat er einen Onkel, der ihn laut Auskunft der Justizvollzugsanstalt dort besucht hat. Nach Aktenlage hat der Kläger nur rudimentäre Deutschkenntnisse. In der Haft wurden einige Disziplinarmaßnahmen gegen ihn verhängt, unter anderem wegen Besitzes von Drogen und eines Angriffs auf einen Mitgefangenen. Der Kläger hat die abgeurteilten Straftaten unter Drogeneinfluss begangen und nach den Feststellungen des Landgerichts auch sonst in erheblichem Umfang Drogen konsumiert, insbesondere Kokain. Auch wenn das Landgericht auf Grundlage eines mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens keinen Hang i.S.d. § 64 StGB angenommen und die Notwendigkeit der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt verneint hat, ist der Drogenkonsum jedenfalls als weiterer Unsicherheitsfaktor in die Prüfung der Wiederholungsgefahr einzustellen.
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In der Zusammenschau folgt aus der zeitlich eng aufeinanderfolgenden Begehung von Straftaten nach Einreise ins Bundesgebiet, dem fehlenden sozialen bzw. familiären Empfangsraum bei Haftentlassung, fehlenden Deutschkenntnissen bzw. beruflichen Qualifikationen und dem Verhalten in der Haft, insbesondere bzgl. des weiteren Drogenkonsums, eine ganz erhebliche Wiederholungsgefahr, sodass die Ausweisung spezialpräventiv begründet ist. Ohnehin genügt angesichts der schwerwiegenden Straftaten für die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr bereits eine nicht allzu hohe Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls (sog. gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 16; U.v. 3.8.2004 – 1 C 30.02 – juris Rn. 26).
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(2) Gleichzeitig sieht die Kammer unabhängig von der Wiederholungsgefahr auch die Voraussetzungen einer generalpräventiven Ausweisung als gegeben an. Denn insbesondere erhebliche Gewalttaten, die Zufallsopfer im Bahnhofsbereich betroffen und damit auch eine gewisse Außenwirkung erzielt haben, sollten eine ausländerrechtliche Reaktion nach sich ziehen, um andere von der Begehung vergleichbarer Delikte abzuhalten (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 29a).
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Die generalpräventive Ausweisung setzt voraus, dass eine begangene Straftat schwer, wenn auch nicht besonders schwer ist (BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33). Diese Voraussetzung kann auch auf Grundlage des nur teilweise rechtskräftigen Urteils angenommen werden, nachdem eine im Schuldspruch rechtskräftige Verurteilung wegen Raubes bzw. versuchten Raubes jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorliegt, die dem Bereich der schweren Kriminalität zugeordnet werden kann, was auch an der rechtskräftigen Einzelstrafe von sechs Jahren deutlich wird.
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Das Ausweisungsinteresse ist auch weiterhin aktuell. Die Höchstgrenze für die Aktualität einer generalpräventiven Ausweisung ist noch nicht überschritten. Diese orientiert sich an §§ 78c Abs. 3 Satz 2, 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB und sieht daher für Raub eine Aktualität von maximal vierzig Jahren ab der Beendigung der Tat vor (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 18 ff.). Diese – angesichts der Anwendbarkeit des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe gemäß § 38 Abs. 2 StGB sehr lange – Frist ist offenkundig noch nicht verstrichen, sodass weiterhin von der Aktualität des Ausweisungsinteresses ausgegangen werden muss.
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cc) Diesen besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen keine vertypten Bleibeinteressen gegenüber.
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Auch die einfachen Bleibeinteressen des Klägers i.S.d. § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG sind von geringem Gewicht. Gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG sind nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht. Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 13; U.v. 25.7.2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 20 ff.).
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Eine besondere Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet ist nicht auszumachen. Er hält sich hier seit dem Jahr 2021 auf und hat den Großteil seiner Zeit in Deutschland in freiheitsentziehenden Maßnahmen verbracht. Er hat lediglich rudimentäre Deutschkenntnisse. Seine Familie lebt im Wesentlichen in Algerien. In Deutschland hat er einen Onkel, zu dem nach Aktenlage aber auch kein herausragend intensiver Kontakt besteht. Zudem hat er einige freundschaftliche Verbindungen nach Deutschland. Berufliche Qualifikationen oder eine rechtliche Basis für einen weiteren, straffreien Aufenthalt mit Integration in den Arbeitsmarkt sind nicht ersichtlich.
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dd) Bei der weiter gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt das Ausweisungsinteresse, § 53 Abs. 1 AufenthG. Den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen lediglich weniger gewichtige einfache Bleibeinteressen gegenüber. Zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung führen diese nicht.
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Die Ausweisung des Klägers bedeutet zwar einen Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, das auch von Art. 8 EMRK geschützt wird, sowie bzgl. der Beziehung zum Onkel in das Recht auf Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.
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Es handelt sich allerdings um einen vergleichsweise geringfügigen Eingriff. Ein besonderes Interesse des Klägers, im Bundesgebiet zu bleiben, ist nicht erkennbar. Am 26. Oktober 2023 hat er nach Auskunft der Justizvollzugsanstalt geäußert, er wolle so schnell wie möglich nach Algerien abgeschoben werden. Zwar hat der Kläger – wie am Klageverfahren erkennbar wird – inzwischen ein Interesse daran entwickelt, in Deutschland zu bleiben. Ein besonderes Gewicht dieses Interesses ist aber nicht erkennbar.
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2. Die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
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Zunächst ist Ziffer 2 des Bescheids entgegen dem klägerischen Vortrag formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Anhörung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ordnungsgemäß erfolgt. Die Anhörung verlangt nach einer Konkretisierung der beabsichtigten behördlichen Maßnahme, um so die Informationsbasis für eine Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu schaffen (BVerwG, U.v. 22.3.2012 − 3 C 16.11 – juris Rn. 12). Diesen Voraussetzungen genügt das Schreiben vom 18. April 2024, in dem auf die beabsichtigte Ausweisung inkl. Einreise- und Aufenthaltsverbot hingewiesen und der Kläger insbesondere zur Mitteilung von Bleibeinteressen aufgefordert wird. Dass hier nicht explizit auf eine mögliche Bedingung der Straffreiheit als Teil des Einreise- und Aufenthaltsverbots hingewiesen wurde, ist unschädlich. Auch ohne diese Information war es dem Kläger möglich, den Inhalt der beabsichtigten Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen und sich dazu zu äußern. Soweit die Klägerbevollmächtigte anführt, zu einer belastenden Nebenbestimmung müsse explizit angehört werden, beruft sie sich augenscheinlich auf Fälle des Erlasses begünstigender Verwaltungsakte, die mit einer belastenden Nebenbestimmung versehen werden und daher trotz der Begünstigung eine Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erfordern. Dies wird auch an der in der Klagebegründung zitierten Kommentarstelle deutlich, wonach in einem solchen Fall der Betroffene seinen Antrag ggf. zurücknehmen kann. Hierbei handelt es sich um rechtliche Fragen, die sich beim Erlass eines belastenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht stellen.
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen wurde, gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das gegen den Kläger erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot kann sich mit der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid auch auf eine gemäß Art. 11 Abs. 1a) der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, ABl. L 348, 98) erforderliche Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie stützen (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 53 ff.; EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris Rn. 53 ff.).
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Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise beginnt. Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist liegt gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen des Beklagten, darf aber nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG soll die Frist zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Dabei besteht nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG die Möglichkeit, die Befristungsentscheidung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung zu versehen, insbesondere einer nachweislichen Straffreiheit.
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Entgegen dem klägerischen Vorbringen ist der Rahmen einer Fristlänge von bis zu zehn Jahren nach § 11 Abs. 5 AufenthG anwendbar. Denn die Ausweisung erfolgte aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung. Das Urteil des Landgerichts Bremen ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits teilweise rechtskräftig geworden. Schon zuvor lag es nahe, mit dem Beklagten vom Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auszugehen, die ebenfalls zur Anwendbarkeit von § 11 Abs. 5 AufenthG führt.
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Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2.13 – BeckRS 2014, 49495, Rn. 12; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.1 – BeckRS 2012, 56736, Rn. 42).
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Gemessen daran ist die Befristung auf sieben Jahre unter der Bedingung zwischenzeitlicher Straffreiheit, sonst auf neun Jahre, nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die aus § 11 AufenthG resultierenden Vorgaben beachtet, das ihm hinsichtlich der Länge der Frist eingeräumte Ermessen erkannt und bei seiner Ausübung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Der Beklagte stützt die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG zu Recht auf das erhebliche straffällige Verhalten des Klägers, das den wesentlichen Ausweisungsanlass lieferte, sein Verhalten in der Haft und den Betäubungsmittelkonsum. Daraus folge eine massive Wiederholungsgefahr, die auch eine längere Frist rechtfertige. Dem stünden lediglich gering zu gewichtende Bleibeinteressen gegenüber.
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Zwar führt der Bescheid an, die Verurteilung des Klägers sei nicht rechtskräftig, ein Freispruch aber nicht zu erwarten. Ohne Kenntnis zumindest der Revisionsschrift konnte eine solche Aussage nicht mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden. Zwar ist der Ausländerbehörde, ebenso wie dem Verwaltungsgericht, die eigenständige Beurteilung strafrechtlicher Vorwürfe im andauernden Rechtsmittelverfahren möglich. Dann muss aber eine hinreichende Entscheidungsgrundlage vorliegen, insbesondere durch Beiziehung und Auswertung der Strafakten unter Berücksichtigung der mit der Revisionsbegründung vorgetragenen Angriffe gegen die beanstandete Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2023 – 1 VR 1.23 – juris Rn. 40, 42). Die Prognose, ein Freispruch sei mit Sicherheit ausgeschlossen, konnte auf Basis der bei Bescheiderlass vorliegenden Informationen nicht getroffen werden. Inzwischen liegt allerdings die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor, in deren Folge eine Einzelstrafe von sechs Jahren sowie der Schuldspruch bzgl. beider Taten rechtskräftig geworden sind. Auch wenn die Prognose im Bescheid auf unzureichender Tatsachengrundlage getroffen wurde, hat sie sich als zutreffend erwiesen. Die Beklagtenvertreterin hat in der mündlichen Verhandlung zur Änderung des Schuldspruchs durch den Bundesgerichtshof Stellung genommen und ausgeführt, der Beklagte halte angesichts der massiven Wiederholungsgefahr dennoch an der erheblichen Fristlänge fest. Diese Entscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar wurde eine Frist gesetzt, die sich in der Nähe des Höchstmaßes von zehn Jahren bewegt. Diese Entscheidung wurde aber nachvollziehbar mit erheblicher und gehäufter Straffälligkeit des Klägers begründet. Ein Ermessensfehler resultiert hieraus nicht.
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Schließlich ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch nicht wegen fehlender Bestimmtheit i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG materiell rechtswidrig. Der Vortrag, der Kläger wisse nicht, welche Bescheinigung er für eine kürzere Frist nach Ziffer 2 des Bescheids vorlegen solle, begründet keine Unbestimmtheit. Der Bescheid fordert vom Kläger die Vorlage einer geeigneten Bescheinigung über seine zwischenzeitliche Straffreiheit gegenüber der deutschen Auslandsvertretung. Die klägerseitig angeführte Straffreiheitsbescheinigung nach der DurchführungsVO (EU) 2015/1998, die der Kläger in der Tat nicht beschaffen kann, wurde gerade nicht verlangt. Vielmehr wird klar erkennbar ein Auszug aus dem algerischen Strafregister gefordert, den der Kläger auch unschwer beschaffen kann (https://www.algerische-botschaft.de/strafregister/, abgerufen am 24.3.2025). Es ist klar erkennbar, was der Bescheid für einen kürzeren Fristlauf vom Kläger verlangt, sodass er hinreichend bestimmt ist.
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3. Die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 des Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie beruht auf §§ 58 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3, 59 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere bedarf es nach § 59 Abs. 5 AufenthG im Fall der Abschiebung aus der Haft keiner Fristsetzung. Auch familiäre Bindungen stehen der Abschiebung nicht nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegen. Zwar ist das möglicherweise vom Gesetzgeber in § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erklärte Opt-Out von der Rückführungsrichtlinie, das ausdrücklich die Entbindung von der Prüfung solcher Belange im Rahmen der Abschiebungsandrohung bei Abschiebungen infolge strafrechtlicher Verurteilungen vorsieht, auf den Kläger in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar (vgl. HessVGH, B.v. 18.3.2024 – 3 B 1784/23 – juris). Familiäre oder gesundheitliche Belange, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten, wurden aber weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Für den Fall der Abschiebung nach Entlassung aus der Haft wurde eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG festgesetzt, die als Regelfrist keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
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4. Aus diesen Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.