Titel:
Normenkontrolle gegen Ausgangsbeschränkung
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 1
IfSG § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 3, § 32 (idF vom 18.11.2020)
BaylfSMV § 2, § 3, § 4, § 11
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen iSv § 32 S. 1 iVm § 28a Abs. 1 Nr. 3 und § 28 Abs. 1 S. 1 und 2 IfSG sein. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 ohne die Ausgangsbeschränkungen erheblich gefährdet wäre, verlangte eine auf die jeweilige Pandemiesituation abstellende Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers, der eine Ex-ante-Betrachtung zugrunde liegt Die der 11. BayIfSMV zugrunde liegende Gefährdungsprognose erweist sich in Anbetracht der damals sehr angespannten Pandemielage nicht als rechtsfehlerhaft. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Regelung, die auf Ausgangsbeschränkungen generell oder in den Nachtstunden verzichten oder weitere Ausnahmetatbestände enthalten würde, würde nicht in gleichem Maße zu einer Reduzierung der Sozialkontakte und damit des Infektionsgeschehens beitragen, wie die in § 3 der 11. BayIfSMV normierte Vorschrift. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, COVID-19, Ausgangsbeschränkung, nächtliche Ausgangssperre, Kontaktbeschränkung, Verordnungsgeber, Prognose, Gefährdungseinschätzung, Rechtsgrundlage, Verhältnismäßigkeit, Normenkontrolle
Fundstelle:
BeckRS 2025, 805
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die allgemeine Ausgangsbeschränkung des § 2 der 11. BayIfSMV, die nächtliche Ausgangsbeschränkung nach § 3 der 11. BayIfSMV in der bis einschließlich 14. Februar 2021 geltenden Fassung und die Kontaktbeschränkung nach § 4 der 11. BayIfSMV unwirksam waren.
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2. Der Antragsgegner hat am 15. Dezember 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hatte:
Allgemeine Ausgangsbeschränkung
1Das Verlassen der Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. 2Triftige Gründe im Sinne des Satzes 1 sind insbesondere:
- 1.
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die Ausübung beruflicher oder dienstlicher Tätigkeiten,
- 2.
-
der Besuch von Einrichtungen und die Wahrnehmung von Angeboten nach §§ 18 bis 21, soweit sie zulässig sind, und die Teilnahme an Prüfungen nach § 17,
- 3.
-
die Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, der Besuch bei Angehörigen therapeutischer Berufe sowie Blutspenden,
- 4.
-
Versorgungsgänge, Einkauf und der Besuch von Dienstleistungsbetrieben in dem nach §§ 12, 13 zulässigen Ausmaß,
- 5.
-
der Besuch eines anderen Hausstands unter Beachtung der Kontaktbeschränkung nach § 4,
- 6.
-
der Besuch bei Ehegatten, Lebenspartnern, Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen unter Beachtung der Kontaktbeschränkung nach § 4,
- 7.
-
die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts,
- 8.
-
die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen unter Beachtung der Kontaktbeschränkung nach § 4,
- 9.
-
die Begleitung Sterbender sowie die Teilnahme an Beerdigungen im engsten Familien- und Freundeskreis,
- 10.
-
Sport und Bewegung an der frischen Luft unter Beachtung der Kontaktbeschränkung nach § 4,
- 11.
-
die Versorgung von Tieren,
- 12.
-
Behördengänge,
- 13.
-
die Teilnahme an Gottesdiensten und an Zusammenkünften von Glaubensgemeinschaften unter den Voraussetzungen des § 6 sowie an Versammlungen unter den Voraussetzungen des § 7.
Nächtliche Ausgangssperre
Landesweit ist von 21 Uhr bis 5 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung untersagt, es sei denn dies ist begründet aufgrund
- 1.
-
eines medizinischen oder veterinärmedizinischen Notfalls oder anderer medizinisch unaufschiebbarer Behandlungen,
- 2.
-
der Ausübung beruflicher oder dienstlicher Tätigkeiten oder unaufschiebbarer Ausbildungszwecke,
- 3.
-
der Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts,
- 4.
-
der unaufschiebbaren Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen und Minderjähriger,
- 5.
-
der Begleitung Sterbender,
- 6.
-
von Handlungen zur Versorgung von Tieren oder
- 7.
-
von ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Gründen.
(1) 1Der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken ist vorbehaltlich des § 3 nur gestattet
1. mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie
2. zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt fünf Personen nicht überschritten wird; die zu diesen Hausständen gehörenden Kinder unter 14 Jahren bleiben für die Gesamtzahl außer Betracht.
2§ 2 Nr. 7 und 9 bleibt unberührt. 3Unbeschadet Satz 1 Nr. 2 hinaus können sich im Zeitraum vom 24. bis 26. Dezember 2020 stattdessen auch alle Angehörigen eines Hausstands mit vier über diesen Hausstand hinausgehenden, zum engsten Familienkreis gehörenden Personen zuzüglich zu deren Hausständen gehörenden Kindern unter 14 Jahren treffen. 4Zum engsten Familienkreis im Sinne des Satzes 3 gehören Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Geschwisterkinder sowie die jeweiligen Angehörigen ihres Hausstands.
(2) Abs. 1 gilt nicht für berufliche und dienstliche Tätigkeiten sowie für ehrenamtliche Tätigkeiten in Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, bei denen ein Zusammenwirken mehrerer Personen zwingend erforderlich ist.“
6
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat der Senat den Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Normen mit Beschluss vom 5. März 2021 (Az.: 20 NE 20.3097) abgelehnt. Mit Ablauf des 7. März 2021 trat die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, die zwischenzeitlich mehrfach geändert worden war, außer Kraft (§ 29 11. BayIfSMV).
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3. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021 sinngemäß beantragt,
Es wird festgestellt, dass die §§ 2, 3 und 4 der Elften Bayrischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 in den jeweils geltenden Fassungen unwirksam gewesen sind.
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Sie trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen vor, es bestehe weiterhin ein besonderes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Maßnahmen der 11. BayIfSMV im Hinblick auf deren hohe Eingriffsintensität. Die Maßnahmen der 11. BayIfSMV hätten massive Grundrechtsbeeinträchtigungen dargestellt. Aufgrund ihres langen Arbeitstages sei sie durch die nächtliche Ausgangsbeschränkung massiv in ihrer Lebensgestaltungeingeschränkt eingeschränkt worden. Die nächtliche Ausgangssperre habe für die Antragstellerin im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis 5. März 2021, d.h. über einen Zeitraum von insgesamt fast 11 Wochen gegolten. Während der nächtlichen Ausgangssperre von 21.00 bzw. 22.00 bis 5.00 Uhr sei es der Antragstellerin weder möglich gewesen, als Einzelperson das Haus zu verlassen, Sport alleine draußen zu betreiben oder ihre Familie in diesem Zeitraum zu besuchen. Andere Möglichkeiten zur Erhaltung der Fitness und Gesundheit seien zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen gewesen (Fitnessstudios und Sportanlagen seien geschlossen gewesen). Da die Antragstellerin beruflich meist bis 20.00 Uhr tätig gewesen sei, sei ihr kaum eine Möglichkeit geblieben, alleine draußen Sport zu treiben oder nach einem langen Arbeitstag spazieren zu gehen. Auch sei es der Antragstellerin nicht möglich gewesen, Freunde oder Familie am Abend besuchen zu gehen, da mit einer Ankunftszeit bei ihnen nicht vor 21.00 Uhr zu rechnen gewesen sei. Die Familie der Antragstellerin hätte mehr als 2 Stunden entfernt gewohnt. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebiete es daher, dass die Antragstellerin Gelegenheit erhalte, in diesen Fällen die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen. Die Ausgangsbeschränkungen hätten ununterbrochen im Winter 2020/2021 bis zum 5. März 2021 fortgegolten. Der pauschale Außer-Haus Aufenthalt wie z.B. Ausruhen auf der Parkbank sei durch die Regelungen der 11. BayIfSMV nicht erlaubt gewesen – und dies bei Personen, die wie die Antragstellerin asymptomatisch gewesen sei und keinen Betrag zum Infektionsgeschehen geleistet habe. Ein Treffen zweier Personen auf einer Parkbank zum Gespräch sei über viele Wochen nicht möglich und bußgeldbewährt gewesen, obwohl das gleiche Verhalten im Innenraum zulässig gewesen sei. Durch die Kontaktbeschränkungen hätten für die Antragstellerin erhebliche Einschränkungen bestanden, soziale und familiäre Kontakte zu pflegen und wahrzunehmen.
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Der Normenkontrollantrag sei zulässig und begründet. Die angegriffenen Vorschriften (§§ 2, 3 und 4) der 11. BayIfSMV seien sowohl formell als auch materiell rechtswidrig und verfassungswidrig gewesen. Die Rechte der Beschwerdeführerinnen aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG, Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 11 GG seien dadurch verletzt worden, dass die Maßnahmen auf einer rechtswidrigen Rechtsgrundlage ergangen seien. Der Parlamentsvorbehalt sei nicht gewahrt worden. Aufgrund des massiven Eingriffscharakters hätten die angegriffenen Maßnahmen nicht im Wege einer bloßen Rechtsverordnung, sondern nur im Wege eines formellen Gesetzes erlassen werden dürfen.
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Bereits die Ermächtigungsgrundlage der §§ 28, 28a Abs. 3 IfSG hätte gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 80 Abs. I S. 2 GG) verstoßen, da die dort genannten Voraussetzungen zu unbestimmt gewesen seien.
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Die wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 28, 28a Abs. 3 IfSG und des § 5 Abs. 1 IfSG seien nicht erfüllt gewesen. Weder seien die Fallzahlen des RKI zum Nachweis der vom Gesetz erforderlichen Neufinfektionen geeignet gewesen, noch seien diese aussagekräftig zur Beurteilung des Infektionsgeschehens. Es gebe begründete Zweifel an der vom Verordnungsgeber unterstellten Aussagekraft von PCR-Tests zur Feststellung von,,Neuinfektionen“ im Sinne des § 28a Abs. 3 i.V.m. § 2 Nr. 2 IfSG, die sich im Zeitverlauf sogar noch verstärkt hätten. Das RKI sei eine selbstständige Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz I GG (§ 2 BGA-Nachfolgegesetz) und damit gegenüber der Bundesregierung bzw. dem Gesundheitsminister weisungsgebunden. Auch seien die Inzidenzwerte vom Testaufkommen abhängig und damit durch die Exekutive durch Vorgabe von Testvolumen und Teststrategie steuerbar, was einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip darstelle (Art. 20 Abs. 3 GG). Es habe keine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorgelegen (die Infektionstodesrate von SARS-CoV-2 liegt unterhalb derjenigen einer Grippe). Die Inanspruchnahme der Antragstellerin als Nichtstörer sei unverhältnismäßig gewesen, da sie als gesunder Mensch massiven Grundrechtseinschränkungen über einen langen Zeitraum von mehreren Monaten ausgesetzt gewesen sei, obwohl sie als im gesamten Zeitraum gesunde Person keinen Beitrag zum Infektionsgeschehen geleistet hätte. Da im Freien eine Ansteckungsgefahr nahezu ausgeschlossen gewesen sei, seien die angegriffenen Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und nächtliche Ausgangssperren daher zur Eindämmung des Infektionsgeschehens schon im Ansatz ungeeignet gewesen. Weil es eine Reihe mildere Mittel gegeben hätte und die 11. BayIfSMV keine Ausnahmen bei der nächtlichen Ausgangssperre vorgesehen hätte (z.B. für alleiniges Joggen draußen), es aufgrund der regionalen Unterschiede in Bayern keinerlei abgestufte Betrachtungsweise in der 11. BayIfSMV gegeben hätte und die Inzidenzwerte am Wohnort der Antragstellerin im relevanten Zeitraum weit unter dem bayerischen Landesdurchschnitt gelegen hätten sowie zu keiner Zeit eine Überlastung des Gesundheitssystems in Bayern vorgelegen oder gedroht habe, seien die Maßnahmen insgesamt unverhältnismäßig gewesen.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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Er verteidigt die angegriffene Verordnung und führt hierzu u.a. aus: Es seien im maßgeblichen Zeitpunkt und Zeitraum, d.h. am 15. Dezember 2020 und bis 7. März 2021, „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider“ festgestellt worden i. S. d. § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Nrn. 4 bis 7 IfSG. Insbesondere werde auf die Begründung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020, BayMBl. 2020 Nr. 738, die Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Januar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 6, die Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Einreise-Quarantäneverordnung vom 28. Januar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 76, die Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 12. Februar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 113 und schließlich auf die Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 24. Februar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 150 verwiesen. Die dort beschriebenen Krankheits- und Todesfälle, die damit 2020 und auch während der Geltung der 11. BayIfSMV zu beklagen gewesen seien, hätten bestätigt, dass das durch PCR-Test nachgewiesene Coronavirus SARS-CoV-2 sich in den betroffenen Patienten vermehrt hätte, also auch vermehrungsfähig gewesen sei. Inaktive Viren oder Virenbruchstücke, die nur nachzuweisen dem PCR-Test nachgesagt werde, hätten keine Erkrankungen hervorgerufen. Es komme in diesem Kontext nicht darauf an, dass es PCR-Tests mit positivem Ergebnis gegeben hätte, bei denen der Betroffene nicht erkrankt sei (keine Symptome entwickelt hätte). Letzteres hänge nicht allein vom Vorhandensein eines vermehrungsfähigen Virus, sondern auch von anderen Faktoren ab. Das Kriterium der ernsthaften Gefahr für die öffentliche Gesundheit i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 4 IfSG a.F. könne nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, dass 2020 in Deutschland nur 0,00032% der Gesamtbevölkerung an COVID-19 verstorben und COVID-19 eine Infektionstodesrate von 0,23% habe. Landesweit seien während der Geltung der 11. BayIfSMV durchgehend eine Inzidenz von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) nach § 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG erreicht worden. Es treffe zwar zu, dass PCR-Tests methodisch bedingt prinzipiell nicht in der Lage seien, zwischen einem vermehrungsfähigen und einem nicht-vermehrungsfähigen Virus zu unterscheiden. Sie könnten somit keine akute Infektiosität nachweisen. Mit der PCR werde jedoch das Genom des SARS-CoV-2-Virus und damit das Vorhandensein des Virus selbst zuverlässig nachgewiesen. Dies werde – auch und gerade vom Gesetzgeber – als Korrelat für eine Infektion gewertet, auch wenn die PCR nicht zwischen dem Vorliegen infektionstüchtiger bzw. vermehrungsfähiger und nicht-infektionstüchtiger bzw. nicht-vermehrungsfähiger Viren unterscheiden könne. Mit der Regelung in § 28a Abs. 3 Satz 5 und 6 IfSG i. d. F. des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite habe der Gesetzgeber auch einen Indikator für das Kriterium der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nach § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG geschaffen. Bei den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen der §§ 2, 3 und 4 11. BayIfSMV habe es sich um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Regelungen gehandelt. Die angegriffenen Maßnahmen seien geeignet gewesen. Anhand der vorliegenden Daten könne beobachtet werden, dass die Zahl der COVID-19-Patienten, die intensivmedizinisch hätten versorgt werden müssen, 17 Tage nach Inkrafttreten der 11. BayIfSMV kontinuierlich zurückgegangen sei (ab dem 02.01.2021). Diese rückläufige Entwicklung der Intensivbelegung mit Corona-Patienten habe bis zum 7. März 2021 angedauert. In dieser Zeitspanne habe die Zahl der Intensivbetten, die mit COVID-19-Patienten belegt gewesen seien, von 912 (2.1.2021) um 484 auf 428 (7.3.2021) abgenommen. Die Maßnahmen seien auch erforderlich gewesen. Die von der Antragstellerin vorgeschlagenen milderen Mittel wie Abstandsgebote, Maskenpflicht und eine zahlenmäßige Beschränkung von Zusammenkünften wären jedoch nicht gleich geeignet gewesen; sie seien ohnehin parallel dazu vorgesehen gewesen. Zudem müsse der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers miteinbezogen werden in die Beurteilung. Mit der Frage, ob ein nicht besonders infektionsträchtiges Verhalten wie ein nächtlicher Spaziergang allein oder als Paar oder ebensolche nächtliche Fahrten mit Auto oder Fahrrad von der nächtlichen Ausgangssperre hätten ausgenommen werden müssen, habe sich das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 19. November 2021 (Az. 1 BvR 781/21 u. a. – juris Rn. 275 ff.) indirekt auseinandergesetzt. Der abstrakt betrachtet geringen Infektionsgefahr solchen Verhaltens sei der regelmäßige Grund dafür, seine Wohnung nachts zu verlassen, gegenüber zu stellen. Dieser bestehe jedenfalls häufig genug in einer Kontaktaufnahme (Besuche anderer Menschen, Zusammentreffen mit anderen Menschen). Die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen der 11. BayIfSMV seien auch angemessen gewesen. Im Vergleich zu dem Gefahrenpotenzial, welches mit der zweiten Welle der Corona-Pandemie im Herbst und Winter 2020/2021 einhergegangen sei und das konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen in Bayern bis hin zu einer Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems bedeutet habe, seien die Belastungen, die mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verbunden gewesen seien, hinnehmbar gewesen. An grundsätzlich zu beachtenden Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit komme bei der Corona-Pandemie hinzu, dass bis Dezember 2020 keine Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 möglich gewesen seien und auch von Januar bis März 2021 sich erst eine relativ kleine Anzahl von Menschen immerhin vor schweren Verläufen einer Erkrankung habe schützen können. Eine Ausweitung der medizinischen Versorgung sei aufgrund der Lage weder personell noch sachlich so einfach möglich gewesen.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Beschluss entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet, weil die §§ 2 bis 4 der 11. BayIfSMV wirksam waren.
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A. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von §§ 2 bis 4 der 11. BayIfSMV, auch wenn diese außer Kraft getreten sind.
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Gemäß § 47 Abs. 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn die Antragstellerin weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr., vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris)
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Die Antragstellerin hat ihren Normenkontrollantrag am 27. November 2020 und damit während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, B. v. 28.7.2022 – 3 BN 8.21 – BeckRS 2022, 22986 Rn. 10, 12, 16 f.). Nach deren Außerkrafttreten kann sie weiterhin geltend machen, in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Auf der Grundlage ihres Vortrags erscheint es möglich, dass sie durch die §§ 2 bis 4 der 11. BayIfSMV, die weitgehende Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen enthielten, in ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten persönlichen Lebensführung erheblich eingeschränkt wurde. Zudem ergibt sich aus ihrem Vortrag aufgrund der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ein gewichtiger Grundrechtseingriff.
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B. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet, weil die angegriffenen Verordnungsregelungen wirksam waren.
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1. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona- Krise (Corona -Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG).
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Durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) wurde § 28a IfSG neu in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen. § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG i.d.F. des Gesetzes vom 18. November 2020 enthielt für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag, die erstmals am 25. März 2020 mit Wirkung zum 28. März 2020 erfolgt war (BT-PlProt. 19/154, S. 19169) und deren Fortbestehen am 18. November 2020 bestätigt wurde (BT-Drs. 19/24387), Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ausdrücklich.
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Ohne Bedenken hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, dass die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch unter Geltung des § 28a Abs. 1 IfSG eine verfassungsgemäße Grundlage für Betriebsschließungen gewesen ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2024 – 3 CN 11.22 – BeckRS 2024, 16482 Rn. 22 unter Verweis auf OVG Saarlouis, U.v. 15.09.2022 – 2 C 67/21 – unveröffentlicht). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an (so auch schon BayVGH, B.v. 12.1.2021 – 20 NE 20.3026 – BeckRS 2021,161 Rn. 11 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 22 ff.).
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Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips. § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. vom 27. März 2020 war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine verfassungsgemäße Grundlage (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris LS1 und Rn. 21).
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Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies unter Geltung des § 28a IfSG, der in Konkretisierung der für verfassungsgemäß befundenen Generalklausel der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ausdrückliche Regelungen für Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 während der Geltungsdauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vorsah, nicht zugetroffen haben sollte (zur Verfassungsmäßigkeit der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Nr. 1 IfSG in der Fassung vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) vgl. BVerfG B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – NJW 2022, 139 – BVerfGE 159, 223 und zur Verfassungsmäßigkeit der Schulschließungen nach § 28b Abs. 3 IfSG in der Fassung vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802; vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 971/21 u.a. – NJW 22,167).
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2. Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden konnten, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung und während ihrer Geltungsdauer bis 7. März 2021 waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Nach dem täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 15. Dezember 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-15-de.pdf? blob=publicationFile) war weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Daher wurde dringend appelliert, dass sich die gesamte Bevölkerung noch stärker als bisher für den Infektionsschutz engagiert. Seit dem 4. Dezember 2020 war ein starker Anstieg der Fallzahlen zu beobachten. Die Inzidenz der letzten sieben Tage lag deutschlandweit bei 174 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). In Sachsen und Thüringen lag sie sehr stark, in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen und dem Saarland deutlich über der Gesamtinzidenz. Seit Anfang September nahm der Anteil älterer Personen unter den COVID-19-Fällen wieder zu. Die 7-Tage-Inzidenz bei Personen ≥ 60 Jahre lag bei 164 Fällen/100.000 EW. Nahezu alle der 412 Kreise wiesen eine hohe 7-Tage-Inzidenz auf. Nur ein Kreis übermittelte weniger als 25 Fälle/100.000 EW. Die 7-Tage-Inzidenz lag in 345 Kreisen bei >100 Fällen/100.000 EW, davon in 54 Kreisen bei >250-500 Fällen/100.000 EW und in zwei Kreisen bei über 500 Fällen/100.000 EW. Die hohen bundesweiten Fallzahlen wurden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten und Alten- und Pflegeheimen, aber auch in beruflichen Settings, in Gemeinschaftseinrichtungen und ausgehend von religiösen Veranstaltungen. Für einen großen Anteil der Fälle konnte das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden. Die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle war mit 4.735 Fällen weiterhin ansteigend. Am 14. Dezember 2020 wurden im Vergleich zum Vortag 14.432 neue Fälle und 500 neue Todesfälle übermittelt. Das RKI schätzte die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein.
28
Soweit die Antragstellerin einwendet, dass die Fallzahlen des RKI zum Nachweis der vom Gesetz erforderlichen Neufinfektionen nicht geeignet gewesen seien, so greift dieser Einwand nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel, dass die in Deutschland durchgeführten PCR-Tests, deren Ergebnisse in die Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts zur Gefahrenlage und zur Wirksamkeit der Impfstoffe einfließen, geeignet sind, verlässliche Indikatoren für Infektionen mit SARS-CoV-2 zu liefern. Es leuchtet nämlich ein, dass der Nachweis einer erheblichen Konzentration an für SARS-CoV-2 typischen Nukleotidsequenzen ein Indikator für die Wirksamkeit des Virus in einem Organismus ist. Sie bilden – wie vom Robert-Koch-Institut angenommen – den „Goldstandard für den Nachweis von SARS-CoV-2“ (BVerwG, B. v. 7.7.2022 – 1 WB 2.22 – BVerwGE 176, 138 Rn 153). Der Umstand, dass ein positiver PCR-Test nicht notwendigerweise bedeutete, dass ein Patient im Zeitpunkt der Testung (noch) infektiös, also ansteckend, war, ändert nichts daran, dass die seinerzeit täglich in sehr großer Zahl durchgeführten PCR-Tests Rückschlüsse darauf zuließen, wie weit sich das Virus ausgebreitet hatte und in welchem Umfang weitere Infektionen drohten (OVG NRW, U. v. 24.9.2024 – 13 D 236/20.NE – BeckRS 2024, 29552).
29
Dass das RKI eine selbstständige Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ist und damit gegenüber der Bundesregierung bzw. dem Gesundheitsminister weisungsgebunden, ändert an dieser Beurteilung nichts. Zunächst einmal durfte sich der Antragsgegner auf die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen, da dieses durch die Entscheidung des Gesetzgebers dazu berufen war, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, und Anhaltspunkte dafür, dass es diese Aufgabe nicht erfüllte, fehlten (VGH BW, U. v. 11.4.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539 Rn 125). Das RKI ist gemäß § 4 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Absatz 1 Satz 1). Es arbeitet u. a. mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften, mit ausländischen Stellen und internationalen Organisationen sowie mit der Weltgesundheitsorganisation zusammen (Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Satz 1). Zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Empfehlungen und sonstigen Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (Absatz 2 Nr. 1). Es wertet die Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus (Absatz 2 Nr. 2) und stellt die Ergebnisse der Auswertungen u. a. den obersten Landesgesundheitsbehörden und den Gesundheitsämtern zur Verfügung (Absatz 2 Nr. 3 Buchst. c und d). Das RKI ist eine infektionsepidemiologische Leit- und Koordinierungsstelle (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften <Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG>, BT-Drs. 14/2530 S. 45). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn 56).
30
Regelungen zur Beschränkung von Kontakten, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 3 und § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
31
3. Die §§ 2, 3 und 4 11. BayIfSMV hielten sich an die gesetzlichen Vorgaben des § 28a IfSG. Die §§ 2 und 3 11. BayIfSMV stellten Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen Raum im Sinne des § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG dar.
32
a) Die Antragstellerin bestreitet im Falle von COVID-19 bereits das Vorliegen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Damit kann sie nicht durchdringen. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Bundestag überhaupt einer fachgerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht offenbar davon aus, dass deren Vorliegen im Fall von COVID-19 ohne weiteres zu bejahen ist (BVerwG, U.v. 18.4.2024 – 3 CN 11.22 – BeckRS 2024, 16482 Rn. 22)
33
b) Die streitgegenständlichen Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktbeschränkung dienten dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems (§ 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG). Hierzu führte der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzes aus (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 27):
34
„Nummer 1 enthält ein Regelbeispiel zu Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum. Als notwendige Schutzmaßnahmen können Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum erforderlich sein, um eine Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen und um die notwendige Nachverfolgung von Infektionen wieder zu ermöglichen. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen und sich austauschen, ist das Risiko einer Ansteckung besonders groß. Dies gilt im privaten wie auch im öffentlichen Raum. Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik und in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann. Daher müssen Kontakte, die potentiell zu einer Infektion führen, zeitweise systematisch reduziert werden. Nur so werden eine Unterbrechung der Infektionsketten und ein Einhegen der Situation wieder möglich (vgl. auch Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten der Fraunhofer Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina – Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst). Eine zeitlich befristete, erhebliche und zugleich zielgerichtete Einschränkung persönlicher Kontakte ist nach den Erfahrungen aus der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie im Frühjahr 2020 geeignet, die bei weiter steigenden Infektionszahlen bestehende konkrete Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems abzuwenden. Dies ist von wissenschaftlicher Seite überzeugend bestätigt worden“.
35
c) Auch waren die besonderen Voraussetzungen des § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG gegeben. Hiernach ist die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nach § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken erlaubt ist, nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre.
36
Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber Schutzmaßnahmen im Hinblick auf ihre spezifische Eingriffsintensität grundrechtsdeterminiert eingrenzen (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 73). Die Regelung betont das Gebot der Erforderlichkeit der Maßnahme, indem sie klarstellt, dass von besonders grundrechtsintensiven Maßnahmen erst dann Gebrauch gemacht werden darf, wenn mildere Mittel zur wirksamen Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 nicht ebenso erfolgversprechend sind (vgl. hierzu allgemein etwa BVerfG, B.v. 8.3.2011 – 1 BvR 47/05 – NVwZ 2011, 743 – juris Rn. 21; BayVerfGH, E.v. 29.10.2018 – Vf. 21-VII-17 – BayVBl 2019, 374 – juris Rn. 47).
37
(1) Die Frage, ob eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 ohne die Ausgangsbeschränkungen erheblich gefährdet wäre, verlangte eine auf die jeweilige Pandemiesituation abstellende Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers, der eine ex-ante Betrachtung zugrunde liegt (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn 57; BayVGH, B.v. 11.11.2020 – 20 NE 20.2485 – juris Rn. 25; OVG NW, B.v. 27.8.2020 – 13 B 1220/20.NE – juris Rn. 37). Die der 11. BayIfSMV zugrundeliegende Gefährdungsprognose erweist sich in Anbetracht der damals sehr angespannten Pandemielage nicht als rechtsfehlerhaft.
38
Anlass für die erneute Verschärfung in Gestalt der 11. BayIfSMV war nach der insoweit maßgeblichen Begründung der 11. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 738 vom 15.12.2020) die Zuspitzung des sich bereits auf sehr hohem Niveau befindlichen Infektionsgeschehens. Die bisher ergriffenen Maßnahmen (u. a. der „Lockdown Light“ und seine Verschärfung in der 10. BayIfSMV sowie die „Hotspotstrategie“) hätten keinen Rückgang der Fallzahlen herbeigeführt. Im Gegenteil sei weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten und ein erneuter, deutlicher Anstieg der Fallzahlen zeichne sich ab. Die zunehmend kritische Situation zeige sich auch an dem starken Anstieg der COVID-19-Patienten, die in den bayerischen Krankenhäusern behandelt werden müssten. Daneben steige auch die Zahl der Todesfälle weiter an. Die Einführung genereller Ausgangsbeschränkungen in der 11. BayIfSMV sei zwingend geboten, weil sich gezeigt habe, dass die bisherigen Maßnahmen noch nicht zu einem spürbaren landesweiten Rückgang der Infektionszahlen geführt hätten. Vielmehr komme es weiter zu starken, diffusen Infektionsgeschehen mit zahlreichen regionalen Hotspots. Nur durch eine weitere Verschärfung der Maßnahmen könne gewährleistet werden, dass es zu dem erforderlichen spürbaren und dauerhaften Rückgang der Infektionszahlen komme, um das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen, welche wiederum Todesfälle infolge nicht mehr hinreichender Behandlungskapazitäten erwarten ließe. Eine nächtliche Ausgangsbeschränkung diene der weiteren notwendigen Reduktion von Kontakten – insbesondere im Hinblick auf nach den bisherigen Erfahrungen besonders infektionsgefährdende private Zusammenkünfte – und diene damit dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems (vgl. im Einzelnen: die Begründung zur 11. BayIfSMV, BayMBl. 2020 Nr. 738 vom 15.12.2020, zur Änderungsverordnung vom 8.1.2020 vgl. BayMBl. 2021 Nr. 6).
39
(2) Diese Gefahrenprognose ist aus der maßgeblichen ex-ante Sicht (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn 57) rechtmäßig. Aufgrund der Entwicklung des Infektionsgeschehens zum damaligen Zeitpunkt ist nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber Kontaktbeschränkungen alleine nicht mehr für ausreichend erachtet und auf die strengeren Regelungen der Ausgangsbeschränkungen bis hin zur nächtlichen Ausgangsbeschränkung des § 3 11. BayIfSMV zurückgegriffen hat. Dies entspricht der Vorgabe des parlamentarischen Gesetzgebers in § 28a Abs. 1 und 2 IfSG.
40
Die Maßnahmen entsprachen auch der Gefährdungseinschätzung der Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 13. Dezember 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/telefonkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-13-dezember-2020-1827392):
41
„Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder fassen folgenden Beschluss: Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben zuletzt am 25. November einschneidende und befristete Maßnahmen beschlossen bzw. verlängert, um die mit Winterbeginn erheblich angestiegenen Corona-Infektionszahlen in Deutschland einzudämmen und damit auch schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle zu verhindern. Damit sollte zudem eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden, denn Krankenhäuser und vor allem zahlreiche Intensivstationen sind durch die hohen Zahlen schwer erkrankter Corona Patienten stark belastet. Es ist durch die Maßnahmen gelungen, vorübergehend das exponentielle Wachstum zu stoppen und das Infektionsgeschehen auf hohem Niveau zu stabilisieren. Mit der zunehmenden Mobilität und den damit verbundenen zusätzlichen Kontakten in der Vorweihnachtszeit befindet sich Deutschland nun wieder im exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen. Eine weiter zunehmende Belastung des Gesundheitssystems und eine nicht hinnehmbare hohe Zahl täglicher Todesfälle sind die Folge. Deshalb ist es erforderlich, weitere tiefgreifende Maßnahmen zur Beschränkung von Kontakten zu ergreifen. Ziel ist es die Zahl der Neuinfektionen wieder so deutlich zu reduzieren wie es im Beschluss vom 25. November definiert ist, so dass es den Gesundheitsämtern wieder möglich wird, Infektionsketten möglichst vollständig identifizieren und unterbrechen zu können und so die Zahl der Erkrankten weiter zu senken.“
42
d) Die allgemeine Ausgangsbeschränkung des § 2 und die nächtliche Ausgangsbeschränkung des § 3 sowie die Kontaktbeschränkung des § 4 11. BayIfSMV waren auch sonst verhältnismäßig – also geeignet, erforderlich und angemessen.
43
aa) Der Verordnungsgeber verfolgte nach dem Vorgesagtem mit ihnen ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte aufgrund der Gefährdungseinschätzung durch das RKI (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-15-de.pdf? blob=publicationFile) eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 52).
44
bb) Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der in § 28a Abs. 3 IfSG zum Ausdruck kommt, ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 31). Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG). Mit einer landesweiten Inzidenz von 193 bei Verordnungserlass (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/), bestand Handlungsbedarf zur effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens. Eine regionale Differenzierung erschien unter Zugrundelegung dieser Inzidenz noch nicht erforderlich. Ausweislich der Verordnungsbegründung war die Einführung genereller Ausgangsbeschränkungen in der 11. BayIfSMV zwingend geboten, weil sich gezeigt habe, dass die bisherigen Maßnahmen noch nicht zu einem spürbaren landesweiten Rückgang der Infektionszahlen geführt hätten. Vielmehr sei es weiter zu starken, diffusen Infektionsgeschehen mit zahlreichen regionalen Hotspots gekommen.
45
cc) Die Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktbeschränkung sind auch geeignet, den mit ihnen verfolgten Zweck, die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, zu fördern. Die Eignung eines Mittels zur Erreichung eines Gemeinwohlziels im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist bereits dann gegeben, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann (BVerfG, B.v. 27.1.2011 – 1 BvR 3222/09 – NJW 2011, 1578 – juris Rn. 38), also die Möglichkeit einer Zweckerreichung besteht (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. – BVerfGE 121, 317 – juris Rn. 114). Dies ist bei Ausgangsbeschränkungen der Fall, auch wenn sie wie bei der (nächtlichen) Ausgangsbeschränkung während der Nachtzeit deutlich weniger Menschen betreffen. Die Erwartung des Verordnungsgebers, damit vor allem besonders infektionsgefährdende gesellige Zusammenkünfte zu unterbinden, ist insbesondere im Hinblick auf den erheblichen Beitrag privater Feiern zum Infektionsgeschehen plausibel. Dass hierbei auch an sich unbedenkliche Tätigkeiten, wie z.B. nächtliches Sporttreiben oder Spazierengehen alleine, untersagt werden, ändert nichts an der grundsätzlichen Eignung der Ausgangsbeschränkungen.
46
Für die Einschätzungen und Prognosen zur Eignung der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen verfügte der Verordnungsgeber über hinreichend tragfähige Grundlagen. Fachwissenschaftlich war und ist weitgehend anerkannt, dass ein Großteil der Ansteckungen in Innenräumen erfolgte und der dortigen Virusübertragung durch Schutzmaßnahmen wie dem Abstandhalten, dem Tragen von Masken, Lüften und allgemeiner Hygieneregeln lediglich eingeschränkt entgegengewirkt werden kann, dies aber zur Abend- und Nachtzeit und im privaten Rückzugsbereich nur eingeschränkt durchsetzbar war. Dass der Gesetzgeber sich angesichts seiner Erwägung, dass es zur Abend- und Nachtzeit gelöstes und geselliges Verhalten gibt, verbunden mit dem verstärkten Gefühl, im privaten Rückzugsbereich unbeobachtet zu sein, dafür entschied, solche Zusammenkünfte von vornherein über vergleichsweise einfach zu kontrollierende Ausgangsbeschränkungen zu reduzieren, ist nach der damaligen Erkenntnislage nicht zu beanstanden. Es konnte aus der damaligen Sicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Ausgangsbeschränkungen dazu beitragen, das Infektionsgeschehen zu reduzieren und damit sowohl das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen als auch das Gesundheitssystem vor Überlastung zu bewahren. (vgl. hierzu BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 278).
47
dd) Die streitgegenständlichen Regelungen waren zur Erreichung der vom Verordnungsgeber verfolgten legitimen Ziele im Rechtssinne erforderlich. Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn es nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte geben können. Mittel, die den Antragsteller weniger beeinträchtigen würden, aber zur Erreichung der genannten Ziele wenigstens ebenso wirksam wären, hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht erkennbar. Insbesondere würde eine Regelung, die auf Ausgangsbeschränkungen generell oder in den Nachtstunden verzichten oder weitere Ausnahmetatbestände enthalten würde, nicht in gleichem Maße zu einer Reduzierung der Sozialkontakte und damit des Infektionsgeschehens beitragen, wie die vom Antragsgegner in § 3 11. BayIfSMV normierte Vorschrift (vgl. zur Erforderlichkeit von Ausgangsbeschränkungen: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 282 f.). Gleiches gilt für die allgemeine Ausgangsbeschränkung (§ 2 11. BayIfSMV) und die Kontaktbeschränkungen des § 4 11. BayIfSMV.
48
ee) Die angegriffenen Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktbeschränkung erweisen sich als angemessen. Die Folgen für die Normbetroffenen stehen nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck der Maßnahme. Zur Beurteilung der Angemessenheit sind die angeordneten Ausgangsbeschränkungen in ihrer Bedeutung als Element des zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zusammengefassten Gesamtschutzkonzepts zu betrachten. Die Gesamtheit der Maßnahmen schmälert die Freiheit der Menschen von verschiedenen Seiten her, um insgesamt damit das Infektionsgeschehen eindämmen zu können. Die Verhältnismäßigkeit der Ausgangsbeschränkung lässt sich nur im Zusammenhang mit dem gesamten Maßnahmenbündel beurteilen. Den nächtlichen Ausgangsbeschränkungen kam allerdings bereits für sich genommen ein erhebliches Eingriffsgewicht zu (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 290, 291).
49
Die Antragstellerin ist durch die angegriffenen Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktbeschränkung in Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt und in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG beschränkt. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) schützt familienähnlich intensive Bindungen auch jenseits des Schutzes von Ehe und Familie. In seiner Ausprägung als umfassende allgemeine Handlungsfreiheit schützt dieses Grundrecht die Freiheit, mit beliebigen anderen Menschen zusammenzutreffen. In seiner Ausprägung als allgemeines Persönlichkeitsrecht schützt das Grundrecht davor, dass sämtliche Zusammenkünfte mit anderen Menschen unterbunden werden und die einzelne Person zu Einsamkeit gezwungen wird; anderen Menschen überhaupt begegnen zu können, ist für die Persönlichkeitsentfaltung von konstituierender Bedeutung (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris, LS 1). Auch griffen die angeordneten Ausgangsbeschränkungen als Freiheitsbeschränkung ein. Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG sind nämlich nicht auf solche durch unmittelbar wirkenden körperlichen Zwang beschränkt. Sie können auch bei staatlichen Maßnahmen mit lediglich psychisch vermittelt wirkendem Zwang vorliegen, wenn deren Zwangswirkung in Ausmaß und Wirkungsweise einem unmittelbaren physischen Zwang vergleichbar ist. So verhielt es sich bei den hier angegriffenen Ausgangsbeschränkungen, die als Freiheitsbeschränkung in den Schutzbereich eingriffen (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 241,242). Zugleich wurde in den Schutzbereich des Art. 6 GG eingegriffen (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 295).
50
Das Gewicht der Grundrechtseingriffe wurde allerdings durch zahlreiche Ausnahmeregelungen gemindert. Bei der Entscheidung über die Schutzmaßnahmen hat der Verordnungsgeber auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einbezogen und berücksichtigt, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vereinbar ist (vgl. § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG). Dass sich der Verordnungsgeber hieran orientiert hat, zeigt bereits der Katalog der Ausnahmetatbestände, bei denen ein Verlassen der Wohnung zwischen 21 Uhr und 5 Uhr möglich bleibt, der durch einen Auffangtatbestand „ähnlich gewichtiger und unabweisbarer Gründe“ (§ 3 Nr. 7 IfSG) abgerundet wird. Die Klausel stand einer grundrechtsfreundlichen Auslegung und Anwendung offen, die ermöglichte, zwischen dem Lebens- und Gesundheitsschutz und weiteren legitimen Belangen im Einzelfall abzuwägen. Die Ausnahmen für die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts sowie für die Durchführung unaufschiebbarer Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger milderten die Intensität des Eingriffsvor allem in die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG ab (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 298).
51
Auf der anderen Seite durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass den durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen bewirkten, erheblichen Eingriffen in die genannten Grundrechte mit dem Lebens- und Gesundheitsschutz sowie der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüberstanden, zu deren Wahrung beim Erlass der Regelungen und während der ersten Geltungsdauer dringlicher Handlungsbedarf bestand. Sämtliche der angegriffenen Maßnahmen waren darauf ausgerichtet, die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten COVID-19-Erkrankung zu schützen. Nach dem vertretbaren Schutzkonzept des Verordnungsgebers kam den angeordneten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen eine zentrale Bedeutung als Mittel zur Zielerreichung zu. Mangels ausreichenden Schutzes durch Impfung und weil Möglichkeiten medikamentöser Behandlung an COVID-19 Erkrankter weitgehend fehlten, konnte sowohl der Lebens- und Gesundheitsschutz als auch das Aufrechterhalten eines funktionsfähigen Gesundheitssystems erfolgversprechend lediglich durch eine Begrenzung der Infektionszahlen erreicht werden. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren und sind nach insoweit gesicherten fachwissenschaftlichen Erkenntnissen dazu ein hochwirksames Mittel. Die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sicherzustellen, war ein zu erreichendes Zwischenziel, um für alle infizierten Personen, insbesondere bei schweren Krankheitsverläufen, eine funktionierende medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Durch die Eindämmung der Infektionen sollten die Krankenhauskapazitäten hierfür, aber auch für aus anderen Gründen als einer COVID-19-Erkrankung hospitalisierungsbedürftige Patientinnen und Patienten bereitgehalten werden. Die Beschränkung von Kontakten war dabei Ausgangspunkt und übergeordneter Modus der gesamten Maßnahmen (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 228). Der Angemessenheit steht hier auch nicht entgegen, dass die Wirkungen von nächtlichen Ausgangsbeschränkungen nicht vollends von den Effekten anderer, zeitgleich wirkender Maßnahmen unterschieden werden konnten (vgl. hierzu BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn 303).
52
5. Diese gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren während der gesamten Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zu ihrem Außerkrafttreten mit Ablauf des 7. März 2021 gegeben.
53
So hat der Senat in seinem Beschluss vom 4. März 2021 (Az.: 20 NE 21.524 – juris Rn 20 ff) ausgeführt:
54
„Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verordnungsgebers, die Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zum 7. März 2021 (§ 1 Nr. 9 der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 112) nochmals zu verlängern, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats liegen die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG vor. Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 4. März 2021 bundesweit 65 und in Bayern 68. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
55
bb) Auch einen Verstoß gegen § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG vermag der Senat noch nicht zu erkennen. Die diesbezüglichen Ausführungen im Senatsbeschluss vom 12. Januar 2021 (20 NE 20.2933 – juris Rn. 39 ff.) gelten gegenwärtig weiter. Die Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers, dass eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 ohne die Ausgangsbeschränkungen erheblich gefährdet wäre, erweist sich auch gegenwärtig nicht als rechtsfehlerhaft.
56
(1) Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass keine Überlastung des Gesundheitssystems mehr drohe, lässt sie insbesondere die derzeit unsichere Lage infolge der zunehmenden Verbreitung besorgniserregender Virusmutationen (VOC) mit potenziell leichterer Übertragungsmöglichkeit und möglicherweise schwereren Krankheitsverläufen außer Acht. Besonders die Variante B.1.1.7, die u.a. in Großbritannien vermehrt aufgetreten ist, breitet sich derzeit mit großer Geschwindigkeit in Deutschland aus. Das RKI schätzt die Gefahr für die Bevölkerung weiterhin als sehr hoch ein, zumal derzeit noch verlässlich abschätzbar sei, ob und in welchem Maße die VOC die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen (vgl. RKI, Risikobewertung, Stand 26.2.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuarti-ges_Coronavirus/Risikobewertung.html).
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(2) Abgesehen davon dauert die von der Antragstellerin beschriebene positive Entwicklung eines deutlichen Rückgangs der Infektionszahlen inzwischen nicht mehr an. Die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 sind zuletzt wieder angestiegen bzw. stagnieren auf einem Niveau von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Auch wenn Infektionszahlen nicht ansteigen, sich aber auf einem zu hohen Niveau „seitwärts“ bewegen, können die Voraussetzungen des § 28a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorliegen, zumal das Infektionsgeschehen schnell kippen und es wieder zu einem exponentiellen Wachstum der Neuinfektionen kommen kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 – 20 NE 20.2907 – NJW 2021, 178 – juris Rn. 32 ff.).
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Die angegriffenen, nicht regional differenzierten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen beruhen auf einer dokumentierten Entscheidung des Antragsgegners, die besonders gewichtige infektiologische Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 IfSG abzuwiegen hat. Dabei dürfte es sich um eine prognostische Abwägungsentscheidung handeln, welche dem Verordnungsgeber einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 25). Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen Erwägungen ausgegangen ist. Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu. Die Entscheidung, die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in der bisherigen Form – mit Ausnahme der landesweiten nächtlichen Ausgangssperre – bis 7. März 2021 noch einmal zu verlängern, wurde mit dem aktuellen Infektionsgeschehen – einschließlich der Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit neuen besorgniserregenden Virusvarianten mit mutmaßlich höherer Übertragungsgefahr und gegebenenfalls schweren Krankheitsverläufen – begründet (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 113). Diese Einschätzung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht rechtlich zu beanstanden (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 20).“
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An dieser Ex-ante-Beurteilung hält der Senat auch im Hauptsacheverfahren fest.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BeckRS 2022, 43974).
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6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Revisionsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) vorliegen.