Titel:
Verdienstausfallentschädigung eines selbstständigen Heilpraktikers für Absonderung
Normenketten:
IfSG § 30 Abs. 1 S. 2, § 56
SGB IV § 15 Abs. 1
EStG § 4 Abs. 1
Leitsatz:
Für den Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene während der gesamten Dauer der Absonderung derart an COVID-19 erkrankt war, dass er arbeitsunfähig war. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigung für Absonderung als Kranker, Selbständiger Heilpraktiker, Mehrere selbständige Tätigkeiten, Berechnung, Coronavirus, Entschädigung, Absonderung, selbstständiger Heilpraktiker, Quarantäne, Arbeitsunfähigkeit, Rechtsgrundverweisung, Schutzimpfung, Immobilienvermietung, Versandhandel, Nahrungsergänzungsmittel
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 14.11.2023 – 20 B 23.1456
VG Augsburg, Urteil vom 27.06.2022 – Au 9 K 21.2463
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2025, 801
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2022 wird geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, für den Kläger eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 2.614,32 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit festzusetzen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
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Der Kläger, der u.a. als selbständiger Heilpraktiker tätig ist, begehrt mit seiner Klage eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 5.294,00 EUR infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung. Er wurde am Montag, dem 9. August 2021, positiv auf das Coronavirus getestet. Mit Schreiben vom 10. August 2021 ordnete das zuständige Landratsamt gegenüber dem Kläger deshalb die häusliche Isolation für den Zeitraum vom 10. August 2021 bis einschließlich 20. August 2021 an. Zu diesem Zeitpunkt betrieb der Kläger neben seiner Praxis für Naturheilkunde auch ein Corona-Testzentrum, einen Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln und vermietete Ferienwohnungen.
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Mit Schreiben vom 20. August 2021 beantragte der Kläger beim Beklagten eine Entschädigung für seinen Verdienstausfall infolge der behördlich angeordneten Absonderung nach § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Dort erklärte er, dass er während der Quarantäne nicht erkrankt und arbeitsfähig gewesen sei. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 bat der Beklagte den Kläger um Übersendung weiterer Auskünfte zum beantragten Verdienstausfall. Am 2. November 2021 übersandte der Kläger dem Beklagten eine schriftliche Selbsteinschätzung und führte im Wesentlichen aus, dass seine Praxis und das von ihm betriebene Testzentrum während der Isolation zu 100% geschlossen gewesen sei. Seine Corona-Infektion sei mit massiven Symptomen einhergegangen. Er sei erkrankt in Quarantäne gewesen. Auch sonstige mit dem Betrieb verbundene administrative Tätigkeiten hätten während der Quarantäne wegen der akuten Erkrankung nicht ausgeführt werden können.
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Mit Bescheid der Regierung von Schwaben vom 8. November 2021 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung abgelehnt. Zur Begründung wird ausgeführt, die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 IfSG lägen im Fall des Klägers nicht vor. Entgegen seiner Angaben im Antrag gehe aus dem Schreiben vom 2. November 2021 hervor, dass der Kläger während der angeordneten Quarantäne arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Wegen der Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachkommen können. Die Quarantäne sei daher nicht ursächlich für den Verdienstausfall gewesen. Eine Entschädigung nach § 56 IfSG sei daher nicht zu leisten.
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Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und zuletzt beantragt, den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 5.294,00 EUR zu bezahlen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Kläger habe seiner beruflichen Tätigkeit allein wegen der angeordneten Quarantäne nicht nachgehen können. Die Beschreibung von „massiven Symptomen“ in der Selbsteinschätzung des Klägers vom 2. November 2021 sei missverständlich, da der Kläger damit lediglich zum Ausdruck habe bringen wollen, dass er Erkältungssymptome gehabt habe. Zum Zeitpunkt des positiven Tests am 9. August 2021 seien diese aber bereits derart abgeklungen gewesen, dass der Kläger wieder arbeitsfähig gewesen sei. Es habe sich um eine „normale“ Erkältung gehandelt. Als Selbständiger wäre der Kläger ohne die Absonderungsanordnung ab dem 9. August 2021 deshalb trotz der nur noch geringsten Symptome in jedem Fall wieder zur Arbeit gegangen. In diesem Fall hätte er keinen Verdienstausfall erlitten. Während des Quarantänezeitraums sei der Kläger daher gerade nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen.
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Mit Urteil vom 27. Juni 2022 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten zeitgebundenen Anspruchs sei maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Isolationsanordnung abzustellen. Damit sei der vorliegenden Entscheidung über den Anspruch des Klägers auf Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 10. August 2021 bis einschließlich 20. August 2021 die am 31. März 2021 in Kraft getretene Änderung des § 56 Abs. 1 IfSG zugrunde zu legen. Nach dessen § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG seien nunmehr auch „sonstige Kranke“, die nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert würden, den Anspruchsberechtigten aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG gleichgestellt. Ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung komme bei Erkrankten aber nur dann in Betracht, wenn der geltend gemachte Verdienstausfall kausal auf die infektionsschutzrechtliche Absonderung zurückzuführen ist. Dies sei nur dann der Fall, wenn der zum Zeitpunkt der Absonderung Erkrankte trotz der sich zeigenden Symptome objektiv arbeitsfähig gewesen seien und ohne die angeordnete Absonderung seiner Erwerbstätigkeit hätte nachgehen können.
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Im Fall des Klägers seien diese Voraussetzungen nicht gegeben. Der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im Zeitraum der ihm gegenüber angeordneten Isolation arbeitsunfähig krank gewesen sei und damit im Ergebnis keinen Anspruch auf die beantragte Verdienstausfallentschädigung habe. Auf Basis der Angaben des Klägers in dessen Selbsteinschätzung vom 2. November 2021 sei davon auszugehen, dass er im Zeitraum der Isolation arbeitsunfähig gewesen und deshalb bereits aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, seiner üblichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zwar habe der Kläger im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hiervon abweichende Angaben gemacht und sich dabei entgegen der Angaben im Verwaltungsverfahren als im Zeitraum der Isolation als arbeitsfähig beschrieben, doch halte das Gericht diese Angaben nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung für unglaubhaft.
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Der Senat hat die Berufung wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2022 wird
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2. Der Bescheid des Beklagten vom 8. November 2021 wird aufgehoben.
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3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IFSG i.H.v. 5.294,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. August 2021, hilfsweise ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Kläger sei während der hier maßgeblichen Zeiten, für die eine Entschädigung nach § 56 IfSG verlangt werde, nicht arbeitsunfähig erkrankt und vielmehr objektiv arbeitsfähig gewesen, sodass ein Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG bestanden hätte. Unabhängig davon stelle § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG nicht darauf ab, ob jemand als Betroffener nach § 32 IfSG arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei oder nicht, sondern allein darauf, dass er wegen des Verbots nicht habe arbeiten dürfen. Insoweit müsse es, insbesondere bei einem Selbstständigen, wie hier, ihm überlassen bleiben, ob er habe arbeiten wollen oder nicht, selbst wenn er erkrankt gewesen wäre. Vorliegend sei somit die Anordnung der Quarantäne in jedem Fall kausal, da der Kläger, wie er dies selbst angegeben habe, in jedem Fall gearbeitet hätte.
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Ausgehend vom Einkommensteuerbescheid 2020 sei von einem Verdienstausfall i.H.v. 5.971,00 € auszugehen, betrachte man die Einkünfte des Ehemanns aus selbstständiger Arbeit und aus dem Gewerbebetrieb. Dies könne aber nicht rechtens sein, wenn der Selbstständige mit seinen Umsätzen auch die Gehälter seiner Angestellten bezahlen müsse. Es müsste daher für den Verdienstausfall vielmehr der „Umsatzverlust“ maßgeblich sein, der auf 18.108,70 € beziffert werden könne. Bei dem Gewerbebetrieb handele es sich um den Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln, welcher in der Naturheilpraxis des Klägers stattfinde, indem er die Produkte an seine Patienten verkaufe.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Maßgeblich für einen Anspruch des Klägers auf Verdienstausfallentschädigung sei § 56 Abs. 1 IfSG in der zum Zeitpunkt bzw. im Zeitraum der ihn betreffenden Isolationsanordnung geltenden Fassung, d.h. hier in der Fassung insbesondere des Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (EpiLage-Fortgeltungsgesetz) vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370). Das EpLage-Fortgeltungsgesetz ließ § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG unverändert, änderte aber u.a. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach „das Gleiche“, mithin die Regelung eines Anspruchs auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG für bestimmte weitere Personen als dort unmittelbar genannt gelte. Die nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG vorausgesetzte Kausalität der Absonderung (und nicht der Erkrankung) für den Verdienstausfall („und dadurch“ in § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG) werde hier nicht eigens thematisiert. Es komme also darauf an, ob § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung enthalte. Wäre es eine Rechtsfolgenverweisung, käme es nicht darauf an, ob der Abgesonderte arbeitsunfähig krank war oder hätte arbeiten können (und wollen). Es spreche jedoch alles dafür, dass es sich um eine Rechtsgrundverweisung handele, welche die Erforderlichkeit einer Kausalität zwischen Absonderung und Verdienstausfall aufgreife und nicht beseitige. Im Wortlaut des § 56 Abs. 1 IfSG finde sich das Erfordernis einer Kausalität gerade der Absonderung für den Verdienstausfall und nicht anderer Umstände wie einer Erkrankung in den Worten „und dadurch“. Eine Auslegung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG als Rechtsfolgenverweisung würde dem Wortlaut eher widersprechen. Mit der Formulierung „das Gleiche gilt“ solle erkennbar keine Verdienstausfallentschädigung ohne weitere Tatbestandsvoraussetzungen gewährt werden. Ein Verdienstausfall sei ausdrücklich weiter Voraussetzung für die Entschädigung. Dieses Ergebnis sei insbesondere auch aus einer Betrachtung der Gesetzeshistorie herzuleiten. Dabei sei auf die ursprüngliche, erste Fassung der Regelung zur Verdienstausfallentschädigung in § 49 des Bundes-Seuchengesetzes (BSeuchG) vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1012) zurückzugreifen, die in § 49 Abs. 4 Satz 2 BSeuchG 1961 bereits einen ausdrücklichen Ausschlusstatbestand enthalten habe. Nach § 49 Abs. 4 Satz 2 BSeuchG 1961 sei die Entschädigung nicht gewährt (worden), solange derjenige, dem sie zustehen würde, die verbotene Tätigkeit wegen Arbeitsunfähigkeit nicht habe ausüben können. Gesetzessystematische Überlegungen bestätigten das Ergebnis, dass es bei der Verdienstausfallentschädigung auf die Frage der Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit eines Abgesonderten ankomme. Hinzuweisen sei dabei zunächst auf § 56 Abs. 7 IfSG, der § 49 Abs. 4b BSeuchG 1979 entspreche. Auch heute noch bleibe nach dieser Bestimmung der Entschädigungsanspruch (nur) in Höhe des Betrags bestehen, der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an den Entschädigungsberechtigten auszuzahlen war, wenn dieser arbeitsunfähig werde. Selbst wenn man mit der Kommentarliteratur § 56 Abs. 7 IfSG dahingehend verstehen wolle, dass bei nachträglich eingetretener Arbeitsunfähigkeit der – einmal entstandene – Entschädigungsanspruch unberührt fortbestehe, sei festzustellen, dass die Arbeits(un) fähigkeit danach nach wie vor ein Kriterium sei, das für die Verdienstausfallentschädigung eine Rolle spiele. Für diese Auslegung spreche auch, dass andernfalls § 59 Abs. 1 IfSG, der vorsehe, dass die Zeit der Absonderung auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werde, obsolet wäre, da sich dasselbe Ergebnis aus § 9 BUrlG für das Zusammentreffen von Urlaub und Arbeitsunfähigkeit ergäbe. Zudem bezeuge neben der Kommentarliteratur die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass mit der Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 und Abs. 1a IfSG, dem Anspruch auf Impfschadenversorgung nach § 60 IfSG und der Entschädigung für Nichtstörer nach § 65 IfSG der Zwölfte Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes (mit der Überschrift: „Entschädigung in besonderen Fällen“) punktuelle Anspruchsgrundlagen enthalte, denen das planmäßige Bestreben des Gesetzgebers zugrunde liege, die Entschädigungstatbestände auf wenige Fälle zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen. Eine an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte (teleologische) Auslegung ergebe nichts Anderes. § 56 Abs. 1 IfSG sei kein Entschädigungsanspruch im staatshaftungsrechtlichen Sinne. Er gewähre vielmehr eine Billigkeitsleistung zur sozialen Sicherung vor wirtschaftlicher Not für entsprechend bedürftige natürliche Personen, die subsidiär sei.
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Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte eine Entschädigung u.a. nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben sei oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen worden sei, eine Absonderung hätte vermeiden können. Die Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. gegen COVID-19 sei für die Personengruppe, welcher der Kläger angehöre (Erwachsene), im Bereich seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts (Deutschland bzw. Bayern) von der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut bereits seit Ende 2020 öffentlich empfohlen worden. Eine bei ihm vorliegende medizinische Kontraindikation gegen die Impfung habe der Kläger nicht vorgetragen. Durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung hätte die Absonderung vermieden werden können bzw. die im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erforderliche Kausalität zwischen der fehlenden Schutzimpfung und der Vermeidbarkeit einer Absonderung wäre gegeben. Wäre der Kläger geimpft gewesen, hätte er sich, da er ja symptomfrei gewesen sei, nach der einschlägigen Allgemeinverfügung freitesten können.
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Soweit eine Entschädigung dennoch in Betracht komme, sei von dem anhand des Einkommensteuerbescheids ermittelten jährlichen bzw. monatlichen Bruttoeinkommen eines Selbständigen ein fiktiver Steuerbetrag, nämlich Lohnsteuer, ggf. Kirchensteuer, und Solidaritätszuschlag, abzuziehen. Weiter seien von einem jährlichen bzw. monatlichen Bruttoeinkommen Aufwendungen zur sozialen Sicherung abzuziehen. Ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung werde ggf. ergänzt durch den Anspruch auf Aufwendungserstattung für soziale Sicherung in angemessenem Umfang nach § 58 IfSG. Bei der ggf. entschädigungspflichtigen freiberuflichen und eventuell auch gewerblichen Tätigkeit des Klägers sei ferner zu beachten, dass Einkünfte daraus in der Regel und auch hier nicht durch eine Person allein erzielt würden. Der Kläger habe, unbeschadet dessen, dass er sich als die „Hauptperson“ in seiner Heilpraktiker-Praxis darstelle, dort drei Angestellte beschäftigt, desgleichen wohl auch in dem von ihm betriebenen Testzentrum, das er als „komplett eigenen Betrieb im Betrieb“ beschreibe (Selbsteinschätzung vom 2.11.2021). Somit wäre ein Anteil des Klägers am Unternehmenserfolg zu bestimmen. Der Beklagte halte bei Selbständigen eine kalendertägliche (und nicht arbeitstägliche) Berechnung der Verdienstausfallentschädigung für richtig und gehe davon aus, dass ein selbständig Tätiger in der Regel einen gewissen Anteil seiner Tätigkeit im Homeoffice erledigen könne. Dies berücksichtige die von der Regierung von Schwaben vorgelegten alternativen Berechnungen mit einer entsprechenden Kürzung um hier 20%.
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Nach Auffassung des BAG sei die Absonderungsanordnung offenbar keine eigenständige, parallele Ursache für die Arbeitsunfähigkeit. Die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 werde damit als Krankheit im Sinne des Arbeitsrechts bzw. des Sozialversicherungsrechts aufgefasst. Bei Arbeitnehmern komme im Krankheitsfall deren gesetzlich vorgesehene Absicherung (Sozialversicherung) u.a. in Gestalt des Entgeltfortzahlungsgesetzes zum Tragen. Bei einem Nicht-Arbeitnehmer wie einem Selbständigen, dem es anheimgestellt ist, sich selbst für den Krankheitsfall zu versichern, wie hier dem Kläger, müsse das Gleiche gelten. Wenn sich selbstständig tätige Personen nicht gegen Krankheit absicherten, könne auch keine Entschädigung zulasten der Allgemeinheit aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion erfolgen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen. Hinsichtlich des Verlaufes der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird geändert, weil die von dem Kläger erhobene Klage zulässig und teilweise begründet ist. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Entschädigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da er als Kranker im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG verpflichtet war sich abzusondern (§ 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und dadurch einen Verdienstausfall erlitten hat. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Kläger arbeitsfähig war, so dass es auf die Beantwortung dieser zwischen den Beteiligten streitigen Tatsachenfrage nicht ankommt. Der Anspruch war auch nicht gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG ausgeschlossen. Maßgeblich für diese Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage während der Geltungsdauer der Absonderungsanordnung.
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1. Rechtsgrundlage für die begehrte Entschädigung ist § 56 IfSG in seiner im Zeitraum vom 10. August 2021 bis einschließlich 20. August 2021 geltenden Fassung. Dieser Zeitraum ist durch das materielle Recht vorgegeben (BVerwG, Urt. v. 30.10.2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204 m.w.N.). Nach der in diesem Zeitraum geltenden Fassung des § 56 Abs. 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für eine Person, die nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert.
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a) Der Kläger war Adressat einer Absonderungsanordnung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG und gehörte damit zum nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG anspruchsberechtigten Personenkreis.
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b) Der Kläger hat auch durch die Absonderung einen Verdienstausfall erlitten. Dabei muss die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob der Kläger während der gesamten Dauer der Absonderung derart an COVID-19 erkrankt war, dass er arbeitsunfähig war, nicht beantwortet werden, weil es auf diese Frage seit der Änderung durch das Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (EpiLage-Fortgeltungsgesetz) vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370) nicht mehr ankommt.
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Bis zur Änderung des IfSG durch das EpiLage-Fortgeltungsgesetz war klar geregelt, dass § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG lediglich für Personen gilt, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Kranke (§ 2 Nr. 4 IfSG) waren damit ausdrücklich von einer Entschädigung ausgenommen.
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Diese Regelung ging dem Grunde nach auf § 49 BSeuchG (1961) zurück. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 3/1888 S. 27):
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„Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not. Diese Personen sind Störer im polizeirechtlichen Sinne. Da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen sind wie Kranke, erscheint es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden. Eine weitere Ausdehnung des entschädigungsberechtigten Personenkreises, etwa auf Krankheitsverdächtige oder Tuberkulosekranke, wäre nicht sachgerecht. Krankheitsverdächtige im Sinne des Entwurfs sind krank, wie sich aus der Begriffsbestimmung nach § 2 ergibt. Sie sind durchweg auch mit Rücksicht auf die Krankheitserscheinungen, die den speziellen Krankheitsverdacht begründen, arbeitsunfähig, so daß die Leistungen der Krankenversicherung eintreten, wenn es sich um Versicherte handelt. Ein Bedürfnis, insoweit eine Entschädigungsregelung für die Nichtversicherten vorzusehen, besteht nicht, da diese Personen auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung aus der gesetzlichen Krankenversicherung nichts erhalten würden. Tuberkulosekranke können allerdings, je nach den Umständen des Einzelfalles, arbeitsfähig sein. Für diesen Personenkreis ist indessen eine Sonderregelung im Tuberkulosehilfegesetz vorgesehen.“
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Damit war der Wille des Gesetzgebers eindeutig, dass an der Infektionskrankheit Erkrankte grundsätzlich von einer Entschädigung ausgeschlossen sein sollten. Es wurde offensichtlich davon ausgegangen, dass Erkrankte generell als arbeitsunfähig zu betrachten sind, auch wenn dies nicht auf jeden an einer Infektionskrankheit Erkrankten tatsächlich zutrifft.
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Durch die Neuregelung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG wurden Kranke in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufgenommen. Hierbei wurde nicht unterschieden, ob sie aufgrund der Infektion arbeitsunfähig erkrankt waren. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27291 S. 61):
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„Durch die Neufassung des Satzes 2 wird klargestellt, dass auch Personen, die aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 einem Absonderungsgebot unterliegen, ebenso wie Personen, die einem solchem Gebot nach §§ 30, 32 unterliegen, einen Anspruch nach Satz 2 haben. Das gilt auch dann, wenn sie sich als Erkrankte abzusondern haben, jedoch ist wie bisher ein Verdienstausfall Voraussetzung, der etwa dann nicht eintritt, soweit eine Entgeltersatzleistung gewährt wird.“
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Dies entspricht auch dem Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG im maßgeblichen Zeitraum, welcher lediglich darauf abstellt, dass eine Person nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert. Offensichtlich ging der Gesetzgeber von einer Anspruchsberechtigung auch von arbeitsunfähigen Kranken aus, weil ansonsten die Bezugnahme auf die Entgeltfortzahlung keinen Sinn gemacht hätte.
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Schon bei der Änderung durch das Seuchenrechtsneuordnungsgesetz vom 25. Juli 2000 und der Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf Krankheitsverdächtigte, also Personen, bei denen Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen, hat der Gesetzgeber keine Differenzierung im Hinblick auf das Vorliegen der Arbeitsfähigkeit vorgesehen. In den Gesetzesbegründung heißt es hierzu lediglich, dass auch dieser Personenkreis eine Entschädigung erhalten soll (BT-Drs. 14/2530 S. 88).
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Die vom Antragsgegner gegen eine solche Auslegung vorgebrachten Einwände überzeugen hingegen nicht. Soweit der Beklagte hier der Meinung ist, dass § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG lediglich eine Rechtsgrundverweisung auf § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG mit der Folge sei, dass Kranke nach wie vor von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen sind, ist dies angesichts des klar geäußerten Willen des Gesetzgebers nicht überzeugend. Wenn der Beklagte auf § 56 Abs. 7 IfSG verweist, wo geregelt ist, dass, wenn der Entschädigungsberechtigte arbeitsunfähig wird, der Entschädigungsanspruch in Höhe des Betrages, der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an den Berechtigten auszuzahlen war, bestehen bleibt, muss verstanden werden, dass hier nicht die Arbeitsunfähigkeit gemeint sein kann, die aufgrund der der Absonderung zugrundeliegenden Infektionskrankheit besteht. Denn vor der Änderung des § 56 IfSG durch das EpiLage-Fortgeltungsgesetz fiel der Personenkreis der Erkrankten gerade nicht unter diese Regelung und konnte damit nicht gemeint sein.
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c) Für dieses Ergebnis sprechen auch Praktikabilitätserwägungen. Zum einen dürfte die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein selbständig Tätiger arbeitsunfähig erkrankt ist, nur schwer und nicht einheitlich zu beurteilen sein (vgl. hierzu bei der privaten Krankentagegeldversicherung: BGH, U. v. 3.4.2013 – IV ZR 239/11 – NJW 2013, 2121; Überblick: Schrehardt: Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sozial- und Zivilrecht, DStR 2013, 2346). Mit dieser Frage gehen auch erhebliche Beweisschwierigkeiten einher. Zum anderen ist es für den Erlass einer Absonderungsanordnung alleine maßgeblich, dass der Adressat der Maßnahme im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Absonderungsanordnung zum Personenkreis des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG gehört, also Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger und Ausscheider ist. Verlangt man hingegen zusätzlich bei an der Infektionskrankheit Erkrankten im Rahmen der sog. Monokausalität, dass die Absonderung die einzige Ursache für den Verdienstausfall darstellen darf, sind Änderungen der Sachlage während der Dauer der Absonderung zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zum Aufleben des Entschädigungsanspruchs führen würde. Auch insoweit eine Auslegung die sich als wenig praktikabel erweisen dürfte, die auch der Gesetzgeber angesichts der personellen Anforderungen an die Infektionsschutzbehörden während der COVID-19 Pandemie nur schwer vorstellbar im Auge gehabt haben könnte.
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Damit hat der Kläger als Kranker einen Verdienstausfall durch die Absonderung erlitten.
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2. Der Anspruch auf Entschädigung war auch nicht nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG ausgeschlossen, da der Kläger die Absonderung nicht durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltes des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, hätte vermeiden können.
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Eine öffentliche Empfehlung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG für eine COVID-19-Impfung lag im maßgeblichen Zeitraum der Absonderung vor. Nach § 20 Abs. 3 IfSG sollen die obersten Landesgesundheitsbehörden öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen oder andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe auf der Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (StiKo) aussprechen. Dies war nach Nr. 2.1 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 24. September 2013, Az. L1d-G8360.82-2013/1-5 (AllMBl. S. 425) der öffentlich empfohlenen Schutzimpfungen (§ 20 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes) in der Fassung vom 28. Oktober 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 658) der Fall, denn die StiKo hatte eine Impfung gegen COVID-19 mit Zulassung der ersten Impfstoffe zum 21. Oktober 2020 allgemein empfohlen (Epidemisches Bulletin v. 14.1.2021; https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/7579.2/STIKO-Empfehlung-COVID-19-Impfung_23-12-2020.pdf?sequence=7& isAllowed=y).
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Die Beantwortung der Frage, ob der Kläger durch die Inanspruchnahme der vollständigen Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, eine Absonderung hätte vermeiden können (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG), setzt zunächst aber einmal voraus, dass diese Impfung rechtzeitig vor der Infektion des Klägers spätestens am 9. August 2021 für den Kläger auch ohne weiteres frei verfügbar gewesen war. Dies wurde vom Beklagten zwar behauptet, aber in keiner Weise dargelegt.
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Hierzu muss festgestellt werden, dass erst am 22. September 2021 von der Gesundheitsministerkonferenz beschlossen wurde, dass spätestens ab dem 1. November 2021 diejenigen Personen keine Entschädigungsleistungen gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mehr erhalten, die als Kontaktpersonen oder als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet bei einem wegen COVID-19 behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder behördlich angeordneter Absonderung keine vollständigen Impfschutz mit einem auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19) gelisteten Impfstoff gegen COVID-19 vorweisen konnten, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Absatz 3 IfSG vorlag (https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?uid=228& jahr=2021). Gleichzeitig wurde auch festgestellt, dass erst seit einigen Wochen ausreichende Mengen Impfstoff zur Verfügung gestanden hätten, um allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland eine Impfung gegen COVID-19 anbieten zu können. Kurz danach musste allerdings zumindest der Impfstoff von Biontech/Pfizer kontingentiert werden (https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?uid=240& jahr=2021). Mit Stand 14. Juni 2021 waren in der Altersgruppe unter 60 Jahren bundesweit nur 16,7 Prozent vollständig geimpft. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde auf eine weitere Impfpriorisierung verzichtet (Epidemiologisches Bulletin des RKI Nr. 25 vom 24. Juni 2021 S. 8). Der Beklagte selbst ist in seinen Hinweisen zur Rechtsanwendung des Anspruchsausschlusses für nicht geimpfte Personen in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG für Bayern (Stand: Dezember 2021; https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2021/12/2021_12_anspruchsausschluss_entschaedigungsleistungen.pdf), davon ausgegangen, dass der Anspruchsausschluss in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG aufgrund der unterlassenen Inanspruchnahme einer Schutzimpfung grundsätzlich nur Anwendung finden konnte, wenn die Absonderung oder das Tätigkeitsverbot gegenüber einer Person mit vollständigem Impfschutz nicht erlassen worden wäre (Nr. 2). Gleichzeitig wies der Beklagte darauf hin, dass der Anspruchsausschluss in § 56 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 IfSG für ungeimpfte Personen keine Anwendung findet, wenn diese (wie der Kläger) positiv getestete Personen i. S. d. Nr. 1.3 und 2.1.3 der AV Isolation waren. Die Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG wurde in derartigen Fällen fortgezahlt (sofern die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen), weil auch eine Impfung die Absonderung nicht vermieden hätte (Nr. 6; a.a.O.). Schließlich ging der Beklagte entsprechend seiner Hinweise erst ab dem 1. November 2021 davon aus, sofern der Beginn der Absonderung im Zeitraum ab dem 1. November 2021 lag, dass für jede Person die Möglichkeit eines vollständigen Impfschutzes durch die Inanspruchnahme eines Impfangebots bestanden habe. Die Behauptung, die Impfung sei bisher nicht möglich gewesen, sollte dann grundsätzlich nicht mehr akzeptiert werden.
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Nach alldem kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Impfung des Klägers vor der positiven Testung am 9. August 2021 ohne weiteres an seinem Aufenthaltsort rechtzeitig verfügbar war, so dass es auf die Frage, ob die Absonderung des Klägers durch eine erreichbare Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte vermieden werden können (verneinend: VGH BW, U. v. 20.2.2024 – 1 S 678/23 – BeckRS 2024, 3522), nicht mehr ankommt.
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3. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall (§ 56 Abs. 2 Satz 1 IfSG). Als Verdienstausfall gilt nach § 56 Abs. 3 Satz 1 IfSG das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zusteht, vermindert um Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung oder entsprechende Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang (Netto-Arbeitsentgelt). Dies gilt für die Berechnung des Verdienstausfalls bei Selbständigen entsprechend mit der Maßgabe, dass bei Selbständigen ein Zwölftel des Arbeitseinkommens (§ 15 SGB IV) aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit zugrunde zu legen ist (§ 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG). Arbeitseinkommen ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Definition des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) und vermindert um den Wert der Einlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG). Zum Antragsverfahren bestimmt § 56 Abs. 11 Satz 4 IfSG, dass dem Antrag von Arbeitnehmern eine Bescheinigung des Arbeitgebers und von den in Heimarbeit Beschäftigten eine Bescheinigung des Auftraggebers über die Höhe des in dem nach Absatz 3 für sie maßgeblichen Zeitraum verdienten Arbeitsentgelts und der gesetzlichen Abzüge, von Selbständigen eine Bescheinigung des Finanzamtes über die Höhe des letzten beim Finanzamt nachgewiesenen Arbeitseinkommens beizufügen ist.
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Grund und Höhe der Entschädigung bestimmen sich, wie ausgeführt, hingegen nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Absonderungspflicht. Davon geht zur Entschädigungshöhe auch § 56 Abs. 3 IfSG aus: In Satz 1 stellt das Gesetz für den Verdienstausfall auf das dem Arbeitnehmer zustehende Arbeitsentgelt ab; ersichtlich legt die Vorschrift das für den Zeitraum der Absonderungspflicht zustehende Arbeitsentgelt zugrunde. Für in Heimarbeit Beschäftigte und Selbständige gilt gemäß § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG „Satz 1…entsprechend“ mit den in Satz 5 geregelten Maßgaben. Diese Maßgaben führen zur Zugrundelegung des im Durchschnitt des letzten Jahres vor Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder vor der Absonderung verdienten monatlichen Arbeitsentgelts bei den in Heimarbeit Beschäftigten und eines Zwölftels des Arbeitseinkommens nach § 15 SGB IV aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit bei Selbständigen und bewirken somit die Heranziehung eines gemittelten Werts bei schwankenden Einkommen. Die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Verdienstausfalls aus dem Absonderungszeitraum wird damit nicht infrage gestellt (VGH BW, U. v. 20.2.2024 – 1 S 678/23 – BeckRS 2024, 3522 Rn 82). Liegt allerdings wie hier nunmehr bereits ein Einkommenssteuerbescheid für das Jahr der Absonderung vor und wurde vom Entschädigungsberechtigten zudem erst im Jahr der Absonderung eine weitere entschädigungsrelevante Tätigkeit aufgenommen, ist dieser heranzuziehen. Denn nur so lässt sich im vorliegenden Fall eine möglichst realistische Näherung an den Verdienstausfall aus dem Absonderungszeitraum abbilden. Dies legt auch die Regelung des § 56 Abs. 11 Satz 5 IfSG nahe, wonach, wenn ein solches Arbeitseinkommen noch nicht nachgewiesen oder ein Unterschiedsbetrag nach Absatz 3 zu errechnen ist, die zuständige Behörde die Vorlage anderer oder weiterer Nachweise verlangen kann.
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Bei der Frage, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist bei mehreren selbständigen Tätigkeiten zu prüfen, ob die Absonderung für die jeweilige Tätigkeit kausal einen Verdienstausfall verursacht hat, denn § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG stellt auf die konkrete Erwerbstätigkeit ab. Insoweit scheiden beim Kläger die Tätigkeiten der Immobilienvermietung und des Verkaufes bzw. Versandes von Nahrungsergänzungsmitteln aus, weil der Kläger nicht schlüssig dargelegt hat und es auch sonst nicht ersichtlich ist, dass hier ein Verdienstausfall durch die Absonderung entstanden ist. Zwar behauptet der Kläger, dass er die Nahrungsergänzungsmittel ausschließlich in seiner Praxis an seine Patienten abgibt. Dies ist jedoch nicht glaubhaft, weil er seit 2006 einen Versandhandel mit Nahrungsergänzungsmitteln betreibt und auch nicht ersichtlich ist, auf welche Weise der über die Absonderungszeit angeblich nicht mögliche Verkauf in der Praxis zu einem Verdienstausfall geführt haben könnte. Denn es ist davon auszugehen, dass der Kläger den Bedarf seiner Patienten an Nahrungsergänzungsmitteln über den Versand und nach der Absonderung durch Verkauf in der Praxis zufrieden stellen konnte. Tätigkeiten die mit negativen Einkünften im Einkommenssteuerbescheid ausgewiesen sind, bleiben grundsätzlich außer Betracht, weil insoweit kein Arbeitseinkommen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vorhanden ist, so dass die Tätigkeit des Betriebs eines Testzentrums nicht berücksichtigt werden kann. Allerdings findet im Rahmen des § 56 IfSG eine Verrechnung negativer Einkünfte aus einer Tätigkeit mit positiven Einkünften aus anderen Tätigkeiten nicht statt, denn hierfür gibt das Gesetz keine Stütze. Kommen danach entschädigungspflichtige Tätigkeiten in Betracht, sind die Einkünfte hieraus mit ihrem Nettobetrag, also abzüglich der auf sie anfallenden Einkommenssteuer aus dem Einkommensbescheid anzusetzen. Abzüge sind, abgesehen von den in § 57 Abs. 8 IfSG vorgesehenen Anrechnungen, wofür hier nichts ersichtlich ist, nicht zu machen. Als Aufwendung zur sozialen Sicherung ist die Krankenversicherung und die Risikolebensversicherung, soweit darin eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Rente) in Höhe von 123,52 € enthalten ist, in Abzug zu bringen. Beide Beiträge sind dann im Rahmen des § 58 IfSG berücksichtigungsfähig. Erfasst sind gemäß § 58 IfSG Aufwendungen, die anstelle der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Renten- oder sozialen Pflegeversicherung treten, z.B. Aufwendungen für die private Kranken- und Pflegepflichtversicherung, freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung und berufsständische Versorgung. Die Angemessenheit der Aufwendungen für die soziale Sicherung ist im Vergleich zum Beitrags- und Leistungsspektrum der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung zu beurteilen, da § 58 IfSG auf eine Gleichbehandlung gesetzlich versicherungspflichtiger und nicht versicherungspflichtiger Personen abzielt (vgl. Kießling, IfSG, 3. Auflage 2022, § 58 Rn. 3; Kruse in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK IfSG, Stand: 1.10.2024, § 58 Rn. 2, 6 und 7).
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Nach der vom Beklagten auf Bitten des Senats durchgeführten nachvollziehbaren und vom Kläger nicht angegriffenen Berechnung ergibt sich somit ein Entschädigungsbetrag in Höhe von insgesamt 2.614,32 € (2.391,06 € nach § 56 Abs. 1 IfSG und 223,26 € nach § 58 IfSG). Der Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, 187 Abs. 1 BGB ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag (vgl. § 90 VwGO). Die Höhe war aufgrund des Antrags des Klägers auf fünf Prozentpunkte beschränkt.
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3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund gegeben ist (§ 132 Abs. 2 VwGO).