Titel:
Verjährungsbeginn, Beginn der Verjährungsfrist, Einrede der Verjährung, Verjährungshemmung, Abgasskandal, Grobe Fahrlässigkeit, Anspruchsbegründender Umstand, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Abschalteinrichtung, Sittenwidrige Schädigung, Erstinstanzlicher Vortrag, Berufungsrücknahme, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Aussicht auf Erfolg, Grob fahrlässige Unkenntnis, Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Entscheidung des Berufungsgerichts, Berufungsbeklagter, Deliktischer Anspruch, Rücknahme der Berufung
Schlagworte:
Berufung, Endurteil, Verjährung, deliktische Ansprüche, Abgasskandal, Kenntniserlangung, Rücknahme der Berufung
Vorinstanz:
AG Fürth, Urteil vom 08.04.2023 – 330 C 1222/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 8011
Tenor
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 08.04.2023, Az. 330 C 1222/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Mit ihrer Berufung vom 08.05.2024 geht die Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden die Klägerin) gegen das Endurteil des Amtsgerichts Fürth vom 08.04.2024 vor.
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Mit seinem Urteil wies das Amtsgericht das klägerische Begehren auf Verurteilung der Beklagten und Berufungsbeklagten (in Folgendem die Beklagte) zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, Zinsen und zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ab. Das Gericht führte aus, dass der Klägerin weder nach §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV Ansprüche zustünden. Eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte habe die Klägerin bereits nicht ausreichend darlegen können. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB bestünde deshalb nicht, weil die Beklagte kein Verschulden treffe. Zudem läge auch kein Schaden vor, da ein solcher (in der Enttäuschung des Käufervertrauens) durch das Aufspielen des Software-Updates für das streitgegenständliche Fahrzeug im Jahr 2018 beseitigt worden sei. Damit habe nämlich keine Gefahr einer Stilllegung oder drohenden Nutzungseinschränkung des Fahrzeugs mehr bestanden. Schließlich seien Schadensersatzansprüche der Klägerin auch verjährt, da die Klägerin im Jahr 2018 aufgrund der medialen Berichterstattung und des persönlichen Anschreibens durch die Beklagte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen gehabt hätte und die dreijährige Verjährungsfrist damit mit Ablauf des Jahres 2022 geendet wäre.
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In der Berufungsbegründung vom 08.07.2024 wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das Amtsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es versäumt habe, ihren entscheidungserheblichen Sachvortrag zur Kenntnis zu nehmen und die von ihr angebotenen Beweise zu erheben. Die Klägerin habe im Rahmen des ihr möglichen ausreichend substantiiert zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen. Für die Klägerin sei beim Kauf die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs und die Einhaltung der gesetzlich geltenden Abgasnormen kaufentscheidend gewesen. In Kenntnis der wahren Sachlage hätte die Klägerin das Fahrzeug nicht gekauft. Die Beklagte habe beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs auch mindestens fahrlässig gehandelt und könne sich nicht auf einen Verbotsirrtum berufen. Verjährung liege nicht vor, da die Beklagte nicht vorgetragen habe, wann die Klägerin konkrete Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Abgasskandal erlangt habe. Insbesondere sei nicht dargelegt, wann die Klägerin von der konkreten Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtung und des sich hieraus ergebenden Indizes für einen Schädigungsvorsatz und somit ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten Kenntnis erhalten haben soll. Das als ... vorgelegte Kundenanschreiben spreche von einer freiwilligen Rückrufaktion und lasse daher keine entsprechenden Rückschlüsse zu. Auch die Kenntnis der Öffentlichkeit von dem Dieselskandal ab 2016 führe nicht zu einer Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Eine solche Kenntnis setze nämlich voraus, dass der Klägerin die zumindest ungefähre Parametrierung bekannt gewesen sei, was die Beklagte nicht dargelegt habe.
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Die Beklagte verteidigt in ihrer Berufungserwiderung vom 26.07.2024 die Entscheidung des Amtsgerichts Fürth. Hierzu wiederholt auch die Beklagte in weiten Teilen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Im Jahr 2018 habe die Klägerin aufgrund des Kundenanschreibens von Opel und einer Vielzahl von Pressemitteilungen von Opel und dem Kraftfahrtbundesamt und Presseberichterstattungen von dem Abgasskandal und der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs Kenntnis erlangt. Ob die Klägerin die Tatsachen rechtlich zutreffend gewürdigt habe, sei hingegen nicht entscheidend.
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Im Übrigen wird auf das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 08.04.2024 und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Bei vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die von der Klägerin in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände hat die Kammer geprüft. Sie verfangen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob der Klägerin dem Grunde und der Höhe nach Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zustünden, da sämtliche Ansprüche jedenfalls verjährt sind und die Beklagte im Verfahren die Einrede der Verjährung erhoben hat. Die Kammer schließt sich insofern den überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts Fürth in seinem Urteil an.
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Die von der Klägerin bemühten deliktischen Ansprüche verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Diese Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist (was vorliegend nicht der Fall ist), mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Vorliegend begann die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2018 zu laufen.
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1. Etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin wären im Jahr 2018 mit Abschluss des Kaufvertrages entstanden (BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, juris Rn. 35 m.w.N.).
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2. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt für die Kenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis von dem sogenannten „Diesel-“ bzw. „Abgasskandal“ im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, juris Rn. 36 m.w.N.). Das Amtsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Klägerin spätestens im Jahr 2018 Kenntnis aller relevanten Umstände hätte erlangen müssen, da sie im Zuge der Service-Aktion von Opel persönlich angeschrieben wurde und auf das Software-Update hingewiesen wurde.
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a. Der Klägerin kann im Jahr 2018 Kenntnis von dem „Abgasskandal“ unterstellt werden. Zu diesem Zeitpunkt war bereits seit mehreren Jahren bekannt, dass Autohersteller bei der Abgasreinigung illegale Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung ihrer Diesel-Fahrzeuge verwendeten. Vor dem Hintergrund dessen, dass die Klägerin im Verfahren vortrug, ihr sei es beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs im März 2018 besonders auf dessen Umweltfreundlichkeit und die Einhaltung der Abgasnormen angekommen, erscheint für die Kammer ausgeschlossen, dass die Klägerin keine Kenntnis von dem Abgasskandal gehabt haben könnte. Diese Kenntnis hat die Klägerin überdies auch nicht explizit in Abrede gestellt.
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b. Die Klägerin wusste zudem auch von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs, in jedem Fall aber hätte sie hiervon ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen müssen. Zu Recht weist die Beklagte insofern auf die in den ... vorgelegten Pressemitteilungen der Beklagten hin, aus denen sich ergibt, dass sich die Beklagte bereits im Jahr 2016 Spekulationen um die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen ausgesetzt sah. Besonders deutlich geht das aus der Pressemitteilung vom 20.05.2016 hervor, in der sich die Beklagte ausführlich mit den erhobenen Vorwürfen und den belastenden Verdachtsmomenten auseinandersetzt. In Kombination mit dem persönlichen Schreiben an die Klägerin vom 15.05.2018, in dem die Beklagte eine „freiwillige Rückrufaktion“ zur Verringerung der Stickoxidemissionen im realen Fahrbetrieb und zur Verbesserung der Wirksamkeit des Abgasnachbehandlungssystems ankündigte, musste sich der Klägerin regelrecht aufdrängen, dass ihr Fahrzeug möglicherweise von den gegen die Beklagte gerichteten Vorwürfen betroffen ist (BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, juris Rn. 41 m.w.N.). Zumindest wäre die Klägerin zu weiteren Ermittlungen gehalten gewesen, die auch mittels einer einfachen Internetrecherche möglich gewesen wären. Spätestens aber mit der Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 19.10.2018 kann der Klägerin unterstellt werden, dass sie ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs gehabt hätte. In dem Schreiben ist nämlich von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in verschiedenen Modellen der Beklagten, unter anderem dem Fahrzeugmodell Opel Cascada der Klägerin, die Rede. Schließlich belegen auch die als ... vorgelegten Presseartikel, dass die Beklagte ohne grobe Fahrlässigkeit im Jahr 2018 wissen musste, dass ihr Fahrzeug von den gegen die Beklagte gerichteten Vorwürfe im Rahmen des „Abgasskandals“ betroffen war. Zutreffend hat das Amtsgericht Fürth an dieser Stelle ausgeführt, dass eine Kenntnis oder die grob fahrlässige Unkenntnis in Bezug auf die genaue technische Funktionsweise der Abschalteinrichtung demgegenüber nicht erforderlich ist.
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c. Mit Ablauf des 31.12.2022 waren die Ansprüche der Klägerin daher verjährt. Verjähungshemmende Maßnahmen sind nicht ersichtlich und hat die Klägerin auch nicht vorgetragen. Die am 04.10.2023 eingereichte Klage konnte die Verjährung nicht mehr hemmen.
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Das angegriffene Endurteil erwies sich daher im Ergebnis als richtig. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
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Die Kammer beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.091,50 € festzusetzen.
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Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Vorliegend handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung; die zugrunde liegenden Rechtsfragen sind bereits hinreichend geklärt.
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Eine mündliche Verhandlung ist gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht geboten, da die Entscheidung auf keiner umfassenden neuen rechtlichen Würdigung beruht, welche nur mündlich angemessen erörtert werden könnte. Auch die weiteren Voraussetzungen der Norm sind nicht erfüllt.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt die Kammer schon aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG von 4,0 auf 2,0 Gebühren.
18
Es besteht Gelegenheit, zu den Ausführungen und dem Hinweis der Kammer binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen. gez.