Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.01.2025 – 12 BV 24.1689
Titel:

Berücksichtigung von nicht-deutschem Kindergeld bei Heranziehung zu Kosten für Jugendhilfemaßnahme

Normenketten:
SGB VIII § 93 Abs. 1 S. 1, § 94 Abs. 3 S. 1
EPA-Statut Art. 67, Anhang III
EU-BeamtStat Art. 2 Anhang VII, Art. 67
Leitsätze:
1. § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfasst seinem eindeutigen Wortlaut nach lediglich Kindergeldzahlungen auf der Grundlage des Abschnitts X des Einkommensteuergesetzes und des Bundeskindergeldgesetzes. (Rn. 24)
2. (Deutschem) Kindergeld vergleichbare ausländische Zahlungen sind gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dem Einkommen hinzuzurechnen. (Rn. 24)
Schlagworte:
Kostenbeitrag aus Kindergeld, Unterhaltsberechtigtenzulage, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, Kindergeld, Jugendhilfemaßnahme, Kostenbeitrag, ausländisch, richterliche Rechtsfortbildung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 31.07.2024 – M 18 K 19.4216
Fundstelle:
BeckRS 2025, 793

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2024 – M 18 K 19.4216 – und der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2019 – WJH-02326/17 – werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der beim Europäischen Patentamt (EPA) tätige Kläger wendet sich gegen den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 18. Juli 2019, mit dem er zur Zahlung eines monatlichen Kostenbeitrags für seinem Sohn gewährte stationäre Jugendhilfemaßnahmen in Höhe der ihm von seinem Dienstherrn gezahlten „Unterhaltsberechtigtenzulage“ verpflichtet wurde. Nach Klageabweisung verfolgt er mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung sein Begehren weiter.
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1. Mit Bescheid vom 18. Juni 2016 bewilligte die Beklagte gegenüber den gemeinsam sorgeberechtigten Eltern für den Leistungsempfänger Eingliederungshilfe in Form der stationären Unterbringung gemäß § 35a SGB VIII ab dem 10. Juni 2016.
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Auf Grund eines Telefonats zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten und dem Kläger am 12. Juli 2019 übersandte der Kläger im Folgenden eine Bestätigung des Europäischen Patentamts vom 15. Juli 2019, wonach er für seinen Sohn seit dem 1. Juni 2008 eine Unterhaltsberechtigtenzulage, die dem deutschen Kindergeld entspreche, erhalte; seit dem 1. Oktober 2017 werde die doppelte Unterhaltsberechtigtenzulage in Höhe von 717,88 EUR gewährt.
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Die Beklagte belehrte den Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2019, zugestellt am 25. Juli 2019, über seine Kostenbeitragspflicht für die ab dem 10. Juni 2019 gewährte Eingliederungshilfe und forderte ihn auf, Auskunft über seine Einkommensverhältnisse zu erteilen.
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2. Mit streitgegenständlichem Leistungsbescheid vom 18. Juli 2019, zugestellt ebenfalls am 25. Juli 2019, verpflichtete die Beklagte den Kläger, einen Kostenbeitrag der dem deutschen Kindergeld entsprechenden Unterhaltsberechtigtenzulage vom 10. Juni 2019 bis zum 30. Juni 2019 in Höhe von 502,52 EUR sowie ab dem 1. Juli 2019 bis auf weiteres monatlich in Höhe von 717,88 EUR zu leisten. Zur Begründung wurde auf § 94 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 7 Kostenbeitragsverordnung Bezug genommen. Zum 27. Juli 2019 wurde die Hilfeleistung beendet.
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3. Mit Schriftsatz vom 19. August 2019 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 18. Juli 2019 erheben und ausführen, bei der für seinen Sohn bezogenen Unterhaltsberechtigtenzulage handele es sich nicht um deutsches Kindergeld im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII. Der Begriff des Kindergeldes sei eng zu verstehen; dem Kindergeld lediglich „vergleichbare Leistungen“ anderer staatlicher Organisationen unterfielen § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht.
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4. Mit Urteil vom 31. Juli 2024 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. Die Beklagte habe den Kläger nach § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in der Fassung vom 29. August 2013 i.V.m. § 7 der Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung) in der Fassung vom 4. Dezember 2013 zur Zahlung der Unterhaltsberechtigtenzulage als dem (deutschen) Kindergeld vergleichbare Leistung verpflichten dürfen.
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a) Gemäß Art. 62, 67 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 EU-​Beamtenstatut i.V.m. Art. 2 Anhang VII des EU-​Beamtenstatuts [richtig wohl: Art. 67 Abs. 1a, 69 Abs. 1 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.1, Spalte 2 EPA-Statut] erhielten Beamte der Gemeinschaft [richtig wohl: des EPA] für jedes unterhaltsberechtigte Kind eine Kinderzulage von monatlich 326,44 EUR. Diese Leistung sei mit dem Kindergeld nach §§ 62 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) bzw. dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vergleichbar. Eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung sei anzunehmen, wenn sie – wie hier – nach ihrem Sinn und Zweck ebenfalls dem Familienleistungsausgleich diene, mit anderen Worten einen Beitrag zur finanziellen Entlastung der Familie darstelle und wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolge wie das Kindergeld. Dies werde insbesondere durch Art. 67 Abs. 4 EU-​Beamtenstatut i.V.m. mit Anhang VII Art. 2 Abs. 7 [richtig wohl: Art. 69 Abs. 3 EPA-Statut] deutlich, der vorsehe, dass die Zulage auch für Kinder des Beamten gezahlt werde, für die er nicht sorgeberechtigt sei. Die Kinderzulage sei infolgedessen nicht für den Unterhalt des Beamten bestimmt, sondern für den des Kindes. Letzteres werde ferner auch durch die Tatsache unterstrichen, dass die in Rede stehende Unterhaltsberechtigtenzulage – anders als andere Zulagen – einkommensunabhängig gewährt werde, mithin den realen Unterhaltsbedarf des Kindes unabhängig vom Einkommen des Beziehenden abdecke. Die Unterhaltsberechtigtenzulage stelle infolgedessen ein systematisches Äquivalent zum deutschen Kindergeld dar und umgekehrt.
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b) Dem Kindergeld vergleichbare Leistungen wie die Unterhaltsberechtigtenzulage unterfielen ebenfalls der Regelung in § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII. Der Gesetzgeber habe die Aufnahme der Regelung eines Kostenbeitrags hinsichtlich des Kindergeldes durch die Neufassung des § 94 Abs. Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vom 8. September 2005 damit begründet, dass dem Unverständnis darüber begegnet werden solle, dass Eltern, deren Kinder im Rahmen der Jugendhilfe außerhalb des Elternhauses untergebracht seien und dort den Lebensunterhalt erhielten, auch noch durch das Kindergeld „belohnt“ würden. Durch die Änderung werde erreicht, dass Eltern bzw. ein Elternteil bei der Heranziehung zu den Kosten in den genannten Fällen einen Kostenbeitrag mindestens in Höhe des auf das Kind bzw. den Jugendlichen entfallenden Kindergeldes (oder einer diesem vergleichbaren Leistung) zu leisten hätten (BT-Drs. 15/4532, S. 17). Auch mit der weiteren Neufassung des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII durch das Gesetz zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) vom 29. August 2013 habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, das Kindergeld bei der Kostenheranziehung einzubeziehen (BR-​Drs. 93/13, S. 13). Dementsprechend erscheine es sachgerecht und im Sinne des Gesetzgebers, dass mit dem Begriff „Kindergeld“ in § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (und gleichlaufend in § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII) auch dem Kindergeld vergleichbare Leistungen erfasst würden.
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c) Die Unterhaltsberechtigtenzulage sei in der gewährten Höhe auch vollständig nach § 94 Abs. 3 SGB VIII a.F. einzusetzen. Der Kläger erhalte gemäß Art. 67 Abs. 3 EU-​Beamtenstatut [richtig wohl: Art. 69 Abs. 7 u. 11 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.2, Spalte 2 EPA-Statut] die doppelte Unterhaltsberechtigtenzulage für seinen leistungsberechtigten Sohn. Gemäß dieser Regelung könne die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder durch besondere mit Gründen versehene Verfügungen der Anstellungsbehörde auf den doppelten Betrag erhöht werden, wenn durch beweiskräftige ärztliche Unterlagen nachgewiesen werde, dass das betreffende Kind wegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung den Beamten mit erheblichen Ausgaben belaste. Aus dem Gesetz ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Kostenbeteiligung über § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ausschließlich in Höhe des nach deutschem Recht zu gewährenden Kindergeldes zu erfolgen habe. Vielmehr gehe die Kammer davon aus, dass die zweckgleiche Leistung in ihrem vollem Umfang – ggf. lediglich begrenzt über die Kosten der Maßnahme, § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII – einzusetzen sei. Nachdem die Verdoppelung der Unterhaltsberechtigtenzulage ausschließlich bezwecke, die durch eine Behinderung oder Erkrankung des Kindes bedingten zusätzlichen Kosten zu berücksichtigen, diene sie ebenfalls der Unterhaltsdeckung für das Kind. Da der Erstattungsanspruch nach § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, § 74 Abs. 2 EStG, § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 4 SGB X die Ersparnis des Kindergeldberechtigten bei der Leistung des Kindesunterhalts abschöpfen solle, erscheine es sachgerecht, die höhere Unterhaltsberechtigtenzulage nach dem EU-​Statut [richtig wohl: EPA-Statut] vollständig zu berücksichtigen. Dies entspreche auch dem Rechtsgedanken des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, welcher regele, dass Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienten, nicht zum Einkommen zählen, sondern unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen seien.
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Der streitgegenständliche Bescheid sei damit – auch wenn er jegliche rechtliche Ausführungen vermissen lasse – zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses rechtmäßig. Nachdem die Eingliederungshilfe jedoch bereits zum 26. Juli 2019 beendet worden sei, habe die Beklagte – sofern noch nicht geschehen – die Leistungspflicht auf diesen Zeitpunkt zu beschränken.
12
5. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren, die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zu erwirken, weiter. Zur Begründung ist – soweit für die Entscheidung des Senats erheblich – ausgeführt, § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII komme als Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Kostenbeitrags nicht in Betracht. Der Kläger beziehe kein „Kindergeld“, sondern eine „Unterhaltsberechtigtenzulage“. Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII lägen nicht vor – weder dem Grunde noch der Höhe nach. Eine planwidrige Regelungslücke sei nicht ersichtlich. Die Vorschrift sei als Ausnahmeregelung nicht analogiefähig. Ungeachtet dessen stelle die „Unterhaltsberechtigtenzulage“ auch keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung dar, insbesondere nicht die „Unterhaltsberechtigtenzulage für Kinder mit Behinderung“. Diese werde nicht zusätzlich zur (normalen) „Unterhaltsberechtigtenzulage“ gezahlt und sei infolgedessen ein Unikat, das mit dem deutschen Kindergeld gerade nicht vergleichbar sei. Einen Nachteilsausgleich für Kinder mit Behinderung kenne das deutsche Kindergeldrecht nicht. Auch sei im Leistungsantrag vom 10. April 2019 nicht über eine Verpflichtung zur Zahlung eines Kostenbeitrags in Höhe der „Unterhaltsberechtigtenzulage“ bzw. in Höhe vergleichbarer Leistungen belehrt worden mit der Folge, dass ein Verstoß gegen § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorliege.
13
Der Kläger beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2024 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2019 aufzuheben.
15
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Eine ordnungsgemäße Belehrung im Sinne von § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII liege vor; diese beziehe sich auf die dem Kläger gewährte Zulage, auch wenn formal von „Kindergeld“ die Rede sei. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der „Unterhaltsberechtigtenzulage“ um eine dem (deutschen) Kindergeld vergleichbare Leistung handele, sei zuzustimmen. Diese sei, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt habe, vollständig nach § 94 Abs. 3 SGB VIII einzusetzen. Gemäß der Vorgabe des Verwaltungsgerichts werde die Leistungspflicht auf dem Zeitraum bis zum 26. Juli 2019 (Austritt aus der Einrichtung) beschränkt.
18
Mit Schriftsätzen vom 10. Januar 2025 und vom 30. Dezember 2024 haben jeweils sowohl der Kläger als auch die Beklagte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Berufung, über die der Senat im schriftlichen Verfahren entscheiden konnte, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist in vollem Umfang begründet.
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1. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2019 ist mangels tauglicher Befugnisgrundlage rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb aufzuheben.
22
§ 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, wonach der Elternteil, der „Kindergeld“ für einen jungen Menschen bezieht, dieses unabhängig von einer Heranziehung zu einem Kostenbeitrag zu zahlen hat, sofern Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses erbracht werden, kommt als Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid vom 18. Juli 2019 bereits seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht in Betracht, denn der Kläger ist gemäß § 4 Satz 1 Nr. 2 BKGG bzw. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG als Bezieher einer Unterhaltsberechtigtenzulage (für Kinder mit Behinderung) nach Art. 67 Abs. 1a, 69 Abs. 1, 7 u. 11 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.2, Spalte 2 EPA-Statut [Art. 62, 67 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 EU-Beamtenstatut i.V.m. Art. 2 Anhang VII des EU-Beamtenstatuts] gerade vom Bezug – deutschen – Kindergeldes ausgeschlossen.
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Die Unterhaltsberechtigtenzulage nach Art. 67 Abs. 1a, 69 Abs. 1 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.1, Spalte 2 EPA-Statut [Art. 62, 67 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 EU-Beamtenstatut i.V.m. Art. 2 Anhang VII des EU-Beamtenstatuts] ist dem deutschen Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG, § 1 BKGG zwar dem Grunde (wenn auch nicht der Höhe) nach „vergleichbar“, wie das Verwaltungsgericht wohl zutreffend angenommen hat, da sie von ihrem Ansatz her denselben Sinn und Zweck verfolgt wie das deutsche Kindergeld, nämlich den Unterhalt des Kindes, für welches die Leistung gewährt wird, (zumindest teilweise) sicherzustellen (vgl. auch OLG Koblenz, B.v. 8.3.2017 – 13 UF 401/16 –, FamRZ 2017, 1403 – juris, Rn. 33 ff.; BFH, U.v. 13.7.2016 – XI R 16/15 –, BFHE 254, 422 – juris, Rn. 25; EuG, U.v. 3.3.1993 – T 69/91 – juris, Rn. 34; EuGH, U.v. 14.6.1988 – C 33/87 – juris, Rn. 15; siehe auch Wendl, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 326. Lfg, 6/2024, § 65 EStG Rn. 8). Allerdings vermag dieser Umstand allein die Anwendung von § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf die Unterhaltsberechtigtenzulage nach Art. 67 Abs. 1a, 69 Abs. 1 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.1, Spalte 2 EPA-Statut [Art. 62, 67 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 EU-Beamtenstatut i.V.m. Art. 2 Anhang VII des EU-Beamtenstatuts] nicht zu rechtfertigen.
24
§ 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfasst – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – bereits seinem eindeutigen Wortlaut nach lediglich Zahlungen auf der Grundlage des Abschnitts X des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des Bundeskindergeldgesetzes (so zutreffend VG Freiburg, U.v. 11.10.2017 – 4 K 4413/16 – juris, Rn. 61 betreffend die „Schweizer Kinderzulage“). Deshalb gilt nicht nur für inländische Leistungen wie etwa den kinderbezogenen Anteil des Familienzuschlags bei der Beamtenbesoldung (vgl. hierzu Loos, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 93 Rn. 13), sondern auch für dem Kindergeld vergleichbare ausländische Leistungen, dass diese gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dem Einkommen hinzuzurechnen sind (vgl. erneut VG Freiburg, U.v. 11.10.2017 – 4 K 4413/16 – juris, Rn. 61). Ist bereits der Wortlaut einer Norm im Sinne der vom Gesetzgeber verwandten Fachbegrifflichkeit („Kindergeld“) eindeutig, so ist für eine weitere Auslegung kein Raum.
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Allein dieses Ergebnis entspricht zugleich auch der der Regelung des § 93 Abs. 1 Sätze 1 u. 4 SGB VIII einerseits und § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII andererseits zugrundeliegenden Systematik des Gesetzes. (Nur) deutsches Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG, § 1 BKGG wird – aufgrund der in § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII getroffenen (Sonder-) Regelung – gemäß § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII von der Einkommensanrechnung freigestellt (um eine doppelte Berücksichtigung zu vermeiden). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich beim Kindergeld nicht um eine mit Leistungen der Jugendhilfe zweckidentische Leistung (vgl. BVerwG, U.v. 22.12.1998 – 5 C 25/97 –, BVerwGE 108, 222 – juris, Rn. 18; siehe auch BSG, U.v. 5.5.2015 – B 10 KG 1/14 R –, BSGE 119, 33 – juris, Rn. 27; Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 10).
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Für eine analoge oder auch nur entsprechende Anwendung des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf mit dem deutschen Kindergeld vergleichbare ausländische Leistungen ist vor diesem Hintergrund kein Raum; sie bedürfte einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers in Gestalt einer umfassenden, auf alle „kindbezogenen Leistungen“ gerichteten Normierung und nicht lediglich einer auf das (deutsche) „Kindergeld“ bezogenen Regelung. Ungeachtet dessen besteht für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke auch keine tragfähige Grundlage. Die Heranziehung des Klägers zu einem Kostenbeitrag richtet sich vielmehr ausschließlich nach der allgemeinen Regelung des § 93 Abs. 1 SGB VIII. § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII und in seiner Folge § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII sind als Ausnahmeregelungen grundsätzlich nicht analogiefähig.
27
Ein hoheitlicher Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers bedarf nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung stets einer gesetzlichen Grundlage und kann von einer Verwaltungsbehörde nicht im Wege der analogen Rechtsanwendung über den eindeutigen Wortlaut einer Norm hinaus selbst geschaffen werden (vgl. BVerfG,
2. Kammer des Zweiten Senats, B.v. 14.08.1996 – 2 BvR 2088/93 –, NJW 1996, 3146 – juris, Rn. 10 u. 13; siehe auch Konzak, NVwZ 1997, 872 f.). Ansonsten wäre ein Verstoß gegen das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzip zu besorgen (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, B.v. 14.08.1996 – 2 BvR 2088/93 –, NJW 1996, 3146 – juris, Rn. 11). Im Rahmen der Eingriffsverwaltung besteht daher regelmäßig ein allgemeines Verbot analoger Rechtsanwendung (vgl. Konzak, NVwZ 1997, 872 [873] m.w.N.).
28
Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht aus der in der amtl. Begründung vom 15. Dezember 2004, BT-Drucks. 15/4532 S. 17, zur Novellierung des § 94 Abs. 4 SGB VIII a.F. enthaltenen Formulierung
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„Kindergeld[..] (oder einer diesem vergleichbaren Leistung)“.
30
Das Verwaltungsgericht lässt insoweit unberücksichtigt, dass Gegenstand der Gesetzesinterpretation stets nur der im Gesetz selbst objektivierte Wille des Gesetzgebers sein kann (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]). Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. BVerfGE 11, 126 [130] m.w.N.). Der Gesetzgeber spricht nur im Gesetz selbst, nicht aber in den Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1950, S. 210 f.). Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes deshalb nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]).
31
An einem solchen Ausdruck fehlt es im vorliegenden Fall. Der Gesetzgeber verwendet ausdrücklich nur den Begriff des „Kindergeldes“ und nimmt damit explizit auf die Regelungen im Abschnitt X EStG und im Bundeskindergeldgesetz Bezug. Dass auch vergleichbare Leistungen einbezogen sein sollen, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
32
Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber (selbst) getroffen werden (vgl. BVerfGE 49, 89 [126]; 61, 260 [275]; 80, 124 [132]; 83, 130 [142; 151 f.]; 102, 1 [34], 136, 69 [114] Rn. 102). Der in Art. 20 Abs. 2 GG verortete Grundsatz der Gewaltenteilung schließt es deshalb aus, dass Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl. BVerfGE 4, 219 [234]; 96, 375 [394]; stRspr). Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung zudem an Gesetz und Recht. Damit ist es unverträglich, wenn Gerichte sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit objektiv betrachtet der Bindung an Gesetz und Recht entziehen (vgl. BVerfGE 87, 273 [280]; 96, 375 [394]).
33
Richterliche Rechtsfortbildung findet deshalb stets dort ihre natürlichen Grenzen, wo sie ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schöpft (vgl. BVerfGE 126, 286 [306]). Es ist den Gerichten grundsätzlich verwehrt, im Wege der Auslegung einen Regelungsinhalt erstmals überhaupt zu schaffen (vgl. BVerfGE 48, 40 [47]; 54, 277 [299]; 78, 20 [24]). Die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sind insbesondere bei einer Verschlechterung der rechtlichen Situation des Einzelnen eng gesteckt (vgl. BVerfGE 65, 182 [194 f.]; 71, 354 [362 f.]; 122, 248 [286, 301]; 138, 377 [392] Rn. 41); die Rechtsfindung muss sich umso stärker auf die Umsetzung bereits bestehender Vorgaben des einfachen Gesetzesrechts beschränken, je schwerwiegender die beeinträchtigte Rechtsposition auch verfassungsrechtlich wiegt (vgl. BVerfGE 138, 377 [392] Rn. 41). Dass die Abschöpfung einer dem Kläger gewährten „Unterhaltsberechtigtenzulage“ in dessen Grundrechte (zumindest das der allg. Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG) eingreift, kann ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden.
34
Diesen rechtlichen Rahmen hat das Verwaltungsgericht (noch dazu unter Nichtbeachtung des besonderen Status des EPA als zwischenstaatliche [nicht EU-] Institution) in entscheidungserheblicher Weise verkannt. Dabei mag es de lege ferenda durchaus nachvollziehbare Gründe geben, den Anwendungsbereich des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auch auf ausländische, dem deutschen Kindergeld vergleichbare Unterhaltsleistungen zu erweitern; es ist jedoch nicht Sache des Verwaltungsgerichts, eine solche Rechtsfolge ohne ausreichende Rückbindung an eine im Gesetz selbst zum Ausdruck gekommene Willensentschließung des parlamentarischen Gesetzgebers ins Werk zu setzen.
35
Ungeachtet dessen müsste eine entsprechende richterliche Rechtsfortbildung auch an weitere tatsächliche und rechtliche Grenzen stoßen. Während die Höhe des nach § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII abzuschöpfenden Kindergeldes unmittelbar durch § 6 BKGG bestimmt wird, bliebe die Höhe einer abzuführenden Unterhaltsberechtigtenzulage, insbesondere dann, wenn sie das nach deutschem Recht gewährte Kindergeld übersteigt oder im Falle einer Behinderung des Kindes weitere zusätzliche Komponenten enthält (vgl. Art. 69 Abs. 1, 7 u. 11 i.V.m. Anhang III, Ziff. 1.2, Spalte 2 EPA-Statut), im Ungewissen. Hierauf hat der Bevollmächtigte des Klägers zu Recht hingewiesen. Auch deshalb kann eine Regelung nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst herbeigeführt werden. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu beachtenden Unterrichtungspflichten.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 18. Juli 2019 und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 31. Juli 2024 sind deshalb mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage aufzuheben.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.
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3. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
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4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bereits geklärt, dass im Rahmen der Eingriffsverwaltung eine analoge Rechtsanwendung zum Nachteil des Betroffenen nicht in Betracht kommt (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, B.v. 14.08.1996 – 2 BvR 2088/93 –, NJW 1996, 3146 – juris, Rn. 10 u. 13; siehe auch Konzak, NVwZ 1997, 872 f.).