Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.04.2025 – 11 CS 25.203
Titel:

Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung der Fahrerlaubnis in einem vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes erlassenen Bescheid regelmäßiger Cannabisgebrauch in der Vergangenheit nicht nachgewiesene Wiederherstellung der Fahreignung, Verstoß gegen Treu und Glauben wegen Rechtsänderung (verneint) Vollzugsinteresse ne ultra petita

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 122 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.1, 9.5
Leitsatz:
Einer vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis kann im Hinblick auf die geänderte Rechtslage weder im Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden. Die Beurteilung der gegenwärtigen Fahreignung bleibt grundsätzlich dem Wiedererteilungsverfahren vorbehalten.
Schlagworte:
Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung der Fahrerlaubnis in einem vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes erlassenen Bescheid regelmäßiger Cannabisgebrauch in der Vergangenheit nicht nachgewiesene Wiederherstellung der Fahreignung, Verstoß gegen Treu und Glauben wegen Rechtsänderung (verneint) Vollzugsinteresse ne ultra petita
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 20.01.2025 – AN 10 S 24.2731
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7922

Tenor

I. Unter Änderung der Nummer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Januar 2025 wird der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
II. Unter Änderung der Nummer II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Januar 2025 trägt die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die vorläufige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, M, L und S.
2
Am 30. Juni 2022 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass die Antragstellerin am 6. Februar 2022 im Rahmen eines Suizidversuchs vorschriftswidrig psychoaktiv wirkende Arzneimittel eingenommen hatte.
3
Nach dem Arztbrief einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 10. Februar 2022 wurde bei der Antragstellerin eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3; DD Schizophrenie Spektrum Störung) diagnostiziert, im Entlassungsbericht vom 23. März 2022 darüber hinaus „psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: schädlicher Gebrauch (F12.1)“. Am 26. April 2022 diagnostizierte eine Ärztin dieser Klinik eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen (F33.2).
4
Nach einem auf Anforderung der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2023 beigebrachten ärztlichen Gutachten einer amtlich ankerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 4. September 2023 lag bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV vor. Es bestehe Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1, sofern die Auflage (fachärztliche Kontrollen im Abstand von sechs Monaten für zwei Jahre) eingehalten werde. Eine leistungspsychologische Untersuchung vom 28. Juli 2023 habe keine Hinweise auf fahreignungsrelevante Beeinträchtigungen des kognitiven Leistungsvermögens für die Gruppe 1 ergeben. Unter „Anamnese Drogenkonsum“ ist ausgeführt, die Antragstellerin habe nach ihren Angaben vom Jahr 2018/ 2019 an bis etwa Anfang 2022 täglich Cannabis konsumiert. Zwei während der medizinischen Untersuchung abgegebene Urinproben hätten keinen Hinweis auf aktuellen Drogenkonsum ergeben.
5
Auf eine weitere Beibringungsanordnung vom 25. September 2023 hin legte die Antragstellerin ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 8. Januar 2024 vor, wonach trotz positiver Befunde im Hinblick auf den veränderten Lebensstil und die Stabilisierung ihrer Persönlichkeit eine günstige Prognose wegen fehlender Abstinenznachweise derzeit nicht möglich sei. Daher sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin zukünftig Cannabis konsumieren und psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich einnehmen werde.
6
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 4. März 2024 mit, sie habe von der Antragsgegnerin die Auskunft erhalten, dass keine Abstinenznachweise zu erbringen seien. Ferner legte sie ein ärztliches Attest der sie behandelnden Psychiaterin vom selben Tag vor, das einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.
7
Mit Bescheid vom 8. März 2024 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Fahrerlaubnis und verpflichtete sie unter Androhung unmittelbarer Zwangs, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung der beiden Verfügungen an. Der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins kam die Antragstellerin am 15. März 2024 nach. 8 Gegen den Entziehungsbescheid ließ sie durch ihren Bevollmächtigten am 11. April 2024 Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Ansbach erheben und am 31. Oktober 2024 beantragen, „die aufschiebende Wirkung ihrer Klage … gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.03.2024 hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung wiederherzustellen“, mit der Begründung, der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig und die Interessenabwägung falle wegen der langen Verfahrensdauer und der damit verbundenen Perpetuierung der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis zu ihren Gunsten aus. Sie sei zu keinem Zeitpunkt unter Cannabiseinfluss Auto gefahren. Im Rahmen der verkehrsmedizinischen Untersuchung hätten keine Hinweise auf aktuellen Cannabiskonsum vorgelegen. Ihre Fahreignung sei unter Auflagen bestätigt worden und auch die leistungspsychologische Untersuchung positiv verlaufen. Die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen zur Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens überschritten, indem sie die zweimalige Feststellung der Fahrtüchtigkeit ignoriert habe. Nach der Legalisierung von Cannabis hätte erwogen werden müssen, ob sie eine ausreichende Trennung zwischen Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen vorweisen könne. Ein Screening-Test mache im Hinblick auf die Legalisierung keinen Sinn.
8
Mit Beschluss vom 25. Januar 2025 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. März 2024 hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 wieder her. Der Antrag der anwaltlich vertretenen Antragstellerin sei dahin auszulegen (§ 88, § 122 Abs. 1 VwGO), dass sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Hauptsacheklage gegen die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids begehre, da diese in Ziffer 4 für sofort vollziehbar erklärt worden seien. Hinsichtlich Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sei der Antrag so auszulegen, dass er sich nicht gegen diese richte, da die Antragstellerin der Abgabeverpflichtung nachgekommen sei. Andernfalls wäre der grundsätzlich statthafte Antrag insoweit unzulässig, weil sich die Androhung unmittelbaren Zwangs im Entscheidungszeitpunkt erledigt habe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zwar formell rechtmäßig, doch falle die Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse der Antragstellerin und dem öffentlichen Vollzugsinteresse zugunsten der Antragstellerin aus. Ihre Klage werde voraussichtlich Erfolg haben, obwohl die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheines zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses und noch gegenwärtig rechtmäßig (gewesen) seien. Gleichwohl verstießen die angefochtenen Verfügungen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Außerdem überwiege – unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage – bei einer Interessenabwägung das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Nach der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sei die Fahreignung bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis ohne Hinzutreten weiterer Umstände und unabhängig von einer Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung des Rauschmittels entfallen. Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung habe der Gesetz- und Verordnungsinhaber nicht vorgesehen. Weiter schließe eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung aus. Durch das ärztliche Gutachten vom 4. September 2023 sei der Antragsgegnerin bekannt geworden, dass die Antragstellerin im Rahmen eines Suizidversuchs im Jahr 2022 vorschriftswidrig psychoaktiv wirkende Arzneimittel eingenommen und angegeben habe, bis Anfang 2023 täglich Cannabis konsumiert zu haben. Nach ihren Angaben im Begutachtungsprozess habe sie seit Anfang 2022 keine Drogen oder Arzneimittel mehr vorschriftswidrig eingenommen. Deshalb habe die Wiedererlangung der Fahreignung nach Beendigung des Missbrauchs im Raum gestanden. Nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV, der auf Cannabiskonsum ohne Abhängigkeit hinsichtlich des Abstinenzzeitraums entsprechend anwendbar sei, sei bei Aufgabe des Konsums regelmäßig eine Abstinenz von einem Jahr und ein stabiler, motivational gefestigter Einstellungswandel zum Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erforderlich. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV sei durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären, ob der Betroffene weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnehme, ohne dass insoweit Ermessen bestehe. Die Feststellungen auf Seite 19 des ärztlichen Gutachtens vom 4. September 2023 zur aktuellen Betäubungsmittelabstinenz ersetzten die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gerade nicht. Im Übrigen habe die Feststellung der Fahreignung im ärztlichen Gutachten allein in Bezug auf die Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV Aussagekraft. Der regelmäßige und zukünftige Cannabiskonsum bzw. die missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel seien nicht Teil der Begutachtungsfrage gewesen. Diese Frage habe die Antragsgegnerin durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten klären wollen. Nachdem dieses beigebracht worden sei, komme es auf die Rechtmäßigkeit der Begutachtungsanordnung nicht mehr an. Hinsichtlich der Frage des zukünftigen Cannabiskonsums begegne das Gutachten keinen inhaltlichen Bedenken und sei insoweit schlüssig. Bei Aufgabe des Cannabiskonsums wäre nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV eine Abstinenz von einem Jahr und ein stabiler, motivationaler gefestigter Einstellungswandel nachzuweisen gewesen. Nachdem dies nicht erfolgt sei, sei das medizinisch-psychologische Gutachten vom 8. Januar 2024 insoweit nachvollziehbar. Die Urinkontrollen vom 28. Juli und 8. August 2023 könnten nicht einmal einen Abstinenzzeitraum von einem halben Jahr belegen. Die Frist zur Vorlage des Gutachtens sei nicht so zu bemessen, dass der Betroffene den Abstinenznachweis bis zur Begutachtung führen könne. Allerdings ergebe sich aus dem Gutachten vom 22. Dezember 2023 nicht schlüssig, dass der Antragstellerin auch die Fahreignung im Hinblick auf einen zukünftigen Missbrauch psychoaktiv wirkender Arzneimittel fehle. Nach dem medizinisch-psychologischen Gutachten und ihrer glaubhaften Darstellung habe sie ausschließlich in der Phase einer Psychose Arzneimittel bzw. Morphin missbräuchlich eingenommen. Bei der notärztlichen Behandlung sei ein Morphinkonsum festgestellt worden. Eine Verkehrsteilnahme unter Einfluss von Arzneimitteln sei nicht aktenkundig. Der ein- oder mehrmalige Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV genüge für einen Missbrauch nicht. Insoweit könne folglich kein Abstinenznachweis gefordert und aus dessen Fehlen nicht auf fehlende Fahreignung geschlossen werden. Doch fehle die Fahreignung, weil keine aussagekräftigen Nachweise zur Cannabisabstinenz vorlägen. Die Fahrerlaubnis habe daher mangels Ermessens im Rahmen der Anwendung des § 46 Abs. 1 FeV entzogen werden müssen, weshalb sich auch die akzessorische Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV als rechtmäßig erweise. Dennoch spreche viel dafür, dass die beiden Verfügungen gegen Treu und Glauben als allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip verankerten Rechtsgrundsatz verstießen. Vor dem Hintergrund der zum 1. April 2024 geänderten Rechtslage zum Cannabismissbrauch stelle sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als widersprüchlich dar. Unter Anwendung des § 13a Satz 1 Nr. 2 FeV sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin die Fahrerlaubnis bei Antrag auf Neuerteilung ohne Weiteres wieder erteilt werden müsste. Der Gesetzgeber habe die bisherige Annahme aufgegeben, dass mit regelmäßigem Cannabiskonsum in der Regel die Fahreignung fehle. Damit dürfte im Wiedererteilungsverfahren kein erneutes medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 13a Satz 1 Nr. 2 FeV mehr gefordert werden. Die Anwendung des § 14 Abs. 2 FeV scheide mangels Betäubungsmitteleigenschaft von Cannabis aus. § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV sei nicht heranzuziehen. Habe ein früherer Cannabismissbrauch zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt, dürfte grundsätzlich § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV anzuwenden sein. Dessen Voraussetzungen lägen aber nicht vor, weil die Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV a.F. und nicht auf die in Buchst. a und b genannten Gründe gestützt worden sei. Auch eine direkte Anwendung des § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 1 FeV scheide aus. Dabei wäre auf die Feststellungen im ärztlichen, nicht im medizinisch-psychologischen Gutachten abzustellen. Nach dem ärztlichen Gutachten gebe es bei der Antragstellerin keine Hinweise auf verkehrsrelevante drogenassoziierte Folgeerkrankungen oder Beeinträchtigungen, aber eine regelmäßige Cannabiseinnahme nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV a.F.. Allerdings habe sich zum 1. April 2024 mit dieser Vorschrift auch der Begriff des Cannabismissbrauchs geändert, der nun voraussetze, dass das Fahren und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung nicht hinreichend sicher getrennt würden. Dabei könne grundsätzlich nicht alleine aufgrund eines regelmäßigen Konsums auf die fehlende Trennfähigkeit geschlossen werden, wovon das ärztliche Gutachten jedoch ausgehe, dem darüber hinausgehende Ausführungen nicht zu entnehmen seien. Auch § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV sei nicht einschlägig, da auch keine Tatsachen die Annahme eines Cannabismissbrauchs begründeten. Im medizinisch-psychologischen Gutachten werde ein Cannabismissbrauch als Merkmal einer fortgeschrittenen Drogenproblematik (Hypothese D2) festgestellt. Es frage sich bereits, ob sich diese Annahme auf den neuen Missbrauchsbegriff übertragen lasse. Die Hypothesen der Begutachtungskriterien seien bisher nicht an die neue Rechtslage angepasst worden. Doch vermöge allein diese Feststellung im medizinisch-psychologischen Gutachten voraussichtlich keine Tatsache im Sinne von § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu begründen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zum Alkoholmissbrauch sei ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu fordern. Darüber hinaus würde das Heranziehen jeglicher Tatsachen, die keinen mittelbaren Zusammenhang zum Straßenverkehr aufwiesen, die Äquivalenz der verschiedenen Varianten des § 13a Satz 1 Nr. 2 FeV untergraben und den Auffangtatbestand des § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV für nahezu immer anwendbar erklären. Die Antragstellerin habe zu keinem Zeitpunkt unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug geführt. Ein mittelbarer Zusammenhang dürfe gerade nicht daraus gezogen werden, dass sie in der Vergangenheit täglich Cannabis konsumiert habe. Denn unter Heranziehung der neuen Fassung der Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV sei ohne Hinzutreten weiterer Umstände gerade nicht mehr auf einen Kontrollverlust oder eine fehlende Trennfähigkeit zu schließen, was bei Zugrundelegung der Hypothese D2 als alleinige Tatsache jedoch umgangen würde. Die Lebensumstände der Antragstellerin und die Äußerungen im medizinisch-psychologischen Gutachten legten keine künftige Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung nahe. Vielmehr sei dem Gutachten zu entnehmen, dass mit der Eigenmotivation der Antragstellerin und ihrem Problemverständnis weitere Veränderungen dazu beitrügen, ihren Drogenverzicht zu stabilisieren.
9
Hiergegen legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht habe gegen § 122, § 88 Halbs. 1 VwGO verstoßen, indem es gegen den ausdrücklichen Wortlaut des vom Prozessbevollmächtigten gestellten Antrags die aufschiebende Wirkung der Klage auch hinsichtlich der Pflicht, den Führerschein abzuliefern, wiederhergestellt habe. Auch in der Antragsbegründung sei stets von der Klage hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung die Rede; die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins werde an keiner Stelle erwähnt. Dass das Verwaltungsgericht über das von der Antragstellerin Beantragte hinausgegangen sei, zeige auch ein Vergleich des Tenors unter Nummer 1 mit dem gestellten Antrag. Das Gericht habe den Wortlaut des Antrags im Wesentlichen unverändert übernommen und damit zu erkennen gegeben, dass es diesen für sachdienlich, aus sich heraus verständlich und juristisch korrekt erachte. Vor diesem Hintergrund stelle es sich als widersprüchlich dar, wenn der Passus „hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung“ zu „hinsichtlich der Ziffern 1 und 2“ geändert und der Antrag dahin ausgelegt werde, dass er auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins umfasse. Zudem weiche der erstinstanzliche Beschluss von der obergerichtlichen Rechtsprechung ab, wonach maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids der seines Erlasses sei. Die gerichtliche Annahme, die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins verstießen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, führe zu einer faktischen Rückwirkung der neuen Rechtslage. Ein Rückgriff auf § 242 BGB sei nach obergerichtlicher Rechtsprechung nur zur Korrektur schlechthin unangemessener und untragbarer Ergebnisse geboten. Das Festhalten am Entziehungsbescheid führe jedoch nicht zu einem unangemessenen und untragbaren Ergebnis. Die Situation sei vergleichbar mit jener, in der der Betroffene während des Klageverfahrens gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wiedererlangung seiner Fahreignung nachweise. Umstände, die nach der letzten behördlichen Entscheidung einträten, könnten nur in einem Wiedererteilungsverfahren Berücksichtigung finden. Außerdem gebiete der Grundsatz von Treu und Glauben generell eine Abwägung zwischen den Interessen aller am Rechtsverhältnis beteiligten Personen. Subjekte der öffentlichen Verwaltung seien zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet, was der Anwendung von § 242 BGB im öffentlichen Recht ein eigenes Gepräge verleihe, auch wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wegen der gleichzeitigen Verpflichtung auf das „Recht“ keinen absoluten Vorrang genieße. Die im Privatrecht entwickelten Konkretisierungen von Treu und Glauben ließen sich nicht unbesehen ins öffentliche Recht übertragen. Die öffentlichen Interessen hätten einen höheren Stellenwert, auch wenn sie keinen absoluten Vorrang beanspruchen könnten. Bei der nach § 242 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung seien folglich die öffentlichen Interessen angemessen zu berücksichtigen, insbesondere auch die Bindung der staatlichen Gewalt an das Gebot der Gesetzmäßigkeit. Dem angefochtenen Beschluss sei nicht zu entnehmen, ob das Gericht überhaupt eine Interessenabwägung angestellt und ggf. welche Interessen es mit welcher Gewichtung in die Abwägung einbezogen habe. Die Antragsgegnerin habe nie objektiv willkürlich, rechtsmissbräuchlich oder in sonstiger Weise unredlich gehandelt. Zwar könne die Ausübung eines Rechts unzulässig sein, wenn der Beteiligte sich zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setze (venire contra factum proprium). Widersprüchliches Verhalten sei nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung aber erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Handelnde dadurch für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand schaffe, auf den sich sein Gegenüber verlassen dürfe, oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen ließen. Letzteres sei der Fall, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch stehe. Dies sei hier aber nicht der Fall. Die Antragsgegnerin sei nicht gehalten gewesen, das Inkrafttreten der Rechtsänderungen durch das CanG abzuwarten. Gerade im Bereich des Gefahrenabwehrrechts bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an einer raschen behördlichen Entscheidung. Auch werde die Antragsgegnerin ihre Entscheidung in einem etwaigen Wiedererteilungsverfahren selbstverständlich an der aktuell geltenden Rechtslage ausrichten. Ihr bisheriges Verhalten biete keinen Anlass, hieran zu zweifeln.
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Die Antragstellerin ließ mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 18. März 2025 ein psychiatrisches Attest vom 25. Februar 2025 vorlegen, wonach keine relevante depressive Beschwerdesymptomatik (Ursache für den Cannabiskonsum) mehr habe eruiert werden können. Seit längerem weise die Antragstellerin einen unauffälligen psychopathologischen Befund auf. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie nicht unter Cannabiseinfluss Auto gefahren sei, sowie der immer noch geltenden Gesetzeslage sei die weitere vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtsmissbräuchlich.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass kein vorläufiger Rechtsschutz gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins zu gewähren ist, weil hinsichtlich der Ablieferungspflicht schon kein vorläufiger Rechtsschutz beantragt war und beide Verfügungen rechtmäßig sind.
14
1. Die Antragsgegnerin macht zu Recht geltend, dass das Verwaltungsgericht entgegen § 88, § 122 Abs. 1 VwGO (ne ultra petita) über das Antragsbegehren hinausgegangen ist und damit die Grenzen einer an den für Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§ 133, § 157 BGB) orientierten Auslegung überschritten hat, indem es den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO offenbar allein danach ausgelegt hat, was die Antragstellerin vernünftigerweise hätte wollen sollen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2023 – 1 C 34.22 – NVwZ-RR 2024, 478 Rn. 20; U.v. 23.8.2007 – 7 C 2.07 – BVerwGE 129, 199 = juris Rn. 29; B.v. 12.3.2012 – 9 B 7.12 – DÖD 2012, 190 = juris Rn. 5 f. m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 88 Rn. 2; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8; Fertig in BeckOK VwGO, Stand 1.10.2023, § 88 Rn. 10). Es hat damit über etwas entschieden, das nicht zu seiner Entscheidung gestellt war. Den klar formulierten Rechtsschutzantrag, der zunächst den angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. März 2024 anführt und diesen sodann mit dem einschränkenden Zusatz „hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung“ versieht, hat der Prozessbevollmächtigte damit begründet, dass die aufschiebende Wirkung der Klage „hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung … entfallen“ sei. Durch diese Fassung und die Wiederholung in der Begründung wird deutlich, dass vorläufiger Rechtsschutz nur eingeschränkt beantragt werden sollte. Die rund ein halbes Jahr zuvor erhobene Anfechtungsklage richtet sich hingegen ohne Zweifel gegen den gesamten Bescheid. Aus dem Wortlaut oder der Begründung des Eilantrags ergibt sich nicht andeutungsweise, dass vorläufiger Rechtsschutz auch hinsichtlich der Ablieferung des Führerscheins oder der übrigen angefochtenen Verfügungen beantragt werden sollte. Das mag auf einer rechtsfehlerhaften Annahme oder vermeintlichen Kostengründen beruhen und/oder im Vertrauen darauf geschehen sein, dass die Antragsgegnerin im Falle des Obsiegens der Antragstellerin den Führerschein auch ohne gerichtliche Anordnung wieder herausgeben werde, bleibt aber letztendlich offen. An eine gegenständliche Beschränkung des Begehrens ist das Gericht gebunden, wenn es – wie hier – teilbar ist (vgl. Wöckel in Eyermann, a.a.O. § 88 Rn. 11; Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2025, § 88 Rn. 3). Dies gilt auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, B.v. 29.9.2008 – 1 BvR 1464/07 – juris Rn. 29). Nachdem nicht eindeutig zu erkennen ist, dass das wirkliche Rechtsschutzziel von der Antragsfassung abweicht, muss sich die anwaltlich vertretene Antragstellerin an dem gestellten Antrag festhalten lassen (vgl. Wöckel in Eyermann, a.a.O. § 88 Rn. 9; Fertig in BeckOK VwGO, § 88 Rn. 8).
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Somit kann dahinstehen, ob es hinsichtlich der Ablieferung des Führerscheins mittlerweile auch am Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil die Antragsgegnerin nach dem Vortrag der Antragstellerin auf die Ablieferung des Führerscheins vorläufig verzichtet hat.
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2. Zu Unrecht nimmt das Verwaltungsgericht ferner an, dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.
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Es geht zunächst aus den im angegriffenen Beschluss vom 20. Januar 2025 dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), zutreffend davon aus, dass die Entziehung im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; U.v. 30.8.2023 – 3 C 15.22 – NJW 2024, 1361 Rn. 8 m.w.N.), hier bei Erlass des Entziehungsbescheids am 8. März 2024, rechtmäßig war.
18
Der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV kann wegen der zum 1. April 2024 erfolgten Rechtsänderung nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.
19
Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen bzw. Ausprägungen vorgenommen wird (vgl. BVerwG, U.v. 12.6.2024 – 6 C 11.22 – NVwZ 2024, 1577 Rn. 41 m.w.N.). Zu diesen gehört der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, der ein hoheitliches Handeln voraussetzt, das im Widerspruch zu früher begründetem Vertrauen des Bürgers steht (Schubert in MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 72). Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist widersprüchliches Verhalten erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Handelnde dadurch für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand schafft, auf den sich sein Gegenüber verlassen darf, oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BVerwG, U.v. 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 12; BGH, U.v. 5.6.1997 – X ZR 73/95 – juris Rn. 25 m.w.N.; Krebs in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 92 f.), was der Fall ist, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.1992 – 5 C 51.90 – BVerwGE 90, 287 = juris Rn. 22 m.w.N.). Bei der Anwendung des § 242 BGB im öffentlichen Recht ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Verwaltung zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet ist, was der Anwendung ein eigenes Gepräge verleiht, auch wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wegen der gleichzeitigen Verpflichtung auf das „Recht“ keinen absoluten Vorrang genießt. Die im Privatrecht entwickelten Konkretisierungen von Treu und Glauben lassen sich nicht unbesehen ins öffentliche Recht übertragen. Die öffentlichen Interessen haben einen höheren Stellenwert, auch wenn sie keinen absoluten Vorrang beanspruchen (Schubert a.a.O. § 242 Rn. 70).
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Hieran gemessen macht die Antragsgegnerin zu Recht geltend, dass sie nicht verpflichtet oder gehalten war, entgegen geltendem Recht auf das bereits mit Schreiben vom 25. September 2023 angeordnete, negative Fahreignungsgutachten vom 8. Januar 2024 hin untätig zu bleiben, was im Ergebnis eine Rückwirkung bzw. Erstreckung des seit 1. April 2024 geänderten Rechts auf Altfälle bewirken würde, ohne dass der Gesetzgeber dies vorgesehen hat. Die Regelung in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, wonach regelmäßiger Cannabiskonsum die Fahreignung entfallen ließ, galt bis zum Inkrafttreten ihrer Änderung durch das Cannabisgesetz am 1. April 2024 und war wegen des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts unverändert der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen (BVerwG, B.v. 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 2 StVG Rn. 54).
Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen (wie etwa durch Art. 316p i.V.m. Art. 313 EGStGB, vgl. dazu NdsOVG, B.v. 23.9.2024 – 12 PA 27/24 – juris Rn. 9). Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2024 – 11 ZB 24.1246 – DAR 2025, 42 Rn. 13; vgl. auch BVerfG, B.v. 30.3.2007 – 1 BvR 3144/06 – BVerfGK 10, 553 Rn. 23; B.v. 9.10.2000 – 1 BvR 791/95 – SozR 3-2200 § 551 Nr. 15 Rn. 24 ff.: Nichtanwendung günstigeren Rechts ohne ausdrückliche Rückwirkungsanordnung ist nicht verfassungswidrig).
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Die Anwendung des geltenden Rechts erscheint auch zeitlich kurz vor einer Rechtsänderung nicht widersprüchlich oder treuwidrig, insbesondere nicht, wenn es sich wie hier um eine gebundene Entscheidung auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts handelte und das über die Fahreignung urteilende medizinisch-psychologische Gutachten gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV auf der Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze, die in den Beurteilungskriterien ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2024 – 11 CS 24.324 – juris Rn. 20; Derpa a.a.O. § 11 FeV Rn. 20a), gefertigt worden ist. Der Antragstellerin hätte Widerspruch einlegen können mit der Folge, dass die letzte Behördenentscheidung voraussichtlich nach der sie begünstigenden Rechtsänderung ergangen wäre. Weiter bleibt es ihr unbenommen, den angefochtenen Bescheid bestandskräftig werden zu lassen und einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter nunmehr erleichterten Voraussetzungen zu stellen. Insofern stellt sich – worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist – die Situation für sie nicht anders dar wie für denjenigen, der erst nach Entziehung der Fahrerlaubnis seine Fahreignung wiedererlangt bzw. dies nachweisen kann. Im Fahrerlaubnisrecht ist ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen nicht vorgesehen, da § 20 FeV (Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung) der allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschrift des Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG als lex specialis vorgeht (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.1994 – 11 B 94.362 – NZV 1995, 47/48 zur Vorgängerregelung in § 15c StVZO; Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 17.7.2024, § 2 StVG Rn. 96 f.).
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Das gesetzlich vorgesehene, antragsabhängige Neuerteilungsverfahren würde in den von der Rechtsänderung durch das Gesetz vom 27. März 2024 zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) betroffenen Fällen mittels des Einwands des Rechtsmissbrauchs umgangen, mit der Folge, dass eine rechtmäßige Entziehung wirkungslos und die ursprüngliche Fahrerlaubnis der Antragstellerin trotz gutachtlich bescheinigtem Verlust der Fahreignung ohne weiteres bestehen bliebe. Da die Fahrerlaubnis mit der Entziehung erlischt (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV), mit Bekanntgabe gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG keine Fahrberechtigung mehr besteht und die ursprüngliche Fahrerlaubnis mit Neuerteilung auch nicht wieder auflebt, stellt sich die Situation auch nicht so dar, dass die Behörde alsbald wieder den gleichen Verwaltungsakt erlassen müsste (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Vielmehr prüft sie in einem erst auf entsprechenden Antrag hin vorgeschalteten Verfahren zunächst, ob die Erlaubnis und in welchem Umfang (vgl. § 76 Nr. 11b FeV) sie wieder zu erteilen ist und stellt mit Neuerteilung auch einen neuen Nachweis über die ggf. geänderte Fahrberechtigung und deren zeitliche Geltung aus. Zwar wird regelmäßig keine erneute Prüfung der Fahrbefähigung angeordnet, jedoch u.a. geprüft, ob Anhaltspunkte für eine fehlende Befähigung (vgl. § 20 Abs. 2 FeV) oder Eignung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 11 ff. FeV) vorhanden sind. So wird regelmäßig eine Sehtestbescheinigung nach Anlage 6 Nr. 1 zur FeV, ein behördliches Führungszeugnis und ein Nachweis über die Ausbildung in Erster Hilfe gefordert. Ferner prüft die Fahrerlaubnisbehörde, ob die Nichteignung des Betroffenen nach wie vor feststeht, bei (vormaligem) Cannabiskonsum ggf. also, ob eine Änderung des Konsumverhaltens dies ausschließt (vgl. Derpa a.a.O. § 13a FeV Rn. 15), ob im Falle des Cannabismissbrauchs bei fortgeschrittener Drogenproblematik weiterhin Abstinenz einzuhalten ist (vgl. Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Dt. Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Dt. Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022, S. 165 ff. Kriterien D 2.4 N, D 2.5 K; vgl. auch die entsprechende Anforderung in bestimmten Fällen des Alkoholmissbrauchs, dazu BayVGH, B.v. 13.3.2025 – 11 ZB 24.2066 – juris Rn. 16 ff.), ob eine Abhängigkeit im Sinne von Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV n.F. vorliegen könnte, ob beim individuellen Konsummuster überhaupt zu erwarten ist, dass das THC im Blutserum jemals unter den Grenzwert von 3,5 ng/ml absinkt (vgl. Derpa a.a.O. § 2 StVG FeV Rn. 56-62), ob also realistisch zu erwarten ist, dass der Konsum vom Fahren getrennt werden kann, oder ob ein regelmäßiger Gebrauch von Medizinalcannabis gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV n.F. zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß führt. Die von der Fahrerlaubnisbehörde anzustellenden Ermittlungen sind nicht in das Entziehungsverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzuverlagern. Das Ergebnis des Neuerteilungsverfahrens bleibt abzuwarten.
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Insoweit drängt sich dem Senat zwar nicht auf, dass die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens nur aufgrund weiterer Aufklärungsmaßnahmen in Betracht kommt. Andererseits erscheint sie aber auch nicht als reiner Automatismus. In verfahrensrechtlicher Hinsicht setzt sie, wie ausgeführt, die Antragstellung und Vorlage der o.g. Nachweise voraus. Materiellrechtlich führt regelmäßiger Cannabiskonsum, von dem hier in Ermangelung eines Abstinenznachweises auszugehen ist, zwar nicht mehr ohne weiteres zu fehlender Fahreignung. Die Antragsgegnerin wird jedoch in den Blick zu nehmen haben, ob (ausnahmsweise) Zusatztatsachen vorliegen, die die Annahme von Cannabismissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn begründen und eine Aufklärung nach § 13a Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV n.F. rechtfertigen (vgl. Derpa a.a.O. § 13a FeV Rn. 18, 8 ff.). Hinzu kommt bei der Antragstellerin eine komplexe und schwere gesundheitliche Problematik. Ob diese nach wie vor fahreignungsrelevant ist, lässt sich im vorliegenden Verfahren nicht abschließend beurteilen. Die Antragstellerin hat zwar zuletzt ein Attest ihres behandelnden Facharztes für Psychiatrie vom 25. Februar 2025 vorgelegt, dem zufolge sie seit längerem einen unauffälligen psychopathologischen Befund aufweist und keine relevante depressive Beschwerdesymptomatik mehr festzustellen ist. Das legt nahe, dass die depressive Störung als solche wie auch die antidepressive Medikation die Fahreignung aktuell nicht mehr in Frage stellen. Andererseits baut die ärztliche Einschätzung ersichtlich auf einer – aus Sicht des Therapeuten glaubhaft berichteten – vollständigen Cannabisabstinenz auf, von der im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren in Ermangelung eines Nachweises gerade nicht ausgegangen werden kann. Dies legt es nahe, dass die Antragsgegnerin im Neuerteilungsverfahren, bevor sie ggf. einen Abstinenznachweis verlangt, im Sinne einer Vorabklärung (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2020 – 11 CS 20.1469 – juris Rn. 22 f.) zumindest eine Äußerung des behandelnden Facharztes dazu verlangen kann, ob die Stabilität der erreichten Besserung aus seiner Sicht zwingend eine dauerhafte Cannabisabstinenz voraussetzt, welche die Antragstellerin dann nachzuweisen hätte.
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3. Davon ausgehend hat die Klage keine Aussicht auf Erfolg und fällt auch die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Bestehen – wie hier – keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und liegt ein ausreichendes Interesse an der Vollziehung schon vor der Rechtskraft vor, ist der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel abzulehnen (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2020 – 11 CS 20.550 – juris Rn. 8; Külpmann in Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 8. Aufl. 2025, § 42 Rn. 44). Allein das Interesse an der Schaffung ordnungsgemäßer Zustände genügt insoweit zwar nicht (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 24). Welches Gewicht das Vollzugsinteresse darüber hinaus haben muss, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls und hängt maßgeblich von den betroffenen öffentlichen und privaten Belangen ab. Für das Fahrerlaubnisrecht ist anerkannt, dass durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besondere Gefahren drohen. Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt daher besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen. Steht – wie hier – in Frage, ob der Betroffene die Fahreignung aufgrund von Entwicklungen nach der Entziehung der Fahrerlaubnis wiedererlangt hat, ist dies nach der vorgenannten Konzeption des Fahrerlaubnisrechts auf entsprechenden Antrag hin im Neuerteilungsverfahren zu prüfen. Hiervon abweichende Übergangsvorschriften sehen die Regelungen zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Cannabisgesetz mit Wirkung ab 1. April 2024 ebenso wie die nachfolgenden, am 22. August 2024 in Kraft getretenen Änderungen – wie ausgeführt – nicht vor. Dies rechtfertigt es, die Klärung der gegenwärtigen Fahreignung, für die der Betroffene die materielle Beweislast trägt (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG; BayVGH, B.v. 21.5.2024 – 11 ZB 23.2202 – juris Rn. 12 m.w.N.), grundsätzlich dem Wiedererteilungsverfahren vorzubehalten (a.A. VG Magdeburg, B.v. 21.6.2024 – 1 B 95/24 MD – NJW 2024, 3797 = juris Rn. 41). Diese in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung zu verlagern, birgt die Gefahr, dass die Gerichte auf einer unzureichenden, nicht durch die Behörde aufbereiteten tatsächlichen und rechtlichen Grundlage entscheiden. Zudem hat es der Betroffene selbst in der Hand, das – offensichtlich keinen Erfolg versprechende – Hauptsacheverfahren nicht weiter zu verfolgen und nach dessen Abschluss einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu stellen (vgl. auch BVerwG, B.v. 14.6.2024, a.a.O. Rn. 5, 11).
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4. Damit war der Beschwerde der Antragsgegnerin mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).