Titel:
Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge mit mehr als 12 m Länge - Berufungszulassungsantrag einer einfach Beigeladenen (kreisangehörige Gemeinde)
Normenketten:
VwGO § 65 Abs. 1, § 66 S. 1
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 9 S. 1, S. 3
StVO lfd. Nr. 40 Anlage 2 zu § 41 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Rechtsmittel einer einfach Beigeladenen führt nur dann zur Überprüfung der angefochtenen Entscheidung , wenn und soweit sie materiell beschwert ist, also geltend machen kann, auf Grund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils nach § 121 VwGO präjudiziell und unmittelbar in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt zu sein (BVerwG BeckRS 2016, 53433 Rn. 6 mwN). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abgesehen von Ausnahmefällen, in denen juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Staat in einer grundrechtstypischen Lage gegenüberstehen, hängt die Anwendbarkeit der Grundrechte auf sie von der Funktion ab, in der sie von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen werden. Besteht die Funktion einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist sie insoweit nicht grundrechtsfähig. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das im Rahmen der Gesetze gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsrecht wird durch die Aufhebung eines Durchfahrtsverbots oder eine (vorschriftswidrige) Inanspruchnahme der Gehwege durch Lastkraftfahrzeuge nicht verletzt. Die Zuständigkeit für das örtliche Verkehrsrecht ist den Gemeinden nicht als Selbstverwaltungsangelegenheit gewährt, sie erfüllen die ihnen zugewiesenen Aufgaben als Straßenverkehrsbehörde vielmehr im übertragenen Wirkungskreis. Belastungen durch Veränderungen der Verkehrsverhältnisse aufgrund verkehrsregelnder Maßnahmen begründen für die Gemeinde lediglich Rechtsreflexe und können erst dann einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht bewirken, wenn sie ein solches Gewicht erreichen, dass der Gemeinde die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich gemacht oder zumindest in konkreter Weise ganz erheblich erschwert wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Gefährdung von Gesundheit und Leben der Fußgänger durch Aufhebung eines Durchfahrtsverbots führt weder für sich genommen noch in Verbindung mit der einer Gemeinde obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu einer Beeinträchtigung ihrer subjektiver Rechte. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge mit mehr als 12 m Länge, materielle Beschwer des einfach Beigeladenen (verneint), materielle Beschwer eines einfach Beigeladenen, Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, kommunales Selbstverwaltungsrecht, Aufgaben als Straßenverkehrsbehörde, übertragener Wirkungskreis, Veränderungen der Verkehrsverhältnisse, Gefährdung von Gesundheit und Leben der Fußgänger, Verkehrssicherungspflicht
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 27.09.2022 – AN 10 K 21.1165
Fundstelle:
BeckRS 2025, 790
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beigeladene zu 1 trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. Der Beigeladene zu 3 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger wenden sich gegen ein Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge, deren Länge 12 m überschreitet.
2
Die Klägerin zu 1 betreibt südlich von Ke., einem Ortsteil der kreisangehörigen Stadt La., beigeladen mit Gerichtsbeschluss vom 1. Juli 2021 (Beigeladene zu 1), eine Kompostier- und Biogasanlage. Die Anlieferung von Material findet zum Teil und der Abtransport fast ausschließlich mit Fahrzeugen statt, deren Länge 12 m überschreitet. Der Kläger zu 2 ist im Unternehmen der Klägerin zu 1 beschäftigt, u.a. als Lastkraftwagenfahrer. Das Unternehmen liegt ca. 1 km von der Einmündung der Kreisstraße FÜ24 (D. Straße) in die Kreisstraße FÜ16 (F. Straße) entfernt, an der seit 2012 die Durchfahrt für von der F. Straße nach rechts auf die D. Straße abbiegende und für von der D. Straße nach links, Richtung Ortsmitte Ke., abbiegende Fahrzeuge ab 12 m Länge verboten ist. Nördlich von Ke. verläuft die Bundesstraße B8, von wo der größte Teil des Schwerlastverkehrs kommt. Eine Umfahrungsmöglichkeit am südlichen Ortsrand von Ke. über den Feldweg bzw. die W. straße „A. D.“ wurde durch eine am 24. Juni 2021 umgesetzte straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Beigeladenen zu 1 gesperrt, mit der im Westen ein Durchfahrtsverbot für Kraftfahrer und im Osten ein Sackgassenschild, jeweils mit dem Zusatzzeichen „Anlieger frei“, angeordnet wurde. Der Umweg zum Betrieb der Klägerin zu 1 für Lastkraftwagen von mehr als 12 m Länge aus Richtung De. (Süden) beträgt ca. 10 km und aus Richtung La. (Norden) ca. 11,5 km.
3
Beigeladener zu 2 ist der Markt Ca., beigeladen mit Gerichtsbeschluss vom 18. August 2021, und Beigeladener zu 3 der Eigentümer eines bebauten Wohn- und Betriebsgrundstücks an der Kreuzung der De.er (FÜ24) und der F. Straße (FÜ16), beigeladen mit Gerichtsbeschluss vom 10. Januar 2022.
4
Am 23. Oktober 2020 teilte das Staatliche Bauamt Nürnberg dem Landratsamt Fürth unter Übersendung von Schleppkurvenberechnungen für die streitgegenständliche Einmündung der FÜ24 in die FÜ16 mit, aus den Berechnungen werde ersichtlich, dass ein 12 m langer Bus Schwierigkeiten habe, die Kurve korrekt auszufahren. Längere Busse ohne Gelenk würden den Gehsteig benötigen. Ein Lastzug mit 18,75 m schaffe es gerade so ohne Nutzung des Gehwegs. Aus dem angefahrenen Randstein beim Anwesen des Beigeladenen zu 3 werde deutlich, dass die Schleppkurven nur die Theorie widerspiegelten. In der Praxis müsse ein Lkw- bzw. Busfahrer sehr präzise einschätzen, wann er wie das Lenkrad einschlagen müsse. Dies sei wohl öfter nicht erfolgreich. Es funktioniere theoretisch, jedoch reiche die Fahrpraxis der Lkw- bzw. Busfahrer für diesen Knotenpunkt nicht aus.
5
Unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt ordnete das Landratsamt zum Schutz der Passanten mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 2. Dezember 2020 an, an der Einmündung FÜ19/FÜ24 in De. (K. Straße) am rechten Fahrbahnrand das Verkehrszeichen 266-12 StVO (lfd. Nr. 40 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO: Verbot für Fahrzeuge und Züge mit mehr als 12 m Länge) mit Zusatzzeichen „bis Fa. P1. frei“ anzubringen und am linken Fahrbahnrand das bestehende Verkehrszeichen 266-12 StVO mit Zusatzzeichen „Richtung La.“ abzubauen und durch das Zusatzzeichen „bis Fa. P1. frei“ zu ersetzen, an der FÜ24 in Ke., Höhe D. Str. 1, das Verkehrszeichen 266-12 mit Zusatzzeichen 1000-11 (Linksabbiegerpfeil) abzubauen, an der Einmündung FÜ16/FÜ24 in Ke. unter der Wegweisung De. das Verkehrszeichen 266-12 anzubringen. Die Schilder wurden am 16. Dezember 2020 aufgestellt.
6
Nachdem eine Nachschau ergeben hatte, dass der Streckenabschnitt zwischen der Fa. P1. und K1. für Kraftfahrer mit Fahrzeugen, deren Länge 12 m überschreitet, aus Richtung De. nicht mehr erreichbar und weiterer Konkretisierungsbedarf festgestellt worden war, ordnete das Landratsamt am 26. März 2021 (mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom „2. Dezember 2020“) an, an der Einmündung FÜ19/FÜ24 in De. (K. Straße) die Zusatzzeichen „bis zur Fa. P1. frei“ durch Zusatzzeichen „bis Ke. frei“ zu ersetzen, an der FÜ24 in De. nach der Einmündung K2. Straße/D. straße in Fahrtrichtung Ke. das Verkehrszeichen 266-12 mit Zusatzzeichen „bis Ke. frei“ zu wiederholen, an der FÜ24 in Ke. Höhe D. Str. 5/Einmündung „A. D.“ das Verkehrszeichen 266-12 mit den Zusatzzeichen 1004-30 „100 m“ und 1008-34 „keine Wendemöglichkeit“ anzubringen.
7
Am 24. Juni 2021 ließen die Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach erheben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen. Dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juli 2021 statt. Mit Urteil vom 27. September 2022 hob es die straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen vom 2. Dezember 2020 und 26. März 2021 auf, da es an ausreichendem Tatsachenmaterial für die Annahme einer konkreten Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO fehle.
8
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, der die Klägerin zu 1 und der Beigeladene zu 2 entgegentraten, berief sich die Beigeladene zu 1 auf sämtliche Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung, weil sich das Verwaltungsgericht letztlich darauf beschränkt habe, die Gefahrenprognose anhand der Unfallhäufigkeit, der Intensität des Schwerlastverkehrs, der Anzahl der Gehwegüberfahrungen und der Frequentierung der Gehwege vorzunehmen, aber keine Zusammenschau der bekannten Fakten und Bewertung unter Zugrundelegung eines Worst-Case-Szenarios bei Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Faktoren (schlechte Witterungs- und Lichtverhältnisse, Glätte oder Nässe, kleine Kinder oder ältere Menschen mit unberechenbarem Verhalten oder geringerer Reaktionsfähigkeit, Begegnungsverkehr von mehreren Lkw oder von Lkw und Personenkraftwagen) vorgenommen habe. Es stehe fest, dass der Gehweg im Einmündungsbereich nicht nur selten überfahren werde. Fußgänger müssten auf Gehwegen nicht mit einer Gefährdung durch Fahrzeuge rechnen. Würden Gehwege an Engstellen regelmäßig durch Fahrzeuge benutzt, ergebe sich hieraus eine qualifizierte Gefahrenlage. Das Gericht gehe zu Unrecht davon aus, dass es maßgeblich auf die Frequentierung der betroffenen Gehwege ankomme. Auch sei unerheblich, wie viele Fahrzeuge mit mehr als 12 m Länge die Einmündung passierten. Für die Gefahrenprognose komme es nicht auf die Häufigkeit, sondern allein darauf an, dass täglich Fahrzeuge mit mehr als 12 m Länge den Einmündungsbereich passierten und es hierbei in nicht unerheblichen Fällen zur Benutzung der Gehwege im Einmündungsbereich komme. Dass auch überbreite landwirtschaftliche Fahrzeuge bzw. Gespanne zahlreich die Gehwege überfahren würden, spreche dafür, die Anordnung auch auf diese Fahrzeuge auszudehnen. Weiter werde die Frage für klärungsbedürftig gehalten, ob eine qualifizierte Gefahrenlage, die zur Anordnung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 StVO berechtige, bereits dann anzunehmen sei, wenn feststehe, dass Fahrzeuge ab einer bestimmten Größe zwangsläufig die Gehwege beim Abbiegen in einem engen Einmündungsbereich benutzen müssten, da diese im Regelfall die Ideallinie, welche ein Abbiegen ohne Benutzung der Gehwege ermöglichen würde, nicht träfen.
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Mit Schreiben vom 18. Januar 2024 legte der Beklagte Schleppkurvenberechnungen des Staatlichen Bauamts Nürnberg vom 27. Februar 2023 für „Sattelzug 2001“ und „Sattelzug 2021“ vor, die nach wie vor den anerkannten Regeln der Technik entsprächen und gültig seien. Es sei unerheblich, welche Schleppkurven in der konkreten Untersuchung angewendet würden, da die maßgebenden Schleppkurven identisch bzw. weitestgehend deckungsgleich seien und keine besonderen Schärfen aufwiesen, sondern eher als Abbildung eines Durchschnittswerts einzustufen seien. Bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens sei die Untersuchung auch mit den Kurven aus dem Jahr 2021 erfolgt.
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Mit Schreiben vom 17. Oktober 2024 machte die Beigeladene zu 1 zu ihrer materiellen Beschwer geltend, die erstinstanzliche Aufhebung des Durchfahrtsverbots für Lastkraftwagen mit mehr als 12 m Länge beeinträchtige sie in subjektiven Rechten, da jene wieder den streitgegenständlichen Einmündungsbereich befahren dürften, was ihnen nur unter Inanspruchnahme des Gehwegs möglich sei. Dies führe zur fortwährenden Beschädigung des Gehwegs bzw. zu einem Vermögensnachteil aufgrund von Instandhaltungskosten und zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit der Fußgänger. Der Gehweg stehe in ihrem Eigentum und in ihrer Straßenbaulast. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof weiche ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab und billige auch Gemeinden die Verletzung des Eigentumsrechts aus Art.103 BV zu, soweit sie sich aus einem „Rechtsstreit zwischen gleichgeordneten Trägern privater Rechte“ ergebe. Auch das Eigentum der öffentlichen Hand sei als Privateigentum ausgestaltet. Daher könne eine subjektive Rechtsverletzung über eine einfachgesetzliche, privatrechtliche Herleitung begründet werden. Daneben könne die Beigeladene zu 1 auch ihre im eigenen Wirkungskreis wahrzunehmenden Verkehrssicherungspflichten für den Gehweg nicht erfüllen. Dessen unbefugte Inanspruchnahme führe zu einer Gefährdung der Fußgänger, auch von Schulkindern, sodass eine besonders vulnerable Gruppe hiervon betroffen sei. Die durch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV bzw. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden sei jedenfalls ein subjektives Recht, auf deren Verletzung sich eine Gemeinde berufen könne. Nach Art. 83 Abs. 1 BV falle u.a. der örtliche Verkehr nebst Straßen- und Wegebau in den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde. In dieser Aufgabenwahrnehmung werde die Beigeladene zu 1 durch die Aufhebung des Durchfahrtsverbots beeinträchtigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
12
Der Antrag der Beigeladenen zu 1 auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil sie durch die erstinstanzliche Entscheidung nicht materiell beschwert ist.
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Zwar kann sie auch als einfach Beigeladene (§ 65 Abs. 1 VwGO) selbstständig, ohne Zustimmung oder sogar gegen den Willen der Hauptbeteiligten, Rechtsmittel einlegen. Zur Überprüfung der angefochtenen Entscheidung führt das Rechtsmittel des einfach Beigeladenen einer entsprechenden Anwendung des § 113 Abs. 1 und 5 VwGO folgend aber nur, wenn und soweit er materiell beschwert ist, also geltend machen kann, auf Grund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils nach § 121 VwGO präjudiziell und unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt zu sein (BVerwG, B.v. 24.8.2016 – 9 B 54.15 – juris Rn. 6; Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 66 Rn. 16; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2024, § 66 VwGO Rn. 4; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, vor § 124 VwGO Rn. 38, 42). Ein verwaltungsmäßiges Interesse einer beigeladenen Behörde am Ausgang des Verfahrens genügt nicht. Eine Beschwer liegt nur dann vor, wenn sie durch die gerichtliche Entscheidung unmittelbar in der Erfüllung eines nur ihr gesondert übertragenen, selbständigen Aufgabenkreises beeinträchtigt würde (Rudisile, a.a.O. vor § 124 VwGO Rn. 42).
14
Auch wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof (E.v. 13.7.1984 – Vf. 29/VI/82 – NVwZ 1985, 260/ 261) – wie geltend gemacht – sich in einem Fall außerhalb der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung nicht gehindert sah, die Grundrechtsfähigkeit von Gemeinden nach bayerischem Verfassungsrecht anders als das Bundesverfassungsgericht, insbesondere weitergehend im Sinne der Zuerkennung des Grundrechtsschutzes, zu beurteilen, folgt hieraus weder in Verbindung mit dem grundrechtsähnlichen kommunalen Selbstverwaltungsrecht noch dem Eigentum an den Gehwegen im streitgegenständlichen Einmündungsbereich, der Straßenbaulast für die unselbständigen Gehwege und/oder dem Einfluss der streitgegenständlichen Verkehrsregelung auf die örtlichen Verkehrsverhältnisse eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte der Beigeladenen zu 1 durch das angefochtene Urteil.
15
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof folgt in ständiger Rechtsprechung der sich aus Art. 19 Abs. 3 GG ergebenden Rechtslage, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts als Teil der Staatsgewalt selbst nur in beschränktem Umfang Träger von Grundrechten sein können, nämlich soweit das als verletzt gerügte Recht seinem Wesen nach auf sie anwendbar sein kann. Das ist der Fall, wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Staat in einer grundrechtstypischen Lage gegenüberstehen, die sie ebenso schutzwürdig erscheinen lässt wie den einzelnen Bürger (VerfGH, E.v. 29.10.2020 – Vf. 22-VII-20 – BayVBl 2021, 83 Rn. 31 unter Verweis auf Art. 19 Abs. 3 GG). Eine Grundrechtsfähigkeit ist für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzunehmen, die von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören, wie z.B. Universitäten und Fakultäten (Art. 108 BV), Rundfunkanstalten (Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV), Gemeinden (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) sowie Kirchen (Art. 107 Abs. 1, 2 BV) (vgl. VerfGH, E.v. 29.10.2020 a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Von diesen Ausnahmefällen abgesehen, kommt es für die Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts auf die Funktion an, in der diese von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen werden. Besteht die Funktion einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person insoweit nicht grundrechtsfähig (stRspr, vgl. VerfGH, E.v. 29.10.2020 a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 = juris Rn. 58 f.).
16
Das im Rahmen der Gesetze gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV (zu dessen Inhalt vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 83 Rn. 25 ff.) bzw. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch die Versagung eines eingeschränkten Durchfahrtsverbots oder eine (vorschriftswidrige) Inanspruchnahme der Gehwege durch Lastkraftfahrzeuge nicht verletzt. Der Gesetzesvorbehalt erstreckt sich nicht nur auf die Art und Weise der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten, sondern auch auf die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten (BVerwG, B.v. 8.10.1999 – 4 B 53.99 – BayVBl 2000, 249 = juris Rn. 5). Die Beigeladene zu 1 ist als kreisangehörige Gemeinde für die Regelung des Ortsdurchgangsverkehrs nicht zuständig (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO i.V.m. Art. 2 Satz 1 Nr. 1, Art. 3, 4 des Gesetzes über die Zuständigkeiten im Verkehrswesen [ZustGVerk] vom 28.6.1990 [GVBl S. 220], zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.7.2024 [GVBl S. 247]). Außerdem ist die Zuständigkeit für das örtliche Verkehrsrecht den Gemeinden nicht als Selbstverwaltungsangelegenheit gewährt. Nach Art. 6 Satz 1 ZustGVerk erfüllen sie zugewiesene Aufgaben als Straßenverkehrsbehörde im übertragenen Wirkungskreis, wo sie nur in begrenztem Umfang als örtliche bzw. untere Straßenverkehrsbehörden zuständig sind (vgl. z.B. Art. 2 Nr. 1 und 2, Art. 3 ZustGVerk und § 5 ZustVVerk; Wolff, a.a.O. Art. 83 Rn. 17; BVerwG, U.v. 29.6.1983 – 7 C 102.82 – NVwZ 1983, 610 = juris Rn. 11). Die Aufgaben und Befugnisse der (örtlichen) Straßenverkehrsbehörde zur Regelung des Straßenverkehrs gehören seit jeher zu den staatlichen Aufgaben, nicht zu den Angelegenheiten des gemeindeeigenen, durch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Wirkungskreises (BVerwG, U.v. 20.4.1994 – 11 C 17.93 – BVerwGE 95, 333 = juris Rn. 13 m.w.N.; U.v. 29.6.1983 a.a.O. Rn. 11; Gaß in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand Januar 2024, Art. 37 LKrO Rn. 4). Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht einer Gemeinde auch die Befugnis für eine Klage gegen negative Auswirkungen einer straßenverkehrsrechtlichen Regelung auf ihren Ortsverkehr wie die Zunahme des Schwerlastverkehrs und eine hierdurch bedingte erhöhte Gefährdung des Fahrzeug- und Fußgängerverkehrs abgesprochen (BVerwG, U.v. 29.6.1983 a.a.O. Rn. 11 ff.). Bloße faktische Veränderungen der Verkehrsverhältnisse, die verkehrsregelnde Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde bzw. wie hier die Aufhebung solcher Maßnahmen bewirken, muss die Gemeinde grundsätzlich hinnehmen. Sie berühren nicht ihre durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV geschützte Rechtsposition, sondern sind Bestandteil der dieser vorgegebenen Situation. Belastungen, die sich aus einer Verschlechterung dieser Situation ergeben, begründen für die Gemeinde lediglich Rechtsreflexe, die zwar ihre Interessensphäre beeinflussen, nicht aber ihre Rechtsstellung beeinträchtigen können. Erst wenn diese Belastungen ein solches Gewicht erreichen, dass der Gemeinde die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich gemacht oder zumindest in konkreter Weise ganz erheblich erschwert wird, kann ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht möglich sein (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.1983 a.a.O. Rn. 14). Hierfür ist nichts ersichtlich, auch wenn die Randsteine der Gehwege infolge der Inanspruchnahme durch Lastkraftfahrzeuge jährlich ausgebessert werden müssen. Offenbleiben kann daher, ob überhaupt hinreichend feststeht, dass diese Schäden den Lastkraftfahrzeugen mit mehr als 12 m Länge zuzurechnen sind.
17
Auf eine Verletzung ihres Eigentums an den Gehwegen kann sich die Beigeladene zu 1 nicht berufen, weil ihr dieses nur zweckgebunden zur Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben als Trägerin der Straßenbaulast zusteht. So gehen nach Art. 11 Abs. 4 Satz 1 BayStrWG bei einem Wechsel der Straßenbaulast mit dieser das Eigentum des bisherigen Trägers der Straßenbaulast an den Straßenbestandteilen (Art. 2 Nr. 1 bis 3 BayStrWG), den ausschließlich zur Straße gehörenden Nebenanlagen (Art. 2 Nr. 4 BayStrWG) und alle Rechte und Pflichten, die mit der Straße im Zusammenhang stehen, ohne Entschädigung auf den neuen Träger der Straßenbaulast über, soweit das Eigentum einer Gebietskörperschaft zustand. Die Straßenbaulast für die an der Ortsdurchfahrt befindlichen unselbständigen Gehwege ist den Gemeinden unabhängig davon zugewiesen, wem die Straßenbaulast für die Fahrbahn obliegt (Art. 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, Art. 48 Abs. 1 BayStrWG). Die Gehwege sind durch die Widmung öffentliche Sachen im Gemeingebrauch geworden. Öffentliche Sachen sind Gegenstände, die, insbesondere durch ihren Gebrauch, unmittelbar öffentlichen Interessen dienen und zur Sicherung dieser Zweckbindung öffentlich-rechtlichen Vorschriften unterliegen (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Teil 1 III Rn. 5). Zudem ist in der Versagung des Durchfahrtsverbots weder ein rechtlicher noch ein tatsächlicher Eingriff in das Eigentum an den Gehwegen zu sehen. Die Beigeladene zu 1 war durch die zunächst getroffene Straßenverkehrsregelung lediglich faktisch bzw. mittelbar begünstigt, weil diese den Verkehr in der Einmündung verringert und Fahrzeuge, bei denen eine Inanspruchnahme der Gehwege wahrscheinlicher erscheint, von der Straßenbenutzung ausgeschlossen hat. Diese Begünstigung ist durch das angegriffene Urteil wieder entfallen.
18
Schließlich führt auch eine Gefährdung von Gesundheit und Leben der Fußgänger weder für sich genommen noch in Verbindung mit der der Beigeladenen zu 1 obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu einer Beeinträchtigung ihrer subjektiver Rechte.
Allein der Umstand, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, macht sie nicht zum grundrechtsgeschützten „Sachwalter“ des einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte, mag die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auch der Verwirklichung seiner Grundrechte (möglicherweise mittelbar) förderlich sein, wie dies etwa bei der Daseinsvorsorge möglich ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Bürger selbst seine Grundrechte wahrnimmt und etwaige Verletzungen geltend macht (BVerfG, B.v. 8.7.1982 a.a.O. Rn. 62).
19
Dementsprechend verneint das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Befugnis einer Gemeinde im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, als Sachwalterin von Rechten Dritter bzw. des Gemeinwohls Belange ihrer Bürger, wie Lärmschutzinteressen oder den Schutz vor visuellen Beeinträchtigungen, geltend zu machen oder die Unvereinbarkeit des Vorhabens mit den Belangen von Natur und Landschaft gerichtlich überprüfen zu lassen. Das Klagerecht steht ihr nur im Hinblick auf ihre eigenen Rechte und schutzwürdigen Belange zu (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 9 A 8.15 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 170 Rn. 14; B.v. 4.8.2008 – 9 VR 12.08 – BayVBl 2009, 281 = juris Rn. 2 ff.). Sie ist auch nicht berechtigt, sich über die Anrufung des Verwaltungsgerichts als Kontrolleur der zur Wahrung öffentlicher Belange jeweils berufenen staatlichen Behörden zu betätigen (BVerwG, B.v. 15.4.1999 – 4 VR 18.98 u.a. – NVwZ-RR 1999, 554 = juris Rn. 6). Was für die Klagebefugnis wegen einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer gilt, muss entsprechend für die materielle Beschwer als Nebenbeteiligte gelten.
20
Da Rechte Dritter oder das Gemeinwohl kein Klagerecht begründen, kann dieses auch nicht mittels einer entsprechenden Verkehrssicherungspflicht begründet werden; zumal diese auch der hier nicht erkennbaren Eröffnung einer Gefahrenquelle entspringt und ihr Inhalt dahin geht, die öffentlichen Verkehrsflächen möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsmäßigen Zustand der Verkehrsflächen drohen (Sauthoff, Öffentliche Straßen, Teil 1 D.VI Rn. 35). Eine Haftung scheidet von vornherein aus, wenn nicht festgestellt werden kann, dass sich die Anlage in einem objektiv verkehrswidrigen Zustand befunden und damit eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle im Sinne des Verkehrssicherungsrechts dargestellt hat (Sauthoff, a.a.O. Teil 5 C.II Rn. 759). Die Beigeladene zu 1 genügt ihrer Verkehrssicherungspflicht durch die Ausbesserung der Randsteine. Nachdem die Gefährdung der Fußgänger hier nicht vom Zustand der Gehwege ausgeht, sondern vom Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, kann man darüber hinaus allenfalls noch eine Verpflichtung annehmen, der nicht bestimmungsgemäßen Nutzung der Gehwege durch Kraftfahrzeuge entgegenzuwirken, indem dies bei der dafür zuständigen Straßenverkehrsbehörde angeregt wird.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3 Halbs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. § 154 Abs. 2 VwGO gilt auch zulasten des drittbeteiligten Rechtsmittelführers (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 154 Rn. 6). Legt der in erster Instanz unterlegene Hauptbeteiligte wie hier der Beklagte kein eigenes Rechtsmittel ein, so trägt der rechtsmittelführende Drittbeteiligte, hier die Beigeladene zu 1, auch dessen Kosten aus dem Rechtsmittelverfahren; das Gesetz stellt allein auf die Antragstellung, nicht aber darauf ab, auf wessen Seite weitere Beteiligte „materiell“ stehen (vgl. Wöckel, a.a.O.). Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen entspricht regelmäßig der Billigkeit, wenn dieser einen Sachantrag gestellt hat und damit wegen § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko eingegangen ist oder wenn er das Verfahren durch eigenen Tatsachen- oder Rechtsvortrag wesentlich gefördert hat (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 162 Rn. 41; Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 162 VwGO Rn. 92 f.). Demgemäß sind dem Beigeladenen zu 2, der einen begründeten Zurückweisungsantrag gestellt hat, seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Beigeladene zu 3, der keinen Antrag gestellt hat, trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
22
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
23
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
24
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).