Titel:
Zeugnisverweigerungsrecht, Zurücknahme des Rechtsmittels, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sachverständigenbeweis, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Sachverständigenhaftung, Elektronischer Rechtsverkehr, Haftung des Sachverständigen, fehlerhaftes Gutachten, Beweisbeschlüsse, Aufgabe zur Post, Privates Sachverständigengutachten, Elterliche Sorge, Grobe Fahrlässigkeit, Konkrete Kindeswohlgefährdung, Nebenforderungen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Unrichtiges Gutachten, Erläuterung des Gutachtens
Schlagworte:
Sachverständigenhaftung, Gutachtenfehler, Grobe Fahrlässigkeit, Haftungsausschluss, Primärrechtsschutz, Rechtsmittelpflicht, Prozesskostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7790
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schmerzensgeld anlässlich der Erstellung mehrerer Gutachten und einer gutachterlichen Stellungnahme durch die Beklagte in einem familiengerichtlichen Verfahren.
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Die Klägerin ist Mutter der am 18.09.2013 geborenen .... 2017 kam es zu einem umgangsrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Backnang (Az. 5 F 616/16), in welchem der am 31.10.2022 verstorbene Kindsvater von ... der Klägerin erstmalig unterstellte, unter dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom (im Folgenden MBPS) zu leiden. Die Klägerin äußerte im September 2017 gegenüber dem Jugendamt den Verdacht des sexuellen Missbrauchs von ... durch den Kindsvater. Die Klägerin erstattete Ende 2017 Strafanzeige gegen den Kindsvater. Es kam zu einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart (Az. 24 Js 110029/17) gegen den Kindsvater. Die Klägerin beantragte beim Amtsgericht Schwäbisch Hall den Entzug des Sorgerechts des Kindsvaters. Dieser äußerte in seiner Beschuldigtenvernehmung am 11.12.2017 erneut den Verdacht, dass die Klägerin unter dem MBPS leide und bestritt den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Da der Kindsvater der Klägerin wiederholt unterstellte, sie leide unter dem MBPS, ließ die Klägerin am 11.05.2019 ein privates psychosomatisches-psychotherapeutisches Gutachten durch ... erstellen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 08.11.2021 (Anlage K 1) zu dem Schluss, dass die Klägerin nicht unter dem MBPS leide. Im Januar 2019 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kindsvater wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs eingestellt, da die Aussage von ... keine Anhaltspunkte geliefert habe, wie sich der Vorfall konkret abgespielt habe. In dem Verfahren vor dem Familiengericht des Amtsgerichts Schwäbisch Hall (Az. 2 F 318/19), das die Klägerin eingeleitet hatte, um den Sorgerechtsentzug des Kindsvaters zu erreichen, wiederholte dieser beständig die Vorwürfe, dass die Klägerin unter dem MBPS leide. Das Amtsgericht Schwäbisch Hall – Abteilung für Familiensachen – erließ daraufhin mehrere Beweisbeschlüsse. Der Beweisbeschluss vom 23.07.2019 (Anlage 1 zu SS BV vom 11.12.2024) lautet:
„1. Es soll Beweis erhoben werden durch Einholen eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens darüber, ob unter Berücksichtigung der von den Kindseltern jeweils erhobenen Vorwürfe (u.a. sexueller Missbrauch sowie Münchhausen by proxy Syndrom) für das Kind ... (geb. am 18.09.2013) eine Kindeswohlgefährdung ausgeht.
Insbesondere soll das Gutachten auf folgende Aspekte bzw. Fragestellungen eingehen:
a) Lässt sich mittels Glaubhaftigkeitsbegutachtung des Kindes der von der Kindsmutter behauptete sexuelle Missbrauch des Kindes durch den Kindsvater erhärten? Dabei soll das Gutachten insbesondere eine Analyse zur Entstehung der Aussage des Kindes durchführen. Darüber hinaus soll das Gutachten zur Problematik der Scheinerinnerung Stellung nehmen.
b) Liegen bei der Kindsmutter Anzeichen für das sog. Münchhausen by proxy Syndrom vor? Im Rahmen des Gutachtens sollen Ausführungen dazu gemacht werden, ob das Münchhausen by proxy Syndrom auch im Zusammenhang mit einer (ggfs. wahrheitswidrigen) Behauptung eines sexuellen Missbrauchs auftritt. Soweit die Kindsmutter Anzeichen für das sog. Münchhausen by proxy Syndrom aufweist, wird darum gebeten, die Risiken für das betroffene Kind aufzuzeigen.
c) Sind die Kindseltern jeweils erziehungsgeeignet sowie bindungstolerant? Ist vorliegend ein Sorgerechtsentzug geboten? Welche (weiteren) familiengerichtlichen Maßnahmen sind vorliegend erforderlich und geboten?
d) Wie ist der Kindesumgang künftig zu regeln? Ist vorliegend eine Umgangsaussetzung angezeigt?
e) Soweit sich im Rahmen der Begutachtung herausstellen sollte, dass eine akute Kindeswohlgefährdung gegeben ist, wird um umgehende Mitteilung an das Familiengericht gebeten.“
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Mit der Erstellung des aussagepsychologischen Gutachtens wurde die Beklagte beauftragt. Diese ist Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs. Am 03.08.19 wurde der genannte Beweisbeschluss wie folgt ergänzt:
„f) Nachdem die Kindseltern ihre Zustimmung erteilt haben, sich freiwillig der Polygrafie-Methode (umgangssprachlich Lügendetektortest) zu unterziehen, wird die Sachverständige ermächtigt, zur Erstellung des Gutachtens unter Heranziehung der Polygrafie-Methode einen externen Experten in diesem Bereich heranzuziehen. Die Kosten dieses externen Experten auf dem Gebiet der Polygrafie-Methode soll dieser Experte gesondert gegenüber dem Gerichtabrechnen. Sobald die Gutachterin diesen Experten bestimmt hat, ist dieser gegenüber dem Gericht zur Ergänzung des Beweisbeschlusses mitzuteilen.
g) Die Gutachterin wird rein vorsorglich angewiesen, die Kindseltern im Hinblick auf die strafrechtlichen Vorwürfe und ggfs. späteren strafrechtlichen Verwertbarkeit darüber zu belehren, dass es ihnen in strafrechtlicher Hinsicht freisteht, sich zu den Beschuldigungen zu äußern und nichts zur Sache auszusagen und sie sich jederzeit eines Verteidigers bedienen können. Auch sind die Kindseltern darüber zu belehren, dass sie nicht verpflichtet sind, sich der Polygrafie-Methode (umgangssprachlich Lügendetektortest) zu unterziehen, sondern diese nur auf freiwilliger Basis durchgeführt wird.
Das Kind ist in kindsgerechter Weise darüber zu belehren, dass es in strafrechtlicher Hinsicht bezüglich der Eltern ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Soweit das Kind sich jedoch äußern möchte, ist es in kindgerechter Weise darüber zu belehren, dass es keinen Elternteil zu Unrecht belasten darf.
Die jeweiligen Belehrungen sind zu dokumentieren.
h) Ergänzend soll das Gutachten sich mit der Einschätzung der Diplom-Psychologin ... auseinandersetzen, insbesondere, ob diese Ausführungen dem wissenschaftlichen Standard entsprechen [...]“
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Am 13.08.2019 wurde der Beweisbeschluss wie folgt ergänzt:
„f) Nachdem die Kindseltern ihre Zustimmung erteilt haben, sich freiwillig der Polygrafie-Methode (umgangssprachlich Lügendetektortest) zu unterziehen, wird die Sachverständige ermächtigt, zur Erstellung des Gutachtens unter Heranziehung der Polygrafie-Methode einen externen Experten in diesem Bereich heranzuziehen. Die Polygrafie-Methode soll insbesondere (Anm.: der darüber hinausgehende Umfang bleibt der Gutachterin sowie den Kindseltern vorbehalten) bezüglich der gegenseitigen strafrechtlichen Vorwürfe
- beim Kindsvater: Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Kinder ... und ..., Vorwurf des Mordes zwecks Verdunklung, Verschwinden des Tagebuches von ...
- bei der Kindsmutter: Vorwurf der falschen Verdächtigung bezüglich des sexuellen Missbrauchs der Kinder ... und ... sowie bezüglich der Mordanschuldigung an ... verwendet werden.
Des Weiteren soll die Polygrafie-Methode bezüglich der Kindsmutter bei der Fragen angewandt werden, ob sie bereits in der Vergangenheit einen Vater einer Schulfreundin (wahrheitswidrig) des sexuellen Missbrauchs bzw. der Vergewaltigung an ihrer Tochter ... beschuldigt hätte. Darüber hinaus soll die Polygrafie-Methode bezüglich der Kindsmutter bei der Frage angewandt werden, ob der Atemstillstand bei ... im Säuglingsalter durch die Kindsmutter durch Erstickungshandlungen (z.B. durch Drücken eines Kissens auf das Gesicht des Kindes) entstanden ist.
Schließlich soll die Polygrafie-Methode bei der Kindsmutter bezüglich der Frage der suggestiven Beeinflussung von T. angewandt werden.
[Das Gericht weist insbesondere darauf hin, dass ... im Rahmen ihrer kriminalpolizeilichen Vernehmung vom 24.04.2018 angegeben hat, dass der Kindsvater ihr einen „Stock“ in den Po bzw. zwischen die Beine gesteckt hat. Die Kindsmutter hat im Rahmen des psychosomatisch-psychotherapeutischen Gutachtens vom 31.07.2019 insoweit folgendes angegeben: „Als sie schwanger mit ... war, entbunden hatte und stillte, habe er sie nicht einmal mit dem Stock angefasst, schließlich habe er ihr gerichtlich verbieten wollen zu stillen.“]
Die Kosten dieses externen Experten auf dem Gebiet der Polygrafie-Methode soll dieser Experte gesondert gegenüber dem Gericht abrechnen. Sobald die Gutachterin diesen Experten bestimmt hat, ist dieser gegenüber dem Gericht zur Ergänzung des Beweisbeschlusses mitzuteilen.
g) Die Gutachterin wird rein vorsorglich angewiesen, die Kindseltern im Hinblick auf die strafrechtlichen Vorwürfe und ggfs. späteren strafrechtlichen Verwertbarkeit darüber zu belehren, dass es ihnen insoweit in strafrechtlicher Hinsicht freisteht, sich zu den Anschuldigungen zu äußern oder nichts zur Sache auszusagen und sie sich jederzeit eines Verteidigers bedienen können. Auch sind die Kindseltern darüber zu belehren, dass sie nicht verpflichtet sind, sich der Polygrafie-Methode (umgangssprachlich Lügendetektortest) zu unterziehen, sondern diese Methode nur auf freiwilliger Basis durchgeführt wird.
Das Kind ist in kindgerechter Weise darüber zu belehren, dass es in strafrechtlicher Hinsicht bezüglich der Eltern ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Soweit das Kind sich jedoch äußern möchte, ist es in kindgerechter Weise darüber zu belehren, dass es keinen Elternteil zu Unrecht belasten darf.
Die jeweiligen Belehrungen sind zu dokumentieren.
Die Begutachtung des Kindes ist mittels Videoaufnahme, zumindest aber Tonaufnahme zu dokumentieren.
h) Ergänzend soll das Gutachten sich mit der Einschätzung der Diplom-Psychologin ... auseinandersetzen, insbesondere, ob diese Ausführungen dem wissenschaftlichen Standard entsprechen [...]
i) Im Rahmen des psychosomatisch-psychotherapeutischen Gutachtens vom 31.07.2019 hat die Kindsmutter angegeben, dass es bei T. im Säuglingsalter dreimal zum Atemstillstand gekommen ist. Im EEG sei ein Krampfleiden aufgefallen, im Schlaflabor Sauerstoffabfälle und sie habe einen Monitor bekommen, sie habe eine Einweisung zur Wiederbelebung bekommen und von da an sei sie ausschließlich bei ihr gewesen.
Insoweit soll das Gutachten Ausführungen machen, wie es sich insoweit zu dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom verhält.“
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Am 01.10.2019 wurde der Beweisbeschluss wie folgt ergänzt:
„Als Gutachterin zur Durchführung der Polygrafie-Methode wird bestellt: Dipl.-Psych. ..., Rechtspsychologische Praxis, B.straße 3, 5... K..“
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Mit Beschluss vom 01.08.2019 leitete das Amtsgericht Schwäbisch Hall außerdem ein einstweiliges Anordnungsverfahren hinsichtlich des Kindes ... zur Überprüfung einer etwaigen akuten Kindeswohlgefährdung ein (Az. 2 F384/19 e.A.). In diesem wurde den Kindseltern mit Beschluss vom 01.08.2019 das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Umgangsrecht, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Regelung von Kindergarten- und Schulangelegenheiten, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII und das Recht auf Entscheidung über die strafrechtliche Verwertbarkeit (bezogen auf den Kindsvater und die Kindsmutter) der Aussage des Kindes im Rahmen der Begutachtung in dem Sorgerechtsverfahren Az. 2 F 318/19 vorläufig entzogen. Das Amtsgericht Schwäbisch Hall ersetzte mit Beschluss vom 30.10.2019 (Az. 2 F 384/19 e.A., S. 203 f., Anlage 4 zu SS BV vom 11.12.2024) die Zustimmung der Kindseltern zur Begutachtung des Kindes ... im Hauptsacheverfahren Az. 2 F 318/19 (Kindeswohlgefährdungsverfahren) durch die Beklagte. Mit gerichtlichem Beschluss vom 06.11.2019 wurde Prof. Dr. med. ... vom Universitätsklinikum Tübingen, Klinik für Kinder und Jugendmedizin, beauftragt, ein pädiatrisches Fachgutachten vorzulegen zu der Frage, ob bei dem ... nicht indizierte Operationen oder Behandlungen durchgeführt wurden, die auf das Vorliegen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms bei der Mutter schließen lassen. In dem Hinweisbeschluss vom 02.12.2019 wurde die Beklagte angewiesen, die Zeugen ... in ihre Begutachtung mit einzubeziehen. Es folgte der Beschluss vom 16.12.2019:
„Der Sachverständige Dr. ... soll im Rahmen der Begutachtung auf die Herstellung eines Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken, § 163 Abs. 2, FamFG.“ [sic]
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Am 09.03.2020 erstattete ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ein Gutachten zur Frage, ob die Klägerin unter dem MBPS leidet. In diesen kam er zu dem Schluss, dass bei der Klägerin keine psychische Störung, insbesondere kein MBPS, vorliege (Anlage K1b).
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T. wurde am 05.05.2020 von 13:15 bis 15:45 Uhr durch die Beklagte im Jugendamt S. H. aussagepsychologisch exploriert. Sie war von der Klägerin dorthin gebracht worden, die währenddessen im Gang wartete. Die Anwesenheit der – während der Exploration zur Sache stillschweigenden – Ergänzungspflegerin war mit der Klägerin abgesprochen.
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Die Beklagte erstattete am 22.06.2020 ihr 211-seitiges aussagepsychologisches Gutachten (Anlage K2). In dem Gutachten wurde aussagepsychologische Literatur bis zum Jahr 2019 berücksichtigt.
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... Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut kam in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 26.06.2020 (Anlage K3) ebenso wie ... von der Gießener Akademischen Gesellschaft in ihrer Stellungnahme vom 24.07.2020 (Anlage K4) zu dem Ergebnis, kein MTBS bei der Klägerin feststellen zu können.
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Dr. ... führt in seinem 24-seitigen Gutachten vom 30.07.2020 (Anlage K5) auf Seiten 15 f. und 22 u.a. aus:
„Aus Sicht des unterzeichnenden Gutachters sprechen die hier aufgeführten Merkmale für das Vorliegen eines Stellvertreter Münchhausen Syndroms, engl. Munchhausen syndrome by proxy, MSBP. [...] In der Literatur findet sich eine Reihe von Merkmalen, von denen jedes für sich nicht beweisend ist, bei Zusammentreffen mehrerer Merkmale aber ein MSBP sehr wahrscheinlich machen. [...] Damit treffen vorliegend 12 der hier aufgeführten 15 Merkmale zu. Aufgrund dieser hohen Übereinstimmung zwischen den vorliegenden Merkmalen und den in o.g. Aufstellung genannt typischen Merkmalen eines MSBP ist aus Sicht des unterzeichnenden Gutachters bei Frau ... mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von der Diagnose eines Stellvertreter Münchhausen Syndroms auszugehen.“
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Die Beklagte gab am 17.08.2020 an das Amtsgericht Schwäbisch Hall eine Stellungnahme mit dem Titel „Mitteilung einer akuten Kindeswohlgefährdung“ ab (Anlage K6 = B1). Dort heißt es u.a.:
„Sehr geehrte Frau Richterin Dr. ...
nach Eingang des Gutachtens von Dr. ... am 14.08.2020 in meiner Praxis möchte ich mitteilen, dass aus meiner Sicht für ... bei weiterem Aufenthalt bei, der Kindsmutter eine akute Kindeswohlgefährdung besteht. Dr. ... als Experte auf diesem Gebiet diagnostizierte bei der Kindsmutter ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom (Mbp), was aus psychologischer Sicht bereits an sich eine Erscheinungsform der Kindeswohlgefährdung darstellt. [...] Vor dem Hintergrund der Diagnose des Mbp bei der Kindsmutter ist aus psychologischer Sicht davon auszugehen, dass die Kindsmutter ... derzeit in Verbindung mit einer möglichen Umgangswiederanbahnung mit dem Kindsvater Selbstmordgedanken nahelegt. Dies ist aus psychologischer Sicht als akute Kindeswohlgefährdung einzuordnen. [...] Darüber hinaus erhöht sich das Risiko. einer seelischen Kindeswohlgefährdung durch die Entstehung eines fälschliches Eindrucks bei ..., ihr leiblicher Vater sei ein „Kinderschänder“ und Mörder. [...] Sollten vom Gericht Zweifel an der Diagnose des Mbp bestehen, so würde angesichts der von Dr. ... genannten Anhaltspunkte für ein Mbp aus psychologischer Sicht zumindest diagnostisch eine Trennung des Kindes von der Kindsmutter notwendig erscheinen, um die weitere gesundheitliche Endwicklung des Kindes während der Trennung zu beobachten, und entsprechende Schlüsse zu ziehen.“
13
Da die Klägerin den Entzug ihres Kindes befürchtete, verließ sie zusammen mit ... im August 2020 Deutschland und blieb mit dieser bis September 2021 im Ausland.
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Mit Beschluss vom 21.05.2021 (Anlage K 17) übertrug das Amtsgericht Schwäbisch-Hall – Familiengericht – im Verfahren 2 F 318/19 die elterliche Sorge für das minderjährige Kind ... allein auf den Kindsvater und wies die Anträge der Klägerin zurück. Die zuständige Richterin stützte ihre Entscheidung dabei auch auf das Gutachten der Beklagten vom 22.06.2020 und deren Stellungnahmen vom 17.08.2020. In diesem Beschluss heißt es auf Seite 183 u.a.
„7. Aufgrund des Verhaltens der Kindsmutter ist die Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt mittlerweile alternativlos geworden. Denn die Mutter zeigt in Bezug auf den Befund „Münchhausen-by-proxy-Syndrom“ keinerlei Krankheits- bzw. Störungseinsicht. Selbst auf die Kooperationsangebote des Gerichts mit Verfügung vom 31.08.2020 und gerichtlichem Vergleichsvorschlag vom 01.09.2021 in dem Verfahren 2F 425/20 e.A. ist die Kindsmutter gar nicht erst eingegangen, obwohl dadurch eine Trennung des Kindes von ihr hätte verhindert werden können. Mildere, gleich geeignete Mittel sind damit vorliegend nicht gegeben. Im Hinblick auf das Verhalten der Kindsmutter ist es vorliegend auch verhältnismäßig, ihr das gesamte Sorgerecht zu entziehen und das Kind von der Mutter zu trennen. Denn bei ... ist mittlerweile ein erheblicher Schaden eingetreten, nämlich eine massive Entfremdung vom Kindsvater, zu dem sie noch 2017 eine gute Beziehung hat. [...] Trotz der Gegenbeweise lässt die Kindsmutter T. in dem Glauben aufwachsen, ihr Vater hätte sie missbraucht. Damit gefährdet die Kindsmutter das Kindeswohl nachhaltig. Denn dies hat ähnliche belastende Auswirkungen, als hätte ein tatsächlicher Missbrauch stattgefunden (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.12.2018 – 17 UF 96/18 –, BeckS 2018, 39645; ebenso hierzu Volbert, in: Steller/Volbert, Psychologie im Strafverfahren, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 49). Darüber hinaus vermittelt die Kindsmutter T. wahrheitswidrig, der Vater habe auch die Halbschwester ... missbraucht und sogar ermordet. Die Kindsmutter nimmt damit dem Kind die Möglichkeit, der eigenen Wahrnehmung, insbesondere dem positiven Bild, das sie von ihrem Vater bis Ende 2017 gewonnen hatte, vertrauen zu können.
Eine weitere Begutachtung durch die Sachverständigen Dr. ... und ... war vor dem Gesamthintergrund für das Gericht in diesem Verfahren nicht mehr beweiserheblich. Bereits aufgrund des langen Untertauchens wurde das Kind durch die Kindsmutter zahlreichen Risikofaktoren ausgesetzt, die eine psychologische Begleitung des Kindes nach dessen Auffinden als geboten erscheinen lassen.“
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den 186 Seiten umfassenden Beschluss (Anlage K 17) Bezug genommen. Lediglich das Jugendamt S. H. legte hiergegen am 03.08.2021 Beschwerde (Anlage K 21) beim Oberlandesgericht Stuttgart ein (Az. 15 UF 173/21).
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Am 22.09.2021, 21:05 Uhr, wurden ... und die Klägerin, gegen die das Landgericht Heilbronn mit Beschluss vom 05.03.2021 (Az. 1 Qs 10/21) Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts der besonders gefährdenden Kindesentziehung gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB erlassen hatte, in Kroatien aufgegriffen. ... wurde von der Polizeistation Rijeka an die Jugendeinrichtung „I. B. M.“ in L., Omladinska No. 1, übergeben.
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Das Oberlandesgericht Stuttgart entzog dem Kindsvater vorläufig und vollständig mit einstweiliger Anordnung vom 24.09.2021 (Anlage K 18) hinsichtlich ... das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung behördlicher Angelegenheiten im In- und Ausland, insbesondere im Zusammenhang mit der Rückführung des Kindes ... von Kroatien nach Deutschland, sowie das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII und ordnete im Umfang der entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge Ergänzungspflegschaft an. Die Beklagte erstattete sodann auftragsgemäß am 28.01.2022 im laufenden Beschwerdeverfahren eine gutachterliche Stellungnahme (Anlage K 8) und legte diese dem Oberlandesgericht Stuttgart vor. Diese Stellungnahme bezog sich als ergänzendes Gutachten ausschließlich auf die gerichtliche Frage einer Gefährdung des Kindeswohls bei Ausübung der elterlichen Sorge durch den Kindsvater bzw. bei Rückführung zu ihm.
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Zur Überprüfung des Gutachtens der Beklagten vom 28.01.2022 beauftragte die Klägerin am 23.02.2022 den Rechtsanwalt und Dipl. Psychologen Dr. ... mit der Erstellung einer Stellungnahme („Expertise“), die dieser am 02.05.2022 erstellte (Anlage K 9).
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Die Verfügung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 06.04.2022 (Anlage K 22) lautet u.a.:
„Das Jugendamt wird als Beschwerdeführer gebeten, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieser Verfügung mitzuteilen, ob die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.05.2021 zurückgenommen wird. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde dem Vater die elterliche Sorge für das Kind ... übertragen.
Im Beschwerdeverfahren wurde ein Sachverständigengutachten zur Frage eingeholt, ob die Möglichkeit einer konkreten Kindeswohlgefährdung bestehe bei Ausübung der elterlichen Sorge durch den Vater. Das Gutachten liegt vor. Darin wird eine (schrittweise) Eingliederung in den Haushalt des erziehungsfähigen und erziehungsbereiten Vaters, der sich der für das Kind schwierigen Situation bewusst ist, empfohlen. Diese ist inzwischen erfolgt. Aus der ausführlichen Stellungnahme des Verfahrensbeistands ergibt sich, dass sich ... beim Vater wohlfühlt. Der Vater wird als liebevoll, ruhig, adäquat, konsequent und sicher reagierend beschrieben, so dassi ... einerseits liebevoll und vertrauensvoll, andererseits mit den nötigen Grenzen und Regeln erzogen werde. Es bestehen hiernach keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine konkrete Gefährdung des Wohls ... beim Vater besteht.
Sollte das Jugendamt das Rechtsmittel nicht zurücknehmen, wird um Darlegung der Gründe gebeten.“
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Das Jugendamt S. H. nahm mit Schreiben vom 26.04.2022 seine Beschwerde zurück (Anlage K 23), worauf das Oberlandesgericht Stuttgart den Kostenbeschluss vom 28.04.2022 erließ (Anlage K 24). Die Klägerin legte hiergegen und gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch-Hall – Familiengericht – (Az. 2 F 318/19) am 29.04.2022 (unselbständige) Anschlussbeschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart ein (Anlage K 10 = K 25). Das Oberlandesgericht Stuttgart verwarf mit Beschluss vom 03.06.2022 (Anlage K 19) die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 28.04.2022 als unzulässig. In der Entscheidung heißt es u.a.:
„Das Amtsgericht Schwäbisch Hall hat dem Antragsgegner (im folgenden Kindesvater) mit Beschluss vom 21.05.2021 die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind ..., geboren am 18.09.2013 übertragen. Den Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge hat das Amtsgericht abgewiesen; nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. ... habe eine Kindeswohlgefährdung T. bei weiterem Verbleib des Kindes im Haushalt der Kindesmutter vorgelegen. [...] Bereits im August/September 2020 waren die Kindesmutter und T. bis zur Festnahme der Kindesmutter in Kroatien im September 2021 nicht mehr aufzufinden. Am 23.06.2021 hat das Jugendamt S. H. Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegt [...] Mit Beschluss vom 14.10.2021 wurde die Sachverständige Dr. ... mit der Erstellung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens zur Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung T. bei einem zukünftigen Aufenthalt des Kindes beim Kindesvater vorliegt, beauftragt (Bl. 2164 ff. d.A.). In dem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 28.01.2022 wurde eine Kindeswohlgefährdung verneint, allerdings eine Unterstützung durch eine zu installierende sozialpädagogische Familienhilfe empfohlen (Bl. 2253 ff. d.A.). Auch der Verfahrensbeistand empfahl mit Bericht vom 30.01.2022 den Verbleib des Kindes beim Kindesvater (Bl. 2330 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 24.02.2022 zeigte die Verfahrensbevollmächtige die Vertretung der Kindesmutter an. Auf deren Antrag wurde die Frist zur Stellungnahme bis zum 29.04.2022 verlängert. Mit Senatsverfügung vom 06.04.2022 wurde das Jugendamt gebeten, mitzuteilen, ob es die Beschwerde zurücknehmen werde, da keinerlei Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung des Wohls ... beim Vater bestehen, andernfalls um Darlegung der Gründe gebeten. Das Jugendamt nahm die Beschwerde mit Schriftsatz vom 26.04.2022 zurück (Bl. 2526 d.A.). Mit Beschluss vom 28.04.2022 hat der Senat von der Erhebung von Gerichtskasten und von der Erstattung außergerichtlicher Kosten abgesehen. Am 29.04.2022 hat die Kindesmutter eine Anschlussbeschwerde erhoben.
Mit Schriftsatz vom 01.06.2022, beim Senat am gleichen Tag eingegangen, hat die Kindesmutter eine Anhörungsrüge gegen den ihr am 18.05.2022 zugegangenen Senatsbeschluss erhoben. Ihr sei verfahrensfehlerhaft kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden. Durch die gewählte Verfahrensführung habe der Senat der Kindesmutter den von ihr beabsichtigten Vortrag zu schweren inhaltlichen Mängeln der drei Sachverständigengutachten von Frau Dr. ..., vollständig abgeschnitten. Der Senat habe auf das Jugendamt mit seiner Auflage zur Begründung seiner fehlenden Rechtsmittelrücknahme erkennbar einen starken und in der Sache unangemessenen Druck ausgeübt. [...].
Die Anhörungsrüge war als unzulässig zu verwerfen. Sie ist bereits nicht statthaft.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG findet die Anhörungsrüge allein gegen Endentscheidungen statt, mithin nur gegen Beschlüsse, durch die der gesamte Verfahrensgegenstand oder ein Teil davon erledigt wird (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 44 Rn. 13).
Eine Endentscheidung hat der Senat allerdings nicht getroffen. Vielmehr wurde das Rechtsmittel durch das Jugendamt zurückgenommen. Die Rücknahme führt zum Verlust des eingelegten Rechtsmittels. Durch die Zurücknahme des Rechtsmittels erlischt die Befugnis des Beschwerdegerichts zu einer Entscheidung in der Hauptsache (Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 67 Rn. 20).“
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Die von der Klägerin gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 03.06.2022 – 15 UF 173/21 –, b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28.04.2022 – 15 UF 173/21 –, und c) den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch Hall vom 21.05.2021 – 2 F 318/19 – erhobene Verfassungsbeschwerde wurde von der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit unanfechtbarem Beschluss vom 23.08.2022 (Anlage K 8 a) nicht zur Entscheidung angenommen.
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor:
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Die Klägerin wendet sich gegen das Gutachten der Beklagten vom 22.06.2020 (Anlage K 2), deren Stellungnahme vom 17.08.2020 (Anlage K 6 = B 1) sowie deren Gutachten vom 28.01.2022 (Anlage K 8). Der Anspruch auf Schmerzensgeld ergebe sich aus § 839 a BGB. Die Forderung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin gemäß § 823 Abs. 1 BGB beziehe sich ausdrücklich nur auf das Gutachten vom 22.06.2020 sowie die Stellungnahme der Beklagten vom 17.08.2020. Die Begutachtungen der Beklagten wiesen erhebliche fachliche und methodische Fehler auf und seien schon allein deshalb im Ergebnis unbrauchbar. Die Beklagte habe ihre Gutachten vorsätzlich, wenigstens jedoch fahrlässig falsch erstattet, da sie befangen gewesen sei. Bei der Diagnose des MBPS handele es sich um eine Fehldiagnose. Die Klägerin leide nicht unter dem MBPS, was durch mehrere qualifizierten Gutachten bestätigt werden könne.
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Die Beklagte sei in ihrem Gutachten vom 22.06.2020 zu Unrecht zu dem Schluss gekommen, dass von der Klägerin eine Kindeswohlgefährdung ausgehe, da diese unter dem MBPS leide und angeblich versuche, ihrer Tochter gemeinsam mit ihren älteren Kindern einen sexuellen Missbrauch im Wege der Scheinerinnerung einzureden. Für eine vorsätzliche falsche Begutachtung der Beklagten sprächen folgende Punkte: Die Beklagte sei persönlich zu stark involviert gewesen und habe daher ein objektiv falsches Gutachten erstellt, was gegen § 407 a Abs. 2 ZPO verstoße. Die Beklagte werfe in ihrem Gutachten vom 22.06.2020 sowie in ihren weiteren Gutachten Begriffe wie „Zeugnisverweigerungsrecht“ und das „Recht die Mitwirkung zu verweigern“ durcheinander. Zudem sei im Beweisbeschluss vom 22.07.2019 eine unzulässige Delegation zur Prozessleitung auf die Beklagte als Sachverständige erfolgt. Hierauf hätte die Beklagte gemäß § 407 a Abs. 4 ZPO hinweisen müssen. Die anderen erwachsenen Kinder der Klägerin seien fehlerhaft über ihr Zeugnisverweigerungsrecht aufgeklärt worden. Die Erstattung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens ohne die ausreichende Aufklärung der Vernehmungspersonen stelle eine grobe Fahrlässigkeit und eine aus ethischer Sicht besonders gravierende Verfehlung dar. Die Beklagte sei über den Gutachtenauftrag massiv hinausgegangen, indem sie Aussagen der Klägerin und von ... für eine aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin verwendet habe, obwohl es hierfür keinen Beweisbeschluss gegeben habe. Eine Vernehmung von ... sei wegen des ausdrücklichen Widerspruchs der Klägerin unzulässig gewesen. Dies stelle einen erheblichen Verfahrensfehler gemäß § 163 a FamFG dar, auf welchen die Beklagte nach § 407 a Abs. 4 ZPO das Gericht hätte hinweisen müssen, da ihr dieses Hindernis bekannt gewesen sei. Die Ergänzungspflegerin habe an der Befragung von ... teilgenommen und durch ihre Anwesenheit und ständige Ansprechbarkeit möglicherweise indirekt Einfluss auf die Aussagen von T. genommen. Dass die Beklagte dies geduldet habe, stelle ebenfalls einen grob fahrlässigen Begutachtungsfehler dar, da die Beklagte als Gutachterin hätte wissen müssen, dass die Teilnahme von unbeteiligten Dritten an der Befragung nicht erlaubt gewesen sei. Ihre Befragungen seien extrem manipulativ und retraumatisierend für T. gewesen. Sämtliche von der Beklagten im Gutachten vom 22.06.2020 verwendeten und genannten Quellen zur Scheinerinnerung seien veraltet und befassten sich ausschließlich einseitig, nämlich in positiver Weise mit dieser Thematik. Die fehlende Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen, lasse den eindeutigen Schluss zu, dass die Gutachten der Beklagten eine tendenziöse und befangene Richtung eingeschlagen hatten und dies auch so beabsichtigt gewesen sei. Die Beklagte sei damit beauftragt gewesen, die Aussagen eines möglicherweise traumatisierten Kindes zu validieren. Da es der Beklagten an vertieften Kenntnissen der frühkindlichen Psychiatrie und Psychologie fehle, sei die Beklagte hierfür nicht qualifiziert gewesen. Auch hierüber hätten die Beklagte nach § 407a ZPO das Gericht informieren müssen.
25
Auf das fehlerhafte und im Ergebnis unzutreffende Gutachten des Dr. ... habe die Beklagte in ihrer Stellungnahme vom 17.08.2020 die Verdachtsdiagnose eines „wahrscheinlichen MBPS“ in eine gesicherte Diagnose umgedeutet und der Klägerin abweichend von der Einschätzung des Jugendamtes S. H. vom 14.08.2020 (Anlage K 5 a) eine akute Kindeswohlgefährdung unterstellt und zu einer Fremdunterbringung von ... geraten. Dabei habe sie die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... unkontrolliert und unhinterfragt übernommen. Hätte die Beklagte das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... hinterfragt, so hätte der Beklagten auffallen müssen, dass Prof. Dr. ... nicht ausreichend qualifiziert sei, als Kinderarzt einer Erwachsenen eine psychiatrische Diagnose zu stellen, noch dies ohne die Betroffenen Personen je gesehen oder gesprochen zu haben. Auch hätte Beklagten auffallen müssen, welche Mängel und methodischen Fehler das Gutachten von Prof. Dr. ... enthalte. Das Verhalten der Beklagten lasse darauf schließen, dass Prof. Dr. ... in Kontakt mit der Beklagten gestanden und es von vornherein ein übereinstimmendes gewünschtes Ergebnis gegeben habe, das in die Haltung und Thesen der Beklagten passe.
26
Schließlich habe die Beklagte in ihrem Gutachten vom 28.01.2022 Unterlagen verwendet, die ihr der Kindsvater nicht über den offiziellen Weg über das Gericht, sondern direkt übermittelt habe. Die Auswertung einseitig verwendeter Dokumente verstoße gegen § 407a Abs. 2 ZPO.
27
Die Beklagte habe im aussagepsychologischen Gutachten vom 22.07.2022 [sic] Aussagen zur Erziehungsfähigkeit der Klägerin getroffen. Damit habe sie sich mit fachfremden Erwägungen beschäftigt, die nicht zu einem aussagepsychologischen Gutachten gehören sollten.
28
Die Klägerin habe es nicht schuldhaft unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen, indem sie mit ihrer Töchter ins Ausland geflohen sei.
29
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin jeweils ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens jedoch insgesamt 50.000 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 2.306,82 € freizustellen. [...]
4. der Antragstellerin für die erste Instanz über den Streitwert in Höhe von 50.000 € hinaus Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
5. der Antragstellerin zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte über einen Streitwert von 50.000 € hinaus die Prozessbevollmächtigte als Rechtsanwältin beizuordnen,
6. im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, den Klageantrag zu 1. abzuändern und ein höheres Schmerzensgeld, mindestens jedoch 200.000 € zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, zu zahlen,
7. im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, der Klägerin eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung für die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu bezahlen, mindestens jedoch insgesamt 50.000 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
8. im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens in Höhe von 14.665,56 € zu zahlen,
9. die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs an die Gegnerin unabhängig von den Erfolgsaussichten zu veranlassen.
30
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
31
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor:
32
Für den Gutachtensauftrag gemäß Beweisbeschluss sei die Beklagte qualifiziert gewesen. Die Beklagte habe die Klägerin weder hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines MBPS begutachtet noch eine entsprechende Diagnose bei dieser gestellt. Die streitgegenständliche Begutachtung habe dem fachärztlichen Standard entsprochen. Die Beklagte verfüge über die erforderlichen Fachkenntnisse. Sie bestreitet, befangen oder persönlich zu stark involviert gewesen zu sein sowie jeglichen Vorsatz und dass der Klägerin kein kausaler Schaden entstanden sei.
33
Das Vorliegen eines MBPS könne die Beklagte als Nichtmedizinerin gar nicht diagnostizieren. Deswegen habe die Beklagte das Gericht auch schon zu Beginn der Begutachtung darum gebeten, ein Gutachten zur Beurteilung dieser Frage einzuholen. Hiermit sei sodann Dr. P. beauftragt worden.
34
Es hätten im Hinblick auf den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch-Hall vom 30.10.2019 auch keine unerlaubte Vernehmung von ... oder aussagepsychologische Begutachtungen der Übrigen, insbesondere der Klägerin, stattgefunden. Die Beklagte sei hierzu vom Gericht ermächtigt worden. Die Einwilligung der Klägerin sei familiengerichtlich ersetzt worden. Zudem sei sie zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig sorgeberechtigt gewesen. Die Vernehmung sei daher zulässig gewesen. Andere Personen seien von der Beklagten nicht „aussagepsychologisch begutachtet“ worden. Eine aussagepsychologische Begutachtung bedeute, dass die auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Aussage einer Zeugin (hier: ...) im Hinblick auf das Vorliegen von sog. „Realkennzeichen“ (d.h. Merkmalen, die die Erlebnisbasierung der Aussage stützen würden) und Konstanz sowie im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte analysiert werde. Dies sei nur in Bezug auf die Aussage von ... erfolgt. Die Aussagen anderer Personen, wie z.B. der Klägerin oder den Geschwistern von ..., seien einer solchen Untersuchung nicht unterzogen worden, d.h. es gebe keine „aussagepsychologischen Begutachtungen von allen“. Bei einer aussagepsychologischen Begutachtung seien auch Aussagen anderer Zeugen lediglich zu berücksichtigen. Im übrigen sei die Beklagte im Hinweisbeschluss vom 02.12.2019 (Anlage 3 zu SS BV vom 11.12.2024) vom Gericht angewiesen worden, u.a. die Zeugen ... und ... in ihre Begutachtung mit einzubeziehen.
35
Im Hinblick auf den Gerichtsbeschluss vom 22.07.2019 sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte als Sachverständige Gehilfe des Gerichts sei und dieses ihre Tätigkeit anleite (§ 404a ZPO). Das Gericht könne demnach Weisungen aussprechen, denen die Beklagte zu folgen habe. Bei aussagepsychologischen Begutachtungen werde in der Fachliteratur empfohlen, den Zeugen ggf. über sein Zeugnisverweigerungsrecht aufzuklären, obwohl eine Belehrung eigentlich Aufgabe des Gerichts sei. Alle von der Beklagten Untersuchten seien über alle Zwecke der Begutachtung aufgeklärt worden, auch über den Zweck der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von T.. Prof. Dr. ... sei ein international anerkannter und renommierter Experte für das MBPS. Die Beklagte kenne diesen aus der Fachliteratur, jedoch nicht persönlich. Die Diagnose müsse hier auch von Ärzten bzw. Kinderärzten erfolgen. Insofern könne die Beklagte auch nicht beurteilen, inwiefern ein Gutachten zur Diagnosestellung methodisch angreifbar wäre. Die Anknüpfungstatsachen habe das Gericht anzugeben, wonach sich die Beklagte dann richten müsse.
36
In dem Gutachten der Beklagten vom 22.06.2020 sei aussagepsychologische Literatur bis zum Jahr 2019 berücksichtigt, u.a. mehrfache Zitate zu Scheinerinnerungen bis zum Jahr 2019 (z.B. Steller, 2019). Inwiefern die Literatur „veraltet“ sein soll, könne nicht nachvollzogen werden.
37
Die Beklagte sei als Sachverständige mit der Fragestellung einer Kindeswohlgefährdung beauftragt gewesen Mit dem Schreiben vom 17.08.2020 habe sie eine aktuelle Kindeswohlgefährdung gemeldet, u.a. aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. ..., aber auch aufgrund von eigenen Beobachtungen. Bei der Frage einer Kindeswohlgefährdung gehe es auch immer darum, das Risiko einer solchen einzuschätzen, also eine entsprechende Wahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die durch die gutachtliche Aussage, dass die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit unter MBPS leide, müsse daher ernst genommen werden und sei lege artis in die Risikoeinschätzung eingeflossen.
38
Das Gutachten vom 28.01.2022 habe sich rein auf den Kindsvater bezogen. Die Klägerin sei nicht verfahrensbeteiligt gewesen. Die direkte Zusendung von Unterlagen an die Beklagte durch den Kindsvater entspreche gängiger Praxis und sei nicht zu beanstanden. Es werde dadurch auch keine einseitige Quelle verwendet.
39
Die aussagepsychologischen Gutachten der Beklagten vom 22.06.2020 und 04.02.2021 (Anlage K 7) seien als Sachverständigenbeweis nur Bestandteil einer Vielzahl an Beweisen im Rahmen der Beschlussbegründung vom 21.05.2021 gewesen. Zum Gutachten vom 04.02.2021 sei von der Richterin selbst auf S. 184 der Beschlussbegründung angemerkt, „eine weitere Begutachtung durch die Sachverständigen Dr. ... und ... war vor dem Gesamthintergrund der Kindsmutter für das Gericht in diesem Verfahren nicht mehr beweiserheblich“, u.a. aufgrund des gefährdenden „langen Untertauchens“ der Kindsmutter.
40
Schließlich habe die Klägerin keine selbständige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch-Hall vom 21.05.2021 eingereicht. Die Klägerin sei in der Lage gewesen, eine Entscheidung herbeizuführen und gegebenenfalls auch weitere Rechtsmittel zu ergreifen.
41
Das Gericht hat die Parteien informatorisch angehört. Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien samt den beigefügten Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 12.12.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
42
Die zulässige Klage ist unbegründet.
43
1. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche gegen die Beklagte auf Schmerzensgeld gemäß §§ 839 a Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
44
Nach dieser Vorschrift haftet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt und eingereicht hat und einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung, welche auf diesem Gutachten beruht, ein materieller oder immaterieller Schaden entsteht.
45
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte ihre gutachterlichen Sorgfaltspflichten, und wenn ja welche nach §§ 163, 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 402 ff. ZPO verletzt hat, denn diese erfolgten zum einen jedenfalls nicht grob fahrlässig, geschweige denn vorsätzlich (b.) und zum anderen sind hier jedenfalls die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nach §§ 839 a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB zu bejahen (c.).
46
a. Sowohl der persönliche, als auch der sachliche und der zeitliche Anwendungsbereich des § 839 a Abs. 1 BGB sind eröffnet.
47
aa. Die Beklagte wurde unstreitig mit Beweisbeschluss des Amtsgerichts Schwäbisch-Hall vom 23.07.2019 (Anlage 1 zu SS BV vom 11.12.2024) zur Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragt.
48
bb. Auch wurde sie unstreitig mit Beweisbeschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14.10.2021 mit der Erstellung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens beauftragt.
49
cc. Die angegriffenen Gutachten der Beklagten datieren auf den 22.06.2020 (Anlage K 2), den 17.08.2020 (Anlage K 6 = B 1) sowie den 28.01.2022 (Anlage K 8). Die mutmaßlich schädigenden Ereignisse sind daher nach dem 31.07.2002 eingetreten, Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB.
50
b. Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 839 a Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB scheitert bereits daran, dass die Gutachten bzw. die Stellungnahme nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch erstellt wurden.
51
aa. So entfällt der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bereits, wenn das in Auftrag gebende Gericht die Vorgehensweise des Sachverständigen billigt (OLG Köln, Urt. v. 27.03.2012 – I-4 U 11/11 –, juris). Für den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit muss eine Pflichtverletzung vorliegen, die sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht besonders schwer wiegt. Unter grober Fahrlässigkeit ist eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung zu verstehen, welche dann anzunehmen ist, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn also ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 1 BGB erheblich übersteigt, wobei auch subjektive, in der Person des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. Zimmerling in Juris PK-BGB, 5. Aufl., 2010, 839 a BGB).
52
bb. Von einer solchen groben Pflichtverletzung kann jedenfalls nicht ausgegangen werden. Dies gilt umso mehr als sowohl das Amtsgericht Schwäbisch-Hall als auch das Oberlandesgericht Stuttgart trotz Kenntnis des aussagepsychologischen Gutachtens der Beklagten vom 22.06.2020 (Anlage K 2) und der Stellungnahme vom 17.08.2020 (Anlage K 6 = B 1) keine Veranlassung gesehen haben, ein Obergutachten einzuholen. Ganz im Gegenteil beauftragte das Oberlandesgericht Stuttgart am 14.10.2021 die Beklagten sogar mit der Erstellung eines weiteren familienpsychologischen Sachverständigengutachtens.
53
Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass es gerade oder allein das aussagepsychologische Gutachten der Beklagten vom 22.06.2020 oder deren Stellungnahme vom 17.08.2020 waren, welche das Oberlandesgericht veranlassten, von einer Einholung eines Obergutachtens abzusehen.
54
So kann die Kammer nicht erkennen, dass die Beklagte bewusst oder grob fahrlässig gegen zwingende fachliche Grundregeln verstoßen hätte und somit vorwerfbar fehlerhaft die Begutachtung vornahm und zwingend vorhersehbar zu falschen Ergebnissen kam.
55
c. Die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nach §§ 839 a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB liegen vor.
56
aa. Gemäß § 839 Abs. 3 BGB, welcher gemäß § 839 a Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden ist, entfällt die Haftung des Sachverständigen aufgrund des Vorrangs des Primärrechtsschutzes (vgl. Staudinger/Staudinger/Wöstmann (2020) BGB § 839 a Rn. 27) im Falle schuldhafter Nichteinlegung eines Rechtsmittels. Dadurch soll dem erneuten Aufrollen rechtskräftig abgeschlossener Verfahren durch Betreiben eines Haftungsprozesses gegen einen gerichtlichen Sachverständigen Schranken gesetzt werden (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 34 Rn. 13).
57
Unter einem Rechtsmittel sind dabei alle Rechtsbehelfe zu verstehen, mit denen sich der Geschädigte gegen das Gutachten selbst oder die auf diesem beruhende gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel ihrer Aufhebung oder Abänderung zur Abwendung oder Minderung des Schadens wenden kann (OLG Saarbrücken, BeckRS 2017, 133752 Rn. 186). Rechtsmittel sind daher zunächst alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten richten und sowohl bestimmt als auch geeignet sind, dessen Auswirkungen auf die Instanz beendende Entscheidung zu verhindern, etwa der Antrag auf mündliche Anhörung, Vorlage von Einwendungen und Fragen (§§ 163, 30 Abs. 1 und 4 FamFG i.V.m. § 411 Abs. 4 ZPO) bezüglich des Gutachtens im Rahmen der Anhörung oder die Beantragung eines weiteren (Ober-)Gutachtens (§§ 163, 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO), umso von vornherein ein auf dem Gutachten beruhende falsche Entscheidung zu verhindern (BGH, Beschl. v. 27.07.2017 – III ZR 440/16; NJW-RR 2017, 1105; vgl. Grüneberg, BGB, 84. Aufl. 2025, § 839 a Rn. 5). Darüber hinaus sind alle Rechtsmittel einzulegen, mit denen die auf dem Gutachten beruhende gerichtliche Entscheidung (Urteil, Beschluss, Verfügung) angegriffen werden kann, also neben den ordentlichen Rechtsmitteln Berufung, Revision und Beschwerde (hier nach §§ 58 ff. FamFG) auch gegebenenfalls zulässige Gegenvorstellungen (§§ 163, 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 411 Abs. 4 ZPO), Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde oder innerprozessuale Rechtsbehelfe wie bloße Hinweise und Nachfragen sowie das Hinwirken auf eine ergänzende Anhörung des Sachverständigen im Rahmen der 2. Instanz (vgl. Geigel, a.a.O.).
58
Die Ablehnung des Gutachters wegen Befangenheit gemäß § 6 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 406, 42 ff. ZPO ist hingegen kein Rechtsmittel gegen ein unrichtiges Gutachten, zumal der Antrag unter Umständen gestellt werden muss, bevor das Gutachten überhaupt vorliegt (vgl. MüKoBGB, § 839 a Rn. 30). Das Abrechnungsverfahren ist zudem konzeptionell nicht auf den Ausschluss von Sachverständigen wegen Lücken oder Mängeln ihrer Gutachten gerichtet, sondern soll ausschließlich die Unparteilichkeit des Sachverständigen sichern (Geigel, a.a.O.).
59
Die Einholung eines Privatgutachtens zählt ebenso wenig zu den „Rechtsmitteln“ i.S.v. §§ 839 a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB (BGH, Beschl. v. 27.07.2017 – III ZR 440/16 –, juris Rn. 7) wie die Verfassungsbeschwerde nach Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a, 4b GG i.V.m. § 13 Nr. 8 a, §§ 90 ff. BVerfGG (Geigel, a.a.O.).
60
bb. Zwar kann gegen einen Beweisbeschluss und eine richterliche Anordnung nach § 163 Abs. 2 FamFG ebenso wie gegen andere prozessleitende Verfügungen grundsätzlich keine Beschwerde eingelegt werden, § 58 Abs. 1 FamFG. Auch unterliegen Zwischenentscheidungen erst im Rahmen der Beschwerde gegen die Endentscheidung der Beurteilung durch das Beschwerdegericht, § 58 Abs. 2 FamFG (vgl. MüKoFamFG, 4. Aufl. 2025, FamFG § 163 Rn. 27).
61
Die Klägerin war jedoch gehalten, aufgrund des auch bei der Sachverständigenhaftung geltenden Vorrangs des Primärschutzes durch Einlegung von Rechtsmitteln, hier einer eigenen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch Hall vom 21.05.2021 – 2 F 318/19 – und in zweiter Instanz ggf. durch Nachfragen sowie das Hinwirken auf eine ergänzende Anhörung der Sachverständigen auf eine Korrektur des ihrer Meinung nach grob unrichtigen Sachverständigengutachtens und der gutachterlichen Stellungnahme hinzuwirken.
62
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass davon auszugehen sei, dass die mündliche Befragung und Erläuterung des Gutachtens kein taugliches Mittel sei, entweder die Mängel des Gutachtens in befriedigender Weise zu beheben oder diese Mängel so deutlich hervortreten zu lassen, dass dem Gericht die Überzeugung von der Unbrauchbarkeit des Gutachtens vermittelt würde. Die unmittelbare persönliche Konfrontation im Austausch von Rede und Gegenrede in Anwesenheit des Gerichts stellt nämlich ein effektives zusätzliches Instrument der Wahrheitsfindung dar (OLG Köln, Urt. v. 27.03.2012 – I-4 U 11/11 –, juri, BGH a.a.O.). So wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, auf Antrag die Sachverständige (Beklagte) zur mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens zu laden. Der Klägerin ist daher der Vorwurf in zweifacher Hinsicht zu machen, da sie auch im Berufungsverfahren – aus welchen Gründen auch immer – nicht die Erläuterung des Gutachtens beantragt hat.
63
Die Klägerin kann sich dabei auch nicht darauf berufen, dass sie innerhalb etwaiger Stellungnahme- bzw. Beschwerdefristen keine Kenntnis vom Inhalt der Gutachten hatte. Denn die Beklagte ist nicht schutzwürdig, da sie sich mit ... eigenmächtig ins Ausland abgesetzt und damit dem Verfahren entzogen hatte. So verließ sie nach ihren eigenen Angaben im Rahmen der informatorischen Anhörung zusammen mit ... im August 2020 Deutschland und blieb mit dieser bis September 2021 im Ausland. Die Klägerin war deswegen und aufgrund Haftbefehls des Landgerichts Heilbronn vom 05.03.2021 (Az. 1 Qs 10/21) wegen des dringenden Tatverdachts der besonders gefährdenden Kindesentziehung gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB sogar zur Fahndung ausgeschrieben.
64
2. Andere (deliktische) Anspruchsgrundlagen sind nicht gegeben. Die Haftung nach § 839 a BGB ist im Rahmen seines Anwendungsbereichs abschließend (BGH NJW-RR 14, 90 Tz. 14). § 823 Abs. 1 und 2 BGB sind daneben nicht anwendbar, da der Beschränkungzweck sonst unterlaufen werden würde (BGH, Urt. v. 10.10.2013 – III ZR 245/12, NJW-RR 2014, 92 Rn. 14). Dasselbe gilt für § 826 BGB (vgl. Grüneberg, a.a.O., § 839a Rn. 1b).
65
3. Mangels Hauptanspruch stehen der Klägerin auch keine Ansprüche auf Nebenforderungen zu.
66
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
67
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 100 ZPO
68
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.