Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.01.2025 – 8 CS 25.11
Titel:

Verpflichtung zur Straßenreinigung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 146 Abs. 4
BayStrWG Art. 51 Abs. 1, Abs. 4
kommunale RSVO § 4 Abs. 1, Abs. 3, § 5 S. 2 lit. b
Leitsatz:
Die Verpflichtung des Grundstückseigentümers zur Reinigung einer öffentlichen Straße, zu der er aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen keinen Zugang und keine Zufahrt nehmen kann, entfällt erst dann, wenn von dem Grundstück lediglich unerhebliche Verschmutzungen ausgehen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, Straßenreinigungspflicht, Vorderlieger, keine Verkehrsgefährdung, Verpflichtung zur Entfernung von Unkraut, kommunale Reinigungs- und Sicherungsverordnung/RSVO, Straßenreinigung, Straßenverschmutzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 19.12.2024 – AN 10 S 24.2939
Fundstelle:
BeckRS 2025, 756

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen die Verpflichtung zur Entfernung von Unkraut in der Bordsteinrinne einer an sein Grundstück grenzenden Straße.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung E* …, das im Süden an die Wiesen straße und im Norden an die Flur straße grenzt.
3
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2024 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller, das Unkraut in der Bordsteinrinne zwischen dem an sein Grundstück grenzenden Gehweg und der öffentlich zugänglichen und angrenzenden Flur straße (rot markierter Bereich in einem angefügten Lageplan) zu entfernen (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung dieser Verpflichtung wurde angeordnet (Nr. 2) und ein Zwangsgeld in Höhe von 100 € angedroht (Nr. 3). Die Verpflichtung wurde auf § 4 der Verordnung des Antragsgegners über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter (Reinigungs- und Sicherungsverordnung/RSVO) gestützt. Durch den starken Bewuchs in der Bordsteinkante bestehe die Gefahr, dass der Straßenbelag und der Bordstein Risse bilde bzw. Schäden davontrage und das Wasser in der Bordsteinrinne nicht mehr uneingeschränkt in den Entwässerungskanal laufe.
4
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 20. Oktober 2024 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Mit Schriftsatz vom 14. November 2024 beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
5
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 19. Dezember 2024 abgelehnt. Die Ausnahme nach § 4 Abs. 3 RSVO sei nicht einschlägig. Der Zugang zur Flur straße sei nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Die Straße könne vom Grundstück des Antragstellers nicht nur unerheblich verschmutzt werden. Die Anordnung sei geeignet, künftige Schäden am Straßenbelag und Gehweg zu verhindern sowie den uneingeschränkten Regenwasserabfluss zu gewährleisten.
6
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Das Angrenzen der Flur straße vermittle ihm ohne tatsächlichen Grundstückszugang keinen Vorteil. Eine erhebliche Verschmutzung der Straße können von seinem Grundstück nicht ausgehen; eine gerichtliche Feststellung des Gegenteils hätte mindestens eines Ortstermins bedurft. Aktuell bestehe mangels Vegetation ohnehin kein Handlungsbedarf mehr.
II.
7
A. Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
8
Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Oktober 2024 im Ergebnis zu Recht abgelehnt (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
9
Die Anfechtungsklage des Antragstellers hat voraussichtlich keinen Erfolg. Der Bescheid vom 4. Oktober 2024 hält einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; B.v. 23.1.2015 – 7 VR 6.14 – NVwZ-RR 2015, 250 = juris Rn. 8, jeweils m.w.N.) unter Würdigung der vom Antragsteller dargelegten Beschwerdegründe stand.
10
1. Der Antragsgegner hat die angeordnete Verpflichtung zur Entfernung von Unkraut aus der Bordsteinrinne der Flur straße dem Grunde nach auf § 4 RSVO gestützt. Mit dieser Vorschrift hat er von der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 51 Abs. 1 und 4 Bay-StrWG Gebrauch gemacht und die gemeindliche Straßenreinigungspflicht innerhalb der geschlossenen Ortslage auf die Eigentümer der angrenzenden oder mittelbar erschlossenen Grundstücke und die zur Nutzung dinglich Berechtigten abgewälzt.
11
Die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 4 Abs. 3 RSVO hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend verneint (vgl. Urteilsabdruck [UA] S. 9 f.). Hiernach brauchen die Vorderlieger eine öffentliche Straße nicht zu reinigen, zu der sie aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen keinen Zugang und keine Zufahrt nehmen können und die von ihrem Grundstück aus nur unerheblich verschmutzt werden kann. In solchen Fällen fehlt es an der objektiven Beziehung des Grundstücks zu der Straße, die es rechtfertigt, deren Eigentümer zur Straßenreinigung heranzuziehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1974 – VII C 50.72 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 23 = juris Rn. 22 ff.; BayVGH, U.v. 8.4.1981 – Nr. 149 IV 77 – VGHE 34, 78/80 f.). Für eine ausreichende objektive Beziehung zu der Straße genügt die Möglichkeit, für das Grundstück einen Zugang oder eine Zufahrt zu schaffen. Sie kann aber auch darin liegen, dass die konkrete – nicht nur hypothetische – Möglichkeit einer nicht völlig unerheblichen Verschmutzung der Straße durch das Anliegergrundstück besteht.
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Hiervon ausgehend greift das Zulassungsvorbringen, aus dem Angrenzen des Grundstücks an die Wiesen straße (richtig: Flur straße) ergebe sich mangels tatsächlichen Grundstückszugangs kein Vorteil, zu kurz. Darauf, ob ein Zugang oder eine Zufahrt tatsächlich besteht, kommt es nicht an (vgl. auch Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 918; Schmid in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 51 Rn. 94). Dass der Antragsteller aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gehindert sein könnte, einen Zugang zur Flur straße anzulegen (vgl. BVerwG, U.v. 11.3.1988 – 4 C 78.84 – NVwZ 1988, 824 = juris Rn. 11), ist weder aufgezeigt noch sonst erkennbar.
13
Die Wertung des Verwaltungsgerichts, eine nicht völlig unerhebliche Straßenverschmutzung durch das Anliegergrundstück des Antragstellers sei möglich, ist voraussichtlich rechtsfehlerfrei (vgl. UA S. 10). Die Tatsache, dass sich unmittelbar an der Grundstücksgrenze zur Flur straße eine Hecke und Büsche befinden, deren Laub oder Äste herabfallen und die Straße nicht nur völlig unerheblich verschmutzen können (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1974 – VII C 46.72 – NJW 1974, 1915 = juris Rn. 21; Schmid in Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 94), ergibt sich anhand von Lichtbildern (vgl. elektronische VG-Akte S. 40; unpaginierte Behördenakte Bl. 4, 9, 13 und 43 ff.). Einer Ortseinsicht durch das Gericht bedurfte es daher nicht (vgl. auch BVerwG, B.v. 19.3.2015 – 4 B 65.14 – ZfBR 2015, 702 = juris Rn. 11 ff.; BayVerfGH, E.v. 20.4.2021 – Vf. 44-VI-20 – BayVBl 2021, 516 = juris Rn. 40 m.w.N.).
14
Da die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 RSVO nicht vorliegen, verhilft der Umstand, dass das Verwaltungsgericht den Antragsteller zu Unrecht nicht als Vorderlieger eingeordnet hat (vgl. UA S. 10), der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Grundstück des Antragstellers grenzt innerhalb der geschlossenen Ortslage an die Flur straße (vgl. § 4 Abs. 1 RSVO); eines dahinterliegenden Grundstücks (Hinterlieger) bedarf es nicht.
15
2. Der Umstand, dass das der Unkrautbewuchs in der Bordsteinrinne derzeit winterbedingt erheblich eingeschränkt ist (vgl. das vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 17.1.2025 vorgelegte Foto), hat keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids. Maßgeblicher Zeitpunkt des Anfechtungsbegehrens ist derjenige der Behördenentscheidung am 4. Oktober 2024 (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 55 f.). Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt nicht vor; bei der getroffenen Verpflichtung handelt es sich um eine einmalige Gebotsverfügung (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.2018 – 7 C 18.18 – DVBl 2019, 905 = juris Rn. 15).
16
3. Der Vorhalt der Beschwerde, das Wasser im Rinnstein staue sich nicht aufgrund des Unkrautbewuchses, sondern wegen der baulichen Beschaffenheit des Straßenbelags, greift ebenfalls nicht durch. Die mit dem angegriffenen Bescheid durchgesetzte Reinigungsverpflichtung aus Art. 51 Abs. 1 und 4 BayStrWG i.V.m. § 4 Abs. 1 und 2 und § 5 Satz 2 Buchst. b RSVO dient der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit“; weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte des Art. 51 BayStrWG (vgl. LT-Drs. 5/2865 S. 7 und 17; LT-Drs. 3/769 S. 4 und 23 zu Art. 13 LStVG a.F.) deuten darauf hin, dass nur verkehrsgefährdende Verunreinigungen erfasst sein könnten (in diese Richtung aber Schmid in Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 33 unter Bezugnahme auf BGH, U.v. 14.2.2017 – VI ZR 254/16 – NJW-RR 2017, 858 = juris Rn. 9). Innerhalb geschlossener Ortschaften besteht auch ein Bedürfnis, über die Verkehrssicherheit hinaus zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – insbesondere aus Gründen der Hygiene und öffentlichen Sauberkeit – die Straßen zu reinigen (vgl. auch OVG LSA, B.v. 26.5.2009 – 3 L 806/08 – NVwZ-RR 2009, 854 = juris Rn. 9; Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, Kapitel 42 Rn. 24; Wendrich, NZA 1990, 89/91).
17
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
18
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Anwendung von Nr. 43.5 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (halber Auffangwert). Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).