Titel:
Bauaufsichtliche Anordnung bei baulichen Missständen.
Normenkette:
BayBO Art. 54
Schlagwort:
Bauaufsichtliche Anordnung bei baulichen Missständen.
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 21.09.2023 – B 2 K 21.1151
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7381
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Anordnung vom 29. September 2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 13. April 2022, mit der er verpflichtet wurde, wegen baulicher Missstände (teilweise eingebrochenes Flachdach, Feuchteschäden) die öffentlichen Verkehrsflächen vor einem Anbau im Bereich des Anwesens … … … … entsprechend dessen Breite und mit einer Tiefe von 4 m ab der Hauswand gegen das Herabfallen loser Putz- und Mauerteile zu sichern und den Anbau zu beseitigen.
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Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten angesichts des sich stetig verschlechternden Zustands des Anbaus bautechnischer Handlungsbedarf bestehe. Der Sachverständige sei in seinem Gutachten vom 15. Juni 2023 zu der Erkenntnis gelangt, dass das Dach bei Windlast in Teilen oder als Gesamtes von den Wänden abgehoben und unkontrolliert zu Boden stürzen könne. Dadurch verlöre sich auch die aussteifende Wirkung der Dachscheibe und die Standsicherheit der Mauerwerkswände im Obergeschoss. Es könne zu weiteren Tragwerkseinbrüchen kommen. Durch den unkontrollierten Einsturz könne es zu nicht abschätzbaren Folgeschäden an der Tragkonstruktion kommen und die Standsicherheit des Gebäudes akut gefährdet werden. Die Anordnung zur Absicherung der öffentlichen Verkehrsfläche stütze sich auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO; von dem Gebäudeteil gehe die Gefahr herabstürzender Außenwandteile aus, was die Schaffung einer angemessenen Sicherheitszone auf dem angrenzenden öffentlichen Gehweg rechtfertige. Auch die Beseitigungsanordnung nach Art. 54 Abs. 4 BayBO sei rechtmäßig. Angesichts des desolaten Gebäudezustands mit einem zu einem Drittel eingebrochenen Flachdach und einer völlig durchnässten Bausubstanz bestehe eine akute Gefahrenlage mit ernsthaften Risiken für unbeteiligte Dritte. Die Beseitigung des Anbaus sei verhältnismäßig, da es sich um die kostengünstigste Handlungsvariante zur effektiven Gefahrenabwehr handle. Es bleibe dem Kläger unbenommen, die Standsicherheit des Gebäudes im Wege der Instandsetzung wiederherzustellen; die Beklagte habe keine Baueinstellung verfügt.
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Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was innerhalb offener Frist zur Begründung des Zulassungsantrags dargelegt wurde (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen. Nur mit einer Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens oder der Darstellung der eigenen Rechtsauffassung wird dem Darlegungsgebot nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2025 – 9 ZB 24.266 – juris Rn. 15; B.v. 30.11.2021 – 9 ZB 21.2366 – juris Rn. 11 ff.).
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Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe seinen Sachvortrag übergangen, er sei zu Ortseinsichten nicht eingeladen worden. Er bestreite die Behauptungen der Beklagten zum Zustand des Hauses. Herabfallende Putzteile führten nicht zu einer Gefährdung von Leben und Gesundheit. Die angeordneten Maßnahmen seien sowohl dem Grunde als auch dem Umfang nach nicht gerechtfertigt. Das Haus sei standsicher. Der Kläger habe erfolglos nach Fachhandwerkern zur Dachsanierung gesucht. Die Reparatur des Daches sei von der Beklagten von Anfang an in rechtswidriger Weise ausgeschlossen worden. Die gerichtliche Beauftragung des Sachverständigen sei nicht rechtmäßig erfolgt. Dem Sachverständigen sei ohne Zustimmung des Klägers das Gutachten aus dem Zivilverfahren ebenso wie die Gerichtsakte weitergeleitet worden, weshalb dieser das Gutachten nicht unvoreingenommen habe erstellen können. Der gewählte Sachverständige sei für Beton- und Stahlbetonbau, nicht jedoch für Mauerwerkswände sachverständig, er sei für die Erstellung des Gutachtens fachlich nicht geeignet. Das Gutachten sei wegen der Fachfremdheit des Gutachters nicht verwertbar; es sei auch inhaltlich falsch, da das Dach keine aussteifende Wirkung für das Gebäude habe.
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Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen. Der Kläger wiederholt weitgehend nur erstinstanzliches Vorbringen und genügt damit schon nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen, weil entsprechend der Feststellungen des Sachverständigen von einer akuten Gefahrenlage mit ernsthaften Risiken für unbeteiligte Dritte auszugehen ist. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Mit dem Bestreiten der baulichen Missstände greift der Kläger im Wesentlichen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) an. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann die Beweiswürdigung wegen der eingeschränkten Überprüfbarkeit der richterlichen Überzeugungsbildung aber nur dann begründen, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder etwa gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung noch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 9 ZB 16.2300 – juris Rn. 7; B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 9). Das pauschale Bestreiten der Ausführungen des Sachverständigen, an dessen Eignung aus Sicht des Senats keine Zweifel bestehen und dessen Bestellung verfahrensgemäß erfolgte, vermag die verwaltungsgerichtliche Feststellung der durch bauliche Missstände drohenden Gefahrensituation nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass im Wege der Amtsermittlung die Beiziehung der Akte des Amtsgerichts H. auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers im Interesse der Vermeidung einer Doppelbegutachtung zulässig und die Beweisaufnahme nicht auf eine Begutachtung der Fassade beschränkt war, sondern sich im Rahmen der benannten Beweiserhebung über den „Erhaltungszustand des Anbaus“ gehalten hat. Mit der Übersendung der Gerichtsakte einschließlich des beigezogenen Gutachtens im zivilgerichtlichen Verfahren standen dem Sachverständigen sämtliche einschlägigen Bauakten zur Fertigung des Gutachtens zur Verfügung. Anhaltspunkte für eine geltend gemachte Voreingenommenheit des Gutachters ergeben sich hieraus nicht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, schließt die öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger für Beton- und Stahlbau eine Eignung als Sachverständiger für den vorliegenden Fall nicht aus. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht haben weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Baueinstellung nicht verfügt wurde; im streitgegenständlichen Bescheid wurde ausdrücklich die Instandsetzung des Anbaus als Handlungsalternative aufgeführt.
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2. Soweit der Kläger sinngemäß eine Gehörsrüge erhebt, da er mit – nicht näher benanntem – Sachvortrag übergangen worden sei, ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 138 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Das rechtliche Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandards, dass ein Kläger die Möglichkeit hat, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238/241).
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Das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich mit dem Sachvortrag des Klägers befasst. Aufgrund seiner Einwände im Hinblick auf die Standsicherheit des Gebäudes hat es die Akten aus dem zivilgerichtlichen Verfahren beigezogen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis über den Erhaltungszustand des Gebäudes erhoben. Anhaltspunkte für ein „Übergehen“ des klägerischen Vortrags sind nicht ersichtlich. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern – gestützt auf die Feststellungen in der Beweisaufnahme – zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45; BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerwG, B.v. 15.8.2019 – 5 B 11.19 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 16.3.2019 – 15 ZB 20.293 – juris Rn. 5 m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung der Anträge auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).