Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.04.2025 – 7 CE 25.369
Titel:

Befreiung von der Schulpflicht.

Normenketten:
BayEUG Art. 36
BaySchO § 20 Abs. 3 S. 1
Schlagwort:
Befreiung von der Schulpflicht.
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 03.02.2025 – M 3 E 24.7032
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7377

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu erreichen, für das restliche Schuljahr 2024/2025 von der Schulpflicht befreit zu werden, hilfsweise die Schulpflicht durch den Besuch der web-individualschule B. erfüllen zu dürfen.
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Der Antragsteller besucht seit dem Schuljahr 2023/2024 die Mittelschule seines Schulsprengels. Er leidet u.a. am Asperger-Syndrom und ist seit April 2024 krankgeschrieben. Seitdem hat er weder den Präsenzunterricht besucht, noch wurde er anderweitig beschult. Mit Schreiben vom 15. Juni 2024 beantragten die Eltern des Antragstellers beim Staatlichen Schulamt ein Ruhen der Schulpflicht ihres Sohnes. Dessen Beschulung solle allein durch die web-individualschule erfolgen. Das Staatliche Schulamt wies mit Schreiben vom 23. Juli 2024 darauf hin, dass ein Ruhen der Schulpflicht in Bayern nicht möglich sei. Eine Befreiung vom Besuch des Präsenzunterrichts komme nur für besonders belastende Unterrichtsstunden in Betracht, wenn eine diesbezügliche Unzumutbarkeit durch Atteste belegt sei. Hierüber entscheide gemäß § 20 BaySchO die Schule. Die web-individualschule sei den in Art. 36 Abs. 1 BayEUG genannten Schulen nicht gleichwertig. Mit Schreiben vom 4. September 2024 beantragten die Eltern des Antragstellers daraufhin bei seiner Mittelschule, ihn für das restliche Schuljahr 2024/2025 zu beurlauben. Seine Beschulung solle ausschließlich durch die web-individualschule erfolgen. Ein Bescheid der Schule erging nach Aktenlage bislang nicht. Mit Schriftsatz vom 20. November 2024 erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht mit dem Antrag, das Staatliche Schulamt zu verpflichten, ihn für das restliche Schuljahr 2024/2025 von der Schulpflicht zu befreien. Seinen Eilantrag vom selben Tag, mit dem er die vorläufige Verpflichtung begehrt, ihn für das Schuljahr 2024/2025 von der Schulpflicht zu befreien sowie hilfsweise, ihm vorläufig die Erfüllung der Schulpflicht durch den Besuch der web-individualschule zu gestatten, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Februar 2025 ab. Zur Begründung führt es insbesondere aus, für das Begehren des Antragstellers, ein Ruhen der Schulpflicht auszusprechen, gebe es in Bayern keine Rechtsgrundlage. Zudem könne er durch den Besuch der web-individualschule nicht die Schulpflicht erfüllen.
3
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
6
Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Der Antragsteller ist bereits den Darlegungsanforderungen aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht ausreichend nachgekommen (nachfolgend 1.) und hat darüber hinaus nicht glaubhaft gemacht, beanspruchen zu können, von der Schulpflicht befreit zu werden oder der Schulpflicht durch den Besuch der web-individualschule nachkommen zu dürfen (nachfolgend 2.).
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1. Das Vorbringen des Antragstellers genügt bereits nicht den Anforderungen, die § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an die Darlegung der Beschwerdegründe stellt.
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Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Verlangt werden substantiierte Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen der angegriffene Beschluss fehlerhaft und daher abzuändern oder aufzuheben ist (vgl. Kuhlmann/Wysk in Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2024, § 146 Rn. 24). Bloße Bezugnahmen auf erstinstanzliches Vorbringen sind regelmäßig unzureichend (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22b).
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Im Schriftsatz des Antragstellers vom 4. März 2025 wird zunächst die angegriffene Entscheidung referiert, sodann erfolgt die inhaltliche Wiedergabe ärztlicher Gutachten, eine textlich abgesetzte, mit Anführungszeichen versehene „persönliche Sichtweise des Antragstellers und dessen Erziehungsberechtigten“ und unter dem Gliederungspunkt „II. Anspruchsgrundlage“ allgemeine Ausführungen dazu, wie der Antragsteller zur Auffassung gelangt, er habe einen Anspruch auf Befreiung von der Schulpflicht. Im nachgereichten Schriftsatz vom 12. März 2025, der erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO (hier 11.3.2025) beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, wird zunächst der dem Streitgegenstand zu Grunde liegende Sachverhalt referiert. Sodann setzt sich das Beschwerdevorbringen u.a. mit dem Standpunkt des Antragsgegners im behördlichen Verfahren auseinander und gibt – erneut textlich abgesetzt und mit Anführungszeichen versehen – eine „Stellungnahme“ des Antragstellers und seiner Erziehungsberechtigten wieder.
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Damit kommt der Antragsteller – ungeachtet der Frage, ob und inwieweit die Ausführungen im Schriftsatz vom 12. März 2025 überhaupt berücksichtigungsfähig sind – den gesetzlichen Darlegungsanforderungen nicht nach. Der Antragsteller zeigt nicht auf, aus welchen Gründen der Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist. Er stellt über weite Strecken schon nicht auf die Sichtweise des Gerichts, sondern auf die des Antragsgegners ab. Mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Beschluss setzt er sich weder im erforderlichen Maß noch in der erforderlichen Tiefe auseinander. Ohne auf dessen Begründung einzugehen, setzt der Antragsteller vielmehr seine Rechtsauffassung an die des zur Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichts.
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Soweit das Beschwerdevorbringen „Stellungnahmen“ des Antragstellers und seiner Erziehungsberechtigten wiedergibt, ist es wegen § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO unbeachtlich. Denn aus dem Zweck des in § 67 Abs. 4 VwGO normierten Vertretungszwangs folgt, dass vom Prozessbevollmächtigten vorgetragene (oder vorgelegte) Ausführungen seiner Mandanten nur berücksichtigt werden können, wenn er sich diese zu eigen gemacht hat. Hierzu muss das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten erkennen lassen, dass er selbst eine eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des vorgebrachten Streitstoffs vorgenommen hat (vgl. für das Berufungszulassungsverfahren BayVGH, B.v. 21.1.2015 – 14 ZB 13.489 – juris Rn. 7 m.w.N.). Daher stellt es eine unzulässige Umgehung des § 67 Abs. 4 VwGO dar, wenn der Prozessbevollmächtigte – wie hier – lediglich pauschal auf vom (nicht postulationsfähigen) Mandanten verfasste Ausführungen Bezug nimmt.
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2. Darüber hinaus hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die gegenüber dem Antragsgegner mit Haupt- und Hilfsantrag geltend gemachten Ansprüche bestehen.
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a) Der vom Antragsteller mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch, ihn für das Schuljahr 2024/2025 (vorläufig) von der Schulpflicht zu befreien, besteht nicht.
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Unstreitig ist der Antragsteller schulpflichtig i.S.v. Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayEUG, denn er erfüllt die altersmäßigen Voraussetzungen und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern. Er besucht seit April 2024 den Präsenzunterricht nicht, da er krankheitsbedingt verhindert ist, am Unterricht teilzunehmen, § 20 Abs. 1 Satz 1 BaySchO. Zum Nachweis legt er regelmäßig fachärztliche Atteste (u.a. v. 24.4.2024, 29.5.2024) vor.
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Eine Rechtsgrundlage für eine generelle Befreiung von der Schulpflicht bzw. für ein Ruhen der Schulpflicht enthalten weder das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen noch die jeweiligen Schulordnungen. Für längerfristig kranke oder aus gesundheitlichen Gründen nicht schulbesuchsfähige Schülerinnen und Schüler kann gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1 BayEUG Hausunterricht erteilt werden.
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Zwar besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass es dem Antragsteller derzeit krankheitsbedingt nicht möglich ist, am Präsenzunterricht teilzunehmen. Dies ergibt sich zuletzt aus dem vorgelegten fachärztlichen Gutachten des Dr. L. vom 13. Juni 2024 sowie aus der amtsärztlichen Untersuchung zur Einschätzung der Schulfähigkeit vom 12. September 2024. Der Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass er aktuell und prognostisch bis zum Ende des laufenden Schuljahres daran gehindert ist und sein wird, an jeglicher Unterrichtsform seiner Mittelschule teilzunehmen.
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Dass es ihm auch unmöglich wäre, am Hausunterricht im Wege des Distanzunterrichts teilzunehmen, hat der Antragsteller bereits nicht substantiiert vorgetragen. Zwar ergibt sich aus dem fachärztlichen Gutachten des Dr. L. (Regensburg) vom 13. Juni 2024, auf das auch die amtsärztliche Stellungnahme (v. 12.9.2024) Bezug nimmt, dass die Durchführung von „Hausunterricht“ beim Antragsteller zu Hause krankheitsbedingt nicht sinnvoll sei. Sowohl das Staatliche Schulamt (E-Mail v. 1.10.2024 – Bl. 26d BA), die Regierung von Oberbayern (Schreiben v. 26.11.2024 – Bl. 29b BA) als auch die Schule des Antragstellers haben jedoch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Antragsteller seine Schulpflicht zu Hause durch Teilnahme am Distanzunterricht erfüllen kann, Art. 30 Abs. 2 Satz 2 BayEUG, § 19 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 BaySchO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über den Hausunterricht (v. 29.8.1989, GVBl S. 455, 702, zuletzt geändert durch § 2 der Verordnung v. 13.8.2020, GVBl S. 535 – Hausunterrichtsverordnung – HUnterrV). Die Schule hat hierzu einen konkreten Vorschlag erarbeitet (Bl. 30 BA): Danach könnte der Antragsteller über das Tool TaskCards Arbeitsaufträge und Materialien erhalten. In einer täglichen Videokonferenz könnte Unterrichtsstoff erklärt werden, der Antragsteller hätte die Möglichkeit Fragen zu stellen und seine Lernergebnisse vorzustellen. Über den Schulmanager könnte er erledigte Arbeitsaufträge hochladen und der (jeweiligen) Lehrkraft zuleiten. Die Erziehungsberechtigten des Antragstellers haben gleichwohl bislang keinen diesbezüglichen Antrag nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 HUnterrV gestellt. Danach wäre regelmäßig abzuwägen, welche Form der Distanzbeschulung (beispielsweise 1:1-Beschulung, Videoübertragung aus dem Präsenzunterricht ggf. unter Einsatz eines sog. Avatars) dem jeweiligen Gesundheitszustand des Antragstellers entspricht.
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Eine Teilnahme am Distanzunterricht ist dem Antragsteller nach Aktenlage möglich. Aus den dem Verwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass es dem Antragsteller mit dem „coronabedingten Homeschooling“ gut ergangen ist und dies „gut funktioniert“ hat. Er hat auf diesem Weg sogar den Übertritt auf die Realschule geschafft (Schreiben der Eltern „Schullaufbahn ab September 2021“, Bl. 27 GA). Dass der Antragsteller mittlerweile zu dieser Form der Beschulung aus krankheitsbedingten Gründen nicht mehr in der Lage wäre (vgl. § 1 Abs. 2 HUnterrV), wurde weder substantiiert vorgetragen noch ergibt sich dies aus den vorgelegten ärztlichen Gutachten. Soweit diese auf „Hausunterricht“ abstellen, gehen sie ersichtlich von der persönlichen Anwesenheit einer Lehrkraft beim Antragsteller zu Hause und nicht von Distanzunterricht aus. Zudem bringt der Antragsteller vor, am Online-Unterricht der web-individualschule teilnehmen zu können. Er bestätigt damit, zu einer Distanzbeschulung in der Lage zu sein.
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b) Der Antragsteller kann auch nicht – wie hilfsweise beantragt – beanspruchen, die Schulpflicht durch ausschließlichen Besuch der web-individualschule erfüllen zu dürfen.
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Gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 3 BayEUG hat der Antragsteller die Schulpflicht durch den Besuch der Mittelschule oder der entsprechenden Förderschule als Pflichtschule oder einer Ergänzungsschule zu erfüllen. Die web-individualschule B. ist weder eine Pflichtschule, weil es sich nicht um eine öffentliche oder um eine staatlich anerkannte oder genehmigte private Mittelschule als Ersatzschule (Art. 91 BayEUG) handelt, noch eine Ergänzungsschule i.S.v. Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 102 Abs. 1 BayEUG.
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Das an das Staatliche Schulamt gerichtete Schreiben der Erziehungsberechtigten des Antragstellers vom 15. Juni 2024 kann als Antrag nach Art. 36 Abs. 2 BayEUG auf Feststellung der Gleichwertigkeit der außerhalb Bayerns ansässigen web-individualschule verstanden werden. Diesen Antrag hat das Staatliche Schulamt mit Schreiben vom 23. Juli 2024 abgelehnt und ausgeführt, dass der Besuch der web-individualschule oder sonstiger Schulen mit ausschließlichem Online-Unterricht dem Besuch einer der in Art. 36 Abs. 1 BayEUG genannten Schulen nicht gleichwertig ist. Durch den Besuch einer reinen Online Schule könne in Bayern die Schulpflicht nicht erfüllt werden.
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Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht und glaubhaft gemacht, dass diese Einschätzung, die im Übrigen der Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2022 – 7 CE 22.925 – juris Rn. 8), unzutreffend ist. Der Senat verkennt nicht die besonderen gesundheitsbedingten Herausforderungen, denen sich der Antragsteller ausgesetzt sieht. Gleichwohl ist nach Aktenlage nicht davon auszugehen, dass es für ihn derzeit unzumutbar ist, zunächst maßvoll mittels Distanzunterrichts öffentlich beschult zu werden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 38.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
24
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).