Titel:
Einfügen eines Bauvorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung
Normenkette:
BauGB § 34
Leitsätze:
1. Auch wenn vom Baugrundstück aus ein Teil des Daches eines Gebäudes zu sehen sein mag führt dies nicht dazu, dieses Grundstück noch als nähere Umgebung iSd § 34 BauGB anzusehen, denn bei einem inmitten eines Wohngebietes gelegenen Vorhaben ist als Bereich gegenseitiger Prägung in der Regel das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite maßgeblich (vgl. VGH München BeckRS 2010, 31775 Rn. 4). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vorhaben kann auch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet sein, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu erzeugen oder zu erhöhen (vgl. BVerwG BeckRS 1978, 109137). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung, nähere Umgebung, Einfügen, bodenrechtliche Spannungen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 26.02.2025 – Au 4 S 25.333
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7361
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500, – € festgesetzt.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde der beigeladenen Bauherrin hat keinen Erfolg, weil die dargelegten Gründe keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO rechtfertigen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO).
2
Mit dem Verwaltungsgericht ist nach einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581) und unter Zugrundelegung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens davon auszugehen, dass das Bauvorhaben nach § 34 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist und die unter Ersetzung des Einvernehmens erteilte Baugenehmigung die Antragstellerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Anfechtungsklage der Antragstellerin wird daher voraussichtlich Erfolg haben, so dass das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Baugenehmigung überwiegt.
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Verfahrensgegenständlich ist eine der Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens der Antragstellerin erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines dreistöckigen Wohnhauses. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. November 2024 an, weil sich das Bauvorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht gemäß § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge und deshalb die erteilte Baugenehmigung die Antragstellerin voraussichtlich in ihrer Selbstverwaltungshoheit verletze. Hiergegen wendet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde.
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1. Soweit die Beigeladene ausführt, das Bauvorhaben füge sich entgegen der Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Grundfläche in die nähere Umgebung ein, vermag sie nicht durchzudringen.
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1.1. Die Beigeladene macht geltend, das Verwaltungsgericht habe bei der Abgrenzung der näheren Umgebung unzutreffend die neu entstandene vierstöckige Bebauung auf den Grundstücken B.-straße Nrn. 27 und 27a außer Betracht gelassen. Die Grundfläche des Gebäudes B.-straße 27 überschreite die Grundfläche des streitgegenständlichen Bauvorhabens deutlich. Dies überzeugt nicht. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht (BA Rn. 30) davon aus, dass die Bebauung auf den Grundstücken B.-straße Nrn. 27-27 b (FlNrn. 5901 und 5901/5) nicht mehr zur näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks zu rechnen ist. Auch wenn vom Baugrundstück aus ein Teil des Daches dieser Gebäude zu sehen sein mag – die Beigeladene hebt insoweit auf die bestehende Sichtbeziehung zu dem Dach des Gebäudes auf der FlNr. 5901/5 ab – führt dies nicht dazu, diese Grundstücke vom Maß der baulichen Nutzung noch als nähere Umgebung im Sinne des § 34 BauGB anzusehen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass bei einem inmitten eines Wohngebietes gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung in der Regel das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite maßgeblich ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4), wobei bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks zudem der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung in der Regel enger zu begrenzen ist als bei der Art der Nutzung (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 9, 18; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; B.v. 4.1.2022 – 4 B 35.21 – juris Rn. 6). Dementsprechend hat das Erstgericht die nähere Umgebung in westlicher Richtung an den westlich an den S.-weg angrenzenden Grundstücken enden lassen und ist bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nachvollziehbar davon ausgegangen, dass den weiter westlich liegenden unbebauten Flächen auf den Grundstücken FlNrn. 5895/14, 5895/3, 5895/13 und 5896 eine trennende Wirkung zukommt. Für den relativ dicht bebauten Bereich dieses Ortsteils ist die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die zwischen 40 m bis 45 m breite und ca. 70 m lange unbebaute Fläche bei der Bestimmung des Umgriffs für das Maß der baulichen Nutzung zu einer städtebaulichen Zäsur führt, überzeugend, auch wenn diese Fläche – so der Einwand der Beigeladenen in der Beschwerdebegründung – in etwa die gleiche Breite hat wie das östlich an diese unbebaute Fläche angrenzende Grundstück B.-straße Nr. 13.
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1.2. Soweit die Beigeladene darlegt, dass sich auch in der vom Verwaltungsgericht als relevant angenommenen Umgebung Referenzobjekte befänden – insbesondere die Gebäude auf dem Grundstück A.-straße Nr. 10 sowie auf den Grundstücken A.-straße Nr. 2 und U.-Straße Nrn. 33, 33 a –, die eine deutlich größere Grundfläche als das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben aufweisen würden, führt auch dieses Argument nicht zum Erfolg der Beschwerde. Denn das Verwaltungsgericht ist dem bereits erstinstanzlich vorgebrachten Einwand, dass diese Gebäude als Referenzobjekte in Betracht kämen, nachgegangen (BA Rn. 38 f.), ist dabei aber nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass diese deswegen keine Referenzgebäude seien, weil das Gebäude in der A.-straße Nr. 10 mit einer Traufhöhe von 6,85 m und einer Firsthöhe von 9,75 m im Vergleich zu dem streitgegenständlichen Vorhaben deutlich geringere Gebäudehöhen aufweise und es sich zudem als lediglich zweigeschossig darstelle. Das verfahrensgegenständliche Vorhaben trete dagegen dreigeschossig in Erscheinung (BA Rn. 37). Auch die Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 5891 (A.-straße Nr. 2) weise nur zwei Geschosse auf. Eine nur isolierte Betrachtung der Grundflächen werde aber der geforderten wertenden Gesamtbetrachtung, wonach bei der Frage des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abgestellt werden müsse und nicht nur auf einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO abgestellt werden könne, nicht gerecht (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18.92 – juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 20; OVG BB, B.v. 21.3.2024 – OVG 10 N 37/21 – juris Rn. 13). Dieser Argumentation tritt die Beigeladene nicht substantiiert entgegen. Dass die Gebäude auf den Grundstücken A.-straße Nr. 10 sowie A.-straße Nr. 2 auch bei kumulierender Betrachtung der absoluten Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe den Maßstäben des Bauvorhabens entsprechen, hat sie nicht dargelegt und dies ist auch nicht der Fall.
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2. Auf den Einwand der Beigeladenen, das Bauvorhaben füge sich (auch) nach dem Verhältnis zwischen Grund- und Freifläche entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in die Eigenart der näheren Umgebung ein, kommt es nicht mehr an, nachdem sich das streitgegenständliche Vorhaben bereits nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfügt (vgl. oben 1.).
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3. Entgegen der Auffassung der Beilgeladen kam das Verwaltungsgericht auch zu Recht zu dem Ergebnis, dass das Bauvorhaben bodenrechtliche Spannungen auslöst. Die Kammer hat in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt (BA Rn. 43 ff.), dass sich ein Vorhaben auch dann in die Eigenart der näheren Umgebung „einfügen“ könne, wenn es zwar den vorhandenen Rahmen überschreite, im Übrigen aber keine nur durch eine Bauleitplanung zu bewältigenden bodenrechtlichen Spannungen in das Gebiet hineintrage. Anders als die Beigeladene war das Erstgericht der Ansicht, dass das Bauvorhaben geeignet sei, bodenrechtliche Spannungen zu begründen, da es hinsichtlich zweier maßgeblicher Einfügenskriterien den Maßstab der näheren Umgebung zum Teil deutlich (Grundfläche) überschreite und damit die Gefahr heraufbeschwöre, dass der gegebene Zustand in negativer Richtung in Bewegung gebracht werde. Es könne angesichts der hierfür potenziell in Betracht kommenden Flächen v.a. östlich und ggf. auch nördlich des Vorhabengrundstücks nicht ausgeschlossen werden, dass im Falle einer Realisierung des verfahrensgegenständlichen Vorhabens die bestehende Bebauungsstruktur mit geringeren Grundflächen bei dreigeschossigen Gebäuden bzw. nur zweigeschossigen Gebäuden nachhaltig und in einer das Bedürfnis nach planerischen Steuerung hervorrufenden Weise aufgebrochen werde (BA Rn. 44). Hiergegen ist nichts zu erinnern. Es ist obergerichtlich geklärt, dass ein Vorhaben auch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet sein kann, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu erzeugen oder zu erhöhen (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 47). Ein Vorhaben fügt sich dann nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es die Gefahr heraufbeschwört, dass der gegebene Zustand in negativer Richtung in Bewegung gebracht wird. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn der von der Bebauung bisher eingehaltene Rahmen überschritten wird, ohne dass dies durch irgendeine Besonderheit begründet wäre, durch die sich das Baugrundstück von den Nachbargrundstücken unterscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.1980 – 4 C 99.77 – juris Rn. 23; U.v. 3.6.1977 – IV C 37.75 – juris Rn. 28; U.v. 25.3.1999 – 4 B 15.99 – juris Rn. 6). Vorliegend hat die Beigeladene nicht dargelegt und dies ist auch nicht ersichtlich, dass das Baugrundstück Besonderheiten in diesem Sinne aufweist. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr herausgearbeitet, dass aufgrund der noch unbebauten Flächen östlich und ggf. auch nördlich des Vorhabengrundstücks eine solche Vorbildwirkung nicht ausgeschlossen werden könne. Dem ist die Beigeladene nicht substantiiert entgegengetreten.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.10 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der nicht in Frage gestellten Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.