Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.04.2025 – 24 CS 25.365
Titel:

Unzuverlässigkeitsprognose, Regelunzuverlässigkeit, vorwerfbarer Aufbewahrungsverstoß, gröbliche Pflichtverletzung, außerhalb des Waffenschranks aufbewahrte Waffen, Waffe in Hosentasche, Kontrolle durch die Waffenbehörde

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 5
WaffG § 36 Abs. 1
WaffG § 45 Abs. 2
Schlagworte:
Unzuverlässigkeitsprognose, Regelunzuverlässigkeit, vorwerfbarer Aufbewahrungsverstoß, gröbliche Pflichtverletzung, außerhalb des Waffenschranks aufbewahrte Waffen, Waffe in Hosentasche, Kontrolle durch die Waffenbehörde
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 12.02.2025 – RO 4 S 24.3006
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7354

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Unter Aufhebung der Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Februar 2025 – RO 4 S 24.3006 – wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 12.125,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse.
2
Er war bis 2020 Waffenhändler und ist seit den 1970er Jahren Inhaber mehrerer Waffenbesitzkarten. Am 28. August 2024 führte das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) eine unangekündigte Routinekontrolle durch. Die Behörde stellte fest, dass eine Bockbüchsflinte auf dem Schreibtisch, ein Perkussionsrevolver auf dem Waffenschrank gelegen und sich fünf weitere Kurzwaffen in einem Koffer befunden hätten. Der Perkussionsrevolver sei weder in einer Waffenbesitzkarte des Antragstellers noch in dessen Waffenhandelsbuch eingetragen gewesen. Ferner habe der Antragsteller einen geladenen Revolver in seiner Hosentasche gehabt. Im Waffenschrank sei ein Drilling gewesen, für den der Antragsteller keinen Besitznachweis habe vorzeigen können. Wegen Bauchschmerzen des Antragstellers habe die Waffenkontrolle nach den ersten drei Waffentresoren abgebrochen werden müssen.
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Daraufhin widerrief nach einer Anhörung das Landratsamt mit Bescheid vom 28. November 2024 die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers (Nr. 1) und verpflichtete diesen, diese innerhalb einer benannten Frist zur Einziehung vorzulegen (Nr. 3) sowie seine Waffen und die Munition nach näheren Vorgaben einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen (Nr. 5). Für den Fall der nicht vollständigen Erfüllung der Verpflichtung aus Nummer 5 wurde die Sicherstellung und gegebenenfalls Einziehung angedroht (Nr. 6, 7). Ferner erklärte das Landratsamt den zuletzt bis zum 31. März 2026 verlängerten Dreijahresjagdschein für ungültig und zog ihn ein (Nr. 2). Der Antragsteller wurde verpflichtet, den Jagdschein innerhalb einer benannten Frist zur Einziehung vorzulegen (Nr. 4). Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 2, 4 und 7 angeordnet (Nr. 8). Hinsichtlich der Nummern 3 und 4 wurde ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 9, 10). Das Landratsamt begründete seinen Bescheid damit, dass die bei der Kontrolle vorgefundene Aufbewahrung nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe und dem Antragsteller deshalb die Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG fehle. Außerdem sei bei einer Vorsprache des Antragstellers im Landratsamt bekannt geworden, dass seine Ehefrau wisse, wo die Schlüssel für den Waffenschrank aufbewahrt werden. Das sei ebenfalls nicht zulässig.
4
Der Antragsteller hat hiergegen am 6. Dezember 2024 Klage erhoben und am 20. Dezember 2024 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Der Eilantrag wurde im Wesentlichen abgelehnt. Der Antragsteller sei voraussichtlich unzuverlässig. Erfolg hatte der Antrag, indem die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nummer 7 des Bescheids wiederhergestellt wurde.
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Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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unter Abänderung des Beschlusses die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nummern 1, 3, 5 und 6 des Bescheids vom 28. November 2024 anzuordnen sowie die aufschiebende Wirkung gemäß hinsichtlich der Nummern 2 und 4 wiederherzustellen.
7
Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass der vorgefallene Sachverhalt keine Zukunftsprognose dahingehend rechtfertige, dass er im Umgang mit Waffen künftig unzuverlässig sei. Er sehe ein, dass seine Ehefrau den Ort der Schlüsselaufbewahrung nicht hätte wissen dürfen. Jedoch sei seine Ehefrau nicht irgendeine fremde Dritte und habe auch in seinem Waffengeschäft mitgeholfen. Die bezeichneten Kurzwaffen hätten sich nur kurzzeitig außerhalb des Waffenschrankes befunden, weil er umgeräumt und ausprobiert habe, ob er diese in den Koffer hineinbringe. Die Waffen seien hierbei unter seiner Aufsicht gewesen und nur die Ehefrau im Haus gewesen. Leider habe er dann Bauchschmerzen bekommen und sich kurzfristig zur Toilette begeben müssen. Es habe sich um eine Notfallsituation gehandelt. Den in der Hosentasche befindlichen Revolver habe er seiner bisherigen Ansicht nach erlaubterweise nicht im Waffenschrank aufbewahren dürfen; in einem Gerichtsverfahren gegen das Landratsamt, in dem es um die Frage nach einer besseren Alarmanlage für sein Waffengeschäft gegangen war und in dem er obsiegt habe, sei es ihm erlaubt worden, zur Sicherheit des Waffenhandels einen geladenen Revolver daheim zu haben und diesen auch nicht in einem Waffenschrank aufbewahren zu müssen. Leider sei das im entsprechenden Vergleichstext nicht festgehalten worden.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zu verwerfen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
A.
12
Die den Darlegungsanforderungen gerade noch genügende und daher zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht derzeit von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers ausgeht (I.). Ferner überwiegt wegen des gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzugs das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage (II.).
I.
13
Der Antragsteller dringt mit seiner erhobenen Rüge, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil das Gericht zu Unrecht von seiner Unzuverlässigkeit ausgehe, nicht durch.
14
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Antragsteller in diesem Zeitpunkt als unzuverlässig im Sinne von § 5 WaffG erweist. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG fehlt die Zuverlässigkeit stets, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Waffeninhaber Waffen oder Munition künftig nicht sorgfältig verwahren wird, nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 Var. 2 WaffG im Regelfall, wenn er gröblich gegen die Vorschriften u.a. des Waffengesetzes verstoßen hat.
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2. Abgesehen davon, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG erforderlichen Prognose rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte, erweist sich voraussichtlich die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller sei waffenrechtlich unzuverlässig, auch deshalb als richtig, weil, wie das Verwaltungsgericht wohl auch zu sehen scheint, der Tatbestand der Regelunzuverlässigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 5 Var. 2 WaffG erfüllt ist.
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a) Der Antragsteller hat entgegen der Regelung seiner Verpflichtung nach § 36 Abs. 1 WaffG jedenfalls am 28. August 2024 nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass seine Waffen abhandenkommen oder Unbefugte Dritte sie an sich nehmen; Dritte ist auch seine Ehefrau, soweit sie nicht selbst über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügt. Es bedarf keiner vertieften Begründung, dass die Aufbewahrung der Waffen außerhalb des Waffenschranks nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
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b) Die Verletzung der Pflicht zu sicheren Aufbewahrung war gröblich i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG. Ein Verstoß ist gröblich, wenn er nach seinem objektiven Gewicht und dem Grad der Vorwerfbarkeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung darstellt (vgl. Nr. 5.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz – WaffVwV – vom 5.3.2012; BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 24 CS 23.1495 – Rn. 21).
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Vorliegend hat der Antragsteller eine objektiv schwerwiegende Rechtsverletzung begangen, weil er mehrere Waffen für nicht unerhebliche Zeit, den Revolver offenbar sogar dauerhaft, außerhalb des Waffenschranks aufbewahrt hat. Das Gewicht dieser Verstöße wiegt mit Blick auf den Zweck der sicheren Verwahrung – Verhinderung des Abhandenkommens und des Zugriffs unbefugter Dritter – ersichtlich schwer.
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Die Verstöße sind dem Antragsteller, einem ehemaligen Waffenhändler, auch vorwerfbar. Der Vortrag einer medizinischen Notsituation erweckt den Eindruck einer Schutzbehauptung, erfasst aber jedenfalls ohnehin nicht das dauerhafte oder regelhafte Aufbewahren des Revolvers außerhalb des Waffenschranks in einer Wohnung, in der auch die Ehefrau lebt. Der Verweis des Antragstellers auf eine angebliche gerichtliche Erlaubnis überzeugt nicht. Insgesamt lässt die bei der Kontrolle bestehende Situation erkennen, dass der Antragsteller die – unter der gebotenen Zugrundelegung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs – zu erwartende Sorgfalt in ganz erheblichen Maße vernachlässigt hat.
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c) Die im Gesetz angelegte Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit greift damit ein. Grund von ihr abzuweichen besteht nicht. Zwar sind nach der gesetzlichen Systematik auch in Fällen gröblicher Verstöße Abweichungen von der Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit möglich (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 24 CS 23.1495 – Rn. 23). Jedoch genügt hierfür die vom Antragsteller (nunmehr) vorgetragene Einsicht und bekundete Änderungsabsicht sowie sein Verweis auf seine bisherige waffenrechtliche Unauffälligkeit nicht. Andere Umstände, die die Aufbewahrungsverstöße und ihre Umstände als atypischen Fall darstellen, sind nicht erkennbar.
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3. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die waffenrechtlichen Nebenentscheidungen, soweit sie Gegenstand des Verfahrens sind, ebenfalls keine Bedenken. Gleiches gilt wegen der vergleichbaren Vorschriften hinsichtlich der den Jagdschein betreffenden Regelungen des Bescheids (vgl. § 18 Satz 1 BJagdG i.V.m. § 17 Abs. 1 BJagd i.V.m. § 5 WaffG und § 17 Abs. 3, 4 BJagdG),
II.
22
Die Beschwerde hat auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO – hier in Verbindung mit § 45 Abs. 5 WaffG – einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers. Vom Antragsteller sind keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
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Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25).
24
Entsprechendes gilt auch für die übrigen waffen- und auch die jagdrechtlichen Anordnungen (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 24 CS 22.1575 – juris Rn. 25).
C.
25
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
D.
26
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5, 20.3, 50.1. und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013. Für den Widerruf von Waffenbesitzkarten sind hiernach – unabhängig von der Anzahl der Karten – grundsätzlich 5.000,00 € zuzüglich 750,00 € für jede weitere Waffe anzusetzen (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2023 – 6 B 37/22 – juris Rn. 7). Auszunehmen sind hiervon eingetragene wesentliche Teile von Schusswaffen (vgl. BayVGH, B.v. 29.1.2025 – 24 CS 24.1884 – Rn. 40).
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Der Antragsteller verfügt ausweislich des Bescheids über 16 Waffen (5.000,00 € + [15 x 750,00 €] = 16.250,00 €). Hinsichtlich der Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins beträgt der Streitwert 8.000,00 € (Nr. 20.3 des Streitwertkatalogs). Die waffenrechtlichen Nebenanordnungen sind bei der Streitwertfestsetzung nicht gesondert zu berücksichtigen.
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Der sich hieraus ergebende Gesamtbetrag von 24.250,00 €ist für das Eilverfahren zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs). Der festzusetzende Streitwert beträgt daher 12.125,00 €. Da das Verwaltungsgericht fehlerhaft wesentliche Teile von Schusswaffen in seine Festsetzung einbezogen hat, ändert der Senat nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG die Streitwertfestsetzung für das Verfahren im ersten Rechtszug.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).