Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.04.2025 – 22 ZB 24.1483
Titel:

Gewebeuntersagung wegen Zahlungsrückständen

Normenketten:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 6
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Umstände, die nach Bescheiderlass eingetreten sind, müssen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Gerwerbeuntersagungsbescheids außer Betracht bleiben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, gewerberechtliche Zuverlässigkeit, Schulden, Zahlungsrückstände, Verhältnismäßigkeit, maßgeblicher Zeitpunkt, Berufungszulassung, ernstliche Zweifel, Tilgung, Ausnahmefall, Gerwerbeuntersagungsbescheid
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 09.07.2024 – M 16 K 23.5610
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7348

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Juli 2024 – M 16 K 23.5610 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verfolgt mit seinem Zulassungsantrag sein erstinstanzliches Begehren weiter, das auf die Aufhebung einer erweiterten Gewerbeuntersagung gerichtet ist.
2
Mit Bescheid vom 7. November 2023 untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des von ihm angezeigten Gewerbes als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe (Nr. 1 des Bescheidstenors) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nr. 2 des Bescheidstenors). Dies wurde mit Rückständen des Klägers bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (SOKA-BAU) sowie Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis begründet.
3
Der Kläger erhob Klage gegen den Bescheid, die das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 9. Juli 2024 abwies, der Bevollmächtigten des Klägers am 30. Juli 2024 zugestellt.
4
Am 23. August 2024 beantragte der Kläger beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag mit dem gleichen Schriftsatz.
5
Die Beklagte ist dem Zulassungsantrag entgegengetreten.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung des Klägers (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung vorliegen.
8
Der Kläger macht der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, ohne diesen Zulassungsgrund ausdrücklich zu benennen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen jedoch nicht vor.
9
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1. Der Kläger trägt vor, soweit im Urteil aus den Eintragungen im Schuldnerregister auf seine Unzuverlässigkeit geschlossen werde, seien bei der Ermessensausübung die Gesamtumstände nicht hinreichend berücksichtigt worden, nämlich seine persönliche Situation und die Organisationsstruktur, die er aufgebaut habe. Der Kläger habe sich für die Erledigung seiner steuerlichen und buchhalterischen Angelegenheiten eine Steuerkanzlei gesucht; die finanziellen Angelegenheiten seien in der Folge geordnet und die bestehenden Schulden vollständig getilgt worden. Dazu würden je eine Bescheinigung der BG Bau und der Handwerkskammer München sowie zwei Überweisungsnachweise des Klägers vorgelegt. Die im Schuldnerregister eingetragenen Schulden seien zur Löschung beantragt. Steuervorauszahlungen seien regelmäßig beglichen worden. Zudem habe der Kläger mittlerweile ein nicht unerhebliches Auftragsvolumen erhalten, so dass er zwei Arbeitnehmer eingestellt habe und über Kapital verfüge, den Betrieb in der Zukunft ordnungsgemäß zu führen. Die Gewerbeuntersagung sei daher unverhältnismäßig.
11
2. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe nach den Feststellungen der Beklagten, denen er nicht substantiiert entgegengetreten sei, im maßgeblichen Zeitpunkt erhebliche Rückstände bei der SOKA-BAU gehabt (mit Stand 7.11.2023: 10.484 €) und sei mit drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis erfasst gewesen, wobei die Eintragung vom 6. April 2023 anlässlich des Vollstreckungsversuchs der SOKA-BAU erfolgt sein dürfte. Der Unzuverlässigkeitsgrund der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit wäre nur dann entfallen, wenn der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept gearbeitet hätte, was den Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung mit den Gläubigern vorausgesetzt hätte. Dafür genüge eine unter dem Druck des laufenden Gewerbeuntersagungsverfahrens geleistete freiwillige Zahlung in Höhe von 2.000 € an die SOKA-BAU nicht. Auch die von der Bevollmächtigten des Klägers angeführte, aber nicht belegte vermeintliche Verbesserung der Auftragslage stelle keinen Sanierungsplan im Sinne der Rechtsprechung dar, zumal es insoweit auch an substantiierten Darlegungen fehle. Im Pfändungsweg erlangte Zahlungen des Klägers (Einziehung durch den Gerichtsvollzieher in Höhe von 2.711,63 € an die SOKA-BAU) könnten an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nichts ändern. Soweit die Klagepartei vorgetragen habe, die Rückstände bei der SOKA-BAU seien inzwischen abgebaut worden, betreffe dies Entwicklungen nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Untersagungsverfügung; insofern habe der Kläger die Möglichkeit, einen Antrag auf Wiedergestattung nach § 35 Abs. 6 GewO zu stellen. Ohne dass es darauf ankomme, werde darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftliche Situation des Klägers auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht wesentlich zu seinen Gunsten geändert zu haben scheine, da er nach den von der Beklagten für die mündliche Verhandlung eingeholten Informationen zwischenzeitlich mit insgesamt fünf Eintragungen im Schuldnerverzeichnis erfasst sei, davon die letzte Eintragung am 17. Mai 2024 wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft. Die Gewerbeuntersagung sei zum Schutz der Allgemeinheit vor der Teilnahme eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden am Geschäftsverkehr vorliegend auch erforderlich und nicht unverhältnismäßig, denn eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Gewerbeuntersagung könne allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wofür hier keine Anhaltspunkte ersichtlich seien.
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3. Ernstliche Zweifel an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts werden durch das Zulassungsvorbringen des Klägers nicht begründet.
13
Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung bezüglich der Unzuverlässigkeit des Klägers auf die nach den Feststellungen der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestehenden Rückstände bei der SOKA-BAU sowie auf die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis gestützt. Unabhängig davon, dass sich der Vortrag des Klägers zur Tilgung von Schulden einschließlich der vorgelegten Belege auf Umstände bezieht, die nach Bescheiderlass eingetreten sind und deshalb für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides außer Betracht bleiben müssen (vgl. nur BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 15), ist dieser Vortrag auch deshalb nicht geeignet, die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, weil sich die im Zulassungsverfahren vorgelegten Belege nicht auf die Tilgung von Rückständen bei der SOKA-BAU, sondern bei der BG Bau, der Handwerkskammer sowie bei privaten Schuldnern beziehen. Dass die Schulden bei der SOKA-BAU getilgt worden seien, wie der Kläger behauptet, ist mithin gerade nicht belegt. Auf die regelmäßige Begleichung von Steuervorauszahlungen kommt es nicht an, weil weder das verwaltungsgerichtliche Urteil noch der Bescheid der Beklagten zur Begründung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit auf Steuerschulden abstellt. Der nicht weiter belegte Vortrag des Klägers zu seiner betrieblichen Lage kann die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Unzuverlässigkeit nicht entkräften. Die Gewerbeuntersagung ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, auch nicht unverhältnismäßig, weil nach der Rechtsprechung eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für einen solchen extremen Ausnahmefall sind dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1, 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).