Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.01.2025 – 22 ZB 23.1487
Titel:

Verpflichtung der Immissionsschutzbehörde zur Durchführung eines Genehmigungsverfahrens

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
BImSchG § 10, § 20 Abs. 2
UmwRG § 4 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG vermitteln keine eigenständige Klagebefugnis, sondern setzen diese voraus. § 4 UmwRG betrifft nur die Begründetheitsprüfung eines zulässigen Rechtsbehelfs, hat aber keine Bedeutung für die Beurteilung der Klagebefugnis. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 4 Abs. 1 iVm Abs. 3 UmwRG gewährt kein absolutes Verfahrensrecht auf Durchführung eines bestimmten Verfahrens, sondern einen Aufhebungsanspruch bezüglich der Zulassungsentscheidung, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 UmwRG vorliegen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein am Verwaltungsverfahren zu Beteiligender kann die Befugnis zur Anfechtung einer getroffenen Verwaltungsentscheidung grundsätzlich nicht allein aus der Verletzung der ihn betreffenden Verfahrensvorschriften herleiten. Aus seinem Vorbringen muss sich vielmehr ergeben, dass sich der gerügte Verfahrensfehler möglicherweise auf seine (materiellen) Rechte selbst ausgewirkt hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Leistungsklage auf Verurteilung der Immissionsschutzbehörde zur Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens, Feststellungsklage, Rechtsschutzbedürfnis, Klagebefugnis, Mehrfachbegründung des Urteils, immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren, Verpflichtung zur Durchführung, Begründetheitsprüfung, Darlegungsanforderungen, absoluter Verfahrensfehler
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.05.2023 – M 28 K 21.6525
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7347

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. Mai 2023 – M 28 K 21.6525 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin, Miteigentümerin von zwei ca. 300 bis 400 m Luftlinie vom Betriebssitz der Beigeladenen entfernt liegenden Anwesen, verfolgt mit ihrem Zulassungsantrag ihre in erster Instanz erfolglose Klage weiter. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beantragte sie, den Beklagten zu verpflichten, in Bezug „auf“ den Betriebsstandort B. der Beigeladenen ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchzuführen, hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, „auf“ den Betriebsstandort B. der Beigeladenen ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchzuführen. Der Betriebsstandort der Beigeladenen existiert seit 1907; seither wurden verschiedene Bauleitpläne aufgestellt und Anlagenbestandteile baurechtlich genehmigt. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Betrieb besteht nicht. Im Jahr 2021 wurde ein Anzeigeverfahren nach § 67 Abs. 2 BImSchG durchgeführt.
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Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 17. Mai 2023 ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Klage im Haupt- und Hilfsantrag unzulässig sei, weil es der Klägerin am Rechtsschutzbedürfnis und an der Klagebefugnis fehle.
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Mit ihrem fristgerecht eingegangenen und begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht.
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Der Beklagte und die Beigeladene sind dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten und haben beantragt, den Antrag abzulehnen.
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Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung der Klägerin, auf deren Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung gegeben sind.
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1. Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, die jedoch nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt sind.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit der Entscheidung gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1.1 Bezüglich des Hauptantrags hat das Verwaltungsgericht die Klageabweisung zunächst darauf gestützt, dass der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da sie auf die Verpflichtung (gemeint wohl: Verurteilung) des Beklagten zu einer unmöglichen Leistung gerichtet sei, nämlich der Durchführung eines (förmlichen) Genehmigungsverfahrens ohne einen – dafür zwingend erforderlichen – Antrag. Die Stellung eines Antrags könne selbst dann nicht erzwungen werden, wenn eine Anlage rechtswidrig ohne Genehmigung betrieben werde. Der Beklagte sei auf ein Vorgehen nach § 20 Abs. 2 BImSchG verwiesen. Für die hilfsweise erhobene Feststellungsklage fehle ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Feststellungsinteresse sei nicht geltend gemacht worden, weil jegliche normative Anknüpfung für das Bestehen der Rechtsposition, die geltend gemacht werde, fehle.
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Die Klägerin bringt hierzu vor, dass das Gericht die Behörde durch Leistungsklage (gemeint wohl: durch Leistungsurteil) „verpflichten“ könne, einen feststellenden Bescheid über das Genehmigungserfordernis betreffend die Gesamtanlage zu erlassen. Insoweit könne der Klage nicht unter Verweis auf prozessrechtliche Vorgaben die Zulässigkeit verwehrt werden. Über die Androhung von Maßnahmen nach § 20 BImSchG könne der Beklagte einen Antrag auf Durchführung des gesetzlich angeordneten Genehmigungsverfahrens erzwingen. Der Betreiber könne zwar nicht zur Stellung eines (erstmaligen) Antrags gezwungen werden; die Behörde könne aber mittelbar Druck durch die Androhung der Stilllegung ausüben. Die Klägerin beruft sich zudem auf die drittschützende Wirkung des § 20 Abs. 2 BImSchG. Für den Erlass einer Anordnung nach § 20 Abs. 2 BImSchG genüge die formelle Illegalität. Deshalb brauche die Klägerin auch nicht die Verletzung drittschützender Normen des materiellen Rechts geltend zu machen.
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Damit zieht die Klägerin die tragenden Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis nicht ernsthaft in Zweifel. Sie setzt sich schon nicht substantiiert mit den Urteilsgründen auseinander. Die Klägerin hat im Hauptantrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Sache nach beantragt, den Beklagten zu verurteilen, für den Betrieb der Beigeladenen ein Genehmigungsverfahren durchzuführen. Soweit sie nunmehr im Zulassungsverfahren vorbringt, der Beklagte könne im Wege der Leistungsklage „verpflichtet“ werden, einen feststellenden Bescheid über das Genehmigungserfordernis zu erlassen, hat dies nichts mit den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Anträgen (Hauptantrag und hilfsweise gestelltem Feststellungsantrag) zu tun, die auf Verurteilung bzw. Feststellung der „Verpflichtung“ des Beklagten zur Durchführung des Genehmigungsverfahrens gerichtet waren. Der Streitgegenstand ist also nicht derjenige, über den das Verwaltungsgericht zu entscheiden hatte. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO scheidet damit bereits begrifflich aus, denn die ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts müssen in Bezug auf den Streitgegenstand bestehen, der dem Rechtsmittelgericht zur Entscheidung unterbreitet werden soll (OVG NW, B.v. 23.10.1998 – 22 B 2150/98 – juris Rn. 3; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 23).
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Auch die auf den Hauptantrag bezogene Begründung des Verwaltungsgerichts, dass der Beklagte mangels Antrags der Beigeladenen mit einer Klage nicht zur Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG verurteilt werden könne, zieht die Klägerin nicht ernsthaft in Zweifel. Sie räumt vielmehr selbst ein, dass der Beklagte die Beigeladene nicht zwingen könne, einen Antrag auf Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens zu stellen. Ihr Vorbringen, dass die Beigeladene mittelbar über die Androhung einer Betriebsstilllegung seitens des Beklagten zu einer Antragstellung gezwungen werden könne, bezieht sich nicht konkret auf die Anspruchsvoraussetzungen, die im Rahmen des Hauptantrags auf Verurteilung zur Durchführung eines Genehmigungsverfahrens zu prüfen sind. Es betrifft vielmehr die Frage, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf ein Einschreiten nach § 20 Abs. 2 BImSchG gegenüber der Beigeladenen wegen des behaupteten formell illegalen Anlagenbetriebs hat. Da dieser Anspruch auf Betriebsstilllegung aber nicht Klagegegenstand des Hauptantrags ist, kommt es auf die Ausführungen der Klägerin zur drittschützenden Wirkung des § 20 Abs. 2 BImSchG und zu den Voraussetzungen für ein aufsichtliches Einschreiten gegenüber der Beigeladenen nicht an.
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Für den Hilfsantrag auf Feststellung, dass der Beklagte „verpflichtet“ ist, „auf“ den Betriebsstandort B. der Beigeladenen ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchzuführen, fehlt der Klägerin aus den genannten Gründen ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Der Beklagte kann ohne entsprechenden Antrag der Beigeladenen nicht verurteilt werden, ein Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchzuführen, so dass auch einer darauf gerichteten Feststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Unzulässigkeit der Klage sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis gestützt. Weiterhin hat es selbstständig tragend auf die fehlende Klagebefugnis der Klägerin für die von ihr gestellten Anträge abgestellt. Da die Klägerin bereits die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen hat, kann ihr Vorbringen zur Klagebefugnis nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils führen, weil die Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen sind, wenn das Urteil – wie hier – auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt ist (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 61).
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1.3 Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin für die von ihr gestellten Anträge die Klagebefugnis fehlt. Das Zulassungsvorbringen begründet auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, welche Rechtsnorm die Klägerin mit einem absoluten Verfahrensrecht im Sinne eines Anspruchs auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens ausstatten könnte. Nachdem das Bundesimmissionsschutzgesetz für die Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens ein Antragserfordernis vorsehe, scheide ein solcher Anspruch eines Dritten in Bezug auf § 10 Abs. 1 BImSchG nach der Gesetzessystematik bereits von vornherein aus. Die Rechtsprechung und weit überwiegende Teile der Literatur würden sowohl Individual- als auch Verbandsklägern eine Klagebefugnis grundsätzlich nur aufgrund der Verletzung von drittschützenden Verfahrensrechten in einem tatsächlich durchgeführten Genehmigungsverfahren zugestehen. Aus der Wahl eines objektiv falschen Verfahrens werde nur für diejenigen Fälle eine Klagebefugnis abgeleitet, in denen das falsche Verfahren zu einer Zulässigkeitsentscheidung (gemeint wohl: Zulassungsentscheidung) geführt habe. Die Anzeige nach § 67 Abs. 2 BImSchG bewirke aber – und so auch hier – lediglich, dass gegenüber dem Anlagenbetrieb keine einschränkenden Maßnahmen insbesondere nach § 20 Abs. 2 BImSchG allein aufgrund von dessen formeller Illegalität ergehen könnten. Aus § 4 UmwRG ergebe sich nichts Abweichendes. § 4 Abs. 1 UmwRG setze seinem Wortlaut nach bereits eine Entscheidung über die Zulässigkeit (gemeint wohl: Zulassung der Errichtung und des Betriebs einer Anlage) voraus. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift bestehe kein Raum. Das Prozessrecht begründe keine vom Fachrecht losgelöste Klagebefugnis. Die überwiegende Auffassung in der Literatur und Rechtsprechung gehe dahin, dass auch § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG keine eigenständige Klagebefugnis vermittelten, sondern diese vielmehr voraussetzten. Das gefundene Ergebnis bedürfe auch keiner Korrektur mit Blick auf das unionsrechtliche, sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende Effizienzgebot.
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Demgegenüber bringt die Klägerin vor, dass jedenfalls bei Nichtdurchführung eines gebotenen Genehmigungsverfahrens die Zulassungsentscheidung auch von Individualklägern mit der Folge des § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG angefochten werden könne. Für die behördliche Entscheidung zur Anordnung der Durchführung des Genehmigungsverfahrens komme es nicht auf die Verletzung materiellen Rechts an, es genüge vielmehr die formelle Illegalität. Wegen des fehlenden – jedoch gemäß § 10 BImSchG angeordneten – Genehmigungsverfahrens bestehe eine formelle Illegalität. Die drittschützende Vorschrift des § 20 BImSchG sei deshalb verletzt, weil die Behörde nicht tätig werde bzw. geworden sei.
18
Das Vorbringen der Klägerin genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf die überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (Dietlein in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Juni 2024, § 10 BImSchG Rn. 285a m.V. auf u.a. BVerwG, U.v. 20.12.2011 – 9 A 30.10 – juris Rn. 21) zutreffend dargestellt, dass § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG keine eigenständige Klagebefugnis vermitteln, sondern diese voraussetzen. Denn § 4 UmwRG betrifft nur die Begründetheitsprüfung eines zulässigen Rechtsbehelfs, hat aber keine Bedeutung für die Beurteilung der Klagebefugnis (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 4 UmwRG Rn. 58); Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 UmwRG führen also ungeachtet der sonst geltenden Maßgabe aus § 113 Abs. 1 VwGO bei einer zulässigen Klage zu ihrer Begründetheit (BVerwG, U.v. 27.9.2018 – 7 C 24.6 – juris Rn. 37 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 28.8.2023 – 1 B 47.23 – juris Rn. 46). Aus der von der Klägerin zitierten Kommentarstelle (Dietlein in Landmann/Rohmer, a.a.O. § 19 BImSchG Rn. 55) ergibt sich nichts anderes. Auch danach hat ein absoluter Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 UmwRG unabhängig von der Verletzung materieller Rechtspositionen des/der Klagenden nur die Aufhebung der Entscheidung zur Folge, setzt also eine zulässige Klage und damit eine Klagebefugnis voraus. Die Kommentarstelle verweist lediglich auf eine Literaturmeinung (Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Aufl. 2017, § 5 Rn. 34), wonach aus § 4 Abs. 1 UmwRG i.V.m. der UVP-Richtlinie ein absolutes Verfahrensrecht für Individualkläger erwachse, stellt aber zugleich klar, dass das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 20.12.2011, a.a.O.) eine weitergehende Schutznormverletzung des Klägers verlange. Auch die Kommentierung „Bei der Nichtdurchführung des gebotenen förmlichen Verfahrens wird die Voraussetzung des § 4 Abs. 3 S. 2 UmwRG jedenfalls regelmäßig erfüllt sein“, sagt nichts über das Vorliegen eines absoluten Verfahrensrechts aus, das eine Klagebefugnis begründen würde, sondern verhält sich nur zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG, wenn anstatt des förmlichen Verfahrens nach § 10 BImSchG das vereinfachte Verfahren nach § 19 BImSchG durchgeführt wurde.
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Die Aufhebung einer Entscheidung wegen eines absoluten Verfahrensfehlers nach § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3 UmwRG kann also nur verlangt werden, wenn überhaupt eine Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens ergangen ist und die Klage gegen diese Entscheidung zulässig ist. § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG gewährt folglich kein absolutes Verfahrensrecht auf Durchführung eines bestimmten Verfahrens, sondern einen Aufhebungsanspruch bezüglich der Zulassungsentscheidung, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 UmwRG vorliegen. Voraussetzung der Geltendmachung eines Verfahrensfehlers gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG durch einen Individualkläger i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG ist also die – aus anderen Vorschriften herzuleitende – Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 4 UmwRG Rn. 51 ff.; OVG LSA, U.v. 24.3.2021 – 2 L 79.17 – juris Rn. 219.).
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Bei Individualklägern ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage gegen eine Zulassungsentscheidung die mögliche Verletzung einer materiellen Rechtsposition. Eine solche hat die Klägerin – unabhängig davon, dass es bereits an einer Zulassungsentscheidung fehlt – auch im Berufungszulassungsverfahren mit dem Hinweis auf etwaige vom Betrieb der Beigeladenen verursachte Immissionen und berührte Denkmalschutzbelange nicht dargelegt, weil ihr Rechtsschutzziel gerade nicht auf die Geltendmachung der Verletzung einer materiellen Rechtsposition, sondern auf die Durchführung eines Verfahrens gerichtet ist, in dem erst geprüft werden soll, ob durch den Anlagenbetrieb der Beigeladenen eine materielle Rechtsposition der Klägerin verletzt wird. Die Auffassung der Klägerin, ihre materielle Rechtsposition ergebe sich aus dem ihrer Meinung nach drittschützenden § 20 Abs. 2 BImSchG, weil für einen Anspruch auf aufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene bereits die formelle Rechtswidrigkeit des Anlagenbetriebs ausreiche, führt nicht weiter. Darauf kann sie sich im Berufungszulassungsverfahren schon deshalb nicht berufen, weil ihre Klageanträge im erstinstanzlichen Verfahren nicht auf aufsichtliches Einschreiten seitens des Beklagten gegen die Beigeladene gerichtet waren.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
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Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Klägerin die Rechtsfrage, ob es bei einem der 4. BImSchV unterliegenden Vorhaben, für das es bislang keine unter Beteiligung der Öffentlichkeit ergangene, gesamthafte Zulassungsentscheidung gibt, einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gibt, wenn es sonst für die Klägerin keine Möglichkeit gibt, ihre Rechte in einem Verfahren zur Zulassung einer Anlage einzubringen.
23
Diese Frage ist im vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht entscheidungserheblich, weil die Klage nach Auffassung des Verwaltungsgerichts, die im Zulassungsverfahren nicht ernstlich in Zweifel gezogen wurde, – unabhängig vom Bestehen eines absoluten Verfahrensrechts und einer Klagebefugnis – bereits wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Es kann daher dahinstehen, ob die der Fragestellung zugrundeliegende Prämisse, dass es für den Betrieb der Klägerin keine unter Beteiligung der Öffentlichkeit ergangene Zulassungsentscheidung gibt, in dieser Form zutreffend ist.
24
Unabhängig davon ist die aufgeworfene Frage nicht weiter klärungsbedürftig, weil sie höchstgerichtlich und obergerichtlich bereits geklärt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Drittbetroffenen grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einleitung und Durchführung eines bestimmten Verfahrens eingeräumt. Ein am Verwaltungsverfahren zu Beteiligender kann die Befugnis zur Anfechtung einer getroffenen Verwaltungsentscheidung grundsätzlich nicht allein aus der Verletzung der ihn betreffenden Verfahrensvorschriften herleiten. Aus seinem Vorbringen muss sich vielmehr ergeben, dass sich der gerügte Verfahrensfehler möglicherweise auf seine (materiellen) Rechte selbst ausgewirkt hat (BVerwG, B.v. 4.4.2012 – 9 B 95.11 – juris Rn. 6; U.v. 28.8.2018 – 7 KS 108/16 – juris Rn. 95; BayVGH, B.v. 18.2.2019 – 8 ZB 16.787 – juris Rn. 18). Dies gilt entsprechend in der hier vorliegenden Konstellation.
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Soweit die Klägerin meint, es bestehe deshalb Klärungsbedarf, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung gegen Art. 11 Abs. 3 UVP-Richtlinie verstoße, fehlt es an einer Darlegung, dass der Betrieb der Beigeladenen überhaupt dem sachlichen Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie unterfällt. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Betrieb der Beigeladenen weder ein Projekt i.S.v. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang I der UVP-Richtlinie noch ein solches i.S.v. Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II der UVP-Richtlinie darstellt; damit setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Zudem ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin zu Art. 11 Abs. 3 UVP-Richtlinie nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt wären, den Zugang zu den Gerichten von der Geltendmachung einer materiellen Rechtsverletzung abhängig zu machen.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 i.V.m. Nr. 19.2, 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
28
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).