Titel:
Corona-Pandemie, Betriebsuntersagung Gastronomie (März bis Juni 2021)
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 1
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, § 32 S. 1
BayIfSMV § 13 12.
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Betriebsuntersagung Gastronomie (März bis Juni 2021)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7345
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO vom 15. März 2021 beantragt die Antragstellerin, ein Unternehmen der Systemgastronomie, das in Bayern mehrere Restaurants betreibt, die Feststellung, dass § 13 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 5. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 171) unwirksam war.
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2. Der Antragsgegner hat am 5. März 2021 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit Wirkung zum 8. März 2021 (vgl. § 30 12. BayIfSMV) die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die – soweit angegriffen – folgenden Wortlaut hatte:
(1) Gastronomiebetriebe jeder Art einschließlich Betriebskantinen sind vorbehaltlich der Abs. 2 und 3 untersagt.
(2) Zulässig sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken. Für das Personal, soweit es in Kontakt mit Kunden kommt, und für Kunden gilt § 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 entsprechend. Bei der Abgabe von Speisen und Getränken ist ein Verzehr vor Ort untersagt.
(3) Der Betrieb von nicht öffentlich zugänglichen Betriebskantinen ist ausnahmsweise unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
1. Der Verzehr von Speisen und Getränken vor Ort ist für die Betriebsabläufe zwingend erforderlich.
2. Ein Mindestabstand von 1,5 m ist zwischen allen Gästen, die nicht zu demselben Hausstand gehören, gewährleistet.
3. Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.“
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Durch Änderungsverordnung vom 22. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 287) erhielt die Norm folgenden Wortlaut:
(1) Gastronomiebetriebe jeder Art einschließlich Betriebskantinen sind vorbehaltlich der Abs. 2 und 3 untersagt.
(2) Zulässig sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken. Wird in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die 7-Tage-Inzidenz von 100 überschritten, ist abweichend von Satz 1 gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Teilsatz 6 IfSG die Abgabe von mitnahmefähigen Speisen und Getränken zwischen 22 Uhr und 5 Uhr untersagt. Für das Personal, soweit es in Kontakt mit Kunden kommt, und für Kunden gilt § 12 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 entsprechend. Bei der Abgabe von Speisen und Getränken ist ein Verzehr vor Ort untersagt.
(3) Ausnahmsweise ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr vor Ort in folgenden Fällen zulässig:
1. Speisesäle in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen oder Einrichtungen der Betreuung,
- 2.
-
gastronomische Angebote in Beherbergungsbetrieben, die ausschließlich der Bewirtung der zulässig beherbergten Personen dienen,
- 3.
-
Angebote, die für die Versorgung obdachloser Menschen erforderlich sind,
- 4.
-
die Bewirtung von Fernbus- und Fernfahrenden, die beruflich bedingt Waren, Güter oder Personen auf der Straße befördern und dies jeweils durch eine Arbeitgeberbescheinigung nachweisen können,
- 5.
-
nicht-öffentliche Personalrestaurants und nicht-öffentliche Kantinen, wenn deren Betrieb zur Aufrechterhaltung der Arbeitsabläufe beziehungsweise dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn eine individuelle Speiseneinnahme nicht in getrennten Räumen möglich ist.
1. sicherzustellen, dass ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Gästen, die nicht zu demselben Hausstand gehören, gewährleistet ist,
2. ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.“
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Durch weitere Änderungsverordnung vom 27. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 290) wurde schließlich § 13 Abs. 2 Satz 4 12. BayIfSMV wie folgt neugefasst:
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„Erworbene Speisen und Getränke zum Mitnehmen dürfen nicht am Ort des Erwerbs oder in seiner näheren Umgebung verzehrt werden.“
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Die angegriffene Verordnung ist mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft getreten (§ 30 12. BayIfSMV i.d.F. der Änderungsverordnung vom 14. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 337).
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3. Die Antragstellerin hat auf ein Hinweisschreiben des Senats vom 15. Juli 2021 hin ihren Antrag mit Schriftsatz vom 2. August 2021 umgestellt und zuletzt beantragt
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festzustellen, dass § 13 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) in jeder jeweils gültigen Fassung unwirksam war.
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Sie trägt zur Begründung ihres Antrags mit Schriftsätzen vom 15. März 2021 und vom 27. September 2024 im Wesentlichen vor, die gemäß § 13 Abs. 1 der 12. BayIfSMV geltende pauschale Untersagung von Gastronomiebetrieben jeder Art, vorbehaltlich der Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen und Getränke, sei verfassungswidrig gewesen und habe die Antragstellerin in schwerwiegender Art und Weise in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), ihrer Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und in ihrem Gleichheitsgrundrecht (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.
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Der Normenkontrollantrag sei auch nach Außerkrafttreten der angegriffenen Norm weiterhin zulässig, da die Betriebsschließung ein erhebliches Eingriffsgewicht aufgewiesen habe; auch eine Wiederholungsgefahr und eine präjudizielle Wirkung für einen Schadensersatzprozess seien gegeben.
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Die Antragsgegnerin habe bei Erlass des § 13 Abs. 1 12. BayIfSMV ihren Einschätzungsspielraum erheblich überschritten. Die maßgebliche Informationsgrundlage zum Zeitpunkt des Normerlasses habe nicht für, sondern in einer starken Tendenz gegen einen wesentlichen Beitrag von Gastronomiebetrieben zum Infektionsgeschehen gesprochen. Dies sei – wie sich aus den zwischenzeitlich veröffentlichten RKI-Protokollen aus dem Zeitraum bis Anfang 2021 ergebe – dem Bundesgesetzgeber, mit hoher Sicherheit aber auch dem Antragsgegner bekannt gewesen. Damit habe die pauschale, ausnahmslose Schließung gastronomischer Betriebe nicht mehr auf einer vertretbaren Prognoseentscheidung beruht. Es sei weder auf Hygienekonzepte noch auf eine Differenzierung zwischen Außen- und Innenbereich Rücksicht genommen worden. Deshalb sei unter korrekter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auswirkung eines bewusst oder unbewusst versäumten Erkenntnisgewinns auf Prognoseentscheidungen nicht mehr von einer Erforderlichkeit einer vollständigen und ausnahmslosen Restaurantschließung auszugehen (BVerfG NJW 2022, 139 Rn. 190; BVerfG NJW 2019, 3703 Rn. 134). Die bisher ergangene Rechtsprechung des BVerwG und die bisherigen Argumente des Antragsgegners seien insoweit obsolet geworden.
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Soweit in der Rechtsprechung die vollständige Schließung gastronomischer Betriebe bislang aufgrund von bestehender Unsicherheiten über die Übertragungsorte, -wege und -zeiten als rechtlich sicherster Weg angenommen worden sei, könne dies mittlerweile keinen Bestand mehr haben. Ein wissenschaftlicher Konsens über die Bedeutung der Gastronomie für den Pandemieverlauf bestehe nicht. Der Antragsgegner habe sich zur Legitimation der 12. BayIfSMV ausdrücklich und maßgeblich auf die Einschätzung des RKI bezogen. Aus dem epidemiologischen Bulletin des RKI 38/2020 ergebe sich jedoch, dass im Zeitraum KW 9/2020 bis 29/2020 nur ein sehr geringer Anteil von Ausbrüchen (0,062%) auf das Infektionsumfeld Speisegaststätte zurückzuführen seien. Es sei nicht nachweisbar, dass Restaurants ein Pandemietreiber gewesen seien. In dieser Situation hätten fachliche Einschätzungen des RKI zwar dennoch eine vertretbare Entscheidungsgrundlage für schwerwiegende Grundrechtseingriffe sein können. Es habe sich aber infolge der Veröffentlichung der RKI-Protokolle aus dem Zeitraum Januar 2020 bis April 2021 mittlerweile herausgestellt, dass in kritischen Themen mitunter politisch motivierte Entscheidungen getroffen worden seien, die nicht mit wissenschaftlich-fachlicher Evidenz übereingestimmt hätten. Es ergebe sich, dass für das Bundesgebiet erhebliche Zweifel an der Effektivität von Schließungsanordnungen für die Gastronomie in Bezug auf das Infektionsgeschehen bestanden. Die schwerwiegenden Grundrechtseingriffe seien nicht durchgehend fachlich vertretbar auf der Einschätzung des hierzu berufenen RKI getroffen worden. An vielen Stellen der Protokolle zeige sich etwa, dass sich in Zweifelsfällen der Wunsch nach einer politischen Signalwirkung gegenüber der fachlichen Evidenz durchgesetzt habe. Auch werde aus den Protokollen deutlich, dass die Inzidenzwerte willkürliche politische Werte gewesen seien. Auch ergebe sich aus den vorliegenden RKI-Protokollen allenfalls, dass Unklarheit über den Beitrag gastronomischer Betriebe zum Pandemiegeschehen bestanden habe, die nie habe aufgeklärt werden können. Eine Studie über den Effekt von Restaurantschließungen sei angeregt, aber nach Kenntnis der Antragstellerin nie durchgeführt worden. Gemessen an der Rechtsprechung des BVerfG habe es angesichts der Dauer der schweren grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen tragfähigerer Erkenntnisse zur Rechtfertigung bedurft und sich die Einschätzungsprärogative des Antragsgegners dadurch verengt, dass er nicht hinreichend für einen Erkenntnisfortschritt gesorgt habe. Vielmehr habe das RKI die Bundesregierung im Oktober 2020 mutmaßlich informiert, dass Gastronomiebetriebe keine „Pandemie-Treiber“ seien. In dieser Situation hätte der Betrieb unter Einhaltung von Hygienekonzepten stattfinden können. Auch das RKI habe darauf hingewiesen, dass die Bevölkerung sich unabhängig von aktuellen Empfehlungen selbst bewusst in ihrem Verhalten einschränke; deshalb sei davon auszugehen, dass auch Hygienekonzepte Beachtung gefunden hätten.
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Nach Einschätzung der Antragstellerin sei damit bereits die Gesetzesgrundlage der angegriffenen Bestimmung – der § 28a Abs. 1 Nr. 13 IfSG a.F. – nicht verfassungskonform gewesen, da die Schließung gastronomischer Einrichtungen nicht auf hinreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht habe. Jedenfalls aber sei die angegriffene Bestimmung weder erforderlich noch angemessen gewesen. Der Verordnungsgeber habe den § 13 12. BayIfSMV im Wesentlichen damit begründet, dass Hygienemaßnahmen wie das Tragen einer Maske und Mindestabstände in Restaurants nicht hinreichend umsetzbar seien und eine Ansteckungsgefahr auch im Außenbereich bestehe. Die pauschale und ausnahmslose Betriebsschließung sei aber nicht erforderlich gewesen. Konkrete Belege dafür, dass ohne eine solche vollständige Schließung ein nicht mehr hinnehmbares Ansteckungsrisiko drohe, seien nicht zu finden. Vielmehr sei zum Zeitpunkt des Erlasses der 12. BayIfSMV die evidente Wissenslücke hinsichtlich der Auswirkung von Restaurantschließungen bekannt gewesen. Dass geeignete Hygienemaßnahmen zu einem ebenfalls vertretbaren Schutzkonzept geführt hätten, ergebe sich nicht nur daraus, dass es solche Öffnungsmöglichkeiten für Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe gegeben habe, sondern insbesondere auch aus den vielfältigen Öffnungsbefugnissen spezieller gastronomischer Betriebe nach § 13 Abs. 3 12. BayIfSMV. Danach habe der Antragsgegner offenkundig kein unvertretbares Ansteckungsrisiko angenommen. Es werde dringend die Einholung eines Sachverständigengutachtens (sowie weiteren, geeigneten Zeugenbeweises) angeregt, welches über die Auswirkung der Öffnung gastronomischer Betriebe unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen und/oder des Betriebs gastronomischer Einrichtungen nur im Außenbereich auf die Infektionszahlen sowie deren Berücksichtigung im Zuge der hier gegenständlichen Schließungsanordnung Aufschluss gebe.
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Aber auch die Angemessenheit der Maßnahme sei nicht gewahrt. Der Inzidenzwert habe aufgrund der fachlichen Einschätzung des RKI nicht als einzig dynamisches Element der 12. BayIfSMV isoliert zur Beurteilung der Wirksamkeit von Maßnahmen herangezogen werden dürfen. Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens habe der Verordnungsgeber es in vorwerfbarer Weise unterlassen, die Wirksamkeit von Maßnahmen genauer aufzuklären und die Erkenntnisse künftigen Entscheidungen zugrunde zu legen. Für die Angemessenheit der vollständigen Betriebsschließungen bedürfe es nach dem BVerfG angesichts des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs daher entweder des Nachweises einer spürbar stärkeren Wirkung im Vergleich zur begrenzten Öffnung oder einer hinreichenden Kompensation durch „Überbrückungshilfen“; hier ergebe sich aber aus beiden Szenarien keine insgesamt noch angemessene Eingriffstiefe.
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4. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2024 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er hält den Antrag teilweise schon für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Die angegriffene Verordnungsbestimmung habe nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Die Regelung der Gastronomie in § 13 12. BayIfSMV habe sich auf eine taugliche gesetzliche Ermächtigung im IfSG gestützt, die derartige Gebote und Verbote ermöglicht habe. Die Regelung sei sachlich gerechtfertigt, im Rahmen des normativ Möglichen hinreichend bestimmt und verhältnismäßig i.S.d. rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in dessen sämtlichen Ausprägungen gewesen. Die Vorschrift habe weder die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 GG noch aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
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Nach der Rechtsprechung verschiedener Ober- und Bundesgerichte verfüge die angegriffene Verordnungsregelung mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 13 IfSG über eine taugliche und insbesondere verfassungsmäßige Rechtsgrundlage. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG ergäben sich insbesondere nicht aus den von der Antragstellerin herangezogenen „RKI-Protokollen“. Auch nach deren Veröffentlichung beständen keine Zweifel daran, dass die Expertise des RKI zur Grundlage der Entscheidungen über Schutzmaßnahmen habe gemacht werden dürfen. Dass das RKI keine gerichtsgleiche Institution, sondern eine oberste Bundesbehörde sei, ändere an diesem Befund nichts. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg werde die Aussagekraft der im Zeitpunkt der Entscheidung der Verordnungsgeber veröffentlichten fachlichen Stellungnahmen des RKI durch dessen interne Protokolle nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit ergäben sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht aus dem Fehlen einer gesetzlichen Entschädigungspflicht.
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Die angegriffene Regelung halte sich innerhalb der Grenzen der Ermächtigungsgrundlage. Die grundsätzliche Untersagung von Gastronomiebetrieben nach § 13 12. BayIfSMV habe einen legitimen Zweck verfolgt und sei geeignet, erforderlich und angemessen gewesen, um diesen zu erreichen. Wie der Bundesgerichtshof festgestellt habe, sei die Schließung von Gaststätten nicht nur geeignet, Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren und dadurch weitere Infektionen zu verhindern; die Untersagung von Gastronomiebetrieben sei danach auch wirksamer als Hygienekonzepte und Hygienemaßnahmen, da sie Infektionsrisiken bestenfalls reduzieren, aber nicht ausschließen könnten. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht dem Verordnungsgeber einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum und eine Typisierungsbefugnis zugebilligt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats habe es entgegen den Ausführungen der Antragstellerin auch keiner weitergehenden gutachterlichen Ermittlungen oder Studien zur spezifischen infektiologischen Bedeutung von Gastronomiebetrieben bedurft, um die hier angegriffene Bestimmung zu rechtfertigen.
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Die grundsätzliche Untersagung von Gastronomiebetrieben sei schließlich auch verhältnismäßig i.e.S. gewesen. Insbesondere setze die Angemessenheit der Maßnahme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den zweifelsfreien empirischen Nachweis der Wirksamkeit der Maßnahme voraus. Die gesetzgeberische Prognose über die Wirkung der Maßnahme unterliege lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle. Für den Verordnungsgeber könne insoweit nichts Anderes gelten. Der Antragsgegner habe davon ausgehen dürfen, dass in gastronomischen Betrieben infektionsträchtige Kontakte in relevanter Anzahl stattfinden. Das in Normenkontrollen oft bemühte Argument, eine bestimmte Personengruppe oder Betriebsart sei kein „Treiber der Pandemie“ gewesen, verfange in der Rechtsprechung nicht.
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Insbesondere im Hinblick auf das Infektionsgeschehen des Frühjahrs 2021 sei die Schließung von Gastronomiebetrieben angemessen gewesen. Zum einen sei auf § 13 Abs. 2 und 3 12. BayIfSMV hinzuweisen, wonach die Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen und Getränke erlaubt gewesen sein; dies sei gerade für Gaststätten, die wie die Antragstellerin im Schwerpunkt Pizza anböten, gut geeignet und typisch gewesen und habe einen relevanten Ausgleich für die Schließung des stationären Gaststättenbetriebs dargestellt. Dass eine gesetzliche Regelung von Ausgleichszahlungen für Betriebsschließungen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht nötig gewesen sei, habe das Bundeverwaltungsgericht bereits mehrfach entschieden und der Bundesgerichtshof bestätigt.
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Schließlich liege auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Insbesondere seien nichtöffentliche Kantinenbetriebe weder nach der Betriebsart noch nach der infektiologischen Situation mit einer für ein unbeschränktes Publikum offenstehenden Gaststätte vergleichbar.
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5. Mit Schriftsatz vom 11. März 2025 hat die Antragstellerin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, weil § 13 12. BayIfSMV wirksam war.
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A. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, auch wenn die angegriffene Norm mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft getreten ist.
28
1. Gemäß § 47 Abs. 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt der Antrag aber zulässig, wenn der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris).
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2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Antrag hat mit § 13 12. BayIfSMV einen tauglichen Gegenstand. Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von § 13 12. BayIfSMV, auch wenn diese Regelung mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft getreten ist (§ 30 12. BayIfSMV i.d.F. der Änderungsverordnung vom 14. Mai 2021, BayMBl. 2021 Nr. 337).
31
a) Die Antragstellerin hat den Normenkontrollantrag am 15. März 2021 und damit während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, B.v. 28.7.2022 – 3 BN 8.21 – BeckRS 2022, 22986 Rn. 10, 12, 16 f.). Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 6. Juni 2021 kann sie weiterhin geltend machen, durch die Bestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Auf der Grundlage ihres Vortrags erscheint es möglich, dass sie durch § 13 12. BayIfSMV, der Gastronomiebetriebe untersagte, in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit, in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsgrundrecht sowie im allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt wurde.
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b) Die Antragstellerin hat trotz des Außerkrafttretens der Regelung ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung ihrer Unwirksamkeit.
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Art. 19 Abs. 4 Satz 1GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023, 1846 Rn. 15).
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Danach besteht ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Klärung der Wirksamkeit von § 13 12. BayIfSMV. Die zur Prüfung gestellte Norm hatte eine zeitlich so beschränkte Geltungsdauer, dass währenddessen gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Sie macht aufgrund der Betriebsuntersagung eine Beeinträchtigung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und aus Art. 3 Abs. 1 GG geltend, welche ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelung rechtfertigt. Der Antragstellerin war mindestens für die Geltungsdauer der angegriffenen Regelung eine Nutzung ihrer Betriebsstätten im Rahmen der ihr erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnisse unmöglich.
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3. Mit Artikel 1 des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) wurde § 28b IfSG (sog. „Bundesnotbremse“) in das Infektionsschutzgesetz eingefügt, welcher am 23. April 2021 in Kraft trat. Nachdem die nach dieser Norm maßgebliche 7-Tage-Inzidenz an verschiedenen Betriebsstandorten der Antragstellerin zu unterschiedlichen Zeiten über 100 lag und damit die in § 28b geregelten Schutzmaßnahmen unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung galten (BT-Drs. 19/28732 S. 19), ohne dass es eines weiteren Umsetzungsaktes durch eine Vollzugsbehörde bedurft hätte, ging die angegriffene Regelung in den jeweils betroffenen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten und Zeiträumen aufgrund der bundesgesetzlichen Untersagung der Öffnung von Gaststätten nach § 28b Abs. 1 Nr. 7 IfSG weitgehend ins Leere (vgl. BayVGH B.v. 29.4.2021 – 20 NE 21.1092 – BeckRS 2021, 10017 Rn. 10). Dies lässt aber aufgrund der von den angegriffenen Regelungen ausgehenden Belastungen der Antragstellerin während der (übrigen) Geltungsdauer der 12. BayIfSMV ihr Feststellungsinteresses unberührt.
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B. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet, weil die angegriffene Verordnungsregelung wirksam war.
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1. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG).
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Am 19. November 2020 trat vor Erlass der streitgegenständlichen Regelung am 15. Dezember 2020 das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020 (BGBl. I S. 2397) in Kraft, durch welches § 28a IfSG neu in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurde. § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG i.d.F. des Gesetzes vom 18. November 2020 enthielt für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag, die erstmals am 25. März 2020 mit Wirkung zum 28. März 2020 erfolgt war (BT-PlProt. 19/154, S. 19169) und deren Fortbestehen am 18. November 2020 bestätigt wurde (BT-Drs. 19/24387), die Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ausdrücklich, so dass sich die angegriffene Regelung auch auf § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG stützte.
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2. Die weitgehende Untersagung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 14 und § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21ff.).
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Ohne Bedenken hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, dass die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch unter Geltung des § 28a Abs. 1 IfSG eine verfassungsgemäße Grundlage für Betriebsschließungen gewesen ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2024 – 3 CN 11.22 – BeckRS 2024, 16482 Rn. 22 unter Verweis auf OVG Saarlouis, U.v. 15.09.2022 – 2 C 67/21 – unveröffentlicht). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an (so auch schon BayVGH, B.v. 12.1.2021 – 20 NE 20.3026 – BeckRS 2021,161 Rn. 11 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 22 ff.).
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Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden konnten, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Beschränkung von Einrichtungen und Betrieben, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in der betroffenen Einrichtung oder in dem jeweiligen Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 14 und § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
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3. Die Betriebsuntersagung von gastronomischen Betrieben der Antragstellerin war verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 14 und § 28 Abs. 1 IfSG (vgl. zu den entsprechenden Regelungen der 8. BayIfSMV bereits BayVGH, B.v. 18.10.2024 – 20 N 20.2817 – BeckRS 2024, 30433).
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a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit der Schließung von gastronomischen Einrichtungen durch § 13 12. BayIfSMV ein legitimes Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.
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aa) Dem Erlass der 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 lag der Beschluss zur Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 3. März 2021 zugrunde (abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1872054/bff0487ddbb04e6c1dd117136caff12f/2021-03-03-mpk-data.pdf?download=1).
45
Dort wurde u.a. festgestellt, der Grundsatz Kontakte zu vermeiden, bleibe das wesentliche Instrument im Kampf gegen die Pandemie. Der Anteil der Virusvarianten an den Infektionen in Deutschland steige schnell an, wodurch die Zahl der Neuinfektionen jetzt wieder zu steigen beginne. Die Erfahrungen in anderen Staaten zeigten, wie gefährlich die verschiedenen Covid19-Varianten seien. Wenn die Infektionszahlen erneut exponentiell anstiegen, könne das Gesundheitswesen mit dann jüngeren Patienten schnell wieder an seine Belastungsgrenzen stoßen. Da das Virus keine Grenzen kenne, bleibe es wichtig, dass die Länder und der Bund bei den Öffnungsschritten gemeinsam und nach einheitlichen Maßstäben vorgingen.
46
Ausweislich der Begründung zur 12. BayIfSMV (BayMBl. 2021 Nr. 172) ging der Antragsgegner auf der Grundlage des o.g. Beschlusses davon aus, dass eine Aufrechterhaltung der grundlegenden bisherigen Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich sei. Das Ziel, eine 7-Tage-Inzidenz von höchstens 50 (Schwellenwert) zu erreichen, bei welchem erfahrungsgemäß eine Kontaktpersonennachverfolgung durch die Gesundheitsämter noch gewährleistet werden könne und eine nachhaltige Kontrolle des Infektionsgeschehens möglich sei, sei weiterhin noch nicht erreicht. Am 5. März 2021 liege die 7-Tage-Inzidenz in Bayern mit 69,1 leicht über dem Bundesdurchschnitt von 65,4. Die Zahl der COVID-19-Patienten, die in bayerischen Krankenhäusern behandelt werden müssten, habe seit Anfang Januar 2021 kontinuierlich abgenommen, verharre aber offenbar auf einem gewissen Plateau. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von besorgniserregenden Virusvarianten („Variants of Concern“, VOC) bestehe die Gefahr eines raschen regionalen Wiederanstiegs der Zahl stationär behandlungsbedürftiger COVID-19-Patienten. Das RKI schätze die Situation weltweit, in Europa und in Deutschland weiterhin als sehr dynamisch und ernst zu nehmend ein. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland werde nach wie vor als „sehr hoch“ eingestuft. Das Infektionsgeschehen sei diffus, in vielen Fällen könne das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden. Impfstoffe seien noch nicht in ausreichender Menge verfügbar und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe sei komplex und langwierig; ein nicht unerheblicher Teil erfordere eine intensivmedizinische Behandlung. Des Weiteren gehe eine Gefahr von den VOC aus. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control – ECDC) habe das Risiko, das mit der weiteren Verbreitung der VOC einhergehe, am 15. Februar 2021 für die Allgemeinbevölkerung als „hoch“ bis „sehr hoch“ und für vulnerable Personen als „sehr hoch“ eingeschätzt. Es warne vor einer mit einer verstärkten Ausbreitung einhergehenden Erhöhung der Hospitalisierungs- und Sterberaten in allen Altersgruppen, insbesondere aber bei älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen. Es sei daher von entscheidender Bedeutung, die Übertragung und Ausbreitung von SARS-CoV-2 so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern, um Belastungsspitzen im Gesundheitswesen zu vermeiden.
47
Das Ziel der Verringerung der Neuinfektionen entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).
48
bb) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte während der Geltungsdauer der angegriffenen Bestimmung eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – NJW 2022, 139 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 52; BVerwG, U.v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168 Rn. 32).
49
(1) Nach dem Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 5. März 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-05-de.pdf? blob=publicationFile& v=1) zeigte sich bei Erlass der 12. BayIfSMV ein erneuter Anstieg der Fallzahlen. Der 7-Tage-R-Wert liege um 1. Es bestehe durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten ein erhöhtes Risiko einer erneuten stärkeren Zunahme der Fallzahlen. Bundesweit gebe es in verschiedenen Kreisen Ausbrüche, die nach den an das RKI übermittelten Daten aktuell vor allem in Zusammenhang mit Alten- und Pflegeheimen, privaten Haushalten und dem beruflichen Umfeld ständen. Zusätzlich finde in zahlreichen Kreisen eine diffuse Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung statt, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar seien. Das genaue Infektionsumfeld lasse sich häufig nicht ermitteln. Ältere Personen seien nach wie vor sehr häufig von COVID-19 betroffen. Da sie auch häufiger schwere Erkrankungsverläufe erlitten, bewege sich die Anzahl schwerer Fälle und Todesfälle weiterhin auf hohem Niveau. Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – sollten möglichst gemieden werden.
50
(2) Diese fachliche Einschätzung entspricht der vom bayerischen Verordnungsgeber angenommenen Gefährdungslage. Der Antragsgegner legte der 12. BayIfSMV folgende Risikobewertung zugrunde (Begründung zur 12. BayIfSMV, BayMBl. 2021 Nr. 172 S. 1 f.:)
51
„Die Zahl der COVID-19-Patienten, die in bayerischen Krankenhäusern behandelt werden müssen, nahm seit Anfang Januar 2021 kontinuierlich ab, verharrt gegenwärtig aber offenbar auf einem gewissen Plateau. Dennoch zeigt sich insbesondere auf den Intensivstationen weiterhin eine insgesamt hohe Auslastung. Dies rührt in erster Linie daher, dass aufgeschobene Operationen, die aber nunmehr dringend notwendig sind, durchgeführt werden müssen. Während am 28. Oktober 2020 noch 660 freie Intensivbetten mit der Möglichkeit zur invasiven Beatmung in Bayern verfügbar waren, sind es aktuell lediglich 336 freie Betten (Meldungen der Krankenhäuser in IVENA vom 5. März 2021). Einzelne Krankenhäuser und Leitstellen melden weiterhin, dass in ihrem Einzugsgebiet nur noch wenige Intensivbetten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit zur Verfügung stehen. Wenig freie Kapazitäten (unter zehn Intensivbetten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit) stehen derzeit laut Meldungen der Krankenhäuser u. a. in den Leitstellen Fürstenfeldbruck, Erding, Rosenheim, Traunstein, Ingolstadt, Landshut, Ansbach, Mittelfranken Süd, Untermain, Schweinfurt, Nordoberpfalz, Bayreuth und Bamberg zur Verfügung. Anders als in der ersten Welle im Frühjahr 2020 ist auch die Zahl der COVID-19-Patienten auf den Allgemeinpflegestationen in den Krankenhäusern weiterhin auf hohem Niveau, wenn auch abnehmend im Vergleich zur Situation im Dezember 2020 bzw. Januar 2021. Am 28. Oktober 2020 waren es 869 Patienten, die wegen einer SARS-CoV-2-Infektion im Krankenhaus auf einer Normalstation behandelt werden mussten, aktuell (Stand: 5. März 2021) sind es 1.353 Patienten. Die Krankenhäuser berichten weiterhin von einer verstärkten personellen Belastung. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass angesichts der zunehmenden Verbreitung von besorgniserregenden Virusvarianten („Variants of Concern“, VOC) die Gefahr eines raschen regionalen Wiederanstiegs der Zahl stationär behandlungsbedürftiger COVID-19-Patienten besteht.“
52
(3) Diese bei Erlass der 12. BayIfSMV bestehende Gefährdungslage bestand während ihrer Geltungszeit fort. Die bei Erlass der 12. BayIfSMV in Bayern bestehende 7-Tage-Inzidenz von 69 stieg in der Folge zunächst deutlich an – auf 114 laut RKI-Lagebericht vom 25. März 2021 und auf 181 laut RKI-Lagebericht vom 23. April 2021) – und sank erst danach wieder (154 laut RKI-Lagebericht vom 30. April 2021; 119 laut RKI-Lagebericht vom 10. Mai 2021; 69 laut RKI-Lagebericht vom 20. Mai 2021). Bei Außerkrafttreten der Norm am 6. Juni 2021 lag die 7-Tage-Inzidenz in Bayern bei 25 (RKI-Lagebericht vom 6.6.2021). Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser zeigte sich bei einer Abnahme der Hospitalisierungen seit der 17. KW weiterhin eine hohe Auslastung. Die Geltungszeit der 12. BayIfSMV wurde insgesamt viermal – durch die Verordnungen vom 25. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 224), vom 16. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 280), vom 5. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 307) und vom 14. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 337) verlängert; in den jeweiligen Verordnungsbegründungen wurde die Aufrechterhaltung der getroffenen Maßnahmen u.a. auf die durchgehend hohe Belastung der bayerischen Krankenhäuser, die noch nicht in ausreichender Menge verfügbaren Impfstoffe und die komplexe und langwierige Therapie schwerer Krankheitsverläufe gestützt. Nach der vom Verordnungsgeber zugrunde gelegten Risikobewertung durch das RKI wurde die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung bis zum 1. Juni 2021 durchgehend als „sehr hoch“ und ab dem 1. Juni 2021 als „hoch“ eingeschätzt. Diese Einschätzung wurde damit begründet, die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung mit Ausbrüchen in Privathaushalten, Kindertagesstätten und auch in Schulen sowie dem beruflichen Umfeld erfordere die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen, insbesondere die regelmäßige und intensive Lüftung von Innenräumen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten. Dies sei vor dem Hintergrund der raschen Ausbreitung leichter übertragbarer besorgniserregender Varianten (VOC) von entscheidender Bedeutung, um die Zahl der neu Infizierten deutlich zu senken und schwere Krankheitsverläufe, intensivmedizinische Behandlungen und Todesfälle zu vermeiden.
53
cc) Der Verordnungsgeber konnte sich bei seiner Einschätzung auch zulässigerweise auf die Risikobewertung und weiteren Erkenntnisse des RKI stützen (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 56 f.). Auf der Grundlage der Erkenntnisse und Einschätzungen des nach § 4 IfSG hierzu berufenen RKI bestand in dem hier fraglichen Zeitraum eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und es drohte – jedenfalls regional – eine Überlastung des Gesundheitssystems. Der Verordnungsgeber hielt aufgrund der weiterhin hohen Zahl von Corona-Erkrankungen und im Hinblick auf mehrere neu aufgetretene besorgniserregende Virusvarianten im März 2021 im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der zu diesem Zeitpunkt bereits geltenden Maßnahmen für erforderlich. Hierzu zählten neben der Schließung von Freizeiteinrichtungen und Ladengeschäften unter anderem auch die Untersagung touristischer Übernachtungsangebote, Kontaktbeschränkungen und – inzidenzabhängig – nächtliche Ausgangssperren. Mit den einschneidenden Maßnahmen wollte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) wahrnehmen und verfolgte mithin einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, der selbst schwere Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. BVerfG, B.v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – juris). Lebens- und Gesundheitsschutz und damit auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sind überragend wichtige Gemeinwohlbelange (BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – NJW 2022, 139 Rn. 275).
54
dd) Die Einwendungen der Antragstellerin führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Entscheidung des Verordnungsgebers über die zu treffenden Maßnahmen der Infektionsbekämpfung und -eindämmung erfolgte nicht allein anhand der Inzidenzwerte, sondern – wie sich aus der Begründung zur 12. BayIfSMV ergibt – vor allem anhand der Anzahl der an Corona Erkrankten und Verstorbenen sowie an den Kapazitäten des Gesundheitssystems. Für die Frage, ob die ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig waren, ist allein auf die Erkenntnislage und den Informationsstand des Verordnungsgebers im Zeitpunkt abzustellen, in dem die Maßnahme, vorliegend die Schließung gastronomischer Einrichtungen, getroffen wurde (BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 1/21 – BVerwGE 177, 60, juris Rn. 57; BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – BVerfGE 159, 223, juris Rn. 171, 185, 204; VGH BW, U.v. 11.04.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539 – Rn. 125).
55
Der Antragsgegner durfte sich auf die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen, da dieses durch die Entscheidung des Gesetzgebers dazu berufen war, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, und Anhaltspunkte dafür, dass es diese Aufgabe nicht erfüllte, fehlten (VGH BW, U.v. 11.4.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539 Rn 125). Das RKI ist gemäß § 4 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Absatz 1 Satz 1). Es arbeitet u.a. mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften, mit ausländischen Stellen und internationalen Organisationen sowie mit der Weltgesundheitsorganisation zusammen (Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Satz 1). Zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Empfehlungen und sonstigen Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (Absatz 2 Nr. 1). Es wertet die Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus (Absatz 2 Nr. 2) und stellt die Ergebnisse der Auswertungen u. a. den obersten Landesgesundheitsbehörden und den Gesundheitsämtern zur Verfügung (Absatz 2 Nr. 3 Buchst. c und d). Das RKI ist eine infektionsepidemiologische Leit- und Koordinierungsstelle (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften <Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG>, BT-Drs. 14/2530 S. 45). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn 56).
56
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften kommt es allein darauf an, ob der Verordnungsgeber im fraglichen Zeitraum ihrer Geltung die von ihm bejahte Gefahrenlage aufgrund der damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG annehmen konnte. Eine nachträgliche abweichende Einschätzung anderer Sachverständiger oder die Berufung auf spätere Studien kann hieran nichts ändern. Denn – wie stets im Recht der Gefahrenabwehr (vgl. nur Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl., E Rn. 126 ff.; BVerwG, Beschluss vom 06.03.2008 – 7 B 13/08 – juris Rn. 9) – die ex ante rechtmäßig prognostizierte Gefahr entfällt selbst dann nicht, wenn ex post festgestellt wird, dass zum damaligen Zeitpunkt keine oder eine andere als die prognostizierte Gefahrenlage bestand. Für die Beurteilung der Gefahrenlage stellt folglich das materielle Recht, hier das Infektionsschutzrecht, auf die zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen und dem Verordnungsgeber verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten ab (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn. 57; BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 171, 185, 204). Im Übrigen weist das RKI zu Recht darauf hin, dass während der COVID-19-Pandemie im Zuge des RKIinternen Lage- bzw. Krisenmanagements Besprechungen durchgeführt worden seien, in denen die Lage bewertet und RKI-Aktivitäten koordiniert wurden. Zu diesen Treffen seien Protokolle angefertigt worden. Als interne Arbeitsdokumente hätten sie dazu gedient, den Informationsfluss und die Abstimmung innerhalb des RKI sicherzustellen. Die Protokolle spiegelten den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider, in dem verschiedene Perspektiven angesprochen und abgewogen würden. Die Bewertungen reflektierten den Stand des Wissens und auch der öffentlichen Debatte im Krisenstab zum jeweiligen Zeitpunkt. Einzelne Äußerungen im Rahmen solcher Diskussionen stellten nicht zwangsläufig eine abschließende wissenschaftliche Bewertung oder die abgestimmte Position des RKI dar. Die Krisenstabs-Protokolle seien daher nicht zu verwechseln mit offiziellen Veröffentlichungen oder Empfehlungen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925118; https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925130).
57
Anhaltspunkte für eine insoweit unzureichende Aufgabenerfüllung, die Anlass für eine Begrenzung des Beurteilungs- und Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers sein könnten, sind schon angesichts des dynamischen Pandemieverlaufs mit dem Auftreten mehrerer Virusvarianten und wegen der kurzen Geltungsdauer der Verordnung nicht ersichtlich (BVerfG, U.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – NJW 2022, 139 Rn. 191).
58
b) Der Antragsgegner hat die in § 13 12. BayIfSMV festgelegten Betriebsuntersagungen von gastronomischen Einrichtungen als geeignet ansehen dürfen, um das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.
59
aa) Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – NJW 2022, 139 Rn. 185; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 59, jeweils m.w.N.).
60
bb) Ausgehend von der Beurteilung des RKI zur Übertragbarkeit des Virus war die Schließung von Gastronomiebetrieben geeignet, physische Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren, um weitere Infektionen mit dem hochansteckenden Virus SARS-CoV-2 einzudämmen und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen sicherzustellen. Dies gilt im Übrigen allgemein für Maßnahmen, um Ansammlungen zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und damit allgemein die Mobilität innerhalb der Bevölkerung zu reduzieren. Die Schließung von gastronomischen Einrichtungen ist insoweit eine (durch § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG normierte) spezifische Form der Kontaktbeschränkungen (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – NJW 2022, 139 Rn. 128; vgl. auch BT-Drucks 19/28444, S. 8; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 61).
61
c) Die durch § 13 12. BayIfSMV angeordnete Schließung von gastronomischen Einrichtungen war eine zur Zweckerreichung erforderliche Maßnahme.
62
aa) An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alter-nativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig fest-stehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – NJW 2022, 139 Rn. 203 m.w.N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 63).
63
Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der auch im hier maßgeblichen Zeitraum noch fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – NVwZ 2023, 1846 Rn. 65; B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781.21 u. a. – NJW 2022, 139 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 64). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 17 ff.).
64
bb) Gastronomische Betriebe wie die der Antragstellerin, die gleichzeitig von mehreren Menschen aufgesucht werden, haben nicht nur Ansammlungen von Menschen hervorgerufen, sondern zusätzliche Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg zu und von den Einrichtungen geschaffen, denen auch mit Hygienekonzepten der Antragstellerin nicht hätte begegnet werden können. Dass die Benutzung der Einrichtungen aufgrund eines Hygienekonzepts für sich betrachtet infektiologisch unbedeutend wäre (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023,1011 Rn. 21), kann indes nicht festgestellt werden.
65
Richtig ist, dass nach den Feststellungen des RKI in seinem Epidemiologischen Bulletin Nr. 38/20 vom 17. September 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf? blob=publicationFile) die Häufigkeit von gemeldeten Ausbrüchen im Bereich der Freizeit gemessen an anderen Infektionsumfeldern nicht wesentlich abwich. Übertragungen im familiären und häuslichen Umfeld, die nicht unbedingt zu vielen Folgefällen führten und nur wenige Fälle pro Ausbruch aufwiesen, kamen dagegen nach den behördlichen Feststellungen offensichtlich sehr häufig vor. Übertragungen im öffentlichen Bereich (in Verkehrsmitteln, Gaststätten, Hotels und wohl auch im Bereich der Freizeit und der Vereine) kamen, sicher auch bedingt durch die massiven Gegenmaßnahmen, vergleichsweise deutlich seltener vor. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die von den Behörden erfassten Ausbrüche und Übertragungen im gastronomischen Bereich infektiologisch als unbedeutend angesehen werden konnten. Auch hier findet regelmäßig der Natur der Sache nach ein intensiver und längerer persönlicher Kontakt mit einem hohen Übertragungsrisiko statt. Nur im Freien kam es nach den Feststellungen des RKI zu deutlich weniger Übertragungen (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 38/20 vom 17. September 2020 S. 10). Auch ist allgemein die große Anzahl und weite Verbreitung von Gaststätten mit einer großen Zahl von Besuchern Mitgliedern zu berücksichtigen.
66
Wegen der ex ante-Beurteilung der Gefährdungslage spielen tatsächliche oder vermutete Aufklärungsdefizite des Verordnungsgebers zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regelung bezüglich des Verursachungsbeitrags einzelner Geschäftsbereiche im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen – abweichend von der Auffassung der Antragstellerin – keine Rolle, solange der Verordnungsgeber den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht auf tatsächlich fehlerhafter Grundlage angewendet hat. Davon ist vorliegend nicht auszugehen. Nachdem die Übertragung des Corona-Virus von Mensch zu Mensch durch Aerosole erfolgt, dieser Übertragungsweg zum damaligen Zeitpunkt nach den insoweit maßgeblichen Erkenntnissen des RKI bereits feststand und es in Gaststätten, die nach ihrer typischen Nutzungsart von Menschen nicht allein zum Zweck der Nahrungsaufnahme, sondern zu gesellschaftlichen Zwecken und zum kommunikativen Austausch mit anderen Menschen aufgesucht werden, zu Infektionsgeschehen kommen konnte, hat das Fehlen fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Häufigkeit von Übertragungen in Gaststätten nicht dazu geführt, dass sich die Annahme des Verordnungsgebers, dass die Reduzierung von menschlichen Kontakten zu einem Rückgang von Neuinfektionen bzw. im Gegenteil das Offenhalten gastronomischer Einrichtungen zu einer Mehrung von Infektionen führen würde, aus damaliger ex ante-Sicht als tatsächlich fehlerhaft erweisen würde.
67
Die Entscheidung des Verordnungsgebers, auf dieser Grundlage Beschränkungen (auch) im Bereich der Gastronomie zu treffen, hielt sich innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums. Er stufte den Bereich der gastronomischen Einrichtungen als grundsätzlich kontaktintensiv und damit infektiologisch relevant ein und nahm die angegriffenen Beschränkungen im Rahmen umfassender nahezu alle Lebensbereiche betreffender Maßnahmen vor. Er ging davon aus, dass das Zusammentreffen von Menschen in Innenräumen zu einem erhöhten Risiko der Anreicherung von Aerosolen führe, welches wiederum eine mögliche Infektionsübertragung auch bei Einhalten von Mindestabständen begünstigen könne.
68
In Bereich der Gastronomie können anderweitige Hygienemaßnahmen wie Mindestabstand und Maskentragen nur begrenzt eingehalten werden. So müssen in gastronomischen Betrieben zum Verzehr von Speisen und Getränken die Masken am Tisch abgenommen werden. Auch dort, wo Gäste oder Zuschauer grundsätzlich an festen Plätzen platziert und insoweit Mindestabstände eingehalten werden können, ist es unvermeidlich, dass die Gäste oder Zuschauer vor dem Einnehmen und nach Verlassen dieser Plätze in Begegnungsbereichen wie Gängen, Eingangsbereichen, Garderoben, Toiletten usw. aufeinandertreffen, ohne dass Abstände konsequent eingehalten werden können. Somit besteht in den Innenräumen ein erhöhtes Risiko der Anreicherung von Aerosolen. Dies wiederum kann eine mögliche Infektionsübertragung begünstigen auch bei Einhalten von Mindestabständen.
69
Letztlich ist entscheidend, dass das Ziel, durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, ohne breit angelegte Infektionsschutzmaßnahmen, zu der auch die Schließung von gastronomischen Einrichtungen gehörte, jedenfalls aus damaliger Sicht nicht zu erreichen gewesen war (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 69).
70
d) Die in § 13 12. BayIfSMV angeordnete Schließung von gastronomischen Einrichtungen war während ihrer Geltungsdauer angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
71
aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – NJW 2022, 139 Rn. 216 m.w.N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 75 m.w.N.).
72
bb) Die durch § 13 12. BayIfSMV angeordneten weitgehenden Schließungen von gastronomischen Einrichtungen waren angesichts ihrer Dauer und der Intensität der Beschränkung ein gewichtiger Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung und in das Eigentumsgrundrecht der Antragstellerin (Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG). Der Eingriff wurde dadurch noch verstärkt, dass es sich bereits um die dritte Schließung während der Corona-Pandemie handelte und die Betreiber der Einrichtungen in der Zwischenzeit in Hygienemaßnahmen investiert hatten, aber auch weiterhin zahlreichen Betriebsbeschränkungen ausgesetzt waren. Gemildert wurde der Eingriff bei Gastronomiebetrieben allerdings durch die erlaubte Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken. Zudem bestand nach § 27 12. BayIfSMV seit dem 22. März 2021 die (zumindest theoretische) Möglichkeit einer Öffnung der Außengastronomie durch Entscheidung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde bei dauerhafter Unterschreitung bestimmter Inzidenzwerte und einem stabilen oder rückläufigen Infektionsgeschehen. Das Eingriffsgewicht wurde ferner durch die für die von den Schließungen betroffenen Betriebe vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert (vgl. hierzu BVerfG, B. vom 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NVwZ 2022, 974 Rn. 28; BVerwG, Urteile v. 16.5.2023 – 3 CN 4.22 – juris Rn. 66 und – 3 CN 6.22 – NVwZ 2023, 1830 Rn. 69). Zwar ist das Grundrecht der Berufsfreiheit in erster Linie persönlichkeitsbezogen, konkretisiert also im Bereich der individuellen beruflichen Leistung und Existenzerhaltung das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Daher kann eine finanzielle Kompensation für sich genommen dem Bedeutungsgehalt der Berufsfreiheit nicht gerecht werden. Gleichwohl verminderten Hilfsprogramme allgemein die Wahrscheinlichkeit einer existenzbedrohenden Lage und unterstützten die Betroffenen darin, die ausgeübte Tätigkeit künftig weiterhin wirtschaftlich ausüben zu können (BVerfG, B.v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 Rn. 28 m.w.N.; zur Erforderlichkeit gesetzlicher Entschädigungsregelungen vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2022 – 3 CN 4.22 – Rn. 60 ff. m.w.N.).
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cc) Diesen durch die Schließung des Betriebs bewirkten gewichtigen Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – NJW 2022, 139 Rn. 231 m.w.N.; BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 80 und – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 32). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Regelungen davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Wegen der hohen Zahl der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen hatte die Verlangsamung der Ausbreitung während der Geltungsdauer der angegriffenen Norm ein hohes Gewicht. Nach dem – plausiblen – Schutzkonzept des Verordnungsgebers war die Schließung von Einrichtungen und Angeboten des Sports, der Gastronomie und des Tourismus – neben der Schließung von Einrichtungen auch in den Bereichen Kultur und Freizeit, der Kontaktbeschränkung im öffentlichen und im privaten Raum, der Pflicht, in bestimmten Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, der Anordnung von Hygieneregeln und der Kontaktdatenerhebung in den offen gehaltenen Einrichtungen – ein zentrales Mittel zur Zielerreichung (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn. 69).
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dd) Der Verordnungsgeber hat für den zu beurteilenden Zeitraum bei der Ausgestaltung der Schließung gastronomischer Einrichtungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit der Maßnahme verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden (vgl. BVerfGE 159, 223 Rn. 232, 234 = NJW 2022, 139 = NVwZ-Beil 2022, 7). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber während der Geltungszeit der angegriffenen Norm im Hinblick auf Gastronomiebetriebe noch keine wesentliche Lockerung vorgesehen hat. Er konnte davon ausgehen, dass die Schließung von Gaststätten weiterhin einen nennenswerten Beitrag zur Zweckerreichung leisten konnte und daher nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stand. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Kammerbeschluss vom 23. März 2022, mit dem es die Verfassungsbeschwerde einer Gastronomin gegen das Verbot der Öffnung von Gaststätten nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG i.d.F. des Gesetzes vom 22. April 2021 nicht zur Entscheidung angenommen hat, bestätigt, dass die dortige Schließung von gastronomischen Einrichtungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhältnismäßig im engeren Sinn war (vgl. BVerfG, B.v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – juris Rn. 30 ff.). Es hat den Eingriff in die Berufsfreiheit als gerechtfertigt angesehen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist es von einem erheblichen Eingriffsgewicht ausgegangen, das allerdings durch die staatlichen Hilfsprogramme für die von den Schließungen betroffenen Betriebe gemindert worden sei. Dem Eingriff in die Berufsfreiheit sei gegenüberzustellen, dass angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens im April 2021 eine besondere Dringlichkeit bestanden habe, zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abwägung des Gesetzgebers nicht beanstandet. Die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme hätten für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen gesorgt. Belastungsmindernd hat das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt, dass der Außer-Haus-Verkauf sowie die Lieferung von Speisen und Getränken möglich blieben und die Regelung befristet war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 Rn. 19 ff.). Es ist nicht ersichtlich, warum für den hier maßgeblichen Zeitraum und die hier in Rede stehenden Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne anders zu beurteilen sein sollte (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn. 72). Soweit die Betreiber von Gastronomiebetrieben verfassungsrechtlich gesehen auch in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum betroffen wurden, folgt hieraus keine andere Bewertung; in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls nicht weitergeht als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt (vgl. BVerfG, U. v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – BVerfGE 143, 246 Rn. 240 und B. v. 30.6.2020 – 1 BvR 1679/17 u. a. – BVerfGE 155, 238 Rn. 86, jeweils m. w. N.; BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – juris Rn. 64).
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ee) Der Umstand, dass der Verordnungsgeber nach § 13 Abs. 3 12. BayIfSMV einzelne stationäre Bewirtungsangebote wie z.B. nicht öffentlich zugängliche Betriebskantinen von der Schließungsanordnung ausgenommen hat, verstößt schließlich auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Deren Öffnung stellt eine sachlich gerechtfertigte Ausnahme dar, um die (Grund-)Versorgung der Beschäftigten in den Arbeitspausen und damit die Funktionsfähigkeit der angegliederten Betriebe und Einrichtungen zu gewährleisten (vgl. OVG Saarland, U.v. 10.07.2024 – 2 C 157/23 – BeckRS 2024, 22423). Anders als in der frei zugänglichen Gastronomie finden in nicht öffentlich zugänglichen Kantinen Begegnungen nur im Kreis der jeweiligen Beschäftigten statt, welche in der Regel während der Arbeitszeit ohnehin untereinander Kontakt haben. Die Einschätzung des Verordnungsgebers hält sich im Rahmen seines Einschätzungsspielraums und ist damit nicht zu beanstanden (BayVGH, B.v. 4.3.2024 – 20 N 20.2765 – BeckRS 2024, 28752 Rn. 45).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BeckRS 2022, 43974).
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5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Revisionsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) vorliegen.