Titel:
Adressierung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen gegenüber Minderjährigen gem. § 20 IfSG
Normenketten:
SGB VIII § 24 Abs. 3 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6, § 154 Abs. 1
IfSG § 20 Abs. 8 S. 1, Abs. 9 S. 1, Abs. 12 S. 4,S. 7, Abs. 13 S. 1
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Betretungsverbot gem. § 20 Abs. 12 S. 4 IfSG bedarf einer behördlichen Einzelanordnung, die auch gegenüber minderjährigen Adressaten unmittelbar zu ergehen hat. Die Erziehungs- oder Sorgeberechtigten sind sodann gem.§ 20 Abs. 13 S. 1 IfSG verpflichtet, für deren Befolgung Sorge zu tragen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Demgegenüber trifft die Pflicht zur Vorlage eines Nachweises iSd § 20 Abs. 9 S. 1 IfSG die Erziehungs- und Sorgeberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Fehlen einer Primäranordnung gegenüber dem minderjährigen Adressaten stellt einen offenkundigen Verfahrensmangel dar und ist im Beschwerdeverfahren gem. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO auch ohne ausdrückliche Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachweis einer Masern-Schutzimpfung, behördliches Betretungsverbot (Kindertageseinrichtung), Verpflichtung der Sorgeberechtigten einer nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG verpflichteten minderjährigen Person, Betretungsverbot, minderjähriger Adressat, Nachweisvorlagepflicht, Masern, Impfung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 14.02.2025 – AN 18 S 25.242
Fundstelle:
BeckRS 2025, 7342
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. Februar 2025 wird geändert.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts ...vom 22. Januar 2025 wird angeordnet.
III. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre Einwendungen gegen einen Bescheid weiter, durch den ihren Eltern untersagt wird, sie die Räumlichkeiten einer Kindertageseinrichtung betreten zu lassen.
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1. Die am ... 2020 geborene Antragstellerin hat einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung im Landkreis Nürnberger Land; sie ist nicht gegen Masern geimpft. Am 14. September 2022 informierte der Träger der Kindertageseinrichtung das Landratsamt ... (Gesundheitsamt) über den fehlenden Impfschutz der Antragstellerin; beigefügt war ein als „Ärztliche Bescheinigung“ überschriebenes Formular der Ärztin Dr. D.G. vom 9. Februar 2022, auf der folgende vorgedruckte Erklärung angekreuzt war: „Befreiung von allen Impfungen: Es liegt eine dauerhafte, medizinische Kontraindikation vor, aufgrund derer nicht geimpft werden kann.“
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Mit Schreiben vom 6. Oktober 2022 teilte das Landratsamt den Eltern der Antragstellerin mit, dass die vorgelegte ärztliche Bescheinigung nicht dem gesetzlich geforderten Nachweis entspreche. Ein Bescheid erging jedoch nicht.
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Nach Aktenlage teilte die Kindertageseinrichtung dem Landratsamt am 18. Juli 2023 auf Nachfrage mit, dass die Antragstellerin seit dem 13. März 2023 den Kindergarten wieder besuche, ohne dass bislang ein neuer Nachweis vorgelegt worden sei.
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Mit Schreiben vom 6. Mai 2024 wandte sich das Landratsamt erneut an die Eltern der Antragstellerin und forderte sie zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 12 i.V.m. Abs. 9 IfSG auf. Das daraufhin vorgelegte, als „Ärztliches Attest“ überschriebene Dokument der Ärztin C.R. vom 29. Juli 2024 enthält die Aussage, dass die Antragstellerin „aufgrund ihrer eigenen sowie familiären Vorgeschichte mit Risikofaktoren aus dem allergologischen, immunologischen und psychischen Formenkreis, die in den Fachinformationen der Impfstoffe als medizinische Kontraindikation aufgeführt“ seien, dauerhaft nicht geimpft werden könne. Das Landratsamt wies die Eltern mit Schreiben vom 4. November 2024 darauf hin, dass auch dieses Attest nicht als Nachweis dienen könne und erließ – nach Anhörung mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 – am 22. Januar 2025 gegenüber den Eltern der Antragstellerin – laut Postzustellungsurkunde zugestellt am 24. Januar 2025 – einen Bescheid, dessen Ziff. 1 wie folgt gefasst ist:
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„Herrn und Frau … wird untersagt, ab dem 15.02.2025 ihre Tochter V.…, geb. ... .2020, die Räumlichkeiten der Kindertageseinrichtung Montessori … …, …, … …oder einer anderen Kindertageseinrichtung betreten zu lassen.“
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2. Mit Schriftsätzen ihrer Bevollmächtigten vom 28. Januar 2025 hat die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22. Januar 2025 Klage erhoben (AN 18 K 25.243) – über die nach Aktenlage noch nicht entschieden ist – und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Mit dem Antrag wurde ein weiteres als „ärztliches Attest“ überschriebenes Dokument der Ärztin C.R. vom 7. Januar 2025 vorgelegt. Darin wird unter anderem ausgeführt: „Die allergische Diathese bei ... durch allergische Vorerkrankungen beider Eltern führt zu einem 90% Risiko, dass ... ebenfalls z.B. auf Inhaltsstoffe z.B. des MMR-VaxPro allergisch reagieren kann.“
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3. Mit Beschluss vom 14. Februar 2025 i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 17. Februar 2025 – den Beteiligten zugestellt am 17. Februar 2025 – hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Der Antrag sei unbegründet, weil die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Das in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Januar 2025 angeordnete Betretungsverbot sei bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Dessen rechtliche Grundlage ergebe sich aus § 20 Abs. 12 Satz 4 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG, deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt seien: Für die in einer Gemeinschaftseinrichtung i.S.d. § 33 Nr. 1 IfSG betreute Antragstellerin sei ein ausreichender Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bislang nicht erbracht worden (wird ausgeführt). Auch die Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite sei gerichtlich nicht zu beanstanden. Wenn – wie vorliegend – die eigentlich zu verpflichtende Person minderjährig sei, so habe nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Abs. 9 bis Abs. 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zustehe. Der Gesetzgeber habe insoweit eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert.
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4. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 26. Februar 2025 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 4. März 2025 begründet, wobei sie insbesondere eine unterlassene Amtsermittlung, eine fehlerhafte Aktenführung, einen Ermessensfehlgebrauch und die fehlende Angemessenheit des Ausschlusses der Antragstellerin aus der Kindertageseinrichtung vorträgt.
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5. Der Antragsgegner ist der Beschwerde mit Schriftsatz vom 20. März 2025 entgegengetreten und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Insbesondere liege weder eine relevante fehlerhafte Aktenführung noch eine unzureichende ärztliche Untersuchung der Antragstellerin und Auseinandersetzung mit Kontraindikationen, Krankheitsbildern und Krankheitsfällen in der Familie der Antragstellerin vor. Sowohl die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG als auch die Ladung zu einer Beratung nach § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG ständen im – hier ordnungsgemäß ausgeübten – Ermessen des Gesundheitsamts. Unter den gegebenen Umständen erscheine das angeordnete Betretungsverbot in jeder Hinsicht als verhältnismäßig.
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Auf ein Anhörungsschreiben des Senats vom 24. März 2025 hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 25. März 2025 noch ausgeführt, durch § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG gehe die eine minderjährige Person treffende Verpflichtung auf den/die Sorgeberechtigten über, da anderenfalls die Verpflichtung wegen der Minderjährigkeit einer überwiegenden Anzahl von Adressaten leerliefe. Es liege de facto nicht in der Macht der Antragstellerin selbst, eine Kindertageseinrichtung zu betreten oder nicht zu betreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Antrag auf Anordnung der kraft Gesetzes (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2025 nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
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1. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die allgemein oder im Einzelfall ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage anordnen oder wiederherstellen. Dabei hat das Gericht – das Beschwerdegericht unter grundsätzlicher Beschränkung auf die fristgerecht geltend gemachten Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) – seiner Entscheidung eine Abwägung der betroffenen Interessen auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Im Rahmen dieser Abwägung sind – soweit bei summarischer Prüfung bereits überschaubar – maßgeblich die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, da das öffentliche Vollzugsinteresse bei einem erkennbar rechtswidrigen Verwaltungsakt im Regelfall ebenso wenig schützenswert ist wie das Suspensivinteresse des Adressaten eines bereits absehbar rechtmäßigen Verwaltungsakts (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 9.6.2022 – 6 VR 2/21 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89).
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2. Gemessen daran haben die Beschwerde und der Antrag Erfolg, weil die in der Hauptsache erhobene Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22. Januar 2025 (AN 18 K 25.243) voraussichtlich begründet ist. Der angegriffene Bescheid, der – obwohl unmittelbar an ihre Eltern gerichtet – in die eigenen Rechte der Antragstellerin aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII eingreift, ist bereits deshalb rechtswidrig, weil ein Betretungsverbot gegenüber der Antragstellerin bisher nicht besteht. Insofern überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das Vollzugsinteresse des Antragsgegners.
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a) Nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG kann das zuständige Gesundheitsamt einer Person, die trotz einer (rechtmäßigen) Anforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG keinen Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, untersagen, dass sie u.a. die dem Betrieb einer Kindertageseinrichtung i.S.d. § 33 Nr. 1 IfSG dienenden Räume betritt. Wie alle anderen behördlichen Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 IfSG sind auch Betretungsverbote i.S.d. § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG nach dem gesetzlichen Wortlaut, dem Normzweck und allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätzen unmittelbar gegenüber der in der jeweiligen Einrichtung betreuten, untergebrachten oder tätigen Person anzuordnen (vgl. nur Gebhard in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 39 ff.; Aligbe in BeckOK InfektionsschutzR, Stand 1.1.2025, § 20 IfSG Rn. 268; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 148).
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Für den Fall, dass die betroffene Person minderjährig ist, enthält § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG eine gesetzliche Erweiterung der auf der Grundlage von § 20 Abs. 12 IfSG begründeten materiellen Handlungs- und Unterlassungspflichten: „Wenn eine nach den Absätzen 9 bis 12 verpflichtete Person minderjährig ist, so hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht.“
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Obwohl behördliche Maßnahmen grundsätzlich auch unmittelbar an Minderjährige gerichtet werden können – vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter, soweit sie nach Art. 12 BayVwVfG verwaltungsverfahrensrechtlich (noch) nicht handlungsfähig sind (vgl. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 12 Rn. 5; Geis in Schoch/Schneider, VerwaltungsR, Stand Juli 2024, § 12 VwVfG Rn. 28) –, hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG eine eigenständige materielle Handlungspflicht des/der Sorgeberechtigten normiert, die kraft Gesetzes entsteht und sich zur jeweiligen Primärpflicht akzessorisch verhält. Das Gesetz überträgt den Sorgeberechtigten (im Regelfall den Eltern) eine öffentlich-rechtliche – nach § 73 Abs. 1a Nr. 7b und Nr. 7d IfSG selbständig bußgeldbewehrte – Verantwortlichkeit für die Erfüllung der infektionsschutzrechtlichen Pflichten ihrer minderjährigen Kinder und sichert die Pflichterfüllung damit zusätzlich ab.
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Anders als vom Antragsgegner angenommen, handelt es sich bei § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG seinem eindeutigen Wortlaut nach („für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen“) nicht um eine vollständige Übertragung oder einen Übergang der Pflichten Minderjähriger auf ihre Sorgeberechtigten (so aber etwa NdsOVG, B.v. 2.7.2024 – 14 LA 75/24 – juris Rn. 12; Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 20 Rn. 170; Gebhard in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 71; Aligbe in BeckOK InfektionsschutzR, Stand 1.1.2025, § 20 IfSG Rn. 274), sondern um eine eigenständige gesetzliche Verpflichtung der Sorgeberechtigten, die gleichzeitig mit der jeweiligen Pflicht einer minderjährigen Person nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG entsteht, erlischt und diese ergänzt. Insofern handelt es sich bei § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG um eine besondere Ausprägung der sicherheitsrechtlichen „Zusatzverantwortlichkeit“ (vgl. etwa Art. 7 Abs. 2 Satz 1 PAG, Art. 9 Abs. 1 Satz 2 LStVG, vgl. dazu nur Bäcker in Lisken/Denninger, Hdb.d.PolR, 7. Aufl. 2021, D. Rn. 172 m.w.N., zum Auswahlermessen bei mehreren Verantwortlichen: Rn. 206 ff.; Lindner in BeckOK Polizei- und SicherheitsR BY, Stand 1.3.2024, Art. 7 PAG Rn. 45). Die Pflichten des/der Sorgeberechtigten nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG entstehen unmittelbar kraft Gesetzes, setzen aber stets das Bestehen einer Primärpflicht der minderjährigen Person nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG voraus. So müssen die Sorgeberechtigten Minderjähriger insbesondere sicherstellen, dass die kraft Gesetzes bestehenden Pflichten nach § 20 Abs. 9 Satz 1 und Abs. 12 Satz 1 IfSG zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bei der jeweiligen Einrichtungsleitung oder (auf Anforderung) beim zuständigen Gesundheitsamt erfüllt werden. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien dürfte auch nur diese Vorlageverpflichtung der Einfügung des § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG zugrunde gelegen haben: „Absatz 13 Satz 1 ordnet an, dass bei Minderjährigkeit einer nach den Absätzen 9 bis 12 nachweispflichtigen Personen (sic!) der Sorgeberechtigte dieser Person für die Erfüllung der entsprechenden Nachweispflichten zu sorgen hat.“ (BT-Drs. 19/13452 S. 31, Hervorhebungen nicht im Original). Wird ein ausreichender Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG entgegen der gesetzlichen Verpflichtung aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG nicht vorgelegt, können die Sorgeberechtigten unmittelbar mit vollziehbarem Bescheid und ggf. unter Androhung von Zwangsgeld zur Vorlage eines Nachweises verpflichtet werden (stRspr, vgl. nur BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – juris Rn. 18).
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Vorliegend geht es aber nicht um die gesetzliche Pflicht zur Vorlage eines ausreichenden Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG, sondern um die Pflicht, das Betreten von Räumen zu unterlassen, die einer in § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung dienen. Eine solche Unterlassungspflicht ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern bedarf vielmehr nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG einer ausdrücklich in das Ermessen des zuständigen Gesundheitsamts gestellten Anordnung im Einzelfall („kann…untersagen“): Im Unterschied zur Nachweisvorlagepflicht entsteht ein Betretungsverbot nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG nicht kraft Gesetzes, sondern ausschließlich aufgrund einer behördlichen Einzelfallanordnung. Eine solche Anordnung gegenüber der Antragstellerin, für deren Einhaltung ggf. deren Eltern nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG zu sorgen hätten, fehlt hier jedoch: Das Landratsamt hat die streitgegenständliche Anordnung unter Hinweis auf § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG ausschließlich an die Eltern der Antragstellerin als alleinige Bekanntgabe- und Inhaltsadressaten einer behördlichen Verfügung gerichtet. Mit Ziff. 1 des Bescheids vom 22. Januar 2025 wird den Eltern der Antragstellerin untersagt, ihre Tochter die Räumlichkeiten einer Kindertageseinrichtung „betreten zu lassen“, ohne dass bisher überhaupt eine entsprechende Unterlassungspflicht der Antragstellerin nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG selbst bestünde. Den Eltern der Antragstellerin wird durch den Bescheid damit eine Verantwortlichkeit für die Erfüllung einer infektionsschutzrechtlichen Pflicht der Antragstellerin übertragen, die sich weder – anders als Pflicht zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG – unmittelbar aus dem Gesetz ergibt noch aus einer vollziehbaren behördlichen Anordnung im Einzelfall: So wäre die Antragstellerin selbst – sofern ihre Eltern die Anordnung in Ziff. 1 des Bescheids vom 22. Januar 2025 nicht befolgen können oder wollen – aufgrund des Bescheids rechtlich nicht daran gehindert, eine Kindertageseinrichtung, allein oder gegebenenfalls mit einer anderen Betreuungsperson, zu betreten. Vielmehr werden derzeit nur die Eltern der Antragstellerin einer Handlungspflicht zur Durchsetzung einer (allerdings nicht bestehenden) Unterlassungspflicht unterworfen. Damit werden das gesetzliche Entscheidungsprogramm und die Anordnungsbefugnis nach § 20 Abs. 12 Satz 4 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG wesentlich überschritten.
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Insofern erweist sich der in der Hauptsache angegriffene Bescheid als rechtswidrig.
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b) Das zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids führende Fehlen eines vollziehbaren Betretungsverbots gegenüber der Antragstellerin tritt offensichtlich zu Tage; es ist daher auch unabhängig von einer ausdrücklichen Rüge im Rahmen des Beschwerdevortrags in einschränkender Auslegung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2024 – 20 CS 23.2238 – juris Rn. 14; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 27; Kautz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 146 Rn. 29). Eine offenkundig unzutreffende Entscheidung aufrecht zu erhalten, entspricht weder dem Zweck des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO noch wäre es mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu vereinbaren.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG unter Berücksichtigung der Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).