Inhalt

LG München I, Endurteil v. 05.02.2025 – 14 S 9406/23
Titel:

Leistungsverweigerungsrecht, Beendigung des Mietverhältnisses, Streitwertfestsetzung, Mängel der Mietsache, Rückerstattungsansprüche, Fortsetzung des Mietverhältnisses, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Räumungsfrist, Nutzungsentschädigung, Betriebskostenabrechnung, Rückgabepflicht, Kündigung wegen Zahlungsverzug, Vertragsgemäßer Gebrauch, Aufrechnungsrecht des Mieters, Nebenkostennachforderung, Betriebskostennachforderung, Klageänderung, Vorfälligkeitsklausel, Rechtshängigkeit, Kündigungszeitpunkt

Schlagwort:
Wohnraummiete
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 30.06.2023 – 411 C 17179/22
Fundstellen:
LSK 2025, 7298
ZMR 2025, 321
BeckRS 2025, 7298

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 30.06.2023, Az. 411 C 17179/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Widerklage wird auch unter Ziffer VIII (zweitinstanzlich erweiterter Widerklageantrag) abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 30.04.2025 gewährt.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 23.923,56 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Räumung und Herausgabe der im 1. und 2. Obergeschoss des Anwesens … M. , gelegenen Maisonette-Wohnung mit der internen Nr. 47, bestehend aus 1 Flur (1. OG), 1 Bad (1. OG), 1 Schlafzimmer (1. OG), 1 Balkon (1. OG), 1 Küche (2. OG), 1 Wohn- und Esszimmer (2. OG) und 1 Terrasse (2. OG) nebst dem Kraftfahrzeugstellplatz in der Tiefgarage mit der internen Stellplatz-Nr. ... sowie dem Kellerraum mit der internen Nr. . ... . Ferner verlangt er von der Beklagten Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
2
Die Beklagte wiederum macht im Wege der Widerklage Rückzahlung überzahlter Mieten, Aufwendungsersatz und Verdienstausfall geltend.
3
Die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Lebensgefährte mieteten mit schriftlichem Vertrag vom 23.02.1998 vom Kläger die streitgegenständliche Wohnung an. § 5 Ziff. 1 des Mietvertrags beinhaltet eine Vorfälligkeitsklausel mit dem Wortlaut: „Die Miete, die Vorauszahlungen sowie etwaige Zuschläge (s. § 3) sind monatlich im voraus, spätestens am 3. Werktag des Monats kostenfrei an den Vermieter auf das Konto […] zu überweisen.“ § 9 des Mietvertrags lautet wie folgt:
„§ 9 Aufrechnung und Zurückbehaltung
1. Der Mieter kann gegen Mietzinsforderungen mit Schadensersatzforderungen nach § 538 BGB nur aufrechnen oder diesbezüglich ein Zurückbehaltungsrecht ausüben, wenn er seine Absicht dem Vermieter mindestens einen Monat vor Fälligkeit des Mietzinses schriftlich angezeigt hat.
2. Mit sonstigen Gegenforderungen kann der Mieter nur aufrechnen, soweit sie unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sind. Unbeschadet von Ziff. 1 stehen dem Mieter weitere Zurückbehaltungsrechte nur wegen Gegenforderungen zu, die auf dem Mietverhältnis beruhen.“
4
Mit Schreiben vom 23.06.2021 kündigte der Kläger das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2022 wegen eines Mietrückstandes von 2 vollen Monatsmieten in Höhe von je 787,39 € für Mai und Juni 2021 (insgesamt also 1.574,78 €) sowie wegen eines „Rückstand[s] auf Betriebs- und Nebenkosten in Höhe von derzeit 3.516,51 €“; die Kündigung wurde am selben Tag zugestellt.
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Ergänzend wird auf den ausführlichen Tatbestand des erstgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
6
Mit Endurteil vom 30.06.2023 hat das Amtsgericht München der Klage auf Räumung und Herausgabe unter Klageabweisung im Übrigen stattgegeben. Das Erstgericht hat dabei die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs mit 2 Monatsmieten als wirksam erachtet; auf den Kündigungsgrund des Rückstands mit den Betriebskostennachforderungen der Jahre 2016 mit 2019 ist das Erstgericht nicht eingegangen. Auf die Widerklage ist der Kläger zur Zahlung von 211,68 € nebst Zinsen unter Abweisung der Widerklage im Übrigen verurteilt worden. Die Kosten des Rechtsstreits sind vollumfänglich der Beklagten auferlegt worden. Ihr ist eine Räumungsfrist bis 30.09.2023 gewährt worden.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer mit Schriftsatz vom 28.07.2023 eingelegten und mit Schriftsatz vom 12.10.2023 begründeten Berufung.
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Die Berufung ist im Wesentlichen der Auffassung, dass das Erstgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Denn die ausgesprochenen Kündigungen seien unwirksam. In Bezug auf die ordentliche Kündigung wegen rückständiger Betriebskostennachforderungen sei die Rechtzeitigkeit des Zugangs der Abrechnungen 2016, 2017 und 2019 innerhalb der Jahresfrist des § 556 Abs. 3 S. 1 BGB zu bestreiten. Die Abrechnung 2017 sei überdies unvollständig gewesen. Für 2018 sei überhaupt nicht abgerechnet worden.
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Dagegen hätte der Widerklage stattgegeben werden müssen, zumal die Miete aufgrund mehrerer Mängel gemindert gewesen sei.
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Mit Schriftsatz vom 18.06.2024 hat die Beklagte die Widerklage unter Ziffer VIIII unter Berufung auf einen Rückzahlungsanspruch wegen geminderter Miete von 548,80 € um 8.780,80 € auf Zahlung von 9.329,60 € erweitert. Der Kläger hat dem insoweit geänderten Widerklageantrag nicht zugestimmt. Im Übrigen entsprechen die Widerklageanträge den bereits erstinstanzlich gestellten Anträgen der Beklagtenpartei.
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Die Beklagte beantragt in zweiter Instanz zuletzt zu erkennen:
I. Das Urteil des Amtsgerichts München vom 30.06.2023 zum Az. 411 C 17179/22 wird aufgehoben, soweit es in Ziffer 1 des Tenors der Klage stattgibt und soweit es in Ziffer 4. des Tenors die Widerklage im Übrigen abweist.
II. Die Klage wird vollumfänglich abgewiesen.
III. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 686,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
IV. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 274,40 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
V. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 514,40 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
VI. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 823,20 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
VII. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 274,40 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
VIII. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 9.329,60 € zu bezahlen.
IX. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 500,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
X. Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 3.000,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Der Kläger beantragt demgegenüber:
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der erweiterte Antrag der Beklagten und Berufungsklägerin [zu] Ziffer VIII. wird zurückgewiesen.
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Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, dass das Mietverhältnis durch seine wirksamen Kündigungen beendet worden sei. Sofern sich nicht bereits die Zahlungsverzugskündigung betreffend die Monatsmieten Mai und Juni als wirksam erweisen sollte, sei jedenfalls die wegen Nichtzahlung der Betriebskostennachforderungen ausgesprochene Kündigung als wirksam zu erachten. Sämtliche Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016 bis einschließlich 2019 seien der Beklagten vollständig und rechtzeitig zugegangen. Der diesbezügliche Gesamtrückstand von 3.516,51 € rechtfertige ohne Weiteres eine ordentliche Kündigung.
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Die Widerklage sei bezüglich der zweitinstanzlichen Erweiterung unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die bereits vor dem Erstgericht geltend gemachten Widerklageanträge seien unbegründet. Der Berufung könne daher insgesamt kein Erfolg beschieden sein.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen F., B., P., H. und Sch. in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2024. Beide Parteien sind überdies wiederholt formlos angehört worden.
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Ergänzend wird Bezug genommen auf die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 17.01.2024, 26.06.2024 und 06.11.2024.
II.
17
Der zulässigen Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Amtsgerichts München ist kein Erfolg beschieden. Denn das angefochtene Urteil erweist sich jedenfalls im Ergebnis als richtig. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach § 546 Abs. 1 BGB.
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Die bereits vor dem Erstgericht erhobene Widerklage ist im tenorierten Umfang zu Recht abgewiesen worden. Die Erweiterung der Widerklage in zweiter Instanz ist zwar zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Hierzu im Einzelnen:
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1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des verfahrensgegenständlichen Mietobjekts nach § 546 Abs. 1 BGB.
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Denn jedenfalls die klägerseits wegen der rückständigen Betriebskostennachforderungen (Abrechnungszeiträume 2016-2019) ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 hat das Mietverhältnis zwischen den Parteien nach §§ 573 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1, 542 BGB wirksam zum 31.03.2022 beendet.
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a) Zwar kann der Kläger die Kündigung nicht mit Erfolg auf Mietrückstände in Höhe von 2 Monatsmieten von je 787,39 € (insgesamt also 1.574,78 €) betreffend die Monate Mai und Juni 2021 stützen. Denn insoweit ist weder von den Parteien noch vom Amtsgericht in erster Instanz gesehen worden, dass die im Mietvertrag unter § 5 vereinbarte Vorfälligkeitsklausel einer rechtlichen Überprüfung nach §§ 305 ff. BGB nicht standhält. Da die Miete für den Monat Juni 2021 zum Zeitpunkt der Kündigung daher noch nicht fällig war, erweist sich die klägerseits ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen Verzugs mit laufenden Mietzahlungen als materiell-rechtlich unwirksam.
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Insoweit nimmt die Kammer explizit Bezug auf ihren rechtlichen Hinweis nach § 139 ZPO unter Ziffer 1 des Beschlusses vom 01.02.2024. Soweit die Klagepartei meint, diese Rechtsauffassung der Kammer sei insbesondere nicht mit der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH in Einklang zu bringen, überzeugt dies – wie bereits im vorgenannten Beschluss umfassend ausgeführt – nicht, zumal der diesbezügliche klägerseitige Verweis auf das Urteil des BGH vom 04.05.2011 – VIII ZR 191/10 unbehelflich ist. Die vorstehende Entscheidung des VIII. Zivilsenats befasst sich zwar durchaus mit einer Formularklausel, die abweichend von § 551 BGB a.F. bestimmt, dass die Miete für den jeweiligen Monat im Voraus zu zahlen sei. Der BGH hat dort jedoch deren Kombination mit einer Aufrechnungsklausel in den Blick genommen, wonach die Aufrechnung lediglich einen Monat zuvor anzukündigen sei.
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Die Dinge liegen hier jedoch in entscheidender Weise anders, da § 9 des vorliegenden Mietvertrags keine solche Aufrechnungsbeschränkung (vorherige Ankündigung) beinhaltet, sondern eine deutlich weiter reichende Einschränkung der Aufrechnungsrechte der Mieterseite postuliert. So sieht § 9 Ziff. 1 des vorliegenden Mietvertrags eine Einschränkung der Aufrechnungsrechte des Mieters in Bezug auf „Schadensersatzforderungen nach § 538 BGB“ vor, während § 9 Ziff. 2 zusätzliche gravierende Beschränkungen der mieterseitigen Aufrechnungsrechte regelt. Unter die „sonstige[n] Gegenforderungen“ i.S. dieser Formularklausel fallen dabei nach Überzeugung der Kammer zweifelsfrei namentlich auch solche mieterseitigen Forderungen, die auf einen Rückforderungsanspruch des Mieters nach §§ 812 ff. BGB wegen überzahlter (geminderter) Miete gestützt werden. Gerade die Kombination dieser Aufrechnungsbeschränkung mit der streitgegenständlichen formularmäßigen Vorfälligkeitsklausel bringt letztere AGB des streitgegenständlichen Mietvertrags u.a. aufgrund unangemessener Benachteiligung des Mieters nach § 307 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 BGB zu Fall (vgl. u.a. Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 16. Aufl. 2024, BGB § 556b Rn. 18).
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Soweit die Klagepartei augenscheinlich meint, dass unter die „sonstigen Gegenforderungen“ i.S.v. § 9 Ziff. 2 des Mietvertrags nur solche fallen würden, die „andere, übrige oder andersartige Forderungen als die des Mietverhältnisses“ betreffen, geht sie offenbar – zugunsten des Verwenders – davon aus, dass mietrechtliche Forderungen (abgesehen von denjenigen nach Ziff. 1) von § 9 Ziff. 2 nicht betroffen seien. Dem kann jedoch mitnichten gefolgt werden. Vielmehr ist aus der Zusammenschau von § 9 Ziff. 1 und Ziff. 2 sowie aus Ziff. 2 S. 2 zweifelsfrei zu schließen, dass unter Ziff. 2 sämtliche Gegenforderungen des Mieters fallen, die – anders als die Gegenforderungen nach Ziff. 1 – keine „Schadensersatzforderungen nach § 538 [a.F.] BGB“ betreffen. Dazu gehören eben – auch und gerade – etwaige bereicherungsrechtlichen Ansprüche des Mieters auf Rückzahlung überzahlter Miete. Die Auslegung der Klägerseite ist vor diesem Hintergrund mit dem AGB-Recht, dem insbesondere der Grundsatz der „verwenderfeindlichen“ Auslegung in Zweifelsfällen zugrunde liegt, schlichtweg nicht in Einklang zu bringen (siehe auch § 305c Abs. 2 BGB). Es hat daher bei der bereits in der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2024 verlautbarten Rechtsauffassung der Kammer zu verbleiben, die zur Folge hat, dass die klägerseits ausgesprochene Kündigung wegen (vermeintlichen) Verzugs mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsmieten als unwirksam zu erachten ist.
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b) Allerdings erweist sich hier jedenfalls die ordentliche Kündigung wegen Verzugs der Beklagten mit Nebenkostennachforderungen in Höhe von insgesamt 3.516,51 € betreffend die 4 Abrechnungsjahre 2016 bis einschließlich 2019 als wirksam.
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(1) Entgegen der Meinung der Berufung kann vorliegend zivilprozessual ohne Weiteres in 2. Instanz auf diesen Kündigungsgrund abgestellt werden; eine diesbezügliche Präklusion liegt mitnichten vor. Denn selbst wenn in dem klägerseitigen Berufen auf dieses berechtigte Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 BGB ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel zu sehen wäre, müsste es von der Kammer nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zugelassen werden, weil dieses einen Gesichtspunkt betrifft, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. So ist das Erstgericht hier aufgrund seiner Verkennung der Unwirksamkeit der mietvertraglichen Vorfälligkeitsklausel zu Unrecht bereits von der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung wegen Verzugs mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsmieten (Mai und Juni 2021) ausgegangen und daher auf die Frage der Wirksamkeit der Kündigung wegen der ausstehenden Betriebskostensaldos betreffend den Zeitraum 2016 bis einschließlich 2019 in konsequenter und folgerichtiger Weise nicht mehr eingegangen.
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Die Klagepartei kann daher ihr Räumungs- und Herausgabeverlangen in der Berufungsinstanz ohne Weiteres hilfsweise auf diesen Kündigungsgrund stützen.
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(2) Die ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 wegen Verzugs der Beklagten mit Nebenkostennachforderungen ist, anders als die Berufung meint, formell wirksam.
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Da das Begründungserfordernis der Kündigung kein Selbstzweck ist, sondern auch und gerade darauf abzielt, dem Mieter den kündigungsgegenständlichen Vorwurf vor Augen zu führen, dürfen die formalen Anforderungen an eine Kündigung nach § 573 Abs. 3 S. 1 BGB (bzw. § 569 Abs. 4 BGB) nicht überspannt werden. Ist eine dem Mieter zur Last gelegte Pflichtverletzung im Kündigungsschreiben in ihren wesentlichen Zügen verständlich und nachvollziehbar dargelegt, ist die Angabe von Details, die dem Mieter ohnehin bekannt sind, entbehrlich (vgl. Endurteil der Kammer vom 16.09.2020 – 14 S 16778/19, ZMR 2021, 892).
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Nach diesen Grundsätzen erweist sich die hier inmitten stehende ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 durchaus noch als formell wirksam. Denn zunächst geht aus der Kündigungserklärung ausdrücklich hervor, dass die Kündigung jedenfalls auch auf Nebenkostennachforderungen gestützt wird. Ferner ist deren Gesamthöhe mit 3.516,51 € exakt und korrekt beziffert. Hinzu kommt, dass sich die Kündigung auf einen leicht bestimmbaren Abrechnungszeitraum unmittelbar vor ihrem Zugang bezieht, nämlich auf die aufeinanderfolgenden Abrechnungsjahre 2016 bis 2019 – erstellt und der Beklagten (vollständig und rechtzeitig) zugegangen in den Jahren ab 2017. Unerheblich ist daher, dass in der Kündigung nicht im Einzelnen explizit dargelegt ist, wie sich der genannte Gesamtbetrag im Einzelnen zusammensetzt, auf welche genaue Höhe sich also die einzelnen kündigungsgegenständlichen Betriebskostennachforderungen belaufen und auf welche konkreten Zeiträume sie sich jeweils beziehen. Der Beklagten hätten sich nämlich bereits durch einfache Addition der ihr nach Überzeugung der Kammer bekannten Abrechnungssaldos bezüglich der Jahre 2016 bis einschließlich 2019 ohne Weiteres der maßgebliche Zeitraum ihrer Rückstände und die einzelnen kündigungsgegenständlichen Nachforderungen erschlossen.
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Soweit die Beklagte schon der formellen Wirksamkeit der Kündigung entgegenhalten will, dass sie die Abrechnungen gar nicht erhalten habe bzw. ihr jedenfalls nicht alle Abrechnungen rechtzeitig und vollständig zugegangen seien, erachtet die Kammer diese Einlassung nach Durchführung der Beweisaufnahme als unzutreffende, widerlegte Schutzbehauptung.
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So ist die Kammer aufgrund der Angaben der klägerseits angebotenen und in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2024 einvernommenen Zeugen zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagten alle kündigungsgegenständlichen Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2016, 2017, 2018 und 2019 – zumal bereits innerhalb der maßgeblichen Abrechnungsfristen und damit in jedem Falle vor Ausspruch der hier zu prüfenden Kündigung – vollständig zugegangen sind.
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Die Kammer erachtet die diesbezüglichen Angaben der Zeugen F., B. und P. als glaubhaft. Auch an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen bestehen aus Sicht der Kammer keine Bedenken.
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Dabei wird zunächst nicht verkannt, dass die Zeugen entweder – wie der Zeuge P. – in einem freundschaftlichen Verhältnis zum Kläger stehen, oder aber – wie die Zeugen F. und B. – für den Kläger tätig waren. Dies steht hier jedoch weder der Glaubwürdigkeit der einvernommenen Zeugen noch der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegen.
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So konnte die Zeugin F. nachvollziehbar und widerspruchsfrei angeben, dass sie die kündigungsgegenständliche Betriebskostenabrechnung für 2016 am 22.12.2017 um 18:45 Uhr in den Briefkasten der Beklagten eingeworfen habe, wobei ihre Erinnerung glaubhaft durch einen berufsbedingt geführten Kalender gestützt wurde. Die entsprechende Kalendereintragung konnte überdies von der Kammer in Augenschein genommen werden; sie stimmte mit den Angaben der Zeugin überein. Ferner standen die nachvollziehbaren Ausführungen der ruhig und seriös auftretenden Zeugin in Einklang mit den Angaben des persönlich angehörten Kläger, der insbesondere bestätigte, bei dem Einwurf der betreffenden Abrechnung mit anwesend gewesen zu sein. Die Kammer schließt auch nach dem persönlichen Eindruck, den sie sich von der Zeugin machen konnte aus, dass die Zeugin mit dem Kläger falsche Angaben abgesprochen und dabei sogar Kalendereintragungen gefälscht oder nachträglich fingiert haben könnte, um einen Kündigungsgrund vorzuspiegeln. Den diesbezüglichen Unterstellungen der Berufung vermag die Kammer mitnichten zu folgen. Dabei ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass die Zeugin nicht mehr für den Kläger im Rahmen eines „Auftragsverhältnisses“ tätig ist. Ein solches – ggf. mit einer gewissen Loyalität oder gar Abhängigkeit einhergehendes – geschäftliches und berufliches Verhältnis bestand daher jedenfalls zum Zeitpunkt der Aussage der Zeugin F. nicht mehr, was eine Absprache zwischen der Klagepartei und der glaubwürdigen Zeugin noch unwahrscheinlicher macht.
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Gleiches gilt für die Zeugin B. betreffend den Zugang der Betriebskostenabrechnung 2017. Die Zeugin war etwa zwischen 2010 und 2020 im Büro des Klägers tätig und dabei insbesondere mit der Erstellung von Betriebskostenabrechnungen befasst. Anders als die Zeugin F. habe sich die Zeugin B. zwar keine schriftlichen Notizen bezüglich des Datums des Einwurfs gemacht. Die Zeugin konnte den Tag des Einwurfs der – vollständigen – Abrechnung aber nachvollziehbar anhand des Datums der betreffenden Betriebskostenabrechnung näher bestimmen, was die Kammer ebenfalls für glaubhaft erachtet. Zumal die Zeugin nicht mehr für den Kläger beruflich tätig ist, sieht die Kammer ebenfalls kein nachvollziehbares Motiv – oder sonstige Anhaltspunkte – für bewusst unwahre Angaben der Zeugin, namentlich auf Grundlage einer kollusiven Absprache mit dem Kläger. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass auch diese ruhig und widerspruchsfrei aussagende Zeugin zur Wahrheit gefunden hat.
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Was die Angaben des Zeugen P. angeht, sieht die Kammer darin ebenfalls eine glaubhafte Aussage und demzufolge den Nachweis des Zugangs der Betriebskostenabrechnungen 2018 und 2019 seitens der Beklagten. Wie in den Jahren zuvor wurde insoweit klägerseits erneut ein 4-Augen-Prinzip (Kläger und Zeuge bzw. Zeugin) bezüglich des Einwurfs der Betriebskostenabrechnung praktiziert. Der vernommene Zeuge P. konnte sich dabei zur Bestätigung des jeweiligen Zugangszeitpunkts auf selbst angefertigte Kalendereintragungen stützen, die seitens der Kammer ergänzend in Augenschein genommen wurden. Den – insoweit – berechtigten Einwand des Beklagtenvertreters, wonach der Einwurf der Betriebskostenabrechnung 2019 am 21.12.2020 wegen des damaligen Corona-Lockdowns nicht mit einem anschließenden gemeinsamen Essen des Zeugen und des Klägers habe verbunden sein können, vermochte der Zeuge nachvollziehbar aufzuklären und glaubhaft zu entkräften, indem der Zeuge angab, mit dem Kläger befreundet zu sein und daher „öfter“ mit diesem zum Essen zu gehen. Die reflektierte Korrektur dieses Einzelaspekts der Aussage des Zeugen spricht gegen einen Belastungseifer zum Nachteil der Beklagten und zugleich für die Glaubhaftigkeit des Aussageverhaltens des Zeugen P. Unerheblich ist letztlich auch, dass der Zeuge die Farbe des jeweiligen Briefumschlags nicht mehr sicher zu erinnern vermochte, zumal die Vorgänge bereits mehrere Jahre zurücklagen und daher eine exakte Erinnerung an – zumal wenig bedeutsame oder gar unbedeutende – Details realistischerweise nicht mehr erwartet werden kann. Der diesbezügliche Angriff auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage geht daher ebenfalls fehl. Trotz der fortdauernden Freundschaft des Zeugen zum Kläger hat die Kammer keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des ebenfalls seriös und besonnen auftretenden Zeugen. Kleinere Unsicherheiten bezüglich des exakten Geschehensablaufs und vereinzelte Erinnerungslücken in Bezug auf nebensächliche Details stehen der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen, wie dargelegt, ebenso wenig entgegen.
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Alle klägerischen Zeugen vermochten zudem die örtlichen Verhältnisse am bzw. im streitgegenständlichen Anwesen korrekt darzulegen, was ebenfalls maßgeblich dafür spricht, dass sie persönlich vor Ort waren, um die jeweiligen Nebenkostenabrechnungen, die sie zuvor jeweils in Augenschein genommen hatten, in den Briefkasten der Beklagten einzuwerfen.
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Die vorstehenden Zeugenaussagen werden neben den angesprochenen, stimmigen Kalendereintragungen auch durch die Ausführungen des angehörten Klägers selbst gestützt, der glaubhaft, nachvollziehbar und ohne ersichtliche Widersprüche bestätigen konnte, bei dem Einwurf der jeweiligen Abrechnungen anwesend gewesen zu sein. Zudem seien sämtliche Abrechnungen auch postalisch übersandt worden, ohne dass es zu einem Postrückläufer gekommen sei.
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Auf die umfangreiche fotografische Dokumentation des Einwurfs der Abrechnung 2018 (S. 5 der Anlage K 9 der Berufungsakte) wird ebenfalls Bezug genommen.
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Die Beklagte vermochte dagegen die überaus substantiierten klägerischen Behauptungen betreffend den Zugang der Abrechnungen nicht zu widerlegen, und zwar weder durch ihre eigenen, lediglich vagen Ausführungen (die Abrechnungen hätten sich nicht bzw. nur unvollständig in einem von ihrem verstorbenen Ehemann angelegten Ordner auffinden lassen) noch durch die beklagtenseits angebotenen Zeuginnen H. und Sch. So betont die Kammer ausdrücklich, dass es sich bei den beiden Zeuginnen um Freundinnen, jedenfalls aber um Bekannte der Beklagten handelt, deren primäre Aufgabe offenbar darin bestand, sich während der behaupteten Abwesenheiten der Beklagten um deren Katzen zu kümmern. Daneben hatte die Beklagte die Zeuginnen augenscheinlich jeweils gebeten, ihren/ihre Briefkasten/Briefkästen zu leeren, wobei offenbar keine der beiden Zeuginnen einen Hinweis oder gar eine Instruktion betreffend einen voraussichtlich zu erwartenden Eingang einer Nebenkostenabrechnung erhalten hatte. Vielmehr waren beide Zeuginnen, nach ihren Angaben, vorab von der Beklagten lediglich auf einen ggf. zu erwartenden Eingang des Schreibens einer Versicherung aufmerksam gemacht worden. Es ist daher aus Sicht der Kammer insbesondere nicht nachvollziehbar und nachgerade unglaubhaft, dass die Zeuginnen noch Jahre später mit hinreichender Sicherheit haben ausschließen wollen, dass sich im Posteingang eine Betriebskostenabrechnung befunden haben könne. Dabei war auch nicht ersichtlich, warum die Zeuginnen davon ausgingen, dass sich die jeweilige Betriebskostenabrechnung in einem DIN A4-Umschlag befunden habe – was mitnichten zwingend oder allgemein bekannt ist – und überdies ohne Weiteres als Betriebskostenabrechnung erkennbar gewesen wäre, wovon naturgemäß ebenfalls nicht mit Sicherheit ausgegangen werden kann. Ferner konnte von der Kammer nicht nachvollzogen werden, warum sich die Zeuginnen angeblich an den exakten, taggenauen Zeitraum der jeweiligen Abwesenheit der Beklagten – und damit an den potentiellen Zugangszeitraum der Betriebskostenabrechnungen erinnern konnten, zumal keine der Zeuginnen diesbezügliche Aufzeichnungen angefertigt hat. Auffällig war ferner, dass beide Zeuginnen sich angeblich noch an den Namen der aus Sicht der Kammer eher wenig bekannten Versicherung der Beklagten („H.“) erinnern konnten. Gerade in der Zusammenschau all dieser Aspekte spricht daher viel dafür, dass die beiden Zeuginnen und die Beklagte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht unerhebliche Absprachen betreffend ihre Angaben vorgenommen haben könnten. Die Zeugin Sch führte zudem aus, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Mann sich um die Post gekümmert habe. Es kann daher nicht per se ausgeschlossen werden, dass die streitgegenständliche Nebenkostenabrechnung vom Ehemann der Zeugin aus dem Briefkasten genommen wurde und sich der Zugang der Abrechnung mithin der Kenntnisnahme durch die Zeugin entzog.
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Dem Nachweis des Zugangs der Abrechnungen steht auch nicht entgegen, dass der Kläger es offenbar unterlassen hat, sich die Nachforderungen im Vorfeld des hiesigen Rechtsstreits titulieren zu lassen. So mag zwar grundsätzlich naheliegend sein, dass ein Vermieter bestrebt sein wird, einen entsprechenden namhaften Betrag rechtzeitig geltend zu machen. Einer Verallgemeinerung ist diese Betrachtung aber keinesfalls zugänglich. Vielmehr hat jeweils der konkrete Fall in den Blick genommen zu werden, zumal gerichtliche Auseinandersetzungen vermieterseits oftmals auch gemieden werden, weil der damit verbundene Aufwand oder die damit einhergehenden Risiken gescheut werden; bisweilen wird auch schlicht kein ausreichendes wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung entsprechender Forderungen bestehen. Vorliegend hat der Kläger in diesem Kontext auf Vorhalt der Berufung angegeben, dass er „nicht sagen“ könne, warum er zwar einen relativ hohen Aufwand bei der Zustellung der Abrechnungen betrieben haben will, die Nachforderungen dann aber über einen längeren Zeitraum gleichwohl nicht geltend machte. Dies lässt sich aus Sicht der Kammer jedoch unproblematisch damit in Einklang bringen, dass der Kläger seit Mietvertragsbeginn im Jahr 1998 auch kein Mieterhöhungsverlangen ausgesprochen hat. Es ist daher insbesondere nicht ersichtlich, dass es dem Kläger darauf angekommen wäre, mietvertragliche Ansprüche stets zeitnah – oder überhaupt – geltend zu machen. Widersprüchliches Verhalten der Klägerseite vermag daher in der Gesamtschau nicht erkannt zu werden.
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Nach alledem ist die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagten alle Nebenkostenabrechnungen für die Abrechnungszeiträume 2016 bis einschließlich 2019 in den Jahren 2017 bis 2020 rechtzeitig und vollständig zugegangen sind und sie daher ohne Weiteres dazu in die Lage versetzt war, den rechnerisch korrekt ermittelten und in der Kündigung vom 23.06.2021 explizit ausgewiesenen Gesamtbetrag von 3.516,51 € nachzuvollziehen. Hierfür spricht auch, dass sich die vorstehende Summe aus den Saldos der Abrechnungen des gesamten vorangegangenen Zeitraums von 4 Jahren (2016 bis einschließlich 2019), zugegangen 2017, 2018, 2019 bzw. 2020 – vor dem Zugang der streitgegenständlichen Kündigung – zusammensetzte und damit kein unterbrochener, ggf. schwerer nachzuvollziehender Abrechnungszeitraum betroffen war. Soweit die Berufung noch meint, der Gesamtsaldo sei nicht rechnerisch korrekt ermittelt oder gar unschlüssig gewesen, weil die Nachforderung betreffend das Jahr 2016 zum Kündigungszeitpunkt bereits verjährt gewesen sei, verkennt sie offenbar grundlegend, dass es sich bei der Verjährung um eine Einrede handelt, die naturgemäß nicht zum Erlöschen der betreffenden Forderung führt. Hinzu kommt, dass die Einrede zum Kündigungszeitpunkt ohnehin noch nicht geltend gemacht war und auch später niemals geltend gemacht wurde.
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Soweit die Kündigung zudem von „Rückstand auf Betriebs- und Nebenkosten in Höhe von derzeit 3.516,51 €“ spricht und damit jedenfalls nicht explizit zum Ausdruck bringt, dass Nachforderungen aus Betriebs-/Nebenkostenabrechnungen gemeint sind, ist dies ebenfalls unschädlich, zumal Rückstände aus laufenden Nebenkostenvorauszahlungen damit ersichtlich nicht gemeint sein konnten. Denn eine solche Vorauszahlung war aus damaliger Sicht der Parteien allenfalls im Rahmen der Mieten Mai und Juni 2021 offen. Den diesbezüglichen Rückstand hatte die Klagepartei jedoch bereits zum Gegenstand der Kündigung wegen Zahlungsverzugs mit exakt diesen, bezifferten laufenden Mieten gemacht. Auch von daher konnten also aus Sicht eines verständigen Empfängers der Kündigung mit dem Gesamtbetrag von 3.516,51 € nur Nachforderungen gemeint gewesen sein.
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Von der formellen Wirksamkeit der Kündigung konnte und musste die Kammer daher – entgegen ihrer anfänglichen diesbezüglichen – Bedenken ausgehen.
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(3) Die entsprechende ordentliche Kündigung erweist sich auch in materieller Hinsicht als ordnungsgemäß.
47
(a) Denn nach zutreffender Auffassung umfasst § 573 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 BGB auch Mietrückstände, die aus nicht periodisch wiederkehrenden Zahlungsverpflichtungen herrühren. Dies gilt insbesondere für Nachzahlungsansprüche des Vermieters aus Betriebskostenabrechnungen (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 16. Aufl. 2024, BGB § 573 Rn. 30 m.w.Nachw.). Anders als bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB enthält § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nämlich gerade keine Beschränkung auf periodisch wiederkehrende Leistungen (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, a.a.O.).
48
Auf eine Titulierung der betreffenden Ansprüche kommt es dabei richtigerweise nicht entscheidend an, vielmehr kann sich die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle ohne Weiteres auch aus anderen Einzelfallaspekten, wie z.B. der Höhe des Gesamtrückstandes im Verhältnis zur Miete, der Anzahl der offenen Betriebskostennachforderungen und der Dauer des Zahlungsverzugs ergeben.
49
Ein Rückstand aus einer Betriebskostennachforderung kann grundsätzlich schon dann für eine ordentliche Kündigung ausreichen, wenn der Zahlungsverzug der Höhe nach eine Monatsmiete übersteigt und die Forderung länger als einen Monat fällig ist (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, a.a.O. Rn. 31).
50
Diesen Voraussetzungen ist hier ohne Weiteres genügt.
51
Im vorliegenden Fall ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Höhe der insgesamt offenen Nachforderungen mit 3.516,51 € sogar die Summe vierer Monatsmieten übersteigt. Lässt man die zum Kündigungszeitpunkt bereits verjährte Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2016 unberücksichtigt, so liegt der Gesamtsaldo immer noch über der Summe von 3 Bruttomonatsmieten.
52
Auch die Dauer des Verzugs erweist sich vorliegend als erheblich, zumal die Nachforderungen zum Kündigungszeitpunkt bereits 3,5, 2,5 bzw. 1,5 bzw. immerhin noch 0,5 Jahre offen waren. Der Anspruch aus einer Betriebskostenabrechnung wird richtigerweise (erst) dann fällig, wenn dem Mieter eine ordnungsgemäß begründete und nachprüfbare Abrechnung zugegangen ist. Die Fälligkeit der – beklagtenseits inhaltlich nicht in relevanter Weise angegriffenen Abrechnungen – trat hier zum Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Abrechnung bei der Beklagten ein. Soweit die Beklagte auf Anlage B 20 verweist und behauptet, die Abrechnung für das Jahr 2017 sei nicht vollständig zugegangen, geht diese Einwendung ins Leere, da die Kammer, wie bereits aufgezeigt, aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme vom rechtzeitigen und vollständigen Zugang der betreffenden Abrechnung überzeugt ist.
53
Eine Frist zur Prüfung der Abrechnung steht dem Mieter nach Ansicht des BGH nicht zu, was aus § 271 Abs. 1 BGB herzuleiten ist (BGH, Urteil vom 08.03.2006 – VIII ZR 78/05, NJW 2006, 1419; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, a.a.O. Rn. 31 m.w.Nachw.). Selbst wenn man eine solche Prüffrist jedoch befürworten möchte, würde sich an der Beurteilung des vorliegenden Falles nichts ändern, da die Abrechnungen der Mieterin zum Kündigungszeitpunkt bereits zwischen 0,5 und 3,5 Jahren vorlagen. Auch die – zutreffende – Bejahung eines der Mieterseite temporär zustehenden Leistungsverweigerungsrecht nach § 242 BGB, solange eine nach § 259 Abs. 1 BGB berechtigterweise begehrte Belegeinsicht nicht gewährt worden ist, ändert am hier zu entscheidenden Fall nichts, zumal mieterseits ein solches Belegeinsichtsrecht zu keiner Zeit geltend gemacht wurde.
54
Die Beklagte vermochte hier zudem, zumal nicht innerhalb der Frist des § 556 Abs. 3 S. 5 BGB, keine materiellen Einwände gegen die Abrechnungen ins Feld zu führen. Soweit mit guten Gründen angenommen wird, dass ein Verzug des Mieters – zumindest ausnahmsweise – ausgeschlossen sein könne, weil sich der Mieter bzgl. seiner Zahlungspflicht in einem unverschuldeten Irrtum befunden habe, kann ein solcher Fall namentlich dann vorliegen, wenn der Mieter begründete Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnung hat. Gleiches mag gelten, wenn objektive Unklarheit darüber besteht, ob der Vermieter überhaupt zur Umlage bestimmter Betriebskosten berechtigt ist (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, a.a.O. Rn. 31 m.w.Nachw.). Auch diese Ausnahmekonstellationen scheiden vorliegend aber per se aus. An einem Verzug der Beklagten bestehen auch von daher keine Zweifel.
55
Nach Überzeugung der Kammer bedurfte es aufgrund der Gesamtumstände des hier zu entscheidenden Falls (namentlich unter Berücksichtigung der Höhe der Rückstände und der Dauer des Zahlungsverzugs) vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung weder einer Mahnung betreffend die aufgelaufenen Rückstände noch einer (qualifizierten oder einfachen) Abmahnung. Es könnte daher sogar dahinstehen, ob der Beklagten die Mahnung vom 18.02.2018 betreffend die Nebenkostenabrechnung 2016 (Anlage K 8 im Berufungsverfahren) zugegangen ist. Ein nach § 242 BGB schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass der Kläger die Nachforderungen nicht mehr geltend machen werde und hierauf auch im Übrigen keine mietrechtlichen Konsequenzen gestützt würden, könnte vorliegend nämlich nicht angenommen werden. Insoweit würde es hier jedenfalls insbesondere an einem Umstandsmoment, das eine Verwirkung nach sich ziehen könnte, fehlen.
56
Allerdings ist hier sogar von einem Zugang dieser Mahnung auszugehen, weil ein substantiiertes Bestreiten dieses Zugangs seitens der Beklagten nicht vorliegt; hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht maßgeblich an.
57
(b) Der zeitnahe Ausgleich der gesamten Rückstände nach Zugang vermag der Beklagten vorliegend ebenfalls nicht zum Vorteil zu gereichen. Denn er tangiert weder nachträglich die materielle Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung, noch kann die Beklagten der Kündigung oder dem hierauf gestützten Räumungs- und Herausgabeanspruch den Einwand unzulässiger Rechtsausübung nach § 242 BGB entgegenhalten.
58
Nach Überzeugung der Kammer (vgl. hierzu auch das Endurteil der Kammer vom 17.11.2021 – 14 S 9922/21, ZMR 2022, 215 ff.) ist die Anwendung von § 242 BGB u.a. in diesem Zusammenhang allenfalls auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken, da es ansonsten letztlich faktisch zu einer – mangels planwidriger Regelungslücke aus- und nachdrücklich abzulehnenden – analogen Anwendung des § 569 Abs. 3 BGB auf die ordentliche Kündigung (zur Verneinung der Analogie betreffend die ordentliche Zahlungsverzugskündigung bzgl. der laufenden Miete siehe namentlich BGH NZM 2005, 334; NJW 2007, 428; NJW 2008, 508; WuM 2016, 682; WuM 2021, 744 und nunmehr auch BGH, Urteil vom 23.10.2024 – VIII ZR 106/23) kommen würde.
59
Hiervon abweichender Rechtsprechung, wonach sich das Festhalten an einer ordentlichen Kündigung wegen nicht entrichteter Betriebskostennachforderungen als treuwidrig erweisen könne, wenn der Mieter den Gesamtrückstand zeitnah nach Kündigungsausspruch beglichen habe und dieser Umstand sein Fehlverhalten „in einem milderen Licht erscheinen lässt“ (siehe namentlich LG Itzehoe, Urteil vom 01.04.2022 – 9 S 38/21, ZMR 2022, 970), ist daher grundsätzlich schon im Ausgangspunkt eine Absage zu erteilen.
60
Selbst wenn man sich der vorgenannten Auffassung – wie nicht – anschließen wollte, wäre im vorliegenden Fall jedenfalls zum Nachteil der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese, anders als im Verfahren vor dem vorstehend genannten Instanzgericht, gerade nicht dazu in der Lage war, zumindest partiell stichhaltige Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnungen zu erheben und sie auch kein weitgehend störungsfrei verlaufenes Mietverhältnis vorzuweisen hatte, zumal ein Rückstand mit mehreren Betriebskostennachforderungen vorlag, der gleichzeitig mit einem Zahlungsverzug mit der Miete für den Monat Mai 2021 einherging.
61
(c) Auch im Übrigen liegt klägerseits kein rechtsmissbräuchliches Berufen auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vor. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass die Belastungsfaktoren aus der persönlichen Sphäre der Beklagten (u.a. Tod des Lebensgefährten und Krebserkrankung der Schwester) auch deshalb nicht zur Unwirksamkeit oder Treuwidrigkeit der Kündigung führen können, weil der vorstehend umfassend dargelegte Zahlungsverzug zu diesem Zeitpunkt in kündigungsrelevanter Weise bereits – z.T. längst – eingetreten war, ein kausaler Zusammenhang daher ohnehin ausscheidet. Hinzu kommt, dass diese Ereignisse im Leben der Beklagten den jahrelangen Verzug mit umfangreichen Nebenkostennachforderungen auch im Übrigen nicht zu exkulpieren vermögen.
62
Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung erweist sich mithin auch als materiell-rechtlich wirksam nach § 573 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 BGB. Ein Fall des § 242 BGB liegt ebenfalls nicht vor.
63
Die weitere Verteidigung der Beklagten gegen die Wirksamkeit der Kündigungen (Mietmoratorium, Aufrechnungen usw.) betrifft ersichtlich allenfalls die Kündigung wegen Zahlungsverzugs. Zudem überzeugen insoweit die erstgerichtlichen Gegenargumente.
64
Der seitens des AG München angenommene Räumungs- und Herausgabeanspruch ist daher im Ergebnis durchaus zu bejahen.
65
2. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574 ff. BGB kommt bereits aus den diesbezüglich erstgerichtlich aufgezeigten Gründen nicht in Betracht.
66
Gegen die Annahme einer Härte nach § 574 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB spricht nunmehr im Übrigen auch, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im Januar 2024 offenbar grundsätzlich noch bereit gewesen wäre, einem Räumungsvergleich näher zu treten.
67
Im Übrigen lag bis zuletzt weiterhin kein – zumal kein substantiierter – Sachvortrag zu etwaigen Bemühungen der Beklagten bei der Suche nach Ersatzwohnraum oder zu einer angeblichen Verwurzelung der Beklagten im bisherigen Wohnumfeld vor; letzterer Gesichtspunkt allein würde die Annahme einer Härte nach § 574 Abs. 1 BGB ohnehin nicht tragen.
68
Selbstverständlich lässt sich auch aus dem Umstand des Erlasses einer Mieterschutzverordnung nicht pauschal schlussfolgern, dass zumutbarer Ersatzwohnung generell nicht (mehr) zu finden sei.
69
3. Auf die erstgerichtliche Verneinung des klägerischen Anspruchs auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden, da die Beklagte hierdurch freilich nicht beschwert ist und eine klägerische (Anschluss-)Berufung nicht vorliegt.
70
4. Soweit sich die Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung der Widerklage richtet, erweist sich das Rechtsmittel ebenfalls als unbegründet. Denn die Widerklage ist seitens des Amtsgerichts München zu Recht fast in vollem Umfang als unbegründet erachtet worden.
71
Insoweit wird zunächst vollumfänglich auf die überzeugenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
72
Auch aus Sicht der Kammer vermag eine etwaige Mangelanzeige gegenüber einer Hausverwaltung betreffend eine Mietwohnung in einer WEG die Mangelanzeige gegenüber dem Vermieter selbst grundsätzlich nicht zu ersetzen. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn der betreffende Mieter in der Vergangenheit bei einzelnen Problemstellungen auch unmittelbar mit der betreffenden Hausverwaltung kommuniziert hat. Denn Vertragspartner des Mieters ist und bleibt allein der Vermieter.
73
Es kann auch nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine von einer WEG beauftragte und eingesetzte Hausverwaltung generell der Sphäre des Vermieters zugerechnet werden könne, da dies insbesondere dazu führen würde, dass etwaige Versäumnisse einer Hausverwaltung – z.B. in Form unterlassener, unvollständiger, verspäteter oder in sonstiger Weise unzureichender Weitergabe von Informationen an den Vermieter – einseitig in die Risikosphäre des Vermieters verlagert würden. Dies kann jedoch nicht angehen.
74
Im vorliegenden Fall ist überdies zu berücksichtigen, dass der Kläger – ausweislich der glaubhaften Angaben in seiner Parteianhörung vom 17.01.2024 – der Beklagten auch klar mitgeteilt hatte, dass er nicht damit einverstanden sei, wenn diese nur die Hausverwaltung über etwaige Mängel usw. in Kenntnis setze. Er wollte vielmehr ausdrücklich stets von der Beklagten selbst informiert werden.
75
Die Erklärung nach § 536c BGB ist zwar nicht form-, aber empfangsbedürftig, sodass ihre Wirksamkeit analog § 130 BGB vom Zugang beim Vermieter, bei dessen Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 3 BGB) oder von der erfolgreichen Übermittlung durch einen Empfangsboten abhängt. Aus Sicht der Kammer ist im vorliegenden Einzelfall insbesondere nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht augenscheinlich sowohl die Empfangsvertretereigenschaft als auch die erfolgreiche Übermittlung durch einen Empfangsboten bzw. bereits die Empfangsboteneigenschaft der konkreten Hausverwaltung (der WEG) abgelehnt hat. Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf eine unzureichende Mangelanzeige der Beklagten zu berufen.
76
Soweit das Erstgericht auch aus sonstigen Gründen die Annahme eines Mangels verneint hat, ist dem ebenfalls zu folgen. Die erstgerichtlich festgesetzten Minderungsquoten erweisen sich ebenfalls als gut vertretbar, insbesondere nachvollziehbar und angemessen. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, die diesbezügliche tatrichterliche Entscheidung anzutasten.
77
Die Ablehnung weiteren Aufwendungsersatzes sowie die Verneinung von Verdienstausfall ist aus den zutreffenden erstgerichtlichen Argumenten im Einzelfall ebenfalls nicht zu beanstanden.
78
5. Der zweitinstanzlich erweiterten Widerklage ist ebenfalls kein Erfolg beschieden. Sie ist zwar letztlich als zulässig zu erachten, erweist sich jedoch als vollumfänglich unbegründet.
79
a) Die Erweiterung der Widerklage in zweiter Instanz mit Schriftsatz vom 18.06.2024 betreffend die dortige Antragstellung zu Ziffer VIIII (Erhöhung der geltend gemachten Forderung von 548,80 € um 8.780,80 € auf 9.329,60 €) wird von der Kammer unter Zurückstellung von Bedenken noch als zulässig i.S.v. § 533 ZPO angesehen.
Hierzu im Einzelnen:
80
(1) Eine Klageänderung nach § 533 liegt vor, wenn der Streitgegenstand der Klage oder der Widerklage in zweiter Instanz von demjenigen in erster Instanz abweicht. Ob eine Klageänderung vorliegt, ist dabei nach den zu § 263 ZPO entwickelten Grundsätzen zu beurteilen (BGHZ NJW 2004, 2152). Sie liegt vor, wenn entweder der Klageantrag oder der Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge abgeleitet wird, ausgewechselt wird (BGH NJW 2008, 3570; BGH NJW 2011, 3653). Eine Klageänderung in diesem Sinne kann namentlich bei einer Änderung des Umfangs der Klage (Klageerweiterung) vorliegen (BeckOK ZPO/Wulf, 54. Ed. 01.09.2024, ZPO § 533 Rn. 4).
81
So verhält es sich hier.
82
(2) Eine Einwilligung des Gegners nach § 533 Nr. 1 Alt. 1 ZPO zur zweitinstanzlichen Änderung in Form der Erweiterung der Widerklage liegt zwar nicht vor, vielmehr hat die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024 eine solche Einwilligung explizit verweigert (Bl. 91 d.A.).
83
(3) Indes kann hier von einer Sachdienlichkeit i.S.v. § 533 Nr. 1 Alt. 1 ZPO ausgegangen werden. Denn bei der Prüfung dieser Zulässigkeitsvoraussetzung ist kein kleinlicher Maßstab anzulegen. Sie wird grundsätzlich bereits dann zu bejahen sein, wenn damit bei objektiver Betrachtung der Streit zwischen den Parteien endgültig erledigt und einem weiteren Prozess vorgebeugt wird (vgl. MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 533 Rn. 13).
84
Dies ist hier der Fall.
85
(4) Auch die weiteren Voraussetzungen nach § 533 Nr. 2 ZPO für eine zweitinstanzliche Klageänderung liegen hier letztlich vor.
86
Eine geänderte Klage kann hiernach nur auf den gem. § 529 ZPO für die Berufung „ohnehin“ zugrunde zu legenden Tatsachenstoff gestützt werden. Hierunter fallen die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen, die den Prozessstoff der Berufungsinstanz im Hinblick auf das ursprüngliche Berufungsbegehren bilden, einschließlich der bindenden Feststellungen des Eingangsgerichts und des vom Eingangsgericht nicht beurteilten Vorbringens (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 533 Rn. 14). Dazu kann neues, auf den (ursprünglichen) Berufungsgegenstand bezogenes Vorbringen kommen, das nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen oder unstreitig ist (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 533 Rn. 14).
87
Vorliegend stützt sich die erweiterte Widerklage zwar auf klägerseits bestrittenen neuen Sachvortrag in Bezug auf angebliche Mängel in einem Zeitraum, der nicht bereits Gegenstand des erstgerichtlichen Verfahrens war.
88
Allerdings ist der Berufung letztlich dahingehend zuzustimmen, dass der streitige Mangel „Sanierung des Wasserschadens in der Wohnung der Beklagten seit dem Dezember 2022 andauernd bis heute“ bereits erstinstanzlich im Rahmen der Erhebung der Widerklage mit Schriftsatz vom 17.03.2023 zum Streitgegenstand gemacht worden ist und 548,80 € für die Überzahlung der Miete im Monat Februar 2023 eingeklagt worden sind. Hierbei hatte die Beklagte namentlich bereits vorgetragen und unter Vorlage von Lichtbildern eines Thermometers Beweis dafür angeboten, dass die Temperatur innerhalb der Wohnung, insbesondere in den Wintermonaten, nicht einmal 5° C überstiegen habe. Wie sich der Widerklage vom 17.03.2023 (dort S. 11 und 12) entnehmen lässt, ist zudem bereits unter Beweis gestellter Sachvortrag zum Mangel „Sanierung der Fußbodenheizung“ erfolgt.
89
Vor diesem Hintergrund vermag sich die Kammer letztlich der Auffassung der Berufung anzuschließen und die zweitinstanzliche Widerklageerweiterung als zulässig zu erachten, wobei es dabei freilich nicht nur um die Frage der Sachdienlichkeit geht, wie die Berufung augenscheinlich meint. Denn eine Klageänderung in 2. Instanz ist eben auch nach § 533 Nr. 2 ZPO zu beurteilen.
90
b) Die erweiterte Widerklage ist jedoch in vollem Umfang unbegründet.
91
Denn ein Rückzahlungsanspruch besteht nicht, weil ein Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB, der eine Minderung der Miete nach sich zöge, nicht angenommen werden kann.
92
Soweit die Berufung insbesondere behauptet, dass die Wohnung seit Dezember 2022 in ihrer Nutzbarkeit erheblich eingeschränkt sei, weil der Kläger das streitgegenständliche Mietobjekt infolge eines Wasserschadens grundlegend sanieren lasse und hierbei u.a. den Estrich im oberen Teilbereich der Maisonette-Wohnung geöffnet und die dortigen Heizkörper habe entfernen lassen, wird übersehen, dass das Mietverhältnis durch die streitgegenständliche ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 bereits zum 31.03.2022 beendet worden war.
93
In Ermangelung eines über den 31.03.2022 hinaus fortbestehenden Mietverhältnisses zwischen den Parteien scheidet die Annahme einer mangelbedingten Mietminderung nach §§ 535 Abs. 2, 536 Abs. 1 BGB in Bezug den vorstehenden Mangel per se aus. Auch eine Minderung der ab 01.04.2022 beklagtenseits geschuldeten Nutzungsentschädigung kommt hier nicht in Betracht.
94
Gibt der Mieter eine mangelhafte Mietsache nach Beendigung der Mietzeit nicht zurück, so ist zwar grundsätzlich auch die Höhe der Nutzungsentschädigung gemindert; dies gilt unabhängig davon, ob der Mieter während der Mietzeit von seiner Minderungsbefugnis Gebrauch gemacht hat oder nicht.
95
Anders verhält es sich hingegen, wenn der (konkrete) Mangel erstmals nach Beendigung der Mietzeit auftritt. In diesem Fall ist der Vermieter grundsätzlich nicht mehr zur Herstellung des vertragsgemäßen Gebrauchs verpflichtet. Der Mieter kann sich daher auch nicht darauf berufen, dass eine Minderung anzunehmen sei (vgl. Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 536 Rn. 137).
96
Tritt ein Mangel – wie hier – erst während der Zeit der Vorenthaltung auf, so mindert sich die Nutzungsentschädigung nicht (BGH NJW 1961, 916; NJW 2015, 2795; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 1570; KG ZMR 2013, 26; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Börstinghaus, 7. Aufl. 2023, BGB § 546a Rn. 28; Bub/Treier MietR-HdB/Emmerich Kap. V Rn. 132). Hierfür spricht bereits eine Wortlautauslegung der §§ 535 Abs. 1, 536 BGB; denn nach der gesetzlichen Regelung in § 536 Abs. 1 BGB setzt die Minderung voraus, dass die Mietsache „während der Mietzeit“ mangelhaft wird. Diese Regelung geht Hand in Hand mit § 535 Abs. 1 BGB, wonach der Vermieter verpflichtet ist, die Mietsache „während der Mietzeit“ in einem gebrauchstauglichen Zustand zu erhalten (Blank/Börstinghaus/Siegmund/ Börstinghaus, 7. Aufl. 2023, BGB § 546a Rn. 28). Hieraus ist abzuleiten, dass die Gebrauchserhaltungspflicht grundsätzlich mit der Beendigung des Mietverhältnisses entfällt. Daher schuldet der Mieter die Nutzungsentschädigung auch dann in voller Höhe, wenn die Mietsache erst nach Beendigung des Mietverhältnisses mangelhaft wird (Blank/Börstinghaus/ Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 536 Rn. 137). Auf diese Weise soll u.a. auch der Druck zur Erfüllung der Rückgabepflicht verstärkt werden (BGH NJW 2015, 2795 Rn. 21).
97
Klarzustellen ist, dass es dabei freilich nicht auf irgendeinen Mangel oder einen von mehreren Mängeln der Mietsache ankommt, sondern der konkret behauptete Mangel in den Blick zu nehmen ist, der zur streitgegenständlichen Minderung geführt haben soll.
98
Da sich die erweiterte Widerklage hier explizit nur auf einen konkreten Mangel bezieht, der erst (deutlich) nach Beendigung des Mietverhältnisses erstmals aufgetreten sein soll, scheidet die Annahme eines minderungsrelevanten Mangels der Mietsache richtigerweise aus.
99
In Ermangelung einer Minderung kann daher kein Rückerstattungsanspruch der Beklagten wegen überzahlter Nutzungsentschädigung bestehen.
100
Auch die erweiterte Widerklage geht mithin vollumfänglich ins Leere.
III.
101
1. Die Kostenfolge beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.
102
2. Für die Streitwertfestsetzung ist zum einen der Jahresbetrag der Nettomiete maßgeblich. Zum anderen ist auf die Höhe der begehrten Zahlungen abzustellen. Die Diskrepanz zwischen der erst- und der zweitgerichtlichen Streitwertfestsetzung fußt auf der Erhöhung der Widerklageforderung zu Ziffer VIII.
103
3. Die Gewährung einer Räumungsfrist hat ihre Rechtsgrundlage in der Norm des § 721 Abs. 1 ZPO, die nach Überzeugung der Kammer auch dann zur Anwendung kommen kann, wenn bereits erstgerichtlich auf Räumung erkannt worden ist.
104
Gegen eine Räumungsfrist spricht vorliegend zwar insbesondere, dass das Mietverhältnis bereits durch die ordentliche Kündigung vom 23.06.2021 beendet worden ist. Andererseits ist durchaus der überaus angespannte Mietmarkt in der Landeshauptstadt München und ihrer Umgebung zu berücksichtigen. Die Mietrückstände sind zudem vollumfänglich ausgeglichen, die laufende Nutzungsentschädigung wird derzeit, zumindest unter Vorbehalt, bezahlt. Hinzu kommt die lange Dauer des Mietverhältnisses. Nach alledem erscheint es gut vertretbar, der Beklagten zumindest eine kurze weitere Räumungsfrist zu gewähren.
105
4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen hier nicht vor. Denn es handelt sich ersichtlich um eine Einzelfallentscheidung. Die Frage der Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen ausstehender Betriebskostennachforderungen ist überdies in Rechtsprechung und Literatur hinreichend geklärt. Gleiches gilt für die vorliegende Minderungsproblematik.