Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 25.01.2025 – W 5 S 25.134
Titel:

Teilweise erfolgreicher einstweiliger Rechtsschutz gegen versammlungsrechtliche Anordnungen

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
StGB § 130, § 189
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 5, Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Als Grundlage der Gefahrenprognose des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der Gefahrenprognose können Beschränkungen, die darauf abzielen, Straftaten zu verhindern, verfügt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der fraglichen Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass solche Straftaten begangen werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es genügt allerdings nicht, wenn es nach den Erkenntnissen der Versammlungsbehörde lediglich nicht auszuschließen ist, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus der Versammlung heraus entstehen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Beschränkung einer Versammlung, Untersagung von ausgestopften Puppen unter Tüchern mit roten Farbflecken, Untersagung von deutschen Reichkriegsflaggen, hinreichende Gefahrenprognose aufgrund drohender Gesundheitsbeeinträchtigung, Unbestimmtheit, einstweiliger Rechtschutz, Versammlungsfreiheit, Versammlung, Verbot, Auflage, Gefahrenprognose, Straftaten, Reichskriegsflaggen, bloße Verdachtsmomente, Bestimmtheitsgrundsatz
Fundstelle:
BeckRS 2025, 723

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffer I.5. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2025, soweit darin das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen untersagt wurde, wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen versammlungsrechtliche Anordnungen.
2
1. Mit Schreiben vom 23. Januar 2025 zeigte der Antragsteller die Durchführung einer öffentlichen Versammlung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin (Fußgängerzone nahe der Kreuzung …) zu dem Thema „Migrantengewalt stoppen – Heimat schützen!“ für Samstag, den 25. Januar 2025 in der Zeit von 13:30 bis 14:30 Uhr (Teilnehmerzahl: 5 Personen) an.
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Am 24. Januar 2025 fand ein Kooperationsgespräch zwischen dem Veranstalter und der Versammlungsbehörde statt.
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Der Veranstalter plant während der Versammlung eine szenische Darstellung mit Bezug zu dem aktuellen Anschlagsgeschehen in … Sinnbildlich für die zwei Opfer würden zwei mit weichem Material ausgestopfte Puppen mit Tüchern auf ein buntes Tuch auf dem Boden gelegt und mit Tüchern mit roten Farbflecken bedeckt. Der Bereich werde mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, welches an Stativen befestigt werde. Hinter den Puppen befinde sich ein Transparent mit der Aufschrift „Ergebnis der Systempolitik“. Daneben befänden sich Kundgebungsteilnehmer mit weiteren Kundgebungsmitteln. Als Kundgebungsmittel sollten zum Einsatz kommen: Mikrofonanlage, Transparente, Fahnen, Schilder, Lautsprecheranlage, Pavillon, Infotisch, Lautsprecheranlage, Stromaggregat, Rednerpult, Fahnen (Parteifahnen des „… …“, Fahnenstangen: Rundholz mit Durchmesser 2 cm und Länge 2 m), Schilder, Plakataufsteller, verschiedene themenbezogene Transparente, zivile Parteikleidung mit Logo und Aufschrift (grüne Zipper Jacke, Regenjacke in schwarz und grün, beige und schwarze T-Hemden, grüne Kapuzenpullover, grüne Polohemden). Es würden verschiedene Redebeiträge geboten und politische Musikstücke abgespielt. Weiterhin würden Flugblätter an Passanten verteilt.
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Das Polizeipräsidium ... gab unter dem 24. Januar 2025 eine Stellungnahme ab, welche in der geplanten Szenerie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch in Betracht kommende Straftaten (§§ 189, 130, 111 StGB), eine Gefahr für die öffentliche Ordnung durch pietätloses Verhalten in einer emotional per se schon aufgeladenen und angefassten Stimmungslage sowie eine Gefahr für die Gesundheit von Opferangehörigen, Opfern, Zeugen und der Bevölkerung durch weitere Traumatisierung erkannte. Auf die weiteren in der Stellungnahme enthaltenen Ausführungen wird Bezug genommen.
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2. Unter Ziffer I. des Bescheids vom 24. Januar 2025 ordnete die Antragsgegnerin für die angezeigte Versammlung u.a. folgende Beschränkungen an:
„3. Die szenische Darstellung eines Tatortes mit ausgestopften Puppen unter Tüchern mit roten Farbflecken wird untersagt.
(…)
5. Das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen sowie die Verwendung von Symbolen der Judenverfolgung werden untersagt.“
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Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die ausgesprochenen Beschränkungen sei Art. 15 Abs. 1 BayVersG, wonach die Verhängung von Beschränkungen in das Ermessen der Behörde gestellt werde. Art, Größe und Umfang der angemeldeten Veranstaltung und die davon ausgehende Gefahrenprognose machten die getroffenen Beschränkungen erforderlich.
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Zur angegriffenen Beschränkung I.3. wurde weiterhin ausgeführt, dass die Auflage erforderlich sei, um die Rechte Dritter zu schützen. Es sei davon auszugehen, dass unbeteiligte Dritte – hier insbesondere auch Kinder – bei Durchführung der angemeldeten Versammlung mit der szenischen Darstellung faktisch gezwungen sein könnten, sich mit den vom Antragsteller zur Verdeutlichung seines Anliegens vorgesehenen Darstellung eines Tatorts auseinander zu setzen, mit der Folge einer Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es sei ermessensgerecht, dass das Anliegen des Veranstalters, durch die drastische, schockierende Darstellung eines Tatortes mit Leichen um die Aufmerksamkeit der Passanten zu gewinnen und sich damit im Ergebnis wegen der Art und Weise der Präsentation nahezu zwangsweise ein Publikum im Hinblick auf den Veranstaltungszweck zu verschaffen, durch die Auflage verhindert werde. Nur so könnten Dritte – hier insbesondere auch die zur Hauptgeschäftszeit üblicherweise vermehrt vor einem Einkaufszentrum und teils ohne Begleitung Erwachsener anzutreffenden Kinder – den Versammlungsort passieren, ohne unfreiwillig und vollkommen unvorbereitet mit der drastischen Szenerie konfrontiert zu werden. Neben der Pietätlosigkeit werde auch eine hohe Gefahr der weiteren Traumatisierung für Angehörige, Zeugen und überlebenden Opfer gesehen. Der Tatbestand des § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) erscheine zumindest nicht ausgeschlossen. Die szenische Nachstellung der Messerattacke könne u.U. den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB erfüllen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Versammlung von der Partei … … … angemeldet worden sei und die Tat einem Ausländer zugeschrieben werde. Es werde daher auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung durch pietätloses Verhalten in einer emotional per se schon aufgeladenen und angefassten Stimmungslage gesehen; zudem eine Gefahr für die Gesundheit von Opferangehörigen, Opfern, Zeugen und der Bevölkerung durch weitere Traumatisierung. Die Untersagung sei daher verhältnismäßig.
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Zur Beschränkung unter Ziffer I.5. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Reichskriegsflaggen heute in ihrer ursprünglichen Bedeutung außerhalb von Museen, Sammlungen und wissenschaftlichen Einrichtungen keine Verwendung mehr fänden. Sie würden vielmehr von einer reichsideologischen, extremistischen und ausländerfeindlichen Szene vor allem als „Kampfsymbole“ für eine den deutschen Staat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnende, autoritäre Gesinnung in Beschlag genommen. Sie dienten in der Regel als Ersatz für die nach § 86a StGB verbotenen Flaggen des NS-Regimes. Das öffentliche Verwenden dieser Flaggen ziele vor diesem Hintergrund auf eine gegen das friedliche Miteinander gerichtete Provokation oder Einschüchterung. Es sei mittlerweile symbolisch derart aufgeladen, dass die bloße Verwendung geeignet sei, die Allgemeinheit zu gefährden und in deutlichem Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung stehe und nicht mehr von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt sei. Da unter Berücksichtigung der Versammlungsanmeldung und des Versammlungsthemas und den bisherigen Erfahrungen mit vergleichbaren Versammlungen auch aus anderen Zuständigkeitsbereichen von einer Teilnahme der reichsideologischen, extremistischen und ausländerfeindlichen Szene zu rechnen sei, liege eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung vor.
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3. Mit der am 24. Januar 2025 erhobenen Klage (W 5 K 25.133) begehrt der Antragsteller die Aufhebung der versammlungsrechtlichen Anordnung in Ziffer I.3. und in Ziffer I.5., soweit darin das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen untersagt werde, des Bescheids vom 24. Januar 2025 und beantragte gleichzeitig im Wege des einstweiligen Rechtschutzes sinngemäß, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung führte der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Beschränkung seien vorliegend nicht erfüllt, da sich aus den von der Antragsgegnerin vorgetragenen Behauptungen nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Versammlung des Antragstellers ergebe. Die Beschränkungen seien ermessensfehlerhaft ergangen. Die Antragsgegnerin habe keine Ermessenserwägungen angestellt. Zudem habe die Antragsgegnerin pauschal die Störung der öffentlichen Ordnung als ausreichend erachtet, um Beschränkungen zu erlassen. Die Auflage I.3. sei rechtswidrig, weil sie in das Recht des Veranstalters auf Versammlungs-, Meinungs- und Kunstfreiheit in ungerechtfertigter Weise eingreife. Die Grenze ergebe sich im Wesentlichen aus den Strafgesetzen. Die von der Antragsgegnerin angedachten Straftatbestände seien vorliegend absolut fernliegend. Auch eine Traumatisierungswirkung könne durch die szenische Darstellung nicht eintreten, zumal diese eine statische Darstellung (liegende mit einem Tuch abgedeckte Puppen) und nicht die Präsentation von geschehenden Gewalttaten (Zeigen von Schlägen, Tritten und Messerstichen in der Ausführung) sei. Die Beschränkung, wonach das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen untersagt werde, erweise sich als rechtswidrig. Diese Auflage sei zunächst unbestimmt, weil es im Rahmen der Geschichte verschiedenste Reichskriegsflaggen gegeben habe, welche sich auch in ihrem Aussehen erheblich unterschieden. So werde darunter beispielsweise u.a. auch eine schwarz-weiß-rote Fahne und eine schwarz-weiß-rote Fahne mit einem darauf aufgedruckten Eisernen Kreuz verstanden. Zudem fehle es an einer Rechtsgrundlage. Bei einer gegen einen behördlichen Erlass in Bezug auf Reichskriegsflaggen aus der Zeit bis 1935 gerichteten Demonstration begründe allein das Zeigen solcher Flaggen noch keine die öffentliche Ordnung gefährdende Einschüchterungswirkung. Der Antragstellerbevollmächtigte ergänzte und vertiefte seine Begründung mit weiteren Schriftsätzen vom 24. und 25. Januar 2025 und wandte sich insbesondere gegen die psychologische Bewertung des Zentralen Psychologischen Diensts der Bayerischen Polizei vom 24. Januar 2025. Es stelle ein gewünschtes Ergebnis (Traumatisierungsgefahr) voran ohne sich inhaltlich mit den jeweiligen Problemstellungen auseinanderzusetzen.
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4. Die Antragsgegnerin stellte den Antrag:
„Die Klage wird abgewiesen.“
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt: Es sei nicht Aufgabe der Verwaltungsbehörde sich Alternativkonzepte der szenischen Darstellung zu überlegen. Selbst mit neutralen Tüchern abgedeckte Körper stellten einen Tatort dar, der im Zusammenhang mit der aktuellen Situation das seelische Wohl von Kindern und Eltern mit jungen Kindern gefährde. Vorgelegt wurde außerdem eine psychologische Bewertung des Zentralen Psychologischen Diensts der Bayerischen Polizei vom 24. Januar 2025, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
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5. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (vgl. auch W 5 K 25.133) sowie die dem Gericht vorgelegten Behördenvorgänge Bezug genommen.
II.
15
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung der zu erhebenden Anfechtungsklage ist vorliegend nach Art. 25 BayVersG entfallen.
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2. Der Antrag ist teilweise begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage, welche hier nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG entfallen ist, anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 65 ff.). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen. Sind die Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Bezüglich der Verfügung der Stadt … in Ziffer I.3. des Bescheids, welche die szenische Darstellung eines Tatortes mit ausgestopften Puppen unter Tüchern mit roten Farbflecken untersagt, hat der Antrag keinen Erfolg, da die Anordnung nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Demgegenüber ist der Antrag bezüglich der Verfügung unter Ziffer I.5. des Bescheids, soweit das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen untersagt wird, begründet, da diese Anordnung voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2.1. Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die Stadt … als zuständige Versammlungsbehörde die Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – NVwZ 2013, 570 Rn. 17 m.w. N.; BayVGH, B.v. 19.1.2022 – 10 CS 22.162 – BeckRS 2022, 921 Rn. 17; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – BeckRS 2017, 138363 Rn. 16).
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Bei der vom Antragsteller angezeigten Veranstaltung am 25. Januar 2025 handelt es sich um eine Versammlung i.S.v. Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 BayVersG. Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 – juris Rn. 41; BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 23/06 – juris Rn. 15). Weitgehend übereinstimmend definiert Art. 2 Abs. 1 BayVersG Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes als Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Diese Voraussetzungen sind hier – zwischen den Beteiligten unstreitig – erfüllt, da im Rahmen der geplanten stationären Kundgebung eine ebensolche Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zu dem Thema „Migrantengewalt stoppen – Heimat schützen!“ beabsichtigt ist.
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2.2. Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben hat – nach der im hiesigen Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung – die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die angegriffene Nebenbestimmung in Ziffer I.3. des streitgegenständlichen Bescheids voraussichtlich keinen Erfolg. Die Anordnung in Ziffer I.3. ist von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 15 BayVersG gedeckt. Vorliegend ist die Untersagung der szenischen Darstellung aufgrund einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt.
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Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – NJW 1985, 2395; VGH Mannheim, U.v. 6.11.2013 – 1 S 1640/12 – BeckRS 2013, 58560; Dürig-Friedl/Enders, VersR, 2. Aufl. 2022, § 15 Rn. 40). Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören auch die Strafgesetze, sodass die öffentliche Sicherheit immer dann bedroht ist, wenn Straftaten drohen, da die Strafgesetze Teil der Rechtsordnung sind, deren Unversehrtheit zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehört (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1981 – 1 C 88/77 – NJW 1982, 1008 (1009)). Im Rahmen der Gefahrenprognose können Beschränkungen, die darauf abzielen, Straftaten zu verhindern, verfügt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der fraglichen Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass solche Straftaten begangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – BeckRS 2017, 138363 Rn. 16; B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 – BeckRS 2013, 50871 Rn. 4).
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Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe ist die im Bescheid der Stadt … vorgenommene Gefahrenprognose ausreichend, um die angegriffene Auflage zu tragen. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, aus der szenischen Darstellung im Rahmen der Kundgebung werde neben der damit einhergehenden Pietätlosigkeit eine hohe Gefahr der weiteren Traumatisierung für Angehörige, Zeugen und überlebenden Opfer gesehen. Zum einen erscheine der Tatbestand des § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) nicht ausgeschlossen. Die szenische Nachstellung der Messerattacke könne zum anderen unter Umständen den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB erfüllen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Versammlung von der Partei „… … …“ angemeldet worden sei und die Tat einem Ausländer zugeschrieben werde. Es bestehe daher auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung durch pietätloses Verhalten in einer emotional per se schon aufgeladenen und angefassten Stimmungslage. Zudem werde auch eine Gefahr für die Gesundheit von Opferangehörigen, Opfern, Zeugen und der Bevölkerung durch weitere Traumatisierung gesehen.
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Zwar ist die Verwirklichung von Straftatbeständen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Wie oben dargelegt sind insoweit konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, die hinreichend wahrscheinlich erwarten lassen, dass es bei der streitgegenständlichen Versammlung zur Verwirklichung von Straftaten kommen werde. Entscheidend ist insoweit, dass es sich um erkennbare Umstände handelt, die genau und mit den nötigen Einzelheiten so angegeben werden, dass eine Nachprüfung möglich ist. Bloße Verdachtsmomente, Vermutungen, Gerüchte und Meinungen ohne hinreichend konkrete Tatsachengrundlagen reichen als erkennbare Umstände für die im Rahmen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG anzustellende Gefahrenprognose nicht aus (vgl. Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, VersR, 2. Aufl. 2022, § 16 Rn. 61). Es genügt insbesondere auch nicht, wenn es nach den Erkenntnissen der Versammlungsbehörde lediglich nicht auszuschließen ist, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus der Versammlung heraus entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – JuS 2010, 937). Für die Kammer ergeben sich vorliegend jedoch weder aus der Gefahrenprognose im Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2025 noch aus der Stellungnahme des Polizeipräsidiums ... vom gleichen Tag konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Verwirklichung von Straftaten im Rahmen der angezeigten Versammlung. Vielmehr wird im Rahmen der Prognose ausschließlich darauf abgestellt, dass die Verwirklichung der Straftatbestände des § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) sowie des § 130 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB (Volksverhetzung) nicht ausgeschlossen werden könne. Konkrete Anhaltspunkte dafür – etwa aus den Angaben im Rahmen der Versammlungsanzeige oder Erfahrungen aus der Vergangenheit, die eine solche Begehung von Straftaten erwarten lassen – werden jedoch nicht angeführt. Soweit die Stellungnahme des Polizeipräsidiums ... insoweit eine Versammlung des … … aus dem Jahr … am … Platz in W* … benennt, lässt sich für die hiesige – sich im Detail anders darstellende – Konstellation keine relevanten Schlussfolgerungen ableiten, zumal nicht aufgezeigt wurde, dass seinerzeit ein strafrechtlich relevantes Verhalten festzustellen war. Der Umstand, dass stets die Möglichkeit besteht, dass sich die szenische Darstellung vor Ort im Rahmen des dynamischen Versammlungsgeschehen abweichend von der vorab in der Versammlungsanzeige beschriebenen Situation entwickelt, vermag eine zu erwartende Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und die vorab erlassene Versammlungsbeschränkung ebenfalls nicht zu begründen. Insoweit wären die präsenten Polizeikräfte am Versammlungsort gehalten, die Entwicklung der Kundgebung vor Ort im Auge zu behalten und im Falle einer Überschreitung der Schwelle zur Strafbarkeit gegebenenfalls einzugreifen.
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Allerdings spricht nach summarischer Prüfung einiges dafür, dass die weitere in der Gefahrenprognose enthaltene Erwägung, wonach eine Gesundheitsbeeinträchtigung von Opferangehörigen, Opfern, Zeugen und der Bevölkerung durch weitere Traumatisierung gesehen wird, aufgrund der am 25. Januar 2025 um 9:28 Uhr dem Gericht vorgelegten Psychologischen Bewertung des Zentralen Psychologischen Diensts der Bayerischen Polizei vom 24. Januar 2025 sich in einem Hauptsacheverfahren als hinreichend tragfähig erweisen wird. Darin wird ausgeführt, dass aus psychologischer Sicht dringend vor dem Risiko einer erneuten Traumatisierung von Opfern, Opferangehörigen, Zeugen und betroffenen Einsatzkräften oder einer möglichen Ersttraumatisierung von Unbeteiligten durch die im Bescheid der Stadt … beschriebene szenische Darstellung eines Tatortes mit ausgestopften Puppen unter Tüchern mit roten Farbflecken gewarnt werden muss. So wird vor allem darauf hingewiesen, dass die Konfrontation mit retraumatisierenden Szenarien oder Schlüsselreizen unbedingt vermieden werden sollte, um so den psychischen Verarbeitungsprozess nicht zu gefährden und das Risiko der Chronifizierung oder Verschlechterung von oben beschriebenen Symptomen nicht zu erhöhen. Dabei seien aus psychologischer Betrachtung als besonders kritisch und das Risiko einer erneuten Traumatisierung erhöhend anzuführen die zeitliche Nähe zum tatsächlichen Tatgeschehen vor wenigen Tagen, die daraus resultierende sensible Phase der erhöhten Vulnerabilität in der psychischen Verarbeitung des Traumas durch überlebende Opfer, Opferangehörige, Zeugen und betroffene Einsatzkräfte sowie die Ähnlichkeit der szenischen Darstellung mit dem eigentlichen Tatgeschehen als möglicher Schlüsselreiz für erneute Traumatisierungserlebnisse und damit die Erhöhung der Gefahr einer Chronifizierung oder Verschlechterung möglicher Symptome bei den Betroffenen. Diese Ausführungen stellen sich aus Sicht der Kammer auch in Ansehung des Hinweises des Antragstellerbevollmächtigten, dass es sich um eine statische Darstellungsform handele und Gewalttaten nicht in ihrer Ausführung gezeigt würden, als nachvollziehbar und vor dem Hintergrund von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als hinreichend gewichtig dar, um den damit verbundenen Eingriff in von Antragstellerseite geltend gemachten Grundrechtspositionen aus Art. 5 GG und Art. 8 GG in verhältnismäßiger Weise zu rechtfertigen. Die pauschal gehaltenen Zweifel des Antragstellerbevollmächtigten an den fachkundigen Ausführungen der Psychologischen Bewertung vom 24. Januar 2025 vermögen diese nicht zu entkräften.
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Selbst wenn man insoweit von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausginge, würde die Folgenabwägung zu keinem anderen Ergebnis führen. Die möglicherweise unwiederbringlichen Nachteile im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit bei rechtswidriger Durchführung der Szenerie fallen stärker ins Gewicht als die bei rechtswidriger Untersagung der Szenerie zu erwartenden Beeinträchtigungen der Antragstellerseite.
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2.3. Die außerdem angegriffene Ziffer I.5., soweit darin das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen Reichskriegsflaggen untersagt wird, ist hingegen rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Anordnung verstößt gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.
31
Ein Verwaltungsakt muss hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Dies ist keine Frage der formellen, sondern der materiellen Rechtmäßigkeit. Hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung, der Entscheidungssatz, gegebenenfalls im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen, für die Beteiligten, insbesondere für den Adressaten des Verwaltungsaktes so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können. Der Entscheidungssatz muss aus sich heraus verständlich sein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 37 Rn. 5, 12). Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 41/87 – juris Rn. 29).
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Die Formulierung der in Ziffer I.5. geregelten Auflage begegnet – soweit diese das öffentliche Führen, Schwenken oder Hissen von deutschen „Reichskriegsflaggen“ betrifft – schon deshalb rechtlichen Bedenken, weil sie sehr allgemein gehalten ist und damit zu Zweifeln Anlass gibt, ob sie hinreichend bestimmt ist und einen vollstreckbaren Inhalt hat (vgl. bereits BayVGH, B.v. 18.5.2006 – 24 CS 06.1290 – juris Rn. 15). Das im Bescheid nicht näher konkretisierte Verbot, Reichskriegsflaggen jedweder Art mitzuführen, ist nach der im Eilverfahren nur summarisch möglichen Prüfung der Rechtslage nicht ausreichend bestimmt. Soweit damit drohende Straftaten (§ 86a Abs. 1, § 130 StGB) verhindert werden sollen, kann sich das Verbot zwar auf die Reichskriegsflagge in der Fassung beziehen, die sie in der Zeit nach 1935 wegen der Hinzufügung des Hakenkreuzes hatte. Das Mitführen der Reichskriegsflagge in den vor 1935 verwendeten Fassungen führt aber nicht in jedem Fall zu einer Strafbarkeit der Kundgebungsteilnehmer. Im Ergebnis ergibt sich aus der nicht näher spezifizierten Formulierung der „Reichskriegsflagge“ in dem streitgegenständlichen Bescheid bereits nicht hinreichend konkret, ob sich das Verbot allein auf die Reichskriegsflagge in der Fassung nach 1935 oder in den vor 1935 verwendeten Fassungen bezieht.
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Ob darüber hinaus die Beschränkung in Ziffer I.5. von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 BayVersG gedeckt ist, begegnet angesichts des Umstands, dass aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierung Flaggen untersagt werden, die für sich genommen weder den Tatbestand der Volksverhetzung des § 130 StGB noch den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2002 – NVwZ 2002, 1567; VGH BW, B.v. 15.6.2005 – NJW 2006, 635; BayVGH, B.v. 18.5.2006 – 24 CS 06.1290 – juris Rn. 15; OVG Thüringen, B.v. 13.3.1998 – 2 ZEO 341/98), erheblichen Bedenken. Letztlich kann dies aber aufgrund der vorstehenden Erwägungen offenbleiben.
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3. Nach alledem war dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung basiert auf § 155 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht das Gericht keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2021 – 10 CS 21.903 – juris Rn. 31).