Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 16.01.2025 – Au 2 M 23.2090
Titel:

Zur Erstattungsfähigkeit von Kopierkosten eines Bevollmächtigten

Normenketten:
VwGO § 55d S. 1, § 165, § 151
VV-RVG Nr. 7000 Nr. 1
JVEG § 5
Leitsätze:
1. Nicht erstattungsfähig gem. Nr. 7000 Nr. 1 lit. a RVG VV sind Ablichtungen von Aktenbestandteilen, die für den Rechtsanwalt von vornherein irrelevant sind oder von denen er erwarten kann, dass von ihnen bereits Ablichtungen gefertigt sind oder Abschriften existieren und hierauf rechtzeitig zurückgegriffen werden kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Abschluss eines Verfahrens sind die Fertigungen von Ablichtungen eines Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn sie Vorgänge betreffen, die nach dem seinerzeit noch nicht abschätzbaren Gang des Verfahrens für die Prozessführung nach der damals möglichen Beurteilung von Bedeutung sein konnten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reisekosten der Beteiligten sind selbst dann erstattungsfähig, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten vor Gericht nicht ausdrücklich angeordnet worden ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entscheidung des Gerichts gegen Kostenfestsetzungsbeschluss, Dokumentenpauschale für Kopien aus schriftlicher Behördenakte, Reisekosten des anwaltlichen Behördenvertreters, RVG VV Nr. 7000 Nr. 1 lit. a, Kostenfestsetzungsbeschluss, Reisekosten, außergerichtliche Parteiaufwendungen
Fundstelle:
BeckRS 2025, 717

Tenor

I. Ziffer 1. des Kostenfestsetzungsbeschlusses der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. November 2023 wird abgeändert. Die der Antragstellerin zu erstattenden Aufwendungen werden auf 2.841,55 EUR festgesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.
2
Im Verfahren Au 2 K 22.416 wurde die Klage des Antragsgegners gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid der Antragstellerin mit Urteil vom 23. Februar 2023 abgewiesen und dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens auferlegt.
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Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragte unter dem 24. Oktober 2023 die Kostenfestsetzung in Höhe von 2.841,55 EUR. Darin enthalten waren Kosten für die Anfertigung von 35 Seiten Kopien in schwarz/weiß und vier Seiten Farbkopien in Höhe von 21,50 EUR zzgl. Umsatzsteuer (= 25,58 EUR). Ferner brachte er Fahrtkosten in Höhe von 71,84 EUR für die Fahrt zum Gerichtstermin in Ansatz.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. November 2023 setzte die Urkundsbeamtin des Gerichts die an die Antragstellerin von dem Antragsgegner zu erstattenden Aufwendungen auf 2.806,99 EUR (Ziffer 1) fest. Der unter Ziffer 1 festgesetzte Betrag sei ab 24. Oktober 2023 mit fünf Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (Ziffer 2). Die Kosten für Kopien (35 Seiten s/w, 4 Seiten Farbe) würden nicht anerkannt. Im Zuge der elektronischen Akten dürfe davon ausgegangen werden, dass die Schriftstücke alle elektronisch erfasst und eingescannt würden. Bei den Parteiauslagen für die Wahrnehmung des Gerichtstermins werde nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten/JVEG mit 0,35 EUR pro gefahrenem Kilometer und nicht nach Art. 6 BayRKG (0,40 EUR pro gefahrenem Kilometer) abgerechnet. Für die Entschädigung von Verfahrensbeteiligten gälten die Regeln nach dem JVEG, mithin ergebe sich ein Betrag von 62,86 EUR.
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Mit Schreiben vom 20. November 2023 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Entscheidung des Gerichts. Der Abzug der geltend gemachten Kosten für Ausdrucke und die Reduzierung der Parteiauslagen bei den Fahrtkosten werde beanstandet.
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Die Urkundsbeamtin half dem Antrag mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
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Der Antragsgegner äußerte sich nicht.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Kostenakte auch im Verfahren Au 2 K 22.416 Bezug genommen
II.
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Die zulässige Erinnerung i.S.v. §§ 165, 151 VwGO ist begründet.
10
Über das Rechtsmittel entscheidet die Kammer mittels Beschluss gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO, weil die Kostengrundentscheidung ebenfalls von der Kammer getroffen wurde (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 165 Rn. 7).
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1. Die vom Bevollmächtigten der Antragstellerin beantragten außergerichtlichen Parteiaufwendungen in Form von Kopierkosten sind in Höhe von 21,50 EUR plus Umsatzsteuer erstattungsfähig.
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a) In Abweichung vom Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin erkennt die Kammer einen Betrag von 25,58 EUR hinsichtlich der Kosten für Kopien gemäß Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a VV RVG für die angesetzten Kopien von 39 Seiten aus der Behördenakte an. Die Urkundsbeamtin hat die Kopierkosten des Bevollmächtigten zu Unrecht nicht als erstattungsfähig anerkannt.
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aa) Dabei durfte der Bevollmächtigte der Antragstellerin auch grundsätzlich den Verwaltungsvorgang kopieren und war nicht auf eine rein elektronische Ablichtung beschränkt. Der Gebührentatbestand Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a VV RVG sieht zudem die Vergütung von Kopien und Ausdrucken ausdrücklich vor. Im Zusammenhang hiermit ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass keine Verpflichtung eines Rechtsanwalts zur Verwendung einer elektronischen Akte besteht. Nach § 55d Satz 1 VwGO besteht lediglich die Verpflichtung zur elektronischen Einreichung von Dokumenten. Die Behördenakte, die entsprechend des Hinweisblattes des Gerichts erstellt wurde, wurde dem Gericht übermittelt, woraufhin der Bevollmächtigte die für ihn wichtigsten Seiten ausdruckte. Das ist dem Grunde nach rechtlich nicht zu beanstanden.
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bb) Der Höhe nach sind Aufwendungen für Kopien aus der Behördenakte gemäß Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a VV RVG erstattungsfähig, soweit die Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Das ist aus der Sicht zu beurteilen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Prozessbevollmächtigter haben darf, wenn er sich mit der Akte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der Bearbeitung der Sache auftreten können. Insoweit kommt dem Bevollmächtigten zwar ein gewisser Beurteilungsspielraum zu und darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden, trifft ihn aber eine Kostenminimierungspflicht (vgl. BGH, B.v. 26.4.2005 – X ZB 17.04 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 5 M 19.2487 – Rn. 6; OVG LSA, B.v. 11.5.2020 – 4 O 42.20 – juris Rn. 7). Nicht erstattungsfähig sind daher Ablichtungen von Aktenbestandteilen, die für den Rechtsanwalt von vornherein irrelevant sind oder von denen er erwarten kann, dass von ihnen bereits Ablichtungen gefertigt sind oder Abschriften existieren und hierauf rechtzeitig zurückgegriffen werden kann (vgl. BGH, B.v. 26.4.2005 – X ZB 17.04 – juris Rn. 10). Die wahllose Ablichtung der gesamten Behördenakte ist folglich nicht mehr vom Beurteilungsspielraum des Bevollmächtigten gedeckt (BayVGH, B.v. 23.11.2021 – 11 C 21.740 – juris Rn. 19 m.w.N.). Das schließt es allerdings in Einzelfällen nicht aus, bei besonderer Begründung die Notwendigkeit einer kompletten Kopie anzuerkennen (BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 5 M 19.2487 – juris Rn. 7). Denn er, nicht das Gericht, das nachträglich über die Erstattbarkeit der Schreibauslagen zu entscheiden hat, ist für die Führung der Rechtssache verantwortlich. Er muss sich auf alle Eventualitäten im Rahmen des Vernünftigen vorbereiten; deswegen kann auch ein abgelichtetes Schriftstück, das sich im weiteren Verlauf des Verfahrens als nicht erheblich erwiesen hat, durchaus erstattungsfähig sein. Eine solche Betrachtungsweise entspricht zudem der Verfahrensökonomie. Sie verhindert oder vermindert wiederholte Akteneinsichten, die zu Verfahrensverzögerungen und erheblichen Kosten für alle Beteiligten, auch für die Gerichtsverwaltung führen können. Eine kleinliche Behandlung bei der Kostenerstattung ist hier deshalb verfehlt (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2000 – 8 C 99.2099 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine Grenze wird dort zu ziehen sein, wo mit dem Fertigen von Ablichtungen Missbrauch getrieben wird („Sammlung von Material für alle Fälle“) sowie bei einer gedankenlosen Ablichtung kurzerhand der gesamten Behördenakten, ohne dass ihre Notwendigkeit für das streitige Verfahren irgendwie ins Auge gefasst wird (BayVGH, B.v. 29.8.2000 – 8 C 99.2099 – juris Rn. 5).
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Hieran gemessen sind dem Grunde nach die Kopierkosten für alle 39 Seiten als erstattungsfähig anzuerkennen. Aufgrund des gerichtlichen Hinweisblattes durfte der Bevollmächtigte zu Recht davon ausgehen, dass es sich um besonders relevante Aktenbestandteile handelte. Die Kopien betreffen damit Vorgänge, die nach dem seinerzeit noch nicht abschätzbaren Gang des Verfahrens durchaus für die Prozessführung nach der damals möglichen Beurteilung von Bedeutung sein konnten. Angesichts des überschaubaren Umfangs der Kopienzahl durfte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Herstellung der Kopien im genannten Umfang für erforderlich halten. Anhaltspunkte dafür, dass die Einschätzung des Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Notwendigkeit der gefertigten Kopien fehlerhaft gewesen wäre, sind demnach nicht ersichtlich.
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Insgesamt steht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin demnach ein Betrag von 25,58 EUR für die Anfertigung von Kopien zu.
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2. Hinsichtlich der Reisekosten in Höhe von 71,84 EUR zum Termin zur mündlichen Verhandlung des Bevollmächtigten der Antragstellerin ist der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. November 2023 ebenfalls abzuändern. Bei den Reisekosten des Vertreters einer Behörde handelt es sich dem Grunde nach um zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen eines Beteiligten. Diese gehören gemäß § 162 Abs. 1 VwGO zu den Kosten des Verfahrens, die der Antraggegner auf der Grundlage des Kostenlastausspruchs im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Februar 2023 (Au 2 K 22.461) zu tragen hat.
18
Reisekosten der Beteiligten – auch des Behördenvertreters für die Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung – sind regelmäßig erstattungsfähig. Dies gilt auch dann, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten vor Gericht nicht ausdrücklich angeordnet worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 3.7.1990 – 8 S 2212/87 – juris Rn. 2; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 11 f. m.w.N.). Ferner gilt dies auch im Falle anwaltlicher Vertretung (BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 9 M 15.254 – juris Rn. 11; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.10.2017 – OVG 3 K 6/17 – NVwZ-RR 2018, 164). Die Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen bemisst sich nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Rechtsvorschriften, vorliegend Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayRKG (OVG Berlin-BbG, B.v. 12.10.2017 – OVG 3 K 6/17 – NVwZ-RR 2018, 164; HessVGH, B.v.25.1.1989 – F 4471/88 – AgrarR 1989, 256; BayVGH, B.v. 5.10.1982 – 14 N 81 A.272 – BayVBl 1983, 56). Die Auffassung, dass auch hinsichtlich der Reisekosten von Behördenvertretern über § 173 Satz 1 VwGO und § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO das JVEG heranzuziehen sei (offen gelassen: BVerwG, B.v 20.8.2014 – 9 KSt 3/14 – juris Rn. 3 ff.) überzeugt nicht. Auch wenn das für die Behörde geltende Reisekostengesetz unmittelbar nur im Verhältnis des Bediensteten zur Behörde gilt, entstehen gleichwohl der Behörde die Reisekosten nach diesen Bestimmungen. Die Aufwendungen für die Fahrt zur mündlichen Verhandlung waren vorliegend auch notwendig im Sinn des § 162 Abs. 1 VwGO.
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3. Die zu erstattenden Aufwendungen im Kostenfestsetzungsbeschluss waren daher um 34,56 EUR auf insgesamt 2841,55 EUR abzuändern.
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4. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Verfahren über die Erinnerung ist allerdings entsprechend § 66 Abs. 8 Satz 1 GKG gerichtsgebührenfrei (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 15 M 18.586 – juris Rn. 5) und Kosten werden entsprechend § 66 Abs. 8 Satz 2 GKG nicht erstattet.