Titel:
Vorläufige Freiheitsentziehung, Ingewahrsamnahme, Feststellung der Rechtswidrigkeit, Wert des Beschwerdeverfahrens, Verwaltungsmaßnahmen, Gerichtliche Überprüfung, Gerichtliche Entscheidung, Zuständige Verwaltungsbehörde, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Wertfestsetzung, Betroffenheit, Einstweilige Anordnung, Richterliche Unabhängigkeit, Unerlaubte Einreise, Beschlüsse des Amtsgerichts, Dienstliche Stellungnahme, Prüfungsumfang, Anhörungstermin
Schlagworte:
Ingewahrsamnahme, Freiheitsentziehung, richterliche Anordnung, Beschwerde, Verwaltungsmaßnahme, Haftanordnungsbeschluss, Rechtswidrigkeit
Vorinstanz:
AG Lindau, Beschluss vom 05.02.2025 – 2 XIV 67/21 B
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6938
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) vom 05.02.2025, Az. ..., wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 5000 €.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Betroffene die von ihm begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Ingewahrsamnahme vom 02.09.2021, 15:00 Uhr bis zum Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) am 03.09.2021.
2
Der Betroffene wurde am 02.09.2021 um 7:00 Uhr einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle unterzogen. Bei der Kontrolle wies er sich mit einem gültigen syrischen Reisepass aus, weitere aufenthaltslegitimierende Dokumente konnte er nicht vorweisen. Aufgrund des Verdachts der versuchten unerlaubten Einreise wurde er von der Bundespolizei vorläufig festgenommen und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zum Bundespolizeirevier Lindau verbracht.
3
Dort fand in der Zeit von 9:14 bis 9:23 Uhr die Einreisebefragung des Betroffenen statt. Nach weiterer Abklärung des Sachverhaltes erfolgte um 11:45 Uhr eine Nachbefragung des Betroffenen. Um 13:00 Uhr wurde an die ermittelnde Dienststelle die Mitteilung übermittelt, dass die Eurodac-Recherche negativ verlaufen sei. Um 13:34 Uhr wurde gegenüber dem Betroffenen durch die Bundespolizei die Verweigerung der Einreise erklärt.
4
Um 14:36 Uhr übermittelte die Bundespolizei dem Amtsgericht Lindau (Bodensee) ihren 7-seitigen Antrag auf Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung des Betroffenen.
5
Der Betroffene wurde am 03.09.2021 um 9:30 Uhr zu diesem Antrag angehört. Im unmittelbaren Anschluss hieran erging vor 11:10 Uhr der Beschluss des Amtsgerichts Lindau (Bodensee), dass gegen den Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung Haft zur Sicherung der Zurückweisung angeordnet wird.
6
Mit Schriftsatz vom 19.10.2021 beantragte der Betroffene über seinen anwaltlichen Vertreter, „festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom 02.09.2021,15 Uhr bis zum Erlass des Haftbeschlusses des Amtsgerichts vom 03.09.2021 rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.“
7
In einer dienstlichen Stellungnahme des zuständigen Richters vom 27.12.2024 führte dieser aus, dass der Antrag um 14:44 Uhr beim Amtsgericht Lindau eingegangen sei und bei den vorzunehmenden Handlungen nach Eingang des Verfahrens die Anberaumung und der Beginn eines Anhörungstermins noch am gleichen Tag um 15:00 Uhr keinesfalls möglich gewesen sei.
8
Mit Beschluss vom 05.02.2025 wurde der Antrag des Betroffenen vom 19.10.2021 abgewiesen. Der Beschluss wurde dem anwaltlichen Vertreter des Betroffenen am 13.02.2025 zugestellt.
9
Mit Schriftsatz vom 04.03.2025 legte der Betroffene hiergegen Beschwerde ein, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 25.03.2025 nicht abhalf.
10
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
11
1. Der Betroffene kann seinen Antrag insbesondere nicht mit Erfolg auf § 428 FamFG stützen.
12
Gemäß § 428 Abs. 1 FamFG hat die zuständige Verwaltungsbehörde bei einer Freiheitsentziehung, die nicht auf richterlicher Anordnung beruht, die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen; ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des folgenden Tages durch richterliche Entscheidung angeordnet, ist der Betroffene freizulassen. Wendet sich der Betroffene gegen eine Maßnahme der Verwaltungsbehörde nach § 428 Abs. 1 FamFG, so ist hierüber im gerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des FamFG zu entscheiden, § 428 Abs. 2 FamFG.
13
Der Prüfungsumfang des gerichtlichen Verfahrens nach § 428 Abs. 2 FamFG ist dabei die Maßnahme der Verwaltungsbehörde nach § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG.
„Im Rahmen einer Freiheitsentziehung nach §§ 415 ff. FamFG wird die zuständige Behörde auf dem Gebiet des allgemeinen bzw. besonderen Ordnungsrechtes oder des Ausländerrechtes tätig. Die Überprüfungskompetenz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit einzelner Verwaltungsmaßnahmen müsste daher wegen des Vorliegens einer typischen öffentlich-rechtlichen Streitigkeit i. S. des § 40 VwGO grundsätzlich beim Verwaltungsgericht liegen. Dennoch wird in einer Parallele zur Anordnung der Freiheitsentziehung dem Amtsgericht gemäß § 418 Abs. 2 FamFG auch die Aufgabe der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des behördlichen Freiheitsentzuges übertragen.“ (Grotkopp in: Bahrenfuss, FamFG, § 428, Rn. 6)
14
Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltungsmaßnahme in Form der Ingewahrsamnahme zur Herbeiführung der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig war, liegen in Anbetracht des geschilderten Verfahrensablaufes nicht vor.
15
Der Betroffene wurde von der Bundespolizei um 7:00 Uhr des 02.09.2021 aufgegriffen, in der Zeit von 9:14 bis 9:23 Uhr befragt sowie um 11:45 Uhr nachbefragt. Um 13:00 Uhr ging das Ergebnis der Eurodac-Recherche ein. Nach Erklärung der Verweigerung der Einreise um 13:34 Uhr wurde um 14:36 Uhr der gefertigte Haftantrag mit Anlagen dem Amtsgericht übersandt. Mithin liegt ein zügiges und nicht zu beanstandendes Verwaltungshandeln vor. Mit Übersendung des Haftantrages wurde seitens der Verwaltung alles von ihrer Seite Erforderliche getan, um die richterliche Entscheidung über die weitere Freiheitsentziehung unverzüglich herbeizuführen.
16
Dass – ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des zuständigen Richters vom 27.12.2024 – eine Vorführung des Betroffenen aufgrund gerichtlicher Vorprüfung und Organisation erst am 03.09.2021, 9.30 Uhr stattfand, liegt nicht in dem nach § 428 FamFG zu überprüfenden Verantwortungsbereich der Verwaltungsbehörde. Eine weitere Einflussmöglichkeit auf die in richterlicher Unabhängigkeit vorgenommene Bestimmung eines Termins zur Anhörung hat diese nicht.
17
Denn die Behörde genügt dem Gebot zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 – 1 S 2206/03 –, juris).
18
Insbesondere ist aus dem Email-Schreiben vom 02.09.2021 (Bl. 8 d.A.) zu entnehmen, dass die Behörde in Kenntnis der Durchführung der richterlichen Vorführung war. Seitens der Behörde bestand mithin kein weiterer Handlungsbedarf und keine weitere Handlungskompetenz.
19
Die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in der Zeit zwischen 02.09.2021, 15:00 Uhr bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung bezieht sich mithin auf einen Zeitraum, zu dem seitens der Verwaltungsbehörde bereits alles Erforderliche zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung getan war.
20
Die richterliche Prüfung der Verwaltungsmaßnahme gemäß § 428 FamFG ergibt daher nicht, dass die Verwaltungsmaßnahme rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
21
2. Eine weitere, gerichtliche Überprüfung der richterlichen Anberaumung des Termins zur Anhörung des Betroffenen findet im Verfahren nach § 428 Abs. 2 FamFG nicht statt.
22
Eine einfachgesetzliche Regelung zur Überprüfung des tatsächlichen gerichtlichen Handelns liegt nicht vor; vielmehr sieht das Rechtsmittelsystem des FamFG allein eine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen vor (vgl. § 58 Abs. 1 FamFG).
23
Eine Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung fand aber bereits statt.
24
Das Amtsgericht Ingolstadt wies den Antrag des Betroffenen vom 24.09.2021 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Haftanordnungsbeschlusses vom 03.09.2021 mit Beschluss vom 17.06.2024 zurück, die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen wurde durch das Landgericht Ingolstadt mit Beschluss vom 13.08.2024 zurückgewiesen.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über die Wertfestsetzung auf § 36 Abs. 3 GNotKG.