Inhalt

LG München I, Endurteil v. 20.03.2025 – 4 O 9284/24
Titel:

Regressanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Einschätzung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - "Diesel-Klage"

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1, § 611, § 675
VVG § 86 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung besteht unabhängig davon, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder nicht. (Rn. 26 und 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung aufzuklären, endet nicht mit deren Einleitung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. (Rn. 28 und 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein bestehender Deckungsanspruch des Mandanten gegen seinen Rechtsschutzversicherer oder eine bereits vorliegende Deckungszusage können den Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten ausschließen. Dies gilt nicht, wenn die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos war. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anwaltsvertrag, Deckungsschutz, Erfolgsaussichten, Schadensersatzanspruch, Pflichtverletzung, Rechtsschutzversicherung, beratungsgerechtes Verhalten, Anscheinsbeweis
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6756

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.335,62 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Rechtsanwaltshaftung.
2
Die Klägerin ist ein nach § 4 Nr. 10 UStG nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechtsschutzversicherer. Hr. K… Z … (im Folgenden: Versicherungsnehmer) unterhielt bei der Klägerin einen Rechtsschutzversicherungsvertrag. Mitversicherte Person in dem Rechtsschutzversicherungsvertrag war Fr. A…Z … (im Folgenden: Mitversicherte).
3
Die Mitversicherte erwarb am 25.11.2019 einen gebrauchten B. X1 XDRIVE 25 D mit einem Kilometerstand von 69.134 Kiolometern. Erstzulassung des Fahrzeugs war 04/2013. In das Fahrzeug war ein Motor des Typs N47 verbaut. Für das Fahrzeug galt die Schadstoffklasse Euro 5. Hersteller des Fahrzeugs war die B. AG. Das gegenständliche Fahrzeug wurde nicht wegen des Verbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung vom Kraftfahrbundesamt zurückgerufen.
4
Die Mitversicherte war der Auffassung, bei Erwerb des Fahrzeugs durch den Hersteller mittelbar im Rahmen des sog. „Dieselskandals“ getäuscht worden zu sein. Sie beauftragte deswegen die Beklagte, die in der Rechtsform einer GmbH eine Rechtsanwaltskanzlei betreibt, mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
5
Die Beklagte richtete für die Mitversicherte eine Deckungsanfrage für ein erstinstanzliches gerichtliches Vorgehen gegen die B. AG an die Klägerin. Die Klägerin erteilte am 22.12.2020 Deckungsschutz für ein Klageverfahren gegen die B. AG. Unter dem 30.08.2021 erteilte die Klägerin Deckungsschutz für das Berufungsverfahren.
6
Die Beklagte nahm die B. AG zunächst außergerichtlich mit Schreiben vom 05.01.2021 auf Schadensersatz in Anspruch. Die B. AG wies die erhobenen Ansprüche zurück. Sodann reichte die Beklagte für die Mitversicherte mit Schriftsatz vom 25.01.2021 (Anlage K4) Klage zum Landgericht Amberg ein. In der Klageschrift wurde beantragt, die B. AG zur Zahlung von 17.454,85 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des gegenständlichen Fahrzeugs zu verurteilen. Weiter wurde Verurteilung zur Zahlung von Deliktszinsen beantragt. Ferner wurde ein Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hinsichtlich der Annahme des gegenständlichen Fahrzeugs gestellt sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 1.398,25 € begehrt. Vor Klageerhebung informierte die Beklagte den Versicherungsnehmer nicht, dass die Erfolgsaussichten der Klage (nach Auffassung der Klägerin nunmehr im Regressprozess) als „sehr gering“ bzw. „gering“ einzustufen seien. Das Landgericht Amberg wies die Klage ohne Durchführung einer Beweisaufnahme mit Endurteil vom 06.08.2021 zu Az.: 23 O 124/21 bei voller Kostenlast der Mitversicherten ab (Endurteil Anlage K1). Das Landgericht Amberg lehnte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB mit der Begründung ab, das Vorbringen der Mitversicherten zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei unsubstantiiert, so dass eine Beweiserhebung hierüber nicht möglich gewesen sei. Der Sachvortrag der Ausgangsklägerin stelle sich als unbeachtlicher Vortrag „ins Blaue hinein“ dar. Zudem scheide ein Anspruch aus § 826 BGB aus, weil das Verhalten der Ausgangsbeklagten jedenfalls nicht als sittenwidrige Handlung gerade gegenüber der Ausgangsklägerin einzustufen sei. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass eine der von der Ausgangsklägerin behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut sei, fehle es jedenfalls an der besonderen Verwerflichkeit gerade gegenüber der Ausgangsklägerin. Einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB lehnte das Landgericht Amberg mit der Begründung ab, dass sich eine etwaige Täuschung der Ausgangsbeklagten beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht auf die Ausgangsklägerin als Erwerberin eines Gebrauchtfahrzeugs bezogen haben könne. Hinsichtlich eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV könne offenbleiben, ob es sich bei §§ 6, 27 EG-FGV um Schutzgesetze handele. Das Fahrzeug der Ausgangsklägerin habe jedenfalls dem genehmigten Typ entsprochen.
7
Die Beklagte legte für den Versicherungsnehmer gegen das klageabweisende Endurteil Berufung ein, die sie mit Schriftsatz vom 08.10.2021 (Anlage K6) begründete, wobei ein im Zahlbetrag leicht geänderter Antrag gestellt wurde. Das OLG Nürnberg führte das Berufungsverfahren unter dem Az.: 1 U 3289/21. Mit Hinweisbeschluss vom 08.11.2021 (Anlage K2) wies das OLG Nürnberg darauf hin, dass die Berufung offensichtlich keine Erfolgsaussichten habe und beabsichtigt sei, diese durch Beschluss zurückzuweisen. Nach einer Stellungnahme der Beklagten wurde die Berufung durch Beschluss vom 14.12.2021 (Anlage K3) zurückgewiesen.
8
Die Klägerin bringt vor, die Rechtsverfolgung sei von Anfang an aussichtslos gewesen. Hilfsweise sei davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten gering gewesen wären, wobei die Miversicherte dann eine Rechtsverfolgung nicht gewollt habe. Die völlige Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung habe die Beklagte auch erkannt. Die Beklagte habe keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die von ihr in der Klageschrift des Ausgangsverfahrens angegebenen einzelnen Abschalteinrichtungen vortragen können. Ferner sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, ausreichend substantiiert zu Tatsachen, welche den Vorwurf einer Sittenwidrigkeit gegenüber der B. AG begründet hätten, vorzutragen. Zudem ergebe sich die Aussichtslosigkeit aus rechtlichen Gründen.
9
Die Klägerin trägt weiter vor, dass wenn die Mitversicherte ordnungsgemäß durch die Beklagte beraten worden wäre, sie von der Geltendmachung ihrer Ansprüche zum damaligen Zeitpunkt abgesehen hätte.
10
Die Klägerin behauptet, sie habe am 01.03.2021 im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren 1.059 € Gerichtskosten an die Landesjustizkasse B. (Gerichtskostenrechnung Anlage K5) und am 19.01.2022 weitere 1.412 € an die Landesjustizkasse (Gerichtskostenrechnung Anlage K11, Zahlungsbeleg Anlage K12) bezahlt sowie am 08.12.2022 3.274,12 € an die Kanzlei P. (Verweis der Klägerin auf Kostenfestsetzungsanträge Anlagen K13 und K14, Kostenfestsetzungsbeschluss Anlage K15, Zahlungsbeleg Anlage K16) und am 12.01.2023 weitere 6,22 € ebenfalls an die Kanzlei P. (Verweis der Klägerin auf Zahlungsbeleg Anlage K17).
11
Die Klägerin ist der Rechtsansicht, hinsichtlich eines Anspruchs aus § 826 BGB wegen des „Thermofensters“ habe schon vor der Einreichung der Klage im Ausgangsverfahren nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19 festgestanden, dass die Verwendung des „Thermofensters“ alleine ohne weitere Umstände nicht geeignet sei, das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV habe nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung – auf den abzustellen sei – ohnehin scheitern müssen. Hinsichtlich des Vorbringens der Beklagten im Ausgangsprozess zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung sei dieses nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020, Az.: VIII 57/19 als nicht ausreichend substantiiert zu bewerten gewesen.
12
Die Klägerin meint weiter, sie habe einen nach § 86 VVG auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen anwaltlicher Schlechtleistung. Der Bundesgerichtshof habe auch zum damaligen Zeitpunkt bereits entschieden gehabt, dass Deliktszinsen nicht verlangt werden könnten.
13
Die Klägerin beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 9.335,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
15
Die Beklagte bringt vor, das Vorgehen im Ausgangsverfahren sei keineswegs ohne jegliche Aussicht auf Erfolg gewesen; vielmehr seien die Erfolgsaussichten zu jedem Zeitpunkt als „offen“ anzusehen. Die Mitversicherte habe eine Klage sogar dann gewollt, wenn die Angelegenheit nur geringste Erfolgsaussichten gehabt haben sollte oder sogar bei Aussichtslosigkeit.
16
Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, die Regressklage sei unschlüssig. Es fehle an Belegen der Klägerin dafür, dass die Klage keinerlei Erfolgsaussichten gehabt habe. An die Annahme von Aussichtslosigkeit seien hohe Ansprüche zu stellen (Verweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021, Az.: IX ZR 165/19, Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.05.2024, Az.: IX ZR 38/23). Weder die Klage noch die Berufung seien zum jeweiligen Zeitpunkt als aussichtslos zu bewerten gewesen. Eine abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung speziell „zur Causa BMW“ habe damals noch nicht vorgelegen. Eine Reihe von Landgerichten und Oberlandesgerichten hätten Ansprüche in vergleichbaren Fällen nach § 826 BGB zuerkannt (Verweis der Beklagten auf Aufstellung in der Klageerwiderung S. 9). Es habe zudem diverse gerichtliche Beschlüsse in vergleichbaren Konstellationen gegeben, in denen die Gerichte einen beweiserheblichen Vortrag gesehen und Beweis erhoben hätten (Verweis der Beklagten auf Aufstellung in der Klageerwiderung S. 9). Auch nur bezogen auf das sog. „Thermofenster“ hätten zahlreiche Gerichte Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zugesprochen (Verweis der Beklagten auf Aufstellung in der Klageerwiderung S. 10 f.). Mangels objektiv nicht gegebener völliger Aussichtslosigkeit zum damaligen Zeitpunkt könne sich die Klägerin hinsichtlich des hypothetischen Alternativverhaltens auch nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen.
17
Die Beklagte meint weiter, die Klägerin trage nicht ausreichend substantiiert zu den von ihr behaupteten geleisteten Zahlungen vor.
18
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme des Zeugen Z. im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.01.2025. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 23.01.2025.
19
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen vom 28.11.2024 und vom 23.01.2025.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
21
Die Klage ist unbegründet.
22
I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 9.335,62 € oder eines niedrigeren Betrags. Insbesondere kann die Klägerin nicht mit Erfolg einen auf sie nach § 86 VVG übergegangenen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 611, 675 BGB geltend machen.
23
1. Zwischen der Mitversicherten Z. und der Beklagten bestand aufgrund des Auftrags der Mitversicherten an die Beklagte, ihre rechtlichen Interessen im Zusammenhang mit dem von ihr erworbenen Pkw B. X1 in Bezug auf den sog. Abgasskandal wahrzunehmen, ein Schuldverhältnis in Form eines Rechtsanwaltsvertrags (§§ 611, 675 BGB). Die Beklagte hat den Auftrag der Mitversicherten auch angenommen, wie schon ihre erfolgte Tätigkeit für die Mitversicherte zeigt.
24
Die gesamte Abwicklung des Ausgangs-Klageverfahrens hat für die Mitversicherte ihr Ehemann, der Zeuge Z… (der Versicherungsnehmer) übernommen, wie schon die E-Mail der Mitversicherten vom 09.12.2024 zeigt. Es wurde deshalb vom Gericht der Versicherungsnehmer Z … als Zeuge geladen, der ebenfalls bestätigt hat, dass er für beide Fahrzeuge („sein“ Fahrzeug und das Fahrzeug seiner Ehefrau, einen X3 und einen X1) die gesamte Kommunikation mit der Beklagten und die Abwicklung übernommen hat. Das Gericht stellt daher im Folgenden hinsichtlich der Frage der Beratung und auch in Bezug auf das hypothetische Alternativverhalten auf den Zeugen Z… ab.
25
2. Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit der Mitversicherten Z… welche durch ihren Ehemann vertreten wurde, verletzt.
26
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021, Az.: IX ZR 165/19, Rn. 26, 32 bestehen hinsichtlich der durch den Rechtsanwalt zu leistenden Beratung seines Mandanten keine Unterschiede zwischen rechtsschutzversicherten und nichtrechtsschutzversicherten Mandanten.
27
In den Worten des Bundesgerichtshofs:
„Auch im Blick auf die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits geht es darum, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen rechtlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Aufgrund der Beratung muss der Mandant in der Lage sein, Chancen und Risiken des Rechtsstreits selbst abzuwägen. Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist danach eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rn. 22 m.w.N.). Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten.“ (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.09.2021, Az.: IX ZR 165/19, Rn. 29).
28
Die erforderliche Beratung richtet sich dabei nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Beratung. Der Rechtsanwalt hat seiner Beratung in der Regel die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde zu legen, selbst wenn er diese für falsch erachtet (BGH, a.a.O., Rn. 30).
29
Hinsichtlich einer Änderung in den Erfolgsaussichten während der Dauer des Mandats führt der Bundesgerichtshof aus:
„Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits aufzuklären, endet nicht mit dessen Einleitung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. Nur so erhält der Mandant die Möglichkeit, die ursprünglich getroffene Entscheidung zu hinterfragen und die Chancen und Risiken der laufenden Rechtsverfolgung auf der Grundlage der veränderten Lage neu zu bewerten. Auch hier kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von einer Fortführung der Rechtsverfolgung abzuraten. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine zu Beginn des Rechtsstreits noch ungeklärte Rechtsfrage in einem Parallelverfahren höchstrichterlich geklärt wird und danach das Rechtsschutzbegehren des Mandanten keine Aussicht auf Erfolg mehr hat.“ (BGH, a.a.O. Rn. 31).
30
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte hier ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit der Mitversicherten Z. verletzt.
31
Unstreitig wurde seitens der Beklagten gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht angegeben, dass die Erfolgsaussichten einer Klage in der Sachverhaltskonstellation seiner Ehefrau als „sehr gering“ bzw. „gering“ einzustufen seien. Die Beklagte hat schriftsätzlich angegeben, die Erfolgsaussichten des Vorprozesses seien zu jedem Zeitpunkt als „offen“ anzusehen gewesen. Weder zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch bei Einlegung der Berufung bzw. deren Begründung habe abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung „zur Causa BMW“ vorgelegen. Die Beklagte habe insoweit auch keine Aufklärungspflichten verletzt.
32
Schon nach eigener Darlegung der Beklagten hat sie nicht über „niedrige“ oder gar „sehr niedrige“ Erfolgsaussichten aufgeklärt. Auch gibt die Beklagte nicht an, dass sie den Versicherungsnehmer gegenüber überhaupt die Prozessrisiken im Einzelnen benannt hätte. Nach dem oben genannten Maßstab des Bundesgerichtshofs hat die Beklagte somit bereits auf der Basis ihres eigenen Vorbringens den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß zu den Prozessrisiken beraten. Erst recht gilt dies, wenn sie gegenüber dem Versicherungsnehmer gute Erfolgsaussichten angegeben hätte, wie es die Aussage des Zeugen nahelegt.
33
Tatsächlich waren die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung sowohl im Zeitpunkt der außergerichtlichen Tätigkeit als auch der Klageerhebung und erst recht im Zeitpunkt der Berufungseinlegung aus der maßgeblichen ex-ante-Perspektive zwar nicht als „aussichtslos“, wohl aber als schlecht anzusehen. Eine genaue Quantifizierung der Risiken ist dabei durch das Gericht im Regressprozess nicht erforderlich.
34
a) Im Zeitpunkt der Klageeinreichung im Vorprozess beim LG Amberg war die Klage nicht „aussichtslos“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021.
35
Die Beklagte brachte für den Versicherungsnehmer im Ausgangsprozess neben dem Vorhandensein eines Thermofensters, das unzulässig sei und Ansprüche begründe (Klageschrift Ausgangsverfahren [Anlage K4 des vorliegenden Verfahrens] S. 23), verschiedene Abschalteinrichtungen in der Motorensteuerungssoftware vor. So schalte diese bei Fahrzeugen mit einer Gesamtlaufleistung von 60.000 km die Abgasrückführung ganz aus, weil bei solchen Fahrzeugen keine Prüfungen nach dem NEFZ mehr durchgeführt würden (Klageschrift Ausgangsverfahren S. 20). Die Motorensteuerungssoftware erkenne zudem die Prüfung anhand verschiedener Parameter (Klageschrift des Ausgangsverfahrens S. 20 ff.). Erkenne das Fahrzeug die Prüfung, werde die Abgasrückführung so angesteuert, dass eine maximale Reduktion des NOx-Ausstoßes erfolge (Klageschrift Ausgangsverfahren S. 22). Wenn keine Umstände vorlegen, die auf das Durchlaufen des NEFZ schließen lassen, reduziere sich die Abgasrückführung zu Lasten des NOx-Ausstoßes erheblich. Dies werde schon durch das massive Überschreiten der Grenzwerte außerhalb des NEFZ-Zyklus belegt. Die Ausgangsbeklagte habe die Abschalteinrichtungen bei Beantragung der Typengenehmigung beim KBA nicht angegeben (Klageschrift Ausgangsverfahren S. 39). Speziell das Thermofenster sei in seiner konkreten Funktionsweise bei Beantragung der Typengenehmigung gegenüber dem KBA nicht offengelegt worden (Verweis der Beklagten auf Replik des Ausgangsprozesses S. 15 – Anmerkung des Gerichts: Von den Parteien nicht vorlegt; seitens der hiesigen Klägerin wurde aber auch nicht bestritten, dass die Beklagte im Ausgangsverfahren entsprechenden Sachvortrag gehalten hat). Zudem habe die Beklagte die sog. OBD-Einheit so manipuliert, dass diese keinen Fehler bei der Abgasreinigung anzeige, auch wenn sie sich nicht in dem für den NEFZ optimierten Abgasreinigungsmodus befinde. Hinsichtlich des erforderlichen subjektiven Moments argumentiert die Beklagte dahingehend, angesichts der Tragweite der getroffenen Entscheidung sei fernliegend, dass die Entscheidung für den Einsatz einer greifbar rechtswidrigen Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt sei. Die (Ausgangs-)Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast.
36
b) Im Berufungsverfahren brachte die Beklagte für die Mitversicherte zusätzlich vor, dass Fahrzeug weise eine Funktion des sog. Kaltstartheizens auf, um gerade unter den Bedingungen des NEFZ die zulässigen Abgasgrenzwerte einzuhalten. Hierzu führte später das OLG Nürnberg in seinem Hinweisbeschluss allerdings aus, dies könne sich nicht auf das gegenständliche Fahrzeug beziehen, da dieses Fahrzeug über keine NOx-Abgasbehandlung verfüge (Hinweisbeschluss S. 12). Selbst eine solche Funktion als wahr unterstellt, handele es sich danach aber nicht um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung.
37
Mit diesem konkreten Vorbringen bestanden gewisse Erfolgsaussichten sowohl für die Klage als auch die Berufung, wenngleich die tatsächlichen und rechtlichen Hürden für den Erfolg der Klage erheblich blieben. Die Klage bzw. Berufung war aber nicht als „aussichtslos“ zu bewerten. Zwar lag bereits obergerichtliche Rechtsprechung zum Thermofenster an sich vor (dass dies für sich genommen nicht zu einem Anspruch aus § 826 BGB führe; Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV bestanden nach der damaligen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht). So hatte das OLG Köln bereits mit Urteil vom 27.09.2019, Az.: 6 U 57/19 entschieden, dass bei einem Thermofenster dieses für sich genommen nicht zu einem Anspruch aus § 826 BGB gegen den Fahrzeughersteller führen könne. Ebenso hatte das Oberlandesgericht Stuttgart mit Urteil vom 20.10.2020, Az.: 16a U 37/19 entschieden. Dieses Urteil wurde später vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 29.10.2021, Az.: VII ZR 223/20 (Anmerkung des Gerichts: nach Klageerhebung im vorliegenden Verfahren) bestätigt. Auch weitere Gerichte hatten so entschieden. Allerdings stützte die Beklagte im Vorprozess ihre Klage für die Mitversicherte nicht nur auf das Vorliegen eines (unzulässigen) Thermofensters. Vielmehr brachte sie gerade auch das Vorliegen einer faktischen Teststandserkennung vor. Eine Abschalteinrichtung in Form der Erkennung der Testmessung, um dann (und nur dann) den Motor in einem abgasoptimierten Modus zu betreiben, war aber schon nach der damaligen Rechtsprechung (seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020) eindeutig rechtswidrig und konnte zu Ansprüche nach § 826 BGB führen. Insofern verschob sich das Gewicht des Falles auf die Frage, ob die Beklagte für den Versicherungsnehmer das Vorliegen einer solchen faktischen Teststandserkennung substantiiert vortragen und auch die subjektive Seite eines Anspruchs aus § 826 BGB belegen konnte. Nach dem Maßstab einiger obergerichtlicher Entscheidungen – und auch des Bundesgerichtshofs kurze Zeit nach Klageeinreichung – war entsprechender Sachvortrag wie von der Beklagten gehalten jedenfalls grundsätzlich geeignet, zu einer Beweisaufnahme zu führen, so dass nicht von Aussichtslosigkeit ausgegangen werden konnte. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 13.07.2021, Az.: VI ZR 128/20 eine Entscheidung des OLG Koblenz zwar hinsichtlich der Ablehnung von Ansprüchen wegen des Thermofensters gebilligt, die Sache jedoch aufgehoben im Hinblick auf das nicht ausreichend gewürdigte Vorbringen der dortigen Klagepartei zu einer Kühlmittelsolltemperaturregelung. Im von der Klägerin angeführten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 126/21 soll dann zwar auch der Sachvortrag zur Kühlmittelsolltemperaturregelung nicht gereicht haben. Es bleibt aber ein Spannungsverhältnis zur vorgenannten Entscheidung, insbesondere aber nachfolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs: So hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2022, Az.: VII ZR 602/21 eine Entscheidung des OLG Schleswig wegen Nichtbefassung mit einem angeblich teststandsbezogenen Kühlmittel-Solltemperatur-Regler beim Mercedes OM642 aufgehoben (hinsichtlich des Thermofensters wurde die Entscheidung des OLG Schleswig hingegen gebilligt). Mit weiterem Beschluss vom 20.04.2022, Az.: VII ZR 720/21 hob der Bundesgerichtshof eine Entscheidung des OLG Koblenz wegen nicht ausreichender Befassung mit einem angeblich teststandsbezogenen Kühlmittel-Solltemperatur-Regler (ebenfalls beim Motor OM651, d.h. nicht bei einem Fahrzeug der Ausgangsverfahren [Anmerkung des Gerichts: dort erging zunächst insgesamt weniger Rechtsprechung als zu Fahrzeugen der Hersteller VW und Mercedes]) auf, wobei hier sogar durch das Gericht eine Auskunft des KBA erholt worden war (auch hier wurde hinsichtlich des Thermofensters die Entscheidung des OLG Koblenz gebilligt). Identisch zu den beiden vorgenannten Entscheidungen ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 04.05.2022, Az.: VII 733/21, mit dem eine Entscheidung des OLG Hamm aufgehoben wurde. Zuletzt hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 21.09.2022, Az.: VII ZR 767/21 eine Entscheidung des OLG Köln (inhaltlich wie die oben genannten Entscheidungen) aufgehoben. Die Beklagte verwies auch auf verschiedene Oberlandesgerichte, die in vergleichbaren Fällen den Sachvortrag zumindest zum Anlass für eine Beweisaufnahme ansahen (siehe Liste in der Klageerwiderung S. 9 sowie die beiden OLG-Beschlüsse, welche die Beklagte im Schriftsatz vom 19.12.2024 nennt).
38
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung blieb ein (endgültiger) Klageerfolg für die Mitversicherte zwar weiterhin schwierig, erschien aber im Hinblick auf das Vorbringen zur faktischen Teststandserkennung nicht ausgeschlossen. Soweit das LG Amberg im Ausgangsverfahren einen Anspruch auch wegen ungenügenden Vortrags der (hiesigen) Beklagten zur subjektiven Seite ablehnte, hatte die Beklagte grundsätzlich nachvollziehbar dargelegt, warum zu erwarten war, dass eine so grundlegende Entscheidung wie der Einsatz einer faktischen Teststandserkennung nicht ohne Beteiligung des Vorstands der Ausgangsbeklagten getroffen worden sein dürfte. Unter Berücksichtigung einer sekundären Darlegungslast der Ausgangsbeklagten erschien damit ein Einstieg in einer Beweisaufnahme jedenfalls denkbar.
39
Zur Einschätzung, dass zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich für den Maßstab der Erteilung von Deckungsschutz durch den Rechtsschutzversicherer hinreichende Erfolgsaussichten bestanden, kommt auch das Urteil des OLG Stuttgart vom 02.03.2023, Az.: 7 U 381/22, BeckRS 2023, 12290. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass unterschiedliche Ansatzpunkte und Maßstäbe zwischen Deckungsschutzprozess und Regressprozess bestehen. Allerdings kann ein Sachverhalt, bei dem im Deckungsschutzprozess hinreichende Erfolgsaussichten für die Verurteilung des Rechtsschutzversicherers angenommen werden, nicht als aussichtslos im Sinne des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021 angesehen werden.
40
3. Das Vertreten müssen der Pflichtverletzung wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Es sind aber auch keine Umstände ersichtlich, nach denen sich die Beklagte entlasten könnte.
41
4. Der Klägerin ist aber durch die Pflichtverletzung der Beklagten kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Das Gericht sieht sich nach der durchgeführten Beweisaufnahme mit dem Zeugen Z. unter Würdigung aller Umstände des Falles außer Stande, sich mit dem Beweismaß des § 287 ZPO die Überzeugung zu verschaffen, dass der Zeuge sich ohne die Pflichtverletzung der Beklagten gegen eine Rechtsverfolgung entschieden hätte.
42
Relevant ist, wie sich der Versicherungsnehmer (bzw. die Mitversicherte, die aber durch den Zeugen vertreten wurde) bei ordnungsgemäßer Aufklärung seitens des Rechtsanwalts verhalten hätte. Erst an dieser Stelle kommt der Tatsache des durch den Rechtsschutzversicherer gewährten Deckungsschutzes Bedeutung zu: „Der Tatrichter muss in seine Überlegungen auch einbeziehen, ob das Risiko des Mandanten, im Falle einer Niederlage die Kosten des Rechtsstreits tragen zu müssen, durch einen bestehenden Deckungsanspruch aus einer Rechtsschutzversicherung oder eine bereits vorliegende Deckungszusage herabgemindert war. Es entspricht dem Erfahrungswissen, dass ein Mandant eher bereit ist, sich auf einen Rechtsstreit ungewissen oder zweifelhaften Ausgangs einzulassen, wenn das Kostenrisiko herabgemindert ist. Ist das Kostenrisiko durch eine (versicherungs-)rechtlich einwandfrei herbeigeführte und daher bestandsfeste Deckungszusage sogar weitestgehend ausgeschlossen, können schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen.“ (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.09.2021, Az.: IX ZR 165/19, Rn. 38). Greift deshalb zugunsten des Rechtsschutzversicherers hinsichtlich des hypothetischen Alternativverhaltens des Mandanten kein Anscheinsbeweis, so ist der Anspruchsteller darauf angewiesen, dass sich der Tatrichter die Überzeugung vom hypothetischen Alternativverhalten des Mandanten mit dem Beweismaß des § 287 ZPO auf andere Weise verschaffen kann. Erweist sich die Rechtsverfolgung nach der Überzeugung des Tatrichters allerdings als objektiv aussichtslos, so greift zugunsten des Anspruchsstellers ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass der Versicherungsnehmer die objektiv aussichtslose Rechtsverfolgung trotz des gewährten Deckungsschutzes nicht gewollt hätte (BGH, a.a.O., Rn. 39).
„Die Annahme der Aussichtslosigkeit unterliegt allerdings hohen Anforderungen. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Regelmäßig ist dies dann der Fall, wenn eine einschlägige Entscheidung ergangen ist. Auch dann können aber im Schrifttum geäußerte Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hat, Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht. Die niemals auszuschließende Möglichkeit einer zugunsten des Mandanten ergehenden Fehlentscheidung vermag die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung indes nicht auszuschließen.“ (BGH, a.a.O., Rn. 40).
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Nach diesem Maßstab lag hier keine Aussichtslosigkeit vor (siehe oben), da es im Zeitpunkt der Klageeinreichung an einer abschließenden höchstrichterlichen Entscheidung fehlte und zudem in Bezug auf die vorgebrachte faktische Teststandserkennung tatsächliche Fragen bestanden. Zugunsten der Klägerin greift daher kein Anscheinsbeweis. Für den vorliegenden Fall erachtet es das Gericht auch nicht für möglich, sich mit dem Beweismaß des § 287 ZPO die Überzeugung zu bilden, dass der Versicherungsnehmer ohne die Pflichtverletzung der Beklagten (d.h. bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Prozessrisiken) gegen eine Rechtsverfolgung entschieden hätte.
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Hier gab der Zeuge Z… in seiner uneidlichen Aussage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.01.2025 an, er habe die Beklagte so verstanden, dass diese ihm gute Erfolgsaussichten für die beiden Fahrzeuge bedeutet habe. Auf Frage des Gerichts zum hypothetischen Alternativverhalten, wenn ihm durch die Rechtsanwälte der Beklagten gesagt worden wäre, dass die Erfolgsaussichten „nicht gut“ seien oder sogar „schlechte Erfolgsaussichten“ bestehen, erklärte der Zeuge zunächst, das könne er nicht sagen, das möchte er nicht sagen, das sei hypothetisch und schwer anzugeben. Er sei ja davon ausgegangen, dass es Erfolgsaussichten gäbe. Auf Nachfrage des Gerichts, dass dem Zeugen keine Kosten außer einem Selbstbehalt drohten, gab der Zeuge zunächst an, er meine, dass es keinen Selbstbehalt gegeben habe. Dies schränkte er sodann dahingehend ein, dass er wohl doch einen gewissen Betrag habe bezahlen müssen, wobei er nicht mehr sicher sagen könne, wofür das gewesen sei. Wenn ihm gesagt worden wäre, dass er keine Erfolgsaussichten habe, dann hätte er es nicht gemacht. Das mache ja kein normal denkender Mensch. Der Zeuge bestätigte sodann auf eine Nachfrage seine Einschätzung, dass er es ohne Erfolgsaussichten nicht gemacht hätte. Auf eine spätere Nachfrage des Beklagtenvertreters dahingehend, wie sich der Zeuge verhalten hätte, wenn ihm gesagt worden wäre, dass einige Gerichte es zusprechen, andere es ablehnen, erklärte der Zeuge, dass er denke, dass er es dann probiert hätte. Bei unter 50 % Erfolgsaussichten hätte er es wahrscheinlich nicht gemacht.
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Das Gericht erachtet den Zeugen als glaubwürdig. Der Zeuge steht in keiner unmittelbaren Beziehung zum Rechtsstreit. Zwar ist er möglicherweise weiterhin Kunde der Klägerin. Er vermochte nach dem Eindruck des Gerichts aber durchaus, sich hiervon zu lösen. Das Gericht erachtet die Angaben des Zeugen auch für glaubhaft. Wie viele andere Zeugen in den Dieselskandal-Regressklagen gab der Zeuge zunächst an, ihm seien durchaus gute Erfolgsaussichten genannt worden bzw. habe er die Beklagte so verstanden. Zunächst wollte er sich hinsichtlich seines hypothetischen Alternativverhaltens nicht festlegen. Später äußerte er sich dann dahingehend klar, dass er es bei fehlenden Erfolgsaussichten nicht gemacht hätte. Erst auf die ausdrückliche Nachfrage des Beklagtenvertreters quantifizierte der Zeuge sodann seine Einschätzung, dass er meine, bei unter 50 % Erfolgsaussichten es „wahrscheinlich“ nicht gemacht zu haben. Insgesamt tat sich der Zeuge nach dem Eindruck des Gerichts mit einer Einschätzung zu seinem hypothetischen Alternativverhalten schwer. Klare Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge ohne entsprechend gute Erfolgsaussichten nicht gegen den Fahrzeughersteller vorgehen hätte wollen, bestehen weder auf der Basis seiner Aussage noch auf anderer Grundlage (etwa dass andere Zeugen die Mühen eines Gerichtsprozesses scheuten o.ä.). Die quantitative Einschätzung, es bei unter 50 % „wahrscheinlich“ nicht gemacht zu haben, erscheint dem Gericht auch mit dem Beweismaß des § 287 ZPO nicht für belastbar. Es handelt sich um eine nachträgliche Einschätzung, die überhaupt erst auf mehrfache Nachfrage erfolgte. Zudem wollte der Zeuge auch diese Einschätzung zu seinem hypothetischen Alternativverhalten nicht mit Sicherheit machen, sondern sprach nur von „wahrscheinlich“. Weiter ist für das Gericht auch von – wenngleich nur indizieller und eher untergeordneter – Relevanz, dass der Zeuge auf das Gericht durchaus den Eindruck machte, dass ihm ein Vorgehen gegen B. nicht unwichtig war. Der Zeuge betrieb zwei Prozesse und dabei auch die Berufung und wollte offenbar erst dann nicht mehr weiter machen, als er ca. 1.000 € zunächst selber hätte bezahlen müssen (mutmaßlich für ein Gutachten zu den Erfolgsaussichten – laut Beklagtenvertreter wohl ein Schiedsgutachten zum Deckungsschutz). Auch fragte er beim Gericht ausdrücklich nach, wieso nunmehr die Verfahren nach seiner Kenntnis anders entschieden würden (nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Differenzschadensersatz). Dies legt nahe, dass er durchaus den Fortgang der Verfahren näher betrachtete. Dafür spricht zuletzt auch die im Vergleich zu anderen Versicherungsnehmern verhältnismäßig breite Antwort-E-Mail an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorfeld zur Klage (genannt in der Replik S. 21 f.), aus der sich eine gewisse Enttäuschung über die Tätigkeit der Beklagten ergibt.
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Da erhebliche Zweifel des Gerichts bleiben, dass sich der Versicherungsnehmer bei zutreffender Beratung durch die Beklagte tatsächlich gegen ein Klageverfahren entschieden hätte, vermag sich das Gericht auch mit dem Beweismaß des § 287 BGB die Überzeugung insoweit nicht zu bilden. Insofern erfolgt deshalb eine Entscheidung zulasten der Klägerin.
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5. Soweit die Klägerin die völlige Aussichtslosigkeit des Vorprozesses damit begründen möchte, dass der Bundesgerichtshof schon bei Klageeinreichung entschieden gehabt habe, dass Deliktszinsen nicht verlangt werden können, wirkt sich der entsprechende Antrag in der Klageschrift des Ausgangsprozesses Ziff. II nicht streitwerterhöhend aus und kann deshalb auch keinen Schaden der Klägerin begründen.
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II. Zinsen aus der Hauptforderung kann die Klägerin schon mangels Anspruchs in der Hauptsache nicht verlangen.
B.
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Die Entscheidung über die Kosten erfolgte nach § 91 ZPO. Über die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach § 709 ZPO zu entscheiden.