Inhalt

AG Bamberg, Urteil v. 08.04.2025 – 27 Cs 1108 Js 11315/24 (2)
Titel:

Freiheitsstrafe, Strafzumessungsgesichtspunkte, Wahrnehmung berechtigter Interessen, Verfassungsrechtliche Anforderungen, Kostenentscheidung, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Verfassungskonforme Auslegung, Belange der Meinungsfreiheit, Richtigkeitsgewähr, Beweiswürdigung, Strafbefehl, Verantwortlichkeit, Sozialprognose, Ehrverletzende Äußerung, Falsche Tatsachenbehauptung, Unwahre Tatsachenbehauptung, Schuldangemessenheit, Besonderes öffentliches Interesse, Ehrenschutz, Mediendienste-Staatsvertrag

Normenketten:
StGB § 188 Abs. 1 u. Abs. 2, § 194
MDStV § 5 Abs. 1
Schlagworte:
Verleumdung, Persönlichkeitsrecht, Meinungsfreiheit, Tatsachenbehauptung, Kunstfreiheit, Beweiswürdigung, Strafzumessung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6554

Tenor

1. Der Angeklagte ist schuldig der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Verleumdung.
2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.
3. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

I.Persönliche Verhältnisse
1
Der am … geborene Angeklagte studierte Politikwissenschaft. … Chef-Redakteur des Online-Mediums … journalistisch tätig. …
II.Sachverhalt
2
Der Angeklagte veröffentlichte am 28.02.2024 um 18.29 Uhr auf dem X-Account … der Online-Publikation …, dessen verantwortlicher Redakteur der Angeklagte ist, einen Post mit einer von ihm bearbeiteten Bilddatei. Die ursprüngliche Bilddatei, die auf dem X-Account des Bundesinnenministeriums am 27.01.2024 veröffentlicht worden war, zeigt die damalige Bundesinnenministerin … mit einem ca. DIN-A3-großen Blatt Papier mit der Aufschrift „WE REMEMBER“. Der Angeklagte ersetzte diese Aufschrift durch den Text „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ und veröffentlichte den Post sodann, um bewusst unwahr den Eindruck zu erwecken, es gebe eine solche Bildaufnahme, wodurch er die damalige Bundesinnenministerin zu diffamieren suchte. Weiter fügte er den Text hinzu: „... HASST #Meinungsfreiheit!“ Der Post war zum Zeitpunkt der Sicherung durch das Bundeskriminalamt bereits 13.275-mal aufgerufen worden. Deshalb stellte … , der der Post mit Schreiben der KPI … vom 03.05.2024 bekanntgemacht worden war, am … schriftlich Strafantrag gegen den Angeklagten. Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.
III. Beweiswürdigung
3
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf dem verlesenen Wikipedia-Eintrag …, den Bekundungen des ermittelnden Polizeibeamten zu den Erkenntnissen aufgrund einer Durchsuchung beim Angeklagten in einer anderen Sache, sowie dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom ….
4
Der Angeklagte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen. Er wird hinsichtlich der Täterschaft überführt durch die Inaugenscheinnahme und auszugsweise Verlesung des am … im Online-Medium …, erschienen Artikels …, worin u.a. über den dem hiesigen Strafverfahren zugrundeliegenden Strafbefehl berichtet und dabei an mehreren Stellen angegeben wird, dass der Angeklagte den Post erstellt und veröffentlicht habe. Der Strafbefehl war zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels vom Gericht lediglich dem Angeklagten und seinem Verteidiger bekannt gemacht worden, weshalb Dritte als Informationsgeber des Artikels zumindest mittelbar ausscheiden. Zudem haben mehrere Redakteure für den Artikel verantwortlich gezeichnet; was eine höhere Richtigkeitsgewähr des Inhalts bewirkt. Der Artikel ist weiterhin online, mithin bislang offensichtlich nicht vom Angeklagten angegriffen worden. Es ist auch kein Grund erkennbar, dass die Journalisten den Angeklagten absichtlich falsch der Urheberschaft des gegenständlichen Posts bezichtigt haben könnten. Nach den Darlegungen des ermittelnden Polizeibeamten … bestehen die insoweit durch entsprechende Aufkleber besonders gekennzeichneten Redaktions-Räumlichkeiten des … aus einem einzigen Arbeitszimmer … des Angeklagten, weshalb von einer überschaubaren Größe der möglichen Verantwortlichen des Posts auszugehen ist. Die weiteren auf der Internetseite des … namentlich benannten Redakteure werden jeweils mit Kürzeln aufgeführt. Dem Post auf dem X-Account ist jedoch weder ein solcher Name noch ein derartiges Kürzel zu entnehmen. Bei einer Gesamtschau der vorgenannten Umstände hat das Gericht daher keine Zweifel daran, dass der gegenständliche Post vom Angeklagten stammt und von ihm auf dem X-Account des … hochgeladen wurde. Die Feststellungen zum Post, zum Original-Bild und deren Sicherung beruhen auf den Bekundungen des ermittelnden Polizeibeamten …. Ergänzend wurden die in der Akte hierzu enthaltenen Lichtbilder in Augenschein genommen.
IV. Rechtliche Würdigung
5
Der Angeklagte hat sich mithin der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Verleumdung gemäß §§ 188 Abs. 1 u. Abs. 2, 194 StGB schuldig gemacht, denn nach § 5 Abs. 1 Mediendienste-Staatsvertrag sind die Anbieter für eigene Inhalte, die sie zur Nutzung im Internet bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Dabei verstößt die Gewährung eines besonderen strafrechtlichen Ehrenschutzes für die im politischen Leben des Volkes stehenden Personen nach § 188 StGB nicht gegen das Grundgesetz (BVerfGE 4, 352 bzgl. der damaligen Fassung der Vorschrift in § 187a StGB), insbesondere ist das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht vorbehaltlos garantiert, sondern findet seine Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre. Diese Schranke wird von § 188 StGB konkretisiert und findet seinerseits durch die verfassungskonforme Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, sowie einer im Rahmen des § 193 StGB gebotenen Güterabwägung seine Begrenzung.
6
Bei dem vom Angeklagten veröffentlichten Post handelt es sich um eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung i.S.v. § 187 StGB, denn wie sich aus dem Vergleich des Posts mit dem Original-Bild ergibt, hat das dort abgebildete und echt wirkende Geschehen in Wirklichkeit so nicht stattgefunden. Tatsachen sind dabei konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Sie sind zu unterscheiden von Werturteilen i.S.v. Meinungen, die durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind (BVerfGE 90, 241 ff.). Je nach Äußerung kann eine klare Abgrenzung dabei schwierig sein. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer Äußerung und der Einordnung, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Gesamtkontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv nicht haben kann, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, dem sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zukommt. Damit ist jedoch nicht der dem Account ständig folgende Leser gemeint, der möglicherweise bereits daran gewöhnt ist, dass dort erscheinende Posts oftmals abgeänderte tatsächliche Geschehen in satirischer Überpointierung präsentieren. Zunächst ist vielmehr vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Sondern er wird auch vom sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für den Empfänger erkennbar sind (BVerfGE 93, 266 ff.). Vorliegend war der Post nach dem Wortlaut des Textes, dem sprachlichen Kontext und der aus dem Post erkennbaren Begleitumstände für den unvoreingenommenen und verständigen Betrachter nicht als verändertes Bild erkennbar, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen hat. Es handelte sich nämlich um einen einzelstehenden Post, der auf kein vorangegangenes Geschehen Bezug nimmt und auch keine Hinweise auf eine satirische Darstellung enthält. Eine solche ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, da … tatsächlich im Original ein Blatt Papier vor dem Körper hält und sich der abgeänderte Text damit nahtlos an die Körperhaltung und Umgebung des Originalbildes einfügt. Aufmachung, Schrift, Farbe und Inhalt können dabei durchaus als echt wahrgenommen werden, nachdem die geringfügige Abweichung des Winkels der Schrift zu den Kanten des fast waagerecht von der Betroffenen gehaltenen Blattes und der die Schrift unmittelbar umgebenden Hintergrundfarbe zur sonstigen Farbe des Blattes bei einer flüchtigen Ansicht nicht auffällt, sondern erst bei genauer Betrachtung oder gar Vergrößerung erkennbar wird. Der unbefangene Leser kann daher durchaus glauben, dass … tatsächlich ein Blatt Papier mit einem solchen Text in die Kamera hält. Die Wiederholung des auf dem Schild stehenden Textes „... HASST #Meinungsfreiheit!“ als Überschrift des Posts stellt zwar eine Wertung dar. Aber wenn solche Werturteile durch Anführung von Tatsachen wie hier mit dem veränderten Bild belegt werden, liegt der Schwerpunkt bei der Tatsachenbehauptung.
7
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände war der verächtlich machende Post geeignet, das öffentliche Wirken der damaligen Innenministerin. … als Person des politischen Lebens erheblich zu erschweren, nachdem die Betroffene wegen der Art und dem Umfang der Online-Verbreitung in einem nach Name und Aufmachung seriös anmutenden Online-Medium, sowie der Größe des von der Behauptung erreichten Personenkreises von einer Vielzahl von Personen als nicht mehr vertrauenswürdig erscheinen kann. Von einer falschen Tatsachenbehauptung geht nämlich regelmäßig die Gefahr aus, dass sie sich gerade im Internet auf unüberschaubare Weise verbreitet und dadurch das Vertrauen in die Integrität der Betroffenen untergraben wird. Dies ist aufgrund des von der Betroffenen zum damaligen Zeitpunkt geführten Amtes und der im Post zum Ausdruck kommenden brisanten Behauptung als besonders schwerwiegend zu bewerten.
8
Der Post ist dabei nicht durch die Meinungs- und Kunstfreiheit des Art. 5 GG gedeckt. Die Belange der Meinungsfreiheit finden vor allem in § 193 StGB Ausdruck, der bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt. Diese Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet ist, sondern nach Art. 2 Abs. 1 GG durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt wird. Zu diesen Rechten gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, die jedoch ebenfalls nicht vorbehaltlos garantiert ist, sondern ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre findet. Eine falsche Tatsachenbehauptung unterfällt dabei allerdings nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit, weshalb das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen Vorrang hat. Auch die Kunstfreiheit ist nicht betroffen, da der satirische oder künstlerische Charakter des Posts dem unvoreingenommenen und verständigen Betrachter nicht erkennbar ist.
V. Strafzumessung
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Bei der Strafzumessung war vom Strafrahmen des § 188 Abs. 2 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahre vorsieht, mithin eine Geldstrafe unter Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB ausscheidet. … Unter Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgesichtspunkte erachtete das Gericht eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten für tat und schuldangemessen.
10
Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da eine positive Sozialprognose vorliegt. …. Es ist danach zu erwarten, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung gereichen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
VI.Kosten
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464 Abs. 1, 465 StPO.