Titel:
Örtliche Zuständigkeit der Gerichte in Strafvollzugssachen
Normenketten:
StVollzG § 109, § 110, § 111 Abs. 1 Nr. 2, § 120 Abs. 1 S. 2, § 152, § 156 Abs. 2 S. 1
StPO § 14, § 454, § 462a Abs. 1 S. 1
GVG § 78a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 121 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3
BayAGGVG Art. 5 Abs. 3 Nr. 3
BayGZVJu § 54a S. 1
BayStVollzG Art. 208
Leitsätze:
1. Ist die Entscheidung über Rechtsbeschwerden in Strafvollzugssachen nach § 121 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 GVG einem gemeinsamen oberen Gericht übertragen, entscheidet dieses auch, welches die nach § 14 StPO für Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG zuständige Strafvollstreckungskammer ist. (Rn. 2)
2. Für die Bestimmung der nach § 110 StVollzG örtlich zuständigen Strafvollstreckungskammer ist der Sitz der Vollzugsbehörde maßgeblich, die sich aus dem Vollstreckungsplan ergibt, nicht der tatsächliche Vollzugsort. (Rn. 4 und 5)
3. Eine Außenstelle wird dem Sitz der Hauptanstalt zugerechnet, nicht jedoch eine nur verwaltungsmäßig angegliederte Anstalt, sofern diese einen eigenen Anstaltsleiter hat. (Rn. 8 und 9)
Schlagworte:
örtliche Zuständigkeit, Strafvollstreckungskammer, Strafvollzugssachen, Vollzugsbehörde, Vollstreckungsplan, Sitz, Anstaltsleiter, Haupstelle, Außenstelle
Vorinstanzen:
LG Passau vom -- – StVK 54/24 Vollz
LG Regensburg vom -- – SR AR 26/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 640
Tenor
Für die Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG ist das
Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Passau
Gründe
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Die Strafvollstreckungskammern des Landgerichts Passau und des Landgerichts Regensburg streiten darüber, wer über den gegen die Justizvollzugsanstalt P. gerichteten Antrag des dort inhaftierten Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung (Art. 208 BayStVollzG, § 109 StVollzG) vom 18.11.2024 zu befinden hat. Gegenstand dieses Antrags ist eine vom Antragsteller begehrte Änderung der Aufschlusszeiten und deren Anpassung an die von den Arbeitern benötigte Zeit zum Duschen.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des zwischen dem Landgericht Passau und dem Landgericht Regensburg bestehenden Zuständigkeitsstreits gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 14 StPO als gemeinsames oberes Gericht (§ 121 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 GVG, Art. 5 Abs. 3 Nr. 3 BayAGGVG, § 54a Satz 1 BayGZVJu) berufen (BGH, Beschluss vom 21.05.2013 – 2 ARs 180/13 –, StraFo 2013, 375, juris Rn. 2 f.; OLG Celle, Beschluss vom 19.10.2016 – 1 Ws 501/16 (StrVollz) –, juris Rn. 9).
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2. Zuständig für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Passau, da die Justizvollzugsanstalt P. als beteiligte Vollzugsbehörde – ungeachtet ihrer verwaltungsmäßigen Angliederung an die Justizvollzugsanstalt S. – ihren Sitz in Passau hat.
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a) Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte in Strafvollzugssachen richtet sich nach § 110 StVollzG, wonach die Strafvollstreckungskammer zuständig ist, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat; beteiligte Vollzugsbehörde ist gemäß § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG die Behörde, die die angefochtene Maßnahme angeordnet oder die beantragte abgelehnt oder unterlassen hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der allein auf die formale Urheberschaft der Vollzugsmaßnahme abstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.1977 – 2 ARs 251/77 –, BGHSt 27, 284, juris Rn. 6; OLG Naumburg, Beschluss vom 10.09.2009 – 1 Ws 371/09 –, NStZ 2010, 397, juris Rn. 15; Spaniol, in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 8. Aufl. 2022, Teil IV, § 110 Rn. 3), kommt es vorliegend darauf an, wer die vom Antragsteller begehrte Maßnahme anordnen kann. Vollzugsmaßnahmen werden in der Regel vom Anstaltsleiter getroffen (vgl. – auch zu einem Ausnahmefall – BGH, Beschluss vom 12.10.1977 – 2 ARs 251/77 –, BGHSt 27, 284, juris Rn. 6), der die Justizvollzugsanstalt nach außen vertritt (§ 156 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Damit ist dieser (bzw. die von ihm vertretene Justizvollzugsanstalt) Vollzugsbehörde im Sinne des § 110 StVollzG (BGH, Beschluss vom 08.09.1978 – 2 ARs 289/78 –, BGHSt 28, 135, juris Rn. 3; OLG Naumburg, Beschluss vom 10.09.2009 – 1 Ws 371/09 –, NStZ 2010, 397, juris Rn. 15; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rn. 41; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 26. Ed. 01.08.2024, StVollzG § 110 Rn. 3).
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Entscheidend ist demgemäß nicht der Vollzugsort, sondern der Sitz der Vollzugsbehörde, der sich wiederum aus dem Vollstreckungsplan (§ 152 StVollzG) ergibt (OLG Naumburg, Beschluss vom 10.09.2009 – 1 Ws 371/09 –, NStZ 2010, 397, juris Rn. 15; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, a.a.O., Kap. P Rn. 40; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl. 2020, 12. Kap. Abschn. C Rn. 2; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 110 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Bund/ Euler, a.a.O., § 110 Rn. 3).
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b) Dies zugrunde gelegt ist die durch den Anstaltsleiter vertretene Justizvollzugsanstalt P. beteiligte Vollzugsbehörde (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG).
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Im ersten Abschnitt des Vollstreckungsplans für den Freistaat Bayern (i.d.F. vom 04.09.2024 – Gz. F 5 – 4431 – E – VIIa – 14544/2023) ist unter Ziff. 1 in der Aufstellung der Justizvollzugsanstalten P. (mit Postanschrift in P.) aufgeführt. Auch im zweiten Abschnitt unter Ziffer 4 Abs. 4 ist sie als Justizvollzugsanstalt ausgewiesen.
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Der Umstand, dass die Justizvollzugsanstalt P. der Justizvollzugsanstalt S. verwaltungsmäßig angegliedert ist (Quelle: „Kurzübersicht JVA P.“ – https:// www.justiz.bayern.de/media/pdf/passau_2022.pdf), ändert hieran nichts. Denn auch Anstalten, die nur verwaltungsmäßig an andere Anstalten angegliedert sind, haben eine eigene Zuständigkeit (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 110 Rn. 3). Dies gilt jedenfalls, wenn die angegliederte Anstalt – wie hier – einen eigenen Anstaltsleiter hat (vgl. „Kurzübersicht JVA P.“, a.a.O.), mag dieser auch gleichzeitig (also in Personalunion) Leiter der Justizvollzugsanstalt S. sein (vgl. „Kurzübersicht JVA S. “ – https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/straubing_2022.pdf).
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Wegen ihrer Aufnahme als Justizvollzugsanstalt in den Vollstreckungsplan handelt es sich bei der Justizvollzugsanstalt P. auch nicht lediglich um die Außenstelle einer anderen Justizvollzugsanstalt. Hauptstelle und Außenstelle bilden eine organisatorische Einheit und sind als eine Justizvollzugsanstalt anzusehen (BGH, Beschluss vom 08.09.1978 – 2 ARs 289/78 –, BGHSt 28, 135, juris Rn. 2 m.w.N.). Eine Außenstelle ist nicht selbständig, hat keinen eigenen Anstaltsleiter und wird vom Leiter der Hauptanstalt vertreten. Dieser ist also Vollzugsbehörde im Sinne des § 110 StVollzG (BGH, Beschluss vom 08.09.1978 – 2 ARs 289/78 –, BGHSt 28, 135, juris Rn. 3; OLG Naumburg, Beschluss vom 10.09.2009 – 1 Ws 371/09 –, NStZ 2010, 397, juris Rn. 16; Spaniol, in Feest/Lesting/Lindemann, a.a.O., § 110 Rn. 3). Dies gilt auch dann, wenn der Vollstreckungsplan für die Außenstelle eine eigene Vollzugszuständigkeit enthält (so BGH, Beschluss vom 08.09.1978 – 2 ARs 289/78 –, BGHSt 28, 135, juris Rn. 3; Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, a.a.O., Kap. P Rn. 41; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., § 110 Rn. 3). Außenstellen, wie z. B. die Außenstelle L. der Justizvollzugsanstalt N. oder die Außenstelle R. der Justizvollzugsanstalt L.a.L., sind im Vollstreckungsplan für den Freistaat Bayern auch entsprechend als solche bezeichnet. P. gehört nicht hierzu.
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3. Die Zuständigkeitsregelung des § 110 StVollzG soll eine größtmögliche Vollzugsnähe gewährleisten (vgl. BT-Drucks 7/918, S. 84; BT-Drucks 7/3998, S. 40, jeweils zu § 98 StVollzG-E), die sich am besten durch ein Gericht erreichen lässt, das die Verhältnisse vor Ort kennt und sich zudem vergleichsweise rasch einen unmittelbaren Eindruck von den Gefangenen verschaffen kann (Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, a.a.O., Kap. P Rn. 40). Im Einklang mit diesem gesetzgeberischen Anliegen steht es, dass die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Passau, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich außer der Justizvollzugsanstalt P. keine weitere Justizvollzugsanstalt und Maßregelvollzugseinrichtung liegt, nach § 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 GVG nicht nur für die nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO zu treffenden Entscheidungen (wie etwa nach § 454 StPO für die Aussetzung von Strafresten zur Bewährung) zuständig ist, sondern auch für die Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG. Auch wenn die Vorschriften des § 110 StVollzG und des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 462a Rn. 7,8) hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nicht deckungsgleich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.1977 – 2 ARs 251/77 –, BGHSt 27, 284, juris Rn. 6 zum Fall einer vom Justizminister getroffenen Vollzugsmaßnahme), führen beide bei einer vom Anstaltsleiter getroffenen Vollzugsmaßnahme zur örtlichen Zuständigkeit der für den Sitz der Justizvollzugsanstalt zuständigen Strafvollstreckungskammer.