Titel:
Prozessvollmacht, Gemeinderatssitzung, Ladung, Heilung von Mängeln, Gemeinderatsbeschluss, Folgen einer Unwirksamkeit, Erster Bürgermeister, Vertretungsmacht, Willenserklärungen, Prozesshandlungen, Zulassung Revision, Landesrecht, Bayerisches Oberstes Landesgericht
Normenketten:
ZPO § 88
EGGVG § 8
GO (Bayern) Art. 38
GO (Bayern) Art. 46
GO (Bayern) Art. 47
AGGVG (Bayern) Art. 11
Leitsätze:
1. Zu den Voraussetzungen für die Heilung von Mängeln der Ladung zu einer Gemeinderatssitzung.
2. Zu den Folgen der Unwirksamkeit eines Gemeinderatsbeschlusses für die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters bei der Abgabe von Willenserklärungen oder Prozesshandlungen.
Schlagworte:
Prozessvollmacht, Gemeinderatssitzung, Ladung, Heilung von Mängeln, Gemeinderatsbeschluss, Folgen einer Unwirksamkeit, Erster Bürgermeister, Vertretungsmacht, Willenserklärungen, Prozesshandlungen, Zulassung Revision, Landesrecht, Bayerisches Oberstes, Landesgericht
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 06.12.2023 – 24 O 423/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 638
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 06.12.2023, Az. 24 O 423/23, wird zurückgewiesen.
2. Das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 06.12.2023, Az. 24 O 423/23, wird in Ziffer 1 des Tenors dahingehend berichtigt, dass die darin genannte Urkunde die Bezeichnung „UVZ-Nr. R …/2022“ trägt.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bamberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von … € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor einer Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen. Revisionsgericht ist das Bayerische Oberste Landesgericht.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.
2
Die Klägerin ist eine Gemeinde, die Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft A. (im Folgenden: Verwaltungsgemeinschaft) ist. Ihr Gemeinderat besteht aus 12 Mitgliedern und dem ersten Bürgermeister. In § 16 Abs. 1 ihrer Geschäftsordnung ist geregelt, dass Rechtsgeschäfte in Grundstücksangelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden können. Die Beklagte ist Eigentümerin des Anwesens X-straße xx/xx (Fl. Nr. 01 und 02 der Gemarkung B., eingetragen in Grundbuch des Amtsgerichts …, Blatt …) in der Ortsmitte der Gemeinde, auf dem sich das Gebäude einer ehemaligen Gaststätte befindet.
3
Das Landratsamt … informierte die Klägerin und deren ersten Bürgermeister mit E-Mail vom 12.10.2022, dass in diesem Anwesen nach einem geplanten Verkauf 50 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Daraufhin besichtigten der erste Bürgermeister der Klägerin (im Folgenden: erster Bürgermeister) und Gemeinderatsmitglieder die Örtlichkeiten, wobei der Zeitpunkt dieser Besichtigung zwischen den Parteien im vorliegenden Rechtsstreit zumindest anfänglich streitig war.
4
Am 20.10.2022 um 18.00 Uhr fand im Rathaus der Klägerin eine Gemeinderatssitzung statt. Hierzu lud der erste Bürgermeister unter Angabe folgender Tagesordnung (Anlage K3):
„1. Bericht des Revierförsters S. für das Jahr 2021 und die Jahresplanung für 2022
4. Informationen zur aktuellen Situation bezüglich der Flüchtlingskrise und eventuellen Auswirkungen auf die Gemeinde B.“.
5
Über der Überschrift „Tagesordnung“ fand sich die unterstrichene Anmerkung: „Treffpunkt ist bereits um 17.30 Uhr am Rathaus zur Durchführung einer Ortseinsicht.“
6
Im nichtöffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung waren zehn Gemeinderäte und der erste Bürgermeister (insgesamt also elf von 13) anwesend. Das nicht anwesende Mitglied D. hatte sich im Vorfeld entschuldigt, weil er an einem Workshop mit dem T. im W. teilnehmen wollte (vgl. Anlage K8). Das Gemeinderatsmitglied F. hatte sich aufgrund einer Dienstreise ebenfalls entschuldigt. Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Ladung beziehungsweise der Tagesordnung wurden durch keines der anwesenden Gemeinderatsmitglieder erhoben.
7
In diesem nichtöffentlichen Teil der Sitzung fasste der Gemeinderat mit neun zu zwei Stimmen folgenden Beschluss (vgl. Anlage K2):
„Die Gemeinde B. erwirbt die Grundstücke Fl. Nrn. 01 und 02 der Gemarkung B. (Anwesen X-straße xx und xx). Der Kaufpreis beträgt … € zuzüglich der Kosten für die Beurkundung und den Vollzug des Rechtsgeschäftes sowie die Vergütung des Maklers in Höhe von … €.
Das Anwesen soll in der städtebaulichen Entwicklung der Ortschaft berücksichtigt werden. Neben einer beabsichtigten Nutzung für die Gastronomie soll auch künftig der Wohnraum genutzt werden. Die Kosten für die Lastenfreistellung (Löschung der Grundschuld) hat der Verkäufer zu tragen.
Der Bürgermeister wird beauftragt und ermächtigt, die Gemeinde bei diesem Grundstücksgeschäft rechtswirksam zu vertreten.“
8
In einer Sitzung vom 31.10.2022 genehmigte der Gemeinderat die Niederschrift über die Sitzung vom 20.10.2022 mit zehn zu null Stimmen, woraufhin der Beschlussbuchauszug durch die Verwaltungsgemeinschaft am 07.11.2022 formell ausgefertigt wurde (vgl. Anlage B2, letzte Seite).
9
Am 15.11.2022 ließen der erste Bürgermeister in Vertretung der Gemeinde als Käufer und die Beklagte als Verkäuferin bei dem Notar Dr. M., …, unter der UVZ-Nr. R …/2022 (Anlage K1) einen Vertrag zum Erwerb des Grundstücks beurkunden. Der erste Bürgermeister legte hierbei den den Gemeinderatsbeschluss vom 20.10.2022 enthaltenden Beschlussbuchauszug (Anlage B2, letzte Seite) vor.
10
Der notarielle Vertrag enthielt in Ziffer III die Regelung:
„Der Käufer unterwirft sich wegen des vorstehend vereinbarten Kaufpreises der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in sein gesamtes Vermögen. Der Notar ist berechtigt, vollstreckbare Ausfertigung dieser Urkunde nach Vorliegen der vom Notar zu überwachenden Fälligkeitsvoraussetzungen und im Übrigen ohne weitere Nachweise zu erteilen.“
11
In der anschließenden Gemeinderatssitzung am 28.11.2022 wurde in nichtöffentlicher Sitzung die nachträgliche Genehmigung der notariellen Urkunde vom 15.11.2022 mit sechs zu sechs Stimmen abgelehnt (vgl. Anlage K4). In dieser Gemeinderatssitzung wurden ferner Beschlüsse zu Haushalts- und Fördermitteln getroffen; ein Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Grundstückserwerb ist dabei zwischen den Parteien zumindest teilweise streitig.
12
Das Landratsamt … als Aufsichtsbehörde äußerte mit Schreiben vom 07.12.2022 (Anlage K5) seine Auffassung, dass die Ladung für die Gemeinderatssitzung am 20.10.2022 nicht ordnungsgemäß gewesen sei.
13
Mit Gemeinderatsbeschluss vom 02.01.2023 wurde die Genehmigung des Kaufvertrages nochmals mehrheitlich abgelehnt.
14
Mit Schreiben vom 11.01.2023 forderten die Bevollmächtigten der Beklagten von der Klägerin unter Ankündigung von Vollstreckungsmaßnahmen die Überweisung des vereinbarten Kaufpreises zuzüglich Rechtsanwaltskosten (… €). Am 21.02.2023 erteilte der Notar Dr. M. eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde zum Zwecke der Zwangsvollstreckung des Kaufpreises in Höhe von … EUR gemäß Ziffer 3 des Vertrags vom 15.11.2022 (Anlagen K7 und B2). In den Gründen führte er insbesondere aus, dass er aus verfahrensrechtlichen Gründen mögliche Ladungsfehler in Bezug auf die zu dem Gemeinderatsbeschluss führende Gemeinderatssitzung inhaltlich nicht prüfen könne und müsse; auch sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Vertrag (schwebend) unwirksam sei. Daraufhin wurde durch den Gerichtsvollzieher die Vollstreckung angekündigt.
15
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, eine Begehung des Anwesens habe erst am 20.10.2022 stattgefunden. Auf Fragen von Gemeinderatsmitgliedern, was der Zweck der Begehung sei, hätten diese seitens des ersten Bürgermeisters keine Auskunft erhalten.
16
Der Beschluss vom 28.11.2022 zur Beantragung von Fördermitteln habe „vor allem“ ein anderes Anwesen betroffen. Ein Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Grundstücks habe nicht bestanden.
17
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Ladung zu der Gemeinderatssitzung vom 20.10.2022 sei fehlerhaft und der Beschluss damit mangels Beschlussfähigkeit unwirksam gewesen, da die Angabe der Tagesordnungspunkte nicht den Anforderungen des Art. 47 Abs. 2 GO genügt habe. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass Gegenstand der Sitzung der Erwerb beziehungsweise eine dahingehende Beauftragung des ersten Bürgermeisters habe sein sollen. Sinn und Zweck von Art. 38 und 47 GO sei gerade zu verhindern, dass die Zuständigkeitsregelungen dadurch umgangen werden könnten, dass der Gemeinderat nicht ordnungsgemäß geladen und so etwa eine kurzfristige Drucksituation zum Beschluss erzeugt werde.
18
Der erste Bürgermeister habe daher beim Vertragsschluss über den Kauf des Grundstücks der Beklagten und der Unterwerfungserklärung ohne Vertretungsmacht gehandelt. Denn die Entscheidung hierüber habe im Kompetenzbereich des Gemeinderats gelegen.
19
Nach alledem sei der notarielle Kaufvertrag zunächst schwebend unwirksam gewesen und dann nicht genehmigt worden. Der die Genehmigung ablehnende Beschluss sei ordnungsgemäß zustande gekommen. Die notarielle Unterwerfungserklärung sei damit unwirksam. Die Beanstandung durch die Rechtsaufsichtsbehörde sei für die Gemeinde bindend.
20
Die Klägerin könne daher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend machen.
21
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
Die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde, UR-Nr. R …/2022 des Notars Dr. M., Notar in …, … vom 15.11.2022 ist für unzulässig zu erklären.
22
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
23
Sie hat vorgetragen, nachdem sie das Objekt ursprünglich an das Ehepaar Z. zum Preis von … € habe veräußern wollen, das bereits alle hierfür notwendigen Angaben zur Weitergabe an den Notar übermittelt gehabt habe, habe am 12.10.2022 der erste Bürgermeister telefonisch mitgeteilt, die Beklagte solle mit der Veräußerung noch warten. Erst nach der Beschlussfassung vom 20.10.2022 habe die Klägerin dem Ehepaar Z. abgesagt.
24
Die Beklagte hat ferner (zumindest anfänglich) behauptet, der Gemeinderat sei bereits am 14.10.2022 anlässlich einer Ortsbegehung über die Kaufabsichten informiert worden. An einer Ortsbegehung vom 20.10.2022 (die Beklagte hat nicht ausdrücklich erklärt, ob sie an dem Vortrag festhalten wolle, es habe eine – erste – Besichtigung auch am 14.10.2022 stattgefunden) hätten auch die von der Beklagten beauftragten Makler teilgenommen. Dem Gemeinderat habe vor der Abstimmung über den Grundstückskauf zudem ein 56-seitiges Verkehrswertgutachten, erstellt vom Gutachterausschuss des Landkreises …, vorgelegen, das den Wert des Grundstücks auf ... € taxiert habe und das der Ehemann der Beklagten am 14.10.2022 zur Verwaltungsgemeinschaft gebracht habe.
25
Erst als mehrere Gemeinderatsmitglieder in der Presse – unter womöglich rechtswidriger Preisgabe der Informationen aus der nichtöffentlichen Sitzung – Stimmung gegen den Erwerb gemacht hätten, habe sich auch im Meinungsbild des Gemeinderats auf einmal „der Wind gedreht“. Aufgrund des in der Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikts würde sich das Anwesen mittlerweile wohl kaum noch veräußern lassen, jedenfalls nicht mehr zu dem vereinbarten Kaufpreis.
26
Am 28.11.2022 sei die Gemeinderätin R. vor dem Beschluss über die Genehmigung des Vertrags darauf hingewiesen worden, dass sie sich der Stimme enthalten müsse, woraufhin sie dies dann auch getan habe.
27
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Klage sei als Vollstreckungsabwehrklage unstatthaft und damit unzulässig, da hiermit nicht die Unwirksamkeit des Titels unmittelbar geltend gemacht werden könne.
28
Jedenfalls sei der Vertrag wirksam. Ein Vorbehalt oder dergleichen sei nicht aufgenommen worden. Die entgegenstehende Ansicht des Landratsamts … sei für den vorliegenden Rechtsstreit irrelevant. Der Beschluss vom 20.10.2022 sei wirksam gefasst worden. Die Ladung sei nicht fehlerhaft gewesen. Der Tagesordnungspunkt 4 sei dahingehend zu verstehen gewesen, dass es womöglich um den Kauf des Anwesens gehen sollte, in dem die Flüchtlinge ursprünglich untergebracht werden sollten.
29
Der Gemeinderat habe zudem die Niederschrift in Kenntnis des bereits für den Ankauf vereinbarten Notartermins einstimmig genehmigt. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der darauffolgenden Sitzung am 28.11.2022 mit acht zu fünf Stimmen die Haushaltsmittel für den Erwerb der Immobilie bereitgestellt und hinsichtlich des Erwerbs einstimmig die Beantragung von Mitteln aus der Städtebauförderung beschlossen worden seien. Entgegen der Ansicht des Landratsamts … habe auch kein Grund dafür vorgelegen, dass die Gemeinderätin R. nicht hätte mitstimmen dürfen.
30
Der Beschluss vom 28.11.2022 über die Ablehnung der Genehmigung des Notarvertrags sei unwirksam gewesen. Da er mit sechs zu sechs Stimmen gefasst worden sei, habe er die notwendige Mehrheit nicht erreicht. Überdies habe sich die Gemeinderätin R. auch hierbei enthalten, obwohl ein Stimmverbot nach Art. 49 GO nicht bestanden habe.
31
Auch der Notar sei davon ausgegangen, dass der Beschluss vom 20.10.2022 wirksam sei, ansonsten hätte er keine Vollstreckungsklausel erteilt.
32
Jedenfalls griffen die Grundsätze der Anscheinsvollmacht. Die Beklagte habe sich angesichts des vorgelegten Beschlusses auf eine bestehende Vertretungsmacht verlassen dürfen.
33
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts Bamberg und die darin in Bezug genommenen Anlagen verwiesen.
34
Das Landgericht Bamberg hat die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde einstweilen eingestellt und nach Anhörung des zweiten Bürgermeisters und der Beklagten der Klage stattgegeben.
35
Die Klage sei zulässig.
36
Zwar handele es nicht um eine Vollstreckungsabwehrklage, jedoch könne die Klageschrift dahingehend ausgelegt werden, dass die Unwirksamkeit des Titels aufgrund fehlender Vertretungsmacht zum Vertragsschluss geltend gemacht werde, so dass es sich um eine sogenannte Titelgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO analog in Verbindung mit § 795 Satz 1 ZPO handele.
37
Das Rechtsschutzbedürfnis sei schon deswegen gegeben, weil ein Vollstreckungstitel vorliege. Zudem sei bereits eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt und ein Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft bestimmt worden, so dass die Zwangsvollstreckung bereits bevorgestanden habe.
38
Auch liege eine ordnungsgemäße Prozessvollmacht vor. Zwar habe der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung die Vertretungsmacht des Klägervertreters gerügt. Dieser habe jedoch mit der Klageschrift eine Vollmacht gemäß § 80 ZPO eingereicht, die vom ersten Bürgermeister unterschrieben gewesen sei, und dazu vorgetragen, dass die Unterzeichnung der Prozessbevollmächtigten durch den ersten Bürgermeister in Vollzug eines zugrundeliegenden Gemeinderatsbeschlusses geschehen sei. Die Beklagte habe nicht bestritten, dass ein solcher Gemeinderatsbeschluss vorliege, weswegen eine Vorlage zum Nachweis auch nicht erforderlich gewesen sei, und zwar auch nicht nach § 80 Satz 1 ZPO. Zwar müsse die Vollmachterteilung lückenlos nachgewiesen werden, hier sei sie jedoch durch den gesetzlichen Vertreter nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GO erteilt worden und es liege keine vertragliche Vollmacht im Verhältnis des ersten Bürgermeisters zur Gemeinde vor, weshalb ein weiterer Nachweis der Vertretungsmacht nicht erforderlich gewesen sei.
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Die Klage sei auch begründet
40
Der Kaufvertrag vom 15.11.2022 sei unwirksam, weswegen die Zwangsvollstreckung „aus diesem“ unzulässig sei.
41
Der erste Bürgermeister habe nicht mit Vertretungsmacht gehandelt, so dass der Vertrag zunächst schwebend unwirksam gewesen sei. Eine laufende Angelegenheit nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO könne nicht angenommen werden, so dass es für eine wirksame Vertretung der Gemeinde durch den ersten Bürgermeister einer Übertragung nach § 37 Abs. 2 GO bedurft hätte. Der Gemeinderatsbeschluss vom 20.10.2022 sei jedoch unwirksam, weil der Gemeinderat infolge nicht ordnungsgemäßer Ladung nicht beschlussfähig gewesen sei. Der betreffende Tagesordnungspunkt sei mit Blick auf den Sinn und Zweck des Art. 46 Abs. 2 GO, dass die Gemeinderatsmitglieder ausreichend Zeit haben sollten, sich über die Tagesordnungspunkte zu informieren und sich eine Meinung zu bilden, nicht hinreichend konkret gewesen. Es handele sich um eine kleinere Gemeinde. Auch der Umfang der Grundstücke, deren Lage und der Preis sowie die geplante Verwendung durch den weiteren Kaufinteressenten sprächen dafür, höhere Anforderungen an die Ladung zu stellen. Die Kaufentscheidung habe verschiedene Themenbereiche berührt (künftige Flüchtlingssituation; finanzielle Auswirkungen; Entwicklung des Ortskerns), was sich auch darin zeige, dass im Protokoll von einer absoluten Ausnahmesituation die Rede sei.
42
Von einer Vorbefassung der Gemeinderatsmitglieder könne nicht ausgegangen werden. Entgegen dem Vortrag der Beklagten habe ausweislich der Anlagen K3 und B1 die Ortsbesichtigung nicht am 14.10.2022, sondern erst am 20.10.2022 stattgefunden, während der 14.10.2022 der Tag der Ladung gewesen sei. Aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung ergebe sich zudem, dass den Gemeinderatsmitgliedern erst in der Sitzung die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in dem Anwesen mitgeteilt worden sei. Dazu, wann ihnen zuvor ein Verkehrswertgutachten vorgelegen haben soll, sei durch die Beklagte nicht ausreichend konkret vorgetragen worden. Unabhängig davon hätte auch dann der Ankauf der Immobilie in der Ladung thematisiert werden müssen, zumal eine klarere Formulierung ohne weiteres möglich gewesen sei. Aus dem Protokoll ergebe sich auch, dass der erste Bürgermeister bereits bei der Ladung beabsichtigt habe, über den Kauf abstimmen zu lassen. Gleichwohl sei der Ladung nur zu entnehmen, dass eine „Information“ hätte stattfinden sollen, nicht aber, dass überhaupt ein Beschluss gefasst werden sollte. Auch die Formulierung „eventuelle Auswirkungen“ habe eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Gemeinderatsmitglieder nicht ermöglicht. Aus der Ladung habe sich ferner nicht ergeben, ob etwa zu erwerbende Grundstücke auch für Flüchtlinge genutzt werden sollten oder ob über eine Nutzung erst habe entschieden werden sollen.
43
Die Tagesordnung sei auch nicht nachträglich ordnungsgemäß erweitert worden, da hierfür die neuen Tagesordnungspunkte den Gemeinderatsmitgliedern mit angemessener Frist vor der Sitzung hätten bekannt gegeben werden müssen. Hierfür wäre insbesondere eine Bekanntgabe bei der Ortsbegehung nicht ausreichend gewesen.
44
Eine Heilung des hiernach anzunehmenden Ladungsmangels durch rügelose Einlassung scheitere bereits daran, dass nur elf der 13 Mitglieder anwesend gewesen seien. Auch die Genehmigung der Sitzungsniederschrift vom 31.10.2022 führe nicht zur Heilung. Die Genehmigung gemäß Art. 54 Abs. 2 GO diene nicht der inhaltlichen Bestätigung gefasster Beschlüsse, sondern nur der Bestätigung des in der Niederschrift festgeschriebenen Ablaufs und der nachvollziehbaren und objektiv nachprüfbaren Dokumentation der Gemeinderatssitzung, der gefassten Beschlüsse und des vorangegangenen Verfahrens. Die Protokollierung eines Beschlusses sei auch nicht Voraussetzung für dessen Wirksamkeit. Abgeändert werden könne ein Beschluss nur durch einen erneuten förmlichen Beschluss.
45
Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anscheinsvollmacht. Zwar fänden die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht auch gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung, wenn deren vertretungsberechtigte Organe das Vertreterhandeln eines Dritten geduldet oder nicht verhindert hätten. Allerdings dürften diese Grundsätze nicht dazu dienen, den im öffentlichen Interesse des Schutzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und ihrer Mitglieder bestehenden Vertretungsregeln im Einzelfall die Wirkung zu nehmen. Hier sei die Vertretungsmacht nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO an die Befugnis des ersten Bürgermeisters und somit in bestimmten Fällen an das Vorliegen eines Gemeinderatsbeschlusses gebunden. Wenn von Gesetzes wegen die Beachtung gewisser Förmlichkeiten erforderlich sei, so könnten nicht die Regeln der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht, die diesen Förmlichkeiten nicht entsprächen, trotzdem bindende Wirkung entfalten. Durch die Änderung des Art. 38 GO habe der Gesetzgeber die Vertretungsmacht gerade an das Vorliegen der Befugnis gebunden. Diesem Grundgedanken würde es widersprechen, dann das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht auch ohne die entsprechende Befugnis anzunehmen, weil damit die Vertretungsregelung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO umgangen würde.
46
Zudem hätten die Voraussetzungen für eine – entgegen der Regel des Art. 52 Abs. 2 GO – nichtöffentliche Behandlung nicht vorgelegen. So ergäben sich aus dem Tagesordnungspunkt keine Aspekte, die im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung hätten nichtöffentlich bleiben müssen, zumal etwaige Auswirkungen mit der Folge der Unterbringung von Flüchtlingen im Gemeindegebiet zweifelsohne öffentlich werden würden.
47
Die Wirksamkeit des folglich nach § 177 BGB schwebend unwirksamen Geschäfts habe damit von einer nachträglichen Genehmigung abgehangen. Die Genehmigung der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom 20.10.2022 stelle schon deswegen keine Genehmigung des Vertrags dar, weil diese zeitlich vor dem Vertragsschluss erfolgt sei. Der Beschluss vom 28.11.2022, mit dem die Bereitstellung von Haushaltsmitteln beschlossen worden sei, habe keine Genehmigung über den Erwerb von Grundstücken beinhaltet, sondern diese vorausgesetzt. Hierin könne auch keine konkludente Genehmigung gesehen werden, da der Gemeinderat bei Beschlussfassung nicht habe erkennen können, dass der Beschluss zur Genehmigung führen könne, wogegen auch spreche, dass in derselben Sitzung zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich beschlossen worden sei, die Genehmigung gerade nicht zu erteilen. Die Entscheidung über die Nutzung von Haushaltsmitteln stelle auch insbesondere keine Erfüllungshandlung im Verhältnis zur Beklagten dar. Zudem wäre Voraussetzung für eine konkludente Genehmigung gewesen, dass diese für den möglichen Erklärungsadressaten, hier also die Beklagte, auch erkennbar gewesen wäre, was bei dem rein internen Verhalten in der Gemeinderatssitzung nicht der Fall sei. Der Beschluss über die Verweigerung der Genehmigung des Vertragsschlusses sei auch wirksam. Insbesondere sei die Gemeinderätin R. (die Tochter des Bruders des Ehemanns der Beklagten) nicht nach Art. 49 GO von der Abstimmung und Beratung ausgeschlossen worden (was im Falle des Fehlens eines Grundes zur Unwirksamkeit geführt hätte). Vielmehr habe sie sich lediglich der Stimme enthalten, was zwar nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 GO nicht vorgesehen sei, aber weder die Beschlussfähigkeit noch die Wirksamkeit des Beschlusses berühre.
48
Ob der weitere Beschluss, Städtebaufördermittel zu beantragen, im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Anwesen gestanden habe, könne offenbleiben, weil auch dies nicht als Genehmigung des Vertragsschlusses angesehen werden könnte. Jedenfalls durch den weiteren Beschluss vom 02.01.2023 sei die Genehmigung dann verweigert worden.
49
Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ergänzend Bezug genommen.
50
Die Beklagte hat gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Ersturteils und Klageabweisung beantragt.
51
Die Klage sei bereits mangels ausreichender Prozessvollmacht unzulässig. Aus dem erstinstanzlichen Verhandlungsprotokoll sei zu schließen, dass die Beklagte wenigstens konkludent vorgebracht habe, dass ein Gemeinderatsbeschluss über die Führung des hiesigen Rechtsstreits nicht vorgelegt worden sei. Damit habe sie inzident auch das Vorliegen einer Prozessvollmacht bestritten. Das Gericht habe in dieser Hinsicht eine Prüfpflicht nicht ausgeübt, die es dem mit einer Gemeinde kontrahierenden Bürger im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der Ermächtigung zum Vertragsschluss demgegenüber auferlege. Zudem habe sich der erste Bürgermeister in der Verhandlung vor dem Landgericht vom zweiten Bürgermeister vertreten lassen.
52
Die Klage sei jedenfalls auch unbegründet.
53
Das Landgericht habe die Reichweite des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO verkannt. Auch im bayerischen Kommunalrecht sei zwischen einer Handlungsbefugnis im Innen- und Außenverhältnis zu differenzieren. Da ein Gemeinderatsbeschluss vorgelegen habe, sei auch die Vertretungsmacht gegeben gewesen; auf die Rechtmäßigkeit des Gemeinderatsbeschlusses komme es dabei nicht an. Der bayerische Gesetzgeber habe mit der Regelung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Verfahren V ZR 266/14 reagiert, die aber einen Fall betroffen habe, in dem es überhaupt keinen Gemeinderatsbeschluss gegeben habe. Bei der vom Landgericht vertretenen Sichtweise könnte kein Bürger mehr mit bayerischen Gemeinden kontrahieren, was zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Dies werde beispielsweise besonders deutlich bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Gemeinde. Nach überwiegender Auffassung in der Literatur könne es dem Bürger nicht abverlangt werden, bei Vertragsschluss die Voraussetzungen der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses zu prüfen.
54
Vor dem Vertragsschluss habe unstreitig niemand Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses geltend gemacht. Beim Vertragsschluss selbst sei lediglich ein gekürzter Beschlussbuchauszug (vgl. Anlage B2, letzte Seite), nicht der vollständige (Anlage K2) vorgelegt worden. Der Beklagten sei auch nur der Inhalt von ersterem bekannt gewesen, und sie habe angesichts dessen die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses überhaupt nicht prüfen können; aus dem gekürzten Beschlussbuchauszug hätten sich auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit ergeben. Zudem könne ein Bürger die Vorgänge aus einer nichtöffentlichen Sitzung nicht prüfen.
55
Der Beschluss sei ohnehin auch rechtmäßig gefasst worden. Bei der Frage nach der Ordnungsmäßigkeit der Ladung habe das Landgericht die Ausnahmesituation der Gemeinde sowie die Eilbedürftigkeit wegen des kurz bevorstehenden Verkaufs an die weiteren Kaufinteressenten nicht berücksichtigt. Da die Gemeinde aufgrund der Mitteilung des Landratsamtes vom 12.10.2022 in Zeitdruck gewesen sei, habe eine schnelle Entscheidung über den Kauf des Anwesens gefasst werden müssen. Die Absicht des Kaufinteressenten, in dem Anwesen 50 Flüchtlinge unterzubringen, sei nicht im Sinne der Gemeinde gewesen, da diese das Anwesen nur für die Unterbringung von zehn bis 15 Personen für geeignet erachtet habe. Deshalb habe schnell gehandelt werden müssen. Einziger Grund für die Ortsbesichtigung habe nur der Erwerb des Grundstücks gewesen sein können.
56
Auch bei der Genehmigung der Niederschrift über die Sitzung vom 20.10.2022 habe anscheinend niemand einen Fehler bei der Ladung oder die unentschuldigte Abwesenheit zweier Gemeinderatsmitglieder gerügt.
57
Jedenfalls griffen die Grundsätze der Anscheinsvollmacht. Zwar seien diese nicht anzuwenden, wenn der erste Bürgermeister nur vorgebe, dass eine Befugnis gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO, also ein Gemeinderatsbeschluss vorliege, oder wenn zwar ein Gemeinderatsbeschluss vorliege, dieser das Handeln des ersten Bürgermeisters aber inhaltlich nicht vollständig umfasse. Sinn und Zweck von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO sei, den Gemeinderat vor Übergriffen durch den ersten Bürgermeister zu schützen. Vorliegend habe der erste Bürgermeister jedoch gerade im Rahmen der ihm gewährten Befugnisse gehandelt, so dass diesem Schutzzweck genüge getan sei. Dies werde auch an der einstimmigen Genehmigung der Niederschrift deutlich.
58
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
59
Die Beklagte habe das Vorliegen eines Gemeinderatsbeschlusses zur Erteilung einer Prozessvollmacht nicht bestritten.
60
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters durch die Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats beschränkt. Genau dies sei in Reaktion auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Az. V ZR 266/14) und des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 22.08.2016 – 2 AZB 26/16), mit der Änderung des Art. 38 GO klargestellt worden. Die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters setze voraus, dass er entweder originär nach Art. 37 GO zuständig sei oder durch einen wirksamen Gemeinderatsbeschluss ermächtigt worden sei. Art. 38, 47 GO sollten gerade verhindern, dass die an sich fehlende Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters durch einen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Ladung gefassten Gemeinderatsbeschluss umgangen werde.
61
Der Beschluss vom 20.10.2022 sei unwirksam. Die Rechtsprechung zur Heilung von Ladungsmängeln betreffe nur Konstellationen, in denen Gemeinderatsmitglieder bereits im Vorhinein persönliche Entschuldigungsgründe angeführt hätten. Andere Entscheidungen hätten – anders als vorliegend – Mängel betroffen, die sich bereits im Zeitpunkt der Ladung hätten erkennen lassen. Ein Ladungsverzicht sei dagegen insbesondere dann nicht möglich, wenn noch gar nicht bekannt sei, dass ein bestimmter Tagesordnungspunkt beschlussmäßig behandelt werden würde. Zudem hätten (ausweislich der Anlage K8) jedenfalls bezüglich des Gemeinderatsmitglieds D. gerade keine persönlichen Entschuldigungsgründe vorgelegen.
62
Ein Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit für den betreffenden Tagesordnungspunkt habe ebenfalls nicht vorgelegen, dies gerade vor dem Hintergrund, dass es darum gegangen sei, Informationen des Landratsamts an die Gemeinde weiterzuleiten.
63
Die Rechtsunwirksamkeit eines Beschlusses sei mit dem Fehlen eines Beschlusses und damit mit einem Handeln gänzlich ohne Gemeinderatsbeschluss gleichzusetzen. Dies anders zu sehen würde bedeuten, die Systematik der Gemeindeordnung und die Rechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder auszuhebeln und der Willkür in der gemeindlichen Beschlussfassung Tür und Tor zu öffnen.
64
Auch sei es ein Leichtes, in der notariellen Praxis neben dem Beschlussbuchauszug auch die Ladung mit Tagesordnung vorzulegen, um dem Notar die Prüfung der Erfordernisse des Art. 47 Abs. 2 GO zu ermöglichen. Ferner entspreche es notarieller Praxis, Vereinbarungen unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Entscheidung des Gemeinderats zu beurkunden. Würde man die Grundsätze der Anscheinsvollmacht anwenden, wäre die Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO in jeglicher Konstellation völlig obsolet.
65
Die Entscheidung über die Genehmigung des Protokolls einer Gemeinderatssitzung könne nicht dahin verstanden werden, dass damit über den Bestand gefasster Beschlüsse entschieden werden könne; Art. 54 GO habe nur eine Dokumentationsfunktion.
66
Die zulässige Berufung der Beklagten erweist sich als unbegründet, weil das Landgericht der zulässigen und begründeten Klage zu Recht stattgegeben hat.
67
1. Die Klage ist zulässig.
68
a) Sie ist als sogenannte Titelgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO analog statthaft. Zwar ist der Anwendungsbereich von § 767 ZPO (in Verbindung mit § 795 Satz 1 ZPO) direkt nur eröffnet, wenn der Vollstreckungsschuldner Einwände gegen den titulierten Anspruch geltend macht. Eine Klage wegen Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels selbst sieht die ZPO an sich nicht vor, weshalb früher überwiegend vertreten worden ist, dass diesbezügliche Einwendungen allein im Klauselerteilungsverfahren geltend gemacht werden könnten. Dies kann jedoch angesichts der Vergleichbarkeit von materiell-rechtlichen Mängeln und Unwirksamkeitsgründen nicht überzeugen, weshalb der Bundesgerichtshof mittlerweile in ständiger Rechtsprechung die sogenannte Titelgegenklage in Analogie zu § 767 ZPO anerkennt (vgl. zur Entwicklung in der Rechtsprechung Preuß, in: BeckOK ZPO, 54. Ed. 01.09.2024, § 767 Rn. 57 bis 57.2). Die Klägerin macht vorliegend in diesem Sinne geltend, dass die in der notariellen Urkunde enthaltene Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung und damit der Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO mangels wirksamer Vertretung unwirksam gewesen sei.
69
b) Auch ist die Klägerin bei der Klageerhebung durch ihre Prozessbevollmächtigten wirksam vertreten worden. Nachdem die Beklagte die ordnungsgemäße Bevollmächtigung gerügt hat, ist diese durch den Senat zu prüfen (vgl. § 88 Abs. 2 ZPO).
70
aa) Die Klageerhebung fällt nicht nach Art. 37 GO originär in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters. Insbesondere handelt es sich vorliegend nicht um eine laufende Angelegenheit, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen würde, im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO. Damit bedurfte der erste Bürgermeister einer Ermächtigung durch den Gemeinderat.
71
Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GO vertritt der erste Bürgermeister die Gemeinde nach außen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist der Umfang der Vertretungsmacht jedoch auf seine Befugnisse beschränkt, das heißt er allein kann die Gemeinde bei der Erteilung einer Prozessvollmacht nur vertreten, wenn dies in seinen Aufgabenkreis fällt.
72
Laufende Angelegenheiten sind solche, welche bei der Verwaltung der Gemeinde in mehr oder minder regelmäßiger Wiederkehr anfallen und zur ungestörten und ununterbrochenen Fortführung der Verwaltung notwendig sind (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 37 Rn. 6). Dabei ist etwa der Verkauf einer 141 m² umfassenden Grundstücksfläche in einer kleinen Gemeinde nicht als laufende Angelegenheit angesehen worden (BayObLG, Beschluss vom 21.10.1974 – BReg 2 Z 24/74, BayVBl. 1974, 706, Rn. 12). Bei größeren Gemeinden kann die Einreichung von Klagen noch als laufende Angelegenheit angesehen werden (Glaser a.a.O.). Die Führung von Aktivprozessen hängt vom jeweiligen Anspruch und dem Prozessrisiko ab (Wernsmann/Kriegl, in: BeckOK KommunalR Bayern, 21. Ed. 01.02.2024, Art. 37 GO Rn. 8).
73
Dies zugrunde gelegt, war vorliegend die Erhebung einer Klage, mit der die Vollstreckung von … € abgewendet werden soll, schon wegen der geringen Größe der Gemeinde (höchstens 2.000 Einwohner, vgl. Art. 31 Abs. 2 Satz 2 GO) zweifelsohne keine laufende Angelegenheit.
74
bb) Eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung ist jedoch gegeben.
75
(1) Der diesbezügliche Nachweis hat durch die entsprechende Originalurkunde zu erfolgen. Die Klägerin hat die Vollmachtsurkunde auch vorgelegt. Der Beklagtenvertreter hat auf Frage des Senats auch ausdrücklich nicht gerügt, die Prozessvollmacht sei nicht im Original vorgelegt worden.
76
(2) Der Beklagtenvertreter hat die Prozessvollmacht in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht allein mit dem Argument gerügt, dass ihm ein zur Prozessführung ermächtigender Gemeinderatsbeschluss nicht bekannt sei. Eine Zurückweisung dieser, erst nach der Antragstellung, also nach Beginn der mündlichen Verhandlung (vgl. § 137 Abs. 1 ZPO) angebrachten und damit an sich nach § 282 Abs. 3 ZPO verspäteten Rüge nach § 296 Abs. 3 ZPO ist nicht zulässig, weil nach § 88 Abs. 1 ZPO der Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreits gerügt werden kann. Soweit mit einer (erst) in der mündlichen Verhandlung erfolgten Rüge nicht bloß die fehlende Vorlage einer Vollmachtsurkunde, sondern ein materieller Mangel einer wirksamen Bevollmächtigung gerügt werden soll, würde sich die (begründete) Rüge auch für die Vergangenheit auswirken (Toussaint, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 3).
77
(3) Der erste Bürgermeister hat indessen mit Schreiben vom 18.06.2024 einen Beschlussbuchauszug betreffend eine nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderats vom 17.04.2023 vorgelegt, in der sich ein mit elf zu zwei Stimmen ergangener Beschluss findet, demgemäß die Klägervertreter beauftragt werden sollen, eine Feststellungsklage zur Frage der Wirksamkeit des Kaufvertrags zu erheben und auf etwaige Vollstreckungsmaßnahmen mit einer Vollstreckungsabwehrklage zu reagieren. Der Beklagtenvertreter hat auch unstreitig gestellt, dass ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss gefasst worden sei.
78
(4) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Beklagtenvertreter damit formal seine Rüge der fehlenden Prozessvollmacht aufrechterhalten hat. Denn selbst wenn der Senat weiterhin zur Prüfung der Wirksamkeit der Vollmacht gehalten gewesen sein sollte, wäre von einer wirksamen Bevollmächtigung auszugehen.
79
Soweit die Beklagte argumentiert hat, der Senat könne, würde man die Rechtsansichten der Klägerseite betreffend die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auf der Grundlage von Gemeinderatsbeschlüssen teilen, dann auch die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung gar nicht prüfen (so wie ein Vertragspartner der Gemeinde die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters zum Abschluss des betreffenden Vertrags), ist dem nicht zu folgen. Von einer wirksamen Prozessvollmacht ist auszugehen, wenn eine entsprechende Urkunde vorgelegt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten zugrundeliegenden Willensbildung des jeweils zuständigen Gemeindeorgans (vorliegend also des Gemeinderats) Fehler innewohnen, die zu einer Unwirksamkeit der Mandatierung führen konnten. Auch bei der Mandatierung durch eine Privatperson würde beispielsweise die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtserteilers ohne entsprechende Hinweise nicht geprüft werden, obwohl auch diese die Unwirksamkeit der Vollmachterteilung zur Folge hätte. Und dass es keinen Widerspruch darstellen muss, dass ein Gericht die Wirksamkeit der Prozessvollmacht annimmt, sich diese im Nachhinein dann aber unter Umständen als unwirksam herausstellen kann, zeigt schon die Vorschrift des § 579 Abs. 3 ZPO.
80
cc) Nicht nachvollziehbar ist, was die Beklagte mit ihrem Hinweis darauf beanstanden will, dass sich die Klägerin in der Verhandlung vor dem Landgericht vom zweiten Bürgermeister vertreten lassen hat. Das Landgericht hatte (vgl. Bl. 42 d.A. LG) das persönliche Erscheinen der Gemeinde durch einen informierten und zum Abschluss eines Vergleichs bevollmächtigten Vertreter angeordnet. Der zweite Bürgermeister ist für den Fall der Verhinderung des ersten Bürgermeisters nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GO zur Vertretung berechtigt. Selbst wenn kein Vertretungsfall vorgelegen haben sollte, hätte sich dies schon deswegen nicht ausgewirkt, weil das Landgericht im Urteil keine Erkenntnisse aus der Anhörung des zweiten Bürgermeisters verwertet hat.
81
2. Die Klage ist auch begründet.
82
Der erste Bürgermeister hat bei der Erklärung der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ohne Vertretungsmacht gehandelt. Dies führt zur Unwirksamkeit der Vollstreckungsunterwerfung.
83
a) Der Gemeinderatsbeschluss vom 20.10.2022, der den ersten Bürgermeister zum Abschluss des Vertrags ermächtigte, ist nicht ordnungsgemäß zustande gekommen und damit unwirksam.
84
Dabei kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen für eine nichtöffentliche Sitzung vorlagen und was aus einem etwaigen diesbezüglichen Verstoß folgen würde. Nach Art. 52 Abs. 2 GO sind die Sitzungen öffentlich, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche Einzelner entgegenstehen; über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden. Eine Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips führt nach herrschender Meinung zur Unwirksamkeit des Beschlusses (Jung, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 52 GO Rn. 32 unter Verweis auf die möglicherweise abweichende Ansicht des 4. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs). Vorliegend spricht viel dafür, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit sowohl formell rechtmäßig war (vgl. dazu Jung a.a.O. Rn. 26 f.) als auch dass die materiellen Voraussetzungen dafür mit Blick auf das in Rede stehende Grundstücksgeschäft vorlagen (vgl. dazu Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 52 GO Rn. 27; Jung a.a.O. Rn. 23).
85
Der Gemeinderatsbeschluss erweist sich jedoch unabhängig davon aus anderen Gründen als fehlerhaft und damit unwirksam.
86
aa) Die Ladung zur Gemeinderatssitzung war nicht ordnungsgemäß.
87
(1) Die Beschlussfähigkeit des Gemeinderats setzt nach Art. 47 Abs. 2 GO eine ordnungsgemäße, insbesondere form- und fristgerechte Ladung sämtlicher Mitglieder voraus. Eine in diesem Sinne formgerechte Ladung nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 GO erfordert, dass neben Zeit und Ort der Sitzung auch die Tagesordnung angegeben wird.
88
Angelegenheiten, über die ein Beschluss gefasst werden soll, sind auf die Tagesordnung zu setzen und dabei konkret zu bezeichnen. Es dürfen daher bei beschlussmäßig zu behandelnden Punkten beispielsweise keine allgemeinen Formulierungen wie „Verschiedenes“, „Sonstiges“ oder „Nachträge“, verwendet werden (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 46 Rn. 11 f.; Jung, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 47 GO Rn. 12; zu sich aus der Geschäftsordnung ergebenden darüber hinausgehenden inhaltlichen Vorgaben vgl. Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 47 Rn. 8).
89
Wirksame Beschlüsse können daher grundsätzlich nur über Beratungsgegenstände gefasst werden, die in der Tagesordnung aufgeführt waren (zu den Ausnahmen Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 46 GO Rn. 26 ff.). Inwieweit die Bezeichnung eines Tagesordnungspunkts den Anforderungen genügt, hängt von Faktoren wie einer bereits erfolgten Vorbefassung, der Regelmäßigkeit und Häufigkeit der Befassung mit derartigen oder thematisch ähnlichen Tagesordnungspunkten, der Größe der Gemeinde oder der Bedeutung der Angelegenheit ab (vgl. Jung, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 47 GO Rn. 12).
90
Die Tagesordnung kann nachträglich geändert werden, wenn die neuen Tagesordnungspunkte den Gemeinderatsmitgliedern mit angemessener Frist vorher mitgeteilt worden sind. Bei wenig komplexen Punkten kann dies auch am Tag der Sitzung ausreichen (vgl. Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 46 GO Rn. 26). Auch bei objektiv dringlichen Angelegenheiten (mit denen nicht bis zur nächsten Sitzung zugewartet werden kann) kann bei entsprechender Regelung in der Geschäftsordnung die Tagesordnung noch kurzfristig geändert werden (Wernsmann/Neudenberger a.a.O.).
91
(2) Dies zugrunde gelegt, war die Formulierung des in Rede stehenden Tagesordnungspunkts vorliegend nicht ausreichend.
92
(a) Mit der Bezeichnung „Informationen zur aktuellen Situation bezüglich der Flüchtlingskrise und eventuellen Auswirkungen auf die Gemeinde B.“ war objektiv nicht ansatzweise deutlich, dass es bei dem Tagesordnungspunkt um den Erwerb eines mit einer ehemaligen Gaststätte bebauten Grundstücks gehen könnte, auf dem ein anderer Kaufinteressent beabsichtigte, Flüchtlinge unterzubringen.
93
(b) Eine nähere Bezeichnung war auch ansonsten nicht verzichtbar. Zunächst handelte es sich um eine für die konkrete (kleine) Gemeinde bedeutsame Angelegenheit. Ferner ist kein Grund ersichtlich, weshalb der erste Bürgermeister, der unstreitig zwei Tage vor der Ladung bereits Kenntnis von der möglicherweise bevorstehenden Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Anwesen hatte, bei der Formulierung des Tagesordnungspunkts nicht wenigstens den Bezug zu diesem Grundstück hätte herstellen sollen. Immerhin hatte er von vornherein die Absicht, im Vorfeld der Gemeinderatssitzung genau dieses Grundstück durch die Mitglieder des Gemeinderats besichtigen zu lassen, was aus der Ladung, in der lediglich von einer nicht näher konkretisierten „Ortseinsicht“ die Rede war, jedoch nicht hervorging.
94
Auch ist nicht erkennbar, weshalb die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit einer konkreteren Fassung des Tagesordnungspunkts entgegengestanden haben soll; denn es ist wohl unstreitig, ergibt sich aber jedenfalls aus dem Sitzungsprotokoll (Anlage K2) sowie aus den glaubhaften Angaben des ersten Bürgermeisters in seiner Anhörung durch den Senat, dass er bei der Ladung bereits wusste, dass es um den Erwerb des Grundstücks gehen sollte.
95
(c) Zwar kann nach dem oben (1) Ausgeführten ein Tagesordnungspunkt weniger konkret gefasst werden, wenn die Gemeinderatsmitglieder als Adressaten mit der Angelegenheit bereits vertraut sind und deswegen keine näheren Informationen benötigen, um sich sachgerecht auf die Sitzung vorzubereiten.
96
Hiervon ist der Senat jedoch vorliegend nicht überzeugt. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme haben sämtliche elf von der Beklagten als Zeugen benannten und vom Senat vernommenen Gemeinderatsmitglieder übereinstimmend bekundet, nicht gewusst zu haben, was mit dem Tagesordnungspunkt 4 und der in der Ladung einleitend erwähnten „Ortseinsicht“ gemeint gewesen sein sollte, insbesondere dass es dabei um die Beschlussfassung über den Erwerb eines Grundstücks gegangen sein könnte. Ferner haben alle Zeugen übereinstimmend angegeben, von der Besichtigung dieses Grundstücks überrascht gewesen zu sein und den Hintergrund dieser Besichtigung weder gekannt noch anlässlich derselben erfahren zu haben.
97
Die Angaben der Zeugen waren auch sämtlich glaubhaft. So haben einzelne von ihnen übereinstimmend Details berichtet, die ohne unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beweisthema standen, so der Zeuge L. und die Zeugin T., dass der dritte Bürgermeister E. bei der Besichtigung mit Blick auf die ganze Situation geäußert habe, dass die Gemeinderatsmitglieder doch keine „Schulbuben“ seien. Der Zeuge P. etwa hat auf die Frage, weshalb er, obwohl er nach eigenen Angaben mit dem ersten Bürgermeister nach Erhalt der Ladung zur Gemeinderatssitzung noch telefoniert hat, gleichwohl nicht zu dem Hintergrund des Tagesordnungspunkts 4 nachgefragt habe, glaubhaft angegeben, davon ausgegangen zu sein, dass der erste Bürgermeister von sich aus mehr mitgeteilt hätte, wenn er dies gewollt hätte. Dass der Zeuge offenbar keinen Sinn darin gesehen hat, näher nachzufragen, war für den Senat gut nachvollziehbar.
98
Der Senat hält die Angaben der Zeugen – entgegen der Beklagten – auch nicht allein deswegen für unglaubhaft, weil (so die Angaben des Zeugen P.) bereits eineinhalb Jahre zuvor einmal über den Erwerb des Grundstücks gesprochen worden sein mag; aus diesem Umstand allein könnte in keiner Weise dem Inhalt des in Rede stehenden Tagesordnungspunkts für die Gemeinderatssitzung vom 20.10.2022 irgendein Zusammenhang mit einer etwa (wieder) aktuell werdenden dahingehenden Debatte entnommen werden.
99
Soweit die Beklagte (weiterhin) hat behaupten wollen, die Gemeinderatsmitglieder hätten das Grundstück bereits am 14.10.2022, also knapp eine Woche vor der in Rede stehenden Gemeinderatssitzung, besichtigt, wäre dies durch die Angaben der Zeugen ebenfalls widerlegt, welche übereinstimmend und glaubhaft angegeben haben, die Besichtigung habe erstmals am 20.10.2022 stattgefunden.
100
Auch den Vortrag der Beklagten, den Gemeinderatsmitgliedern sei vor der Gemeinderatssitzung bereits ein Verkehrswertgutachten über das Grundstück überlassen worden, hat die Beklagte nicht bewiesen. Die Zeugen haben – auch insoweit übereinstimmend und glaubhaft – angegeben, vor der Sitzung keinerlei schriftliche Unterlagen über das Grundstück erhalten zu haben, sondern dass allenfalls erst in der Sitzung selbst etwas herumgereicht worden sei. Es bedarf keiner näheren Erörterung, ob es sich dabei (wie die Mehrheit der Zeugen in Erinnerung hatte) lediglich um ein Exposé der Makler oder (wie es die Zeugen M. und P. zumindest als möglich bezeichnet haben) doch um ein Verkehrswertgutachten gehandelt haben mag, weil eine Möglichkeit der Gemeinderatsmitglieder, sich vor der Sitzung eingehend mit den betreffenden Unterlagen zu befassen, jedenfalls nicht bestanden hat.
101
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Gemeinderatsmitglieder vor der Gemeinderatssitzung keine näheren Kenntnisse zum Gegenstand des betreffenden Tagesordnungspunkts hatten, so dass eine konkretere Fassung desselben auch nicht infolge ausreichender Vorbefassung unterbleiben durfte.
102
(d) Soweit es in Bezug auf in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Angelegenheiten als beanstandungsfrei angesehen wird, auf bestimmte Einzelheiten in der Tagesordnung zu verzichten und diese Informationen in einer Beschlussvorlage zu gewähren, bezieht sich dies lediglich auf die Umstände, die gerade das Bedürfnis nach einer nichtöffentlichen Sitzung begründen, etwa die Namensnennung von Personen (vgl. Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 46 Rn. 12). Selbstredend würde dies daher vorliegend nicht auch für den Umstand gelten, dass überhaupt über den Erwerb eines Grundstücks beraten und abgestimmt werden soll.
103
bb) Der hiernach gegebene Ladungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
104
(1) Ein Mangel der Ladung kann durch rügelose Einlassung des davon betroffenen Mitglieds geheilt werden, was jedoch grundsätzlich voraussetzt, dass dieses anwesend ist; bei einem alle Mitglieder betreffenden Mangel setzt dies folglich grundsätzlich auch die Anwesenheit (und rügelose Einlassung) aller Mitglieder voraus (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 47 R. 9a). Etwas anderes kann gelten, wenn die Abwesenheit einzelner Mitglieder aus persönlichen Gründen entschuldigt ist, weil sich der Mangel dann nicht auf die Beratung und Beschlussfassung ausgewirkt haben kann (Glaser a.a.O. Rn. 9b; BayVGH, Urteile vom 03.03.2006 – 26 N 01.593 Rn. 19 und vom 20.06.2018 – 4 N 17.1548 Rn. 41); dies wäre vorliegend wohl bei dem Gemeinderatsmitglied F. der Fall, der in seiner Zeugeneinvernahme angegeben hat, wegen einer Dienstreise in jedem Fall an der Teilnahme an der Gemeinderatssitzung verhindert gewesen zu sein. Mit Blick auf diese Ausnahmen greift die Argumentation des Landgerichts, das die Heilung schon wegen der Abwesenheit zumindest eines Mitglieds verneint, ohne die Hinterbeziehungsweise Beweggründe hierfür in den Blick zu nehmen, etwas zu kurz.
105
(2) Nach Ansicht des Senats spricht viel dafür, an eine Heilung durch rügelose Einlassung in Abhängigkeit vom Beratungs- und Beschlussgegenstand gegebenenfalls nicht nur formale Anforderungen (Anwesenheit und unterbliebene Rüge) zu stellen, sondern darüber hinaus zu fordern, dass die Gemeinderatsmitglieder in der konkreten Situation zumindest die Möglichkeit haben müssten, die Tragweite der Entscheidung, die sie treffen, einzuschätzen. Denn die oben herausgearbeiteten Vorgaben für die Ladung mit Angabe der Tagesordnungspunkte sollen gerade der Sicherung einer fehlerfreien Willensbildung und der Vermeidung übereilter Entscheidungen dienen. Haben die Gemeinderatsmitglieder augenblicklich, zumal unter dem Eindruck einer vom ersten Bürgermeister betonten besonderen Dringlichkeit, rein tatsächlich praktisch keine Gelegenheit, den Gegenstand der Beschlussfassung und deren Folgen ausreichend zu überblicken und zu überdenken, dürfte auch eine ausbleibende Rüge eines diesbezüglichen Ladungsmangels nicht ohne Weiteres zu dessen Heilung führen.
106
(3) Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an.
107
Denn bereits die Abwesenheit des weiteren Gemeinderatsmitglieds D. steht hier einer Heilung des Beschlussmangels durch rügelose Einlassung entgegen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat, wie bereits dargestellt, davon überzeugt, dass den Gemeinderatsmitgliedern zum Gegenstand der vorliegend in Rede stehenden Beratung und Abstimmung nichts über den Inhalt der Ladung wesentlich Hinausgehendes bekannt war. Dafür, dass dies in Bezug auf D. anders gewesen sein könnte als bei den übrigen, als Zeugen vernommenen Gemeinderatsmitgliedern, ist nichts ersichtlich (der Senat war gehindert, auch ihn als Zeugen zu befragen, weil die Beklagte ihn nicht benannt hat). Auch ist nach dem Parteivortrag und dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Grund ersichtlich, aus dem ihm eine Teilnahme an der Sitzung ohnehin unmöglich gewesen wäre oder aus dem er ohne Rücksicht auf den Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung auf eine Teilnahme verzichtet hätte. Er hat sich mit der Begründung von der Teilnahme an der Sitzung vom 20.10.2022 entschuldigt, dass er den anderweitigen Termin (mit dem T.) „vorziehe“, und um Verständnis hierfür gebeten (zweite Anlage „K8“, vorgelegt mit Schriftsatz vom 11.06.2024). Für den Senat steht indessen nicht fest, dass D. selbst bei näherer Kenntnis von den Hintergründen des Tagesordnungspunkts 4 seiner sich aus Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO ergebenden grundsätzlichen Verpflichtung zur Teilnahme an der Gemeinderatssitzung ebenfalls nicht nachgekommen wäre. Die hiernach verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten der Beklagten, die für Umstände, aus denen sich eine Heilung des Ladungsmangels ergäbe, darlegungs- und beweisbelastet ist. Dass seine Stimme angesichts des Abstimmungsergebnisses von 9 zu 2 Stimmen rein rechnerisch nicht entscheidend war, ist dabei unerheblich, denn hätte er sich für eine Teilnahme an der Sitzung entschieden, hätte er durch entsprechende Argumentation Einfluss auf die dem Beschluss vorausgehende Meinungsbildung des Gemeinderats nehmen können, so dass das Ergebnis der Beschlussfassung möglicherweise anders ausgefallen wäre.
108
cc) Beschlüsse des Gemeinderats sind unwirksam, wenn die wesentlichen gesetzlichen Voraussetzungen für ihr ordnungsgemäßes Zustandekommen (Art. 45 bis 47, 49, 52 GO) nicht eingehalten wurden und der Fehler auch nicht geheilt worden ist (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 51 Rn. 32; Jung, in: BeckOK, KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 47 GO Rn. 20). Dies ist nach dem oben Ausgeführten vorliegend der Fall. Würde man demgegenüber der von der Beklagten geäußerten Ansicht folgen, dass sich eine Gemeinde nicht auf die Nichtigkeit eines Beschlusses berufen kann, wenn diese auf Gründen beruht, die sich nicht aus der Sitzungsniederschrift ergeben, könnte die Gemeinde Ladungsmängel praktisch nie geltend machen, was zumindest in dieser Allgemeinheit nicht richtig sein kann. Der Senat versteht auch die von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte Kommentarstelle (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 38 Rn. 4) nicht in diesem Sinne, sondern dahingehend, dass diese sich auf die Unrichtigkeit einer erteilten Ausfertigung bezieht, in der etwa ein tatsächlich nicht gefasster Beschluss beurkundet wird; dies betrifft also die Reichweite der Beweiskraft der Niederschrift beziehungsweise des Beschlussbuchauszugs als öffentliche Urkunde, um die es vorliegend jedoch nicht geht, weil der Gemeinderatsbeschluss unstreitig tatsächlich und auch mit dem beurkundeten Inhalt gefasst worden ist.
109
dd) Auch durch die Genehmigung der Sitzungsniederschrift konnte der Mangel nicht geheilt werden. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass die Niederschrift allein der Dokumentation dient (vgl. Jung, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 54 GO Rn. 1a) und dass deswegen mit ihrer Genehmigung keine Entscheidung über die Wirksamkeit von Beschlüssen einhergehen kann.
110
b) Aus der Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses folgt, dass der erste Bürgermeister bei der im Namen der Klägerin erklärten Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung in der streitgegenständlichen notariellen Urkunde ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.
111
aa) Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO ist die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach außen auf den Umfang seiner Befugnisse (im „Innenverhältnis“) beschränkt. Handelt es sich um keine laufende Angelegenheit im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO, bedarf es für die Begründung der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters daher eines entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses.
112
(1) Ist ein Gemeinderatsbeschluss, der die Willensbildung zu einem Rechtsgeschäft des bürgerlichen Rechts oder eine Prozesshandlung zum Gegenstand hat, unwirksam, tritt regelmäßig schwebende Unwirksamkeit ein, die durch Nachholung eines (ordnungsgemäßen) Beschlusses geheilt werden kann; bei einem einseitigen Rechtsgeschäft tritt regelmäßig Nichtigkeit ein (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 51 Rn. 33).
113
(2) Dies gilt nach der dazu ergangenen Rechtsprechung zumindest jedenfalls unzweifelhaft dann, wenn ein Gemeinderatsbeschluss gänzlich fehlt oder der erste Bürgermeister die sich aus einem solchen Beschluss ergebende Befugnis überschreitet.
114
(3) Der Senat sieht auch keinen Anlass, eine Vollstreckungsunterwerfungserklärung, bei der es sich nicht um eine bürgerlich-rechtliche Willenserklärung, sondern um eine Prozesshandlung handelt, in dieser Hinsicht anders zu beurteilen (vgl. hierzu allgemein Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 29 Rn. 25).
115
(4) Darüber hinaus ist der Senat der Auffassung, dass die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nicht nur dann fehlt, wenn ein Gemeinderatsbeschluss trotz dessen Erforderlichkeit gänzlich fehlt oder dieser das Handeln des ersten Bürgermeisters inhaltlich nicht umfasst, sondern auch dann, wenn ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss zwar ergangen ist, sich jedoch wie vorliegend aufgrund von Mängeln, etwa bei der Ladung, als fehlerhaft und infolgedessen unwirksam erweist.
116
(a) Teilweise wird dies in der Literatur mit dem Argument bezweifelt, dass dem Bürger damit nicht nur das Risiko für die Einhaltung der innergemeindlichen Kompetenzverteilung aufgebürdet werde, deren Feststellung mitunter bereits diffizile Abgrenzungen erfordere und einen tieferen Einblick in die wirtschaftlichen, sozialen, unter Umständen sogar in die gemeindepolitischen Verhältnisse voraussetze (Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 38 GO Rn. 8). Mit dem Erfordernis eines wirksamen Gemeinderatsbeschlusses würde dem Bürger darüber hinaus eine umfassende Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des Gemeinderatsbeschlusses abverlangt, und etwaige Fehler könnten von der Gemeinde noch Jahre später geltend gemacht werden. Die Problematik werde auch nicht dadurch maßgeblich entschärft, dass sich der Bürger eine Ausfertigung der Sitzungsniederschrift vorlegen lassen könne, die als öffentliche Urkunde formelle Beweiskraft hinsichtlich der Beschlussfassung durch den Gemeinderat entfalte, weil zum einen der Beweis des Gegenteils nicht ausgeschlossen werde (§ 415 Abs. 2, § 418 Abs. 2 ZPO) und zum anderen die Sitzungsniederschrift keine negative Beweiskraft entfalte, so dass der Gemeinde der Einwand, dass der Gemeinderatsbeschluss aus Gründen nichtig sei, die sich nicht aus der Sitzungsniederschrift ergeben, nicht abgeschnitten sei (Wernsmann/Neudenberger a.a.O.).
117
Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte sei fraglich, ob der Gesetzgeber tatsächlich beabsichtigt habe, die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auch in den Fällen zu beschränken, in denen zwar das für die interne Willensbildung zuständige Organ gehandelt habe, im Prozess der Willensbildung jedoch Fehler unterlaufen seien. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Bindung der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters an die eigenen Befugnisse ändere hieran nichts, zumal auch bei der Umsetzung rechtswidriger Gemeinderatsbeschlüsse von einem „Vollzug“ im Sinne von Art. 36 GO auszugehen sei (Wernsmann/Neudenberger a.a.O. Rn. 9).
118
(b) Der Senat folgt indessen der gegenteiligen Auffassung, wonach die Unwirksamkeit eines gefassten (erforderlichen) Gemeinderatsbeschlusses zum Fehlen der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters führt (vgl. Messerer, BayVBl 2019, 366, 369).
119
Mit der Einführung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO (§ 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Gesetze vom 22.03.2018) sollte die Beschränkung der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters im Außenverhältnis auf seine Kompetenzen im Innenverhältnis klargestellt werden (vgl. Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Vorbemerkung zu Art. 38 GO), und zwar in Reaktion auf Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs, die in Abweichung von der Sichtweise bayerischer Gerichte nach der damaligen gesetzlichen Regelung keine Grundlage für eine solche Beschränkung der Vertretungsmacht im Außenverhältnis sahen.
120
Im Gesetzentwurf vom 06.12.2016 (berichtigte Landtags-Drucksache 17/14651) wird unter „Lösung“ in diesem Zusammenhang angeführt.
„Klarstellung des Umfangs der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters, des Landrats, des Bezirkstagspräsidenten und des Verbandsvorsitzenden anlässlich aktueller Rechtsprechung des BGH"
121
In der Begründung heißt es weiter (a.a.O. S. 17):
„Mit der Neuregelung wird klargestellt, dass dem ersten Bürgermeisters [sic!] durch Art. 38 Abs. 1 keine umfassende Vertretungsmacht im Außenverhältnis eingeräumt wird, sondern die Vertretungsmacht vielmehr auf seine Befugnisse – insbesondere auf die Bereiche seiner eigenen Zuständigkeit nach Art. 37 und den Vollzug von Beschlüssen des Gemeinderats nach Art. 36 – beschränkt ist (vgl. Drs. 2/1140 Seite 35; BayVerfGH, E.v. 29.2.1972 – Vf. 85-V-70 – VerfGH, 25, 27, 43; BayObLG, B.v. 15.1.1997 – 3Z BR 153/96 – m.w.N.; BayVGH, B.v. 27.5.2014 – 15 ZB 13.105 – m.w.N.). Diese Klarstellung ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, B.v. 18.3.2016 – V ZR 266/14) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG, B.v. 22.8.2016 – 2 AZB 26/16), welche von einer umfassenden Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters ausgehen, erforderlich“
122
Der bayerische Gesetzgeber hat mit dieser neu aufgenommenen Regelung nach Einschätzung des Senats jedenfalls die Bedeutung der ordnungsgemäßen Willensbildung innerhalb der Gemeindeorgane bekräftigt. Es kann nicht angenommen werden, dass er dies für den Fall einer durch den Gemeinderat dem ersten Bürgermeister zwar inhaltlich erteilten Ermächtigung für ein Handeln nach außen, die aber aufgrund formeller Fehler nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, relativiert sehen wollte.
123
Die auch von der oben (a) dargestellten abweichenden Ansicht betonte Bedeutung des Schutzes der Zuständigkeit des Gemeinderats vor Übergriffen durch den ersten Bürgermeister (Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 38 GO Rn. 9) spricht nach Auffassung des Senats gerade für die von ihm vertretene Sichtweise: Dieser Gedanke kommt nämlich gleichermaßen im Falle eines fehlenden wie auch eines zwar gefassten, aber unwirksamen Gemeinderatsbeschlusses zum Tragen. Andernfalls könnte ein erster Bürgermeister, der ein bestimmtes Vorhaben durchsetzen will oder – beispielsweise – meint, es aufgrund von ihm gegenüber geäußerten (partei-)politischen Standpunkten durchsetzen zu sollen, dessen Zustimmung durch den Gemeinderat er sich aber nicht sicher ist, die Tagesordnung bewusst vage halten, um dann die (anwesenden) Gemeinderatsmitglieder gewissermaßen zu „überrumpeln“, indem er – etwa unter Hinweis auf eine besondere Dringlichkeit – erst in der Sitzung überraschend einen entsprechenden Beschlussvorschlag unterbreitet. Gerade der vorliegende Fall verdeutlicht, dass – ohne dass der Senat die Motive für das Vorgehen des ersten Bürgermeisters im Einzelnen kennen würde oder zu bewerten hätte – die Gemeinderatsmitglieder in einer solchen Situation möglicherweise einen Beschluss fassen, dessen Tragweite sie erst im Nachhinein überblicken können. Wie bereits oben im Zusammenhang mit der Frage nach der Heilung durch rügelose Beteiligung an der Abstimmung angeführt, würde es dem Anliegen des Gesetzgebers, die Willensbildung des Gemeinderats vor übereilten Entscheidungen und einem eigenmächtigen Handeln des ersten Bürgermeisters widersprechen, wenn auf diese Weise zustande gekommene Gemeinderatsbeschlüsse die Gemeinde gleichwohl binden würden.
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bb) Dies zugrunde gelegt, ist vorliegend von einer fehlenden Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auszugehen. Die damit unwirksame Vertretung der Klägerin ist auch nicht durch eine nachträgliche Genehmigung wirksam geworden, wobei es keiner Entscheidung bedarf, ob bei einer Prozesserklärung wie der vorliegend in Rede stehenden Vollstreckungsunterwerfungserklärung insoweit Besonderheiten zu beachten wären. Denn jedenfalls hat der Gemeinderat eine solche Genehmigung nicht erteilt. Der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, worauf die Beklagte in diesem Zusammenhang mit ihrer Argumentation abzielen will, dass ein Gemeinderatsbeschluss, mit dem die Genehmigung des Handelns des ersten Bürgermeisters abgelehnt wurde, unwirksam gewesen sei (insbesondere wegen des Unterbleibens der Mitwirkung des Gemeinderatsmitglieds R. trotz möglicherweise nicht vorliegender Voraussetzungen einer fehlenden Stimmberechtigung). Denn selbst wenn man diesen Beschluss als unwirksam ansähe, wäre damit umgekehrt keinesfalls die Genehmigung erteilt.
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cc) Ein hiernach anzunehmender Mangel der Vertretungsmacht kann nach Auffassung des Senats jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht durch die Grundsätze der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht überwunden werden. Der Klägerin ist es also unter diesem Gesichtspunkt nicht verwehrt, sich auf den Mangel der Vollmacht zu berufen.
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(1) Zwar finden die Grundsätze über die Duldungsbeziehungsweise Anscheinsvollmacht prinzipiell auch gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung. Jedoch dürfen diese nicht dazu dienen, den im öffentlichen Interesse des Schutzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und ihrer Mitglieder bestehenden Vertretungsregeln im Einzelfall jede Wirkung zu nehmen und einer Verpflichtungserklärung, bei der die Vertretungsmacht von Gesetzes wegen an die Beachtung gewisser Förmlichkeiten gebunden ist und diese missachtet worden sind, trotzdem bindende Wirkung beizumessen (Glaser, in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 34. EL Januar 2024, Art. 38 Rn. 5, vgl. auch Wernsmann/Neudenberger, in: BeckOK KommunalR Bayern, 24. Ed. 01.11.2024, Art. 38 GO Rn. 13).
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Denn diese Grundsätze sind letztlich eine Ausprägung des – auch im öffentlichen Recht geltenden – Prinzips von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Dass sich die Gemeinde auf Fehler bei der Willensbildung ihrer Organe, insbesondere auf eine Beeinträchtigung der Mitwirkungsrechte des Gemeinderats, beruft, ist indessen nicht ohne weiteres, das heißt ohne Hinzutreten weiterer Umstände, treuwidrig. Solche Umstände wären insbesondere nicht allein darin zu sehen, dass die Entscheidung des Gemeinderats, eine derartige Beeinträchtigung geltend zu machen, auf einer nachträglichen Änderung der Meinung der Gemeinderatsmitglieder beruhen sollte. Denn die Gemeinde würde sich (durch ihre Gemeinderatsmitglieder) in diesem Fall gerade auf diejenigen Vorschriften berufen, die eine ausreichende Vorbereitung auf die Beratung und Beschlussfassung und die Vermeidung übereilter Entscheidungen infolge unzureichender Vorbereitung gewährleisten sollen, was für sich betrachtet keinesfalls als rechtsmissbräuchlich angesehen werden könnte.
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(2) Der Senat verkennt nicht, dass der Einwand der Beklagten, dass es einem potenziellen Vertragspartner der Gemeinde im Einzelfall praktisch unmöglich sein kann, die Rechtmäßigkeit des Beschlusses zu überprüfen, nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist. Jedoch sind die für den Vertragspartner damit verbundenen Risiken aus den bereits angeführten Gründen (Wahrung der Rechte des Gemeinderats; Vermeidung übereilter Entscheidungen) grundsätzlich hinzunehmen, und zwar unabhängig davon, inwiefern die Beklagte den Ausgleich eines ihr aufgrund fehlerhaften Handelns der Gemeindeorgane entstandenen Schadens gegebenenfalls im Nachhinein – etwa durch die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen – erreichen könnte. Aus der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 21.10.1974 (BayObLGZ 1974, 374) ergibt sich jedenfalls nichts anderes; diese hatte einerseits die vorliegend nicht maßgebliche Frage zum Gegenstand, wie der erste Bürgermeister dem Grundbuchamt gegenüber seine Vertretungsmacht durch Vorlage von Urkunden nachweisen kann, und betraf andererseits die Abgrenzung von Geschäften der laufenden Verwaltung einerseits und dem Gemeinderat vorbehaltenen Angelegenheiten andererseits.
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dd) Auch aus sonstigen Umständen des vorliegenden Falls ist kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, das Berufen der Klägerin auf die Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses und den daraus folgenden Mangel der Vertretungsmacht als treuwidrig anzusehen. Zwar kann dies in Ausnahmefällen in Betracht kommen, allerdings nur, wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragsgegner zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen und ein notwendiger Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist. Vorliegend ist derartiges nicht zu erkennen, da der Beklagten im Ergebnis allein die Vollstreckung des Kaufpreises zu verwehren ist und ihr möglicherweise ein finanzieller Schaden entsteht, weil das Grundstück in der Zwischenzeit an Wert verloren haben könnte.
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Der Senat sieht sich veranlasst, den Tenor des angefochtenen Urteils zu berichtigen, weil die notarielle Urkunde, aus der die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären ist, im Endurteil des Landgerichts – offensichtlich aufgrund eines Versehens der Klägerin bei der Formulierung des Klageantrags im Zusammenhang mit der Umstellung der Bezeichnung von „Urkundenrollennummer“ in „Urkundenverzeichnisnummer“ (vgl. § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 3 NotAktVV) – fehlerhaft bezeichnet worden ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision ist zuzulassen.
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1. Die Rechtssache hat wegen – nach Einschätzung des Senats – bislang höchstrichterlich nicht geklärter Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Jedenfalls die Frage, wie es sich auf die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auswirkt, wenn zu einem in die Zuständigkeit des Gemeinderats fallenden Geschäft zwar ein den ersten Bürgermeister zu entsprechendem Handeln ermächtigender Gemeinderatsbeschluss vorliegt, sich dieser jedoch als fehlerhaft und damit unwirksam erweist, scheint bislang durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beziehungsweise des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht abschließend entschieden worden zu sein. Auch die Voraussetzungen dafür, wann ein Ladungsmangel durch rügelose Einlassung aller anwesenden Gemeinderatsmitglieder geheilt werden kann, wenn einzelne Gemeinderatsmitglieder nicht anwesend sind, scheint nach der Einschätzung des Senats klärungsbedürftig.
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2. Zuständiges Revisionsgericht ist nach § 8 EGGVG in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 AGGVG das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Entscheidung über die Revision im Wesentlichen von der Auslegung von Landesrecht des Freistaats Bayern abhängt.