Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.03.2025 – M 1 SN 25.993
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz, Nachbar, Schweinemastbetrieb, Unbestimmtheit der Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht, Schädliche Umwelteinwirkungen, Gebot der Rücksichtnahme, Betreiberpflichten

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BImSchG § 3 Abs. 1
BImSchG § 22 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Nachbar, Schweinemastbetrieb, Unbestimmtheit der Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht, Schädliche Umwelteinwirkungen, Gebot der Rücksichtnahme, Betreiberpflichten
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6354

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 4. Juni 2024 (M 1 K 24.3098) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Anbau eines Tierwohlmastschweinestalls an einen bestehenden Mastschweinestall.
2
Die Antragstellerin, welche ein Recyclingunternehmen betreibt, ist (Mit-)Eigentümerin der FlNrn. 1661/2, 1661/3 und 1663, Gemarkung … Auf der sich nicht im Eigentum der Antragstellerin befindlichen FlNr. 1666/1 befindet sich ein Büro- und Verwaltungsgebäude des Unternehmens. Für die FlNr. 1661/2 verfügt die Antragstellerin nach ihren Angaben über einen bestandskräftigen Bescheid zur Errichtung von Wohnungen für Betriebsangehörige.
3
Westlich der Grundstücke der Antragstellerin liegt das Baugrundstück, FlNr. 1668, Gem. …, das mit einem von der Beigeladenen betriebenen Mastschweinestall mit 600 Mastplätzen bebaut ist. Östlich des Grundstücks der Antragstellerin liegt ein weiterer, ebenfalls von der Beigeladenen betriebener Schweinestall mit 830 Mastplätzen (Althofstelle). Dieser Schweinestall ist mit Biofiltern ausgestattet.
4
Die Anwesen der Antragstellerin liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 19 der Gemeinde … „Sondergebiet Abfallverwertung …“ vom 9. September 2022 (im Folgenden: Bebauungsplan). Der Bebauungsplan weist u.a. auf den FlNrn. 1666/1 und 1661/2 (gegenwärtiger Grundstückszuschnitt, der Bebauungsplan geht von teilweise verschmolzenen FlNrn. aus) ein „Sondergebiet 2“ aus, in dem in festgelegten Bauräumen u.a. 30 Wohneinheiten für Betriebsinhaber, dem Betrieb zugeordnete Aufsichtspersonen und Betriebszugehörige mit Familien errichtet werden können. Die Gebäude sind nach den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Schutz vor Staub und Geruch so zu errichten, dass Fenster und Lüftungsöffnungen von schutzbedürftigen Räumen nach Osten orientiert sind. An der Nord- und Südfassade dürfen Lüftungsöffnungen/Fenster zu schutzbedürftigen Räumen zudem erst ab einer Höhe von 7 m über Gelände zu öffnen sein. Im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans wurde am 27. März 2020 ein immissionsschutztechnisches Gutachten zur Luftreinhaltung durch die H … & P … Sachverständige PartGmbB (im Folgenden: H … & P …) unter Verwendung einer messtechnisch ermittelten Windrose erstellt, wonach aufgrund der bereits vorhandenen Schweineställe sowie einer Biogasanlage der Beigeladenen auf der FlNr. 1669 an den nach dem Bebauungsplan zulässigen Fenstern/Lüftungsöffnungen der Wohngebäude bis zu 20% Geruchsstundenhäufigkeit prognostiziert wurden.
5
Mit am 1. Dezember 2022 beim Antragsgegner (Landratsamt …) eingegangenem Bauantrag beantragte die Beigeladene den „Anbau eines Tierwohlmastschweinestalles an den bestehenden Mastschweinestall“ nach PlanNr. … Vorgesehen war die Reduzierung des Bestandsstalles um 150 Mastplätze auf 450 Mastplätze und die Errichtung eines Anbaus als Tierwohlstall mit 300 Mastplätzen (vgl. Baubeschreibung: „Neuer Bestand nach Fertigstellung der Baumaßnahme“). Dem Bauantrag beigefügt waren Bauzeichnungen vom November 2022, wonach die Lüftung des Stalls als „Schwerkraftlüftung“ erfolgen sollte („Schnitt A-A“).
6
Die Gemeinde … erteilte mit Beschluss vom 29. November 2022 unter der Annahme, dass der Antragsgegner die „Immissions- bzw. Emissionskontingente“ der Bauleitplanung prüfe, das Einvernehmen.
7
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2022 forderte der Antragsgegner von der Beigeladenen die Beibringung eines lufthygienischen Gutachtens, da die maximal mögliche Geruchsbelastung von 20% Geruchsstundenhäufigkeit gemäß dem Gutachten von H … & P … bereits ausgeschöpft sei.
8
Mit Mail vom 7. Februar 2024 reichte die Beigeladene eine geänderte Stallplanung, welche vom AELF erstellt worden war, ein. Danach sollte auch der bestehende Mastschweinestall zum Tierwohlstall umstrukturiert werden. Das bestehende Abluftsystem über dem Altstall sollte geschlossen und der Gesamtstall durch drei Abluftkamine mit Ventilatoren über First des Altstalles „zwangsentlüftet“ werden (vgl. „Schnitt A-A“). Nach der Beschreibung sollte die Zuluft im vorhandenen Mastschweinestall über „Spaceboard (fixiert); evtl. Ersatz durch Windnetz fixiert, doppelt ausgeführt mit zweiter „Haut“ (variabel) als geschlossene Folie“ erfolgen. Bei dem gewählten Entlüftungssystem handele es sich nicht um eine „klassische Zwangsentlüftung“, die Abluftführung durch die Abluftkamine sei jedoch gewährleistet und der Charakter eines Außenklimastalls bleibe erhalten.
9
Nachdem das vom Antragsgegner beteiligte LfU Bayern fachliche Bedenken hinsichtlich der Abluftführung äußerte, teilte der Ersteller der geänderten Stallplanung des AELF dem Antragsgegner mit E-Mail vom 13. Mai 2024 mit, dass „eine zusätzliche zweite Haut in Form einer geschlossenen Folie nicht zwingend notwendig sei“ und eine unnötige Härte darstelle, zumal die fachlichen Bedenken seitens des LfU Bayern nicht belegbar seien. Mit E-Mail vom 17. Mai 2024 bestätigte er gegenüber dem Antragsteller auf Nachfrage, dass insgesamt trotz der Erhöhung des Mastschweinebestands von einer geringeren Immissionslast auszugehen sei. Mit der geplanten Maßnahme werde nach dem Stand der Technik für baurechtliche Anlagen in Bezug auf Luftreinhaltung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG [alles] unternommen, um Geruchsbelästigungen für die im Bebauungsplan festgesetzten Wohnungen auf dem Gelände der Antragstellerin zu vermeiden. Schädliche Umwelteinwirkungen würden durch die geplanten Maßnahmen auf ein Minimum beschränkt. Die geforderte 20%-ige Geruchsstundenhäufigkeit würde am Immissionsort nicht überschritten. Der E-Mail beigefügt war eine Berechnung, welche unter Verwendung einer synthetischen Windrose durchgeführt worden war, sowie eine Planübersicht, wonach die geplante Wohnbebauung außerhalb des Bereichs liegt, in dem eine Geruchsstundenhäufigkeit von 20% zu erwarten ist.
10
Aufgrund dieser Bestätigung erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen am 17. Mai 2024 ohne Einholung einer Immissionsprognose die Baugenehmigung zum „Anbau eines Tierwohlmastschweinestalls an den bestehenden Mastschweinestall.“ Bestandteil der Baugenehmigung seien die mit Prüfstempel und Nummer versehenen Bauvorlagen (Ziffer 1, Abs. 2). Die Baugenehmigung wurde mit Auflagen zum Immissionsschutz verbunden. U.a. wurde verfügt, dass der beantragte Tierwohlmastschweinestall für insgesamt 750 Tiere (Altstall plus Anbau) gemäß der mit E-Mail vom 7. Februar 2024 eingereichten Tekturplanung (AELF … … …) zu errichten und zu betreiben sei (701.1). Weitere Auflagen, die sich hinsichtlich der Luftreinhaltung ergeben könnten, insbesondere die Installation einer zweiten Haut (variabel) als geschlossene Folie an der westlichen Zuluftöffnung (derzeit Spaceboard) blieben vorbehalten (701.9). Der Baugenehmigung beigefügt und mit Prüfstempel vom 17. Mai 2024 versehen waren die im November 2022 eingereichten, unveränderten Pläne nach PlanNr. …, in denen die Entlüftung als Schwerkraftlüftung über dem Altstall dargestellt ist.
11
Hiergegen erhob die Antragstellerin am ... Juni 2024 Anfechtungsklage (M 1 K 24.3098), über die bisher noch nicht entschieden worden ist.
12
Mit am 18. Februar 2025 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom … Februar 2025 beantragt sie:
13
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes … vom 17.05.2024, Az. … wird angeordnet.
14
Gegenstand der Genehmigungsunterlagen sei nicht der tiergerechte Ausbau eines Altstalles mit Anbau, sondern der Anbau eines Tierwohlmastschweinestalles an einen bestehenden Mastschweinestall. Im Zuge der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für das Recyclingunternehmen der Antragstellerin seien mehrfach immissionsschutztechnische Gutachten – u.a. zu den Geruchsemissionen aus dem benachbarten Mastschweinebetrieb – eingeholt worden. Diese seien zum Ergebnis gekommen, dass die zulässigen Geruchsemissionswerte an dem Büro- und Verwaltungsgebäude auf der Fl.Nr. 1666/1 nur knapp eingehalten seien, im Fall der Realisierung der nunmehr zugelassenen Erweiterung aber überschritten würden. Von dem Vorhaben gingen schädliche Umwelteinwirkungen aus, da die Wohn- bzw. Bürogebäude der Antragstellerin unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen ausgesetzt würden. Die TA-Luft enthalte verbindliche Vorgaben für die Feststellung und Beurteilung von Geruchsemissionen. Eine entsprechende Ermittlung fehle, insbesondere ein lufthygienisches Gutachten. Die Geruchseinwirkungen seien auch nach § 22 Abs. 1 BImSchG nicht zumutbar. Schädliche Geruchseinwirkungen durch Mastschweineställe könnten, soweit sie nach dem Stand der Technik (entsprechende Abluftreinigungsanlagen) nicht vermeidbar seien, jedenfalls durch Einhaltung ausreichender Schutzabstände zu benachbarter schützenswerter Bebauung vermieden werden. Anhaltspunkte, die hier eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, habe der Antragsgegner nicht festgestellt. Selbst wenn der Tierwohlstall in der gegebenen Situation nicht ohne Geruchsbeeinträchtigungen für die Antragstellerin errichtet werden könne, bedürfe es einer umfassenden Abwägung zwischen dem Aufwand für Abwehrmaßnahmen einerseits und dem Interesse der Nachbarschaft andererseits. Hier fehle es nicht nur an einer solchen Abwägung, sondern es seien schon die zugrundeliegenden Feststellungen nicht getroffen worden. Im Hauptsacheverfahren wurde eine Ergänzung zum immissionsschutztechnischen Gutachten vom 27. März 2020 vom 21. November 2022 vorgelegt, wonach mit höheren Geruchsemissionen an den geplanten Mitarbeiterwohnungen zu rechnen sei. Des Weiteren wurde eine Ausbreitungsberechnung der Gutachter H … & P … vom 12. Juni 2024, der gemessene Winddaten zugrunde gelegt wurden, zu dem Vorhaben mit drei Abluftkaminen vorgelegt, wonach eine Überschreitung der Immissionswerte von 20% an den Ostfassaden der geplanten Wohngebäude in 0 bis 3 m Höhe und an den Nordfassaden und Teilen der Ost- und Südfassaden in 7 bis 9 m Höhe prognostiziert wird.
15
Da die Beigeladene zwischenzeitlich mit den Bauarbeiten begonnen habe, beantragte die Antragstellerin weiterhin, vorläufig per Zwischenverfügung anzuordnen, dass die Beigeladene einstweilen – bis zur Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – die Durchführung von Baumaßnahmen zu unterlassen habe. Diesen Antrag auf Zwischenentscheidung hat das Gericht mit Beschluss vom 21. Februar 2025 abgelehnt, weil durch die Bauarbeiten keine irreversiblen Nachteile für die Antragstellerin zu erwarten seien, da sie nachbarliche Rechte in Bezug auf die genehmigte Nutzung, nicht jedoch in Bezug auf das Gebäude geltend mache.
16
Der Antragsgegner und die Beigeladene äußerten sich in der Sache nicht.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte (auch im Verfahren M 1 K 24.3098) und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
18
Der Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 4. Juni 2024 (M 1 K 24.3098) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
19
Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolgreich sein, so dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Interesse der Beigeladenen an der Vollziehung der Baugenehmigung überwiegt. Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist in nachbarrechtlich relevanter Weise, insbesondere im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und verletzt daher Rechte der Antragstellerin, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 37 BayVwVfG i.V.m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst a BayBO, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB.
I.
20
Der Antrag ist zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass das streitgegenständliche Gebäude zwischenzeitlich (im Rohbau) fertiggestellt bzw. die Nutzung aufgenommen wurde, was ggf. das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag entfallen lassen könnte (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 18; B.v. 8.4.2014 – 9 CS 13.2007 – juris Rn. 18).
II.
21
Den Maßstab für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bildet in erster Linie die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs der Hauptsache.
22
1. Nach § 212a BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die einem anderen erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Gericht daher gem. § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, wenngleich nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 15 CS 23.142 – juris Rn. 24 m.w.N.).
23
2. Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die einem Dritten erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn diese rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind und die im einschlägigen Genehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Hier kommen nachbarliche Abwehransprüche auf der Grundlage des einfachgesetzlich in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerten Gebots der Rücksichtnahme in Betracht.
III.
24
Im vorliegenden Fall ergibt sich nach der im Eilverfahren gebotenen, regelmäßig aber auch ausreichenden summarischen Prüfung, dass die Antragstellerin durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt wird. Der streitgegenständlichen Baugenehmigung kann weder der Genehmigungsgegenstand mit hinreichender Bestimmtheit entnommen werden, noch ist überprüfbar, ob die (auch) zum Nachbarschutz getroffenen Auflagen zum Immissionsschutz geeignet sind bzw. ausreichen, um Nachbarrechte zu schützen. Die Auswirkungen des Vorhabens hinsichtlich der (noch zumutbaren) Immissionen können nicht beurteilt werden.
25
1. Das Vorhaben des Beigeladenen liegt (unstreitig) im Außenbereich, so dass Drittschutz nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB in Betracht kommt.
26
Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB darf das Vorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen zulasten der Nachbarschaft hervorrufen. Dieses Erfordernis stellt eine besondere gesetzliche Ausformung des Gebots der Rücksichtnahme, wenn auch eingeschränkt auf Immissionskonflikte, dar (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – NVwZ 1994, 686). Welche Anforderung das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 25.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22). Zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots wird hier auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen. Die Zumutbarkeitsschwelle wird grundsätzlich überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse erheblich i.S. von § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind (BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 9 CS 21.119 – juris Rn. 15).
27
Auf Seiten der Antragstellerin ist auf die genehmigte bzw. durch Bebauungsplan festgesetzte Wohnnutzung abzustellen, soweit sich die Baufenster auf der FlNr. 1661/2, welche im Eigentum der Antragstellerin steht, befinden und der Bebauungsplan eine Befensterung der Fassaden gestattet. Die bereits erteilte Baugenehmigung bzw. die Überplanung des Grundstücks der Antragstellerin mit der damit einhergehenden Möglichkeit, im Rahmen des Genehmigungsfreistellungsverfahrens (Art. 58 BayBO i.V.m. § 30 BauGB) jederzeit ein den Vorgaben des Bebauungsplans entsprechendes Gebäude errichten zu können – im Rahmen der hier nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist von der Gültigkeit des Bebauungsplans auszugehen – sind schutzwürdige Positionen im Sinne des Rücksichtnahmegebots (vgl. etwa VGH BW, U.v. 22.9.1989 – 5 S 1373/89 – NVwZ-RR 1990, 233 zur Unzulässigkeit eines Viehstalls, da dessen Emissionen ein durch Bebauungsplan festgesetztes, aber noch nicht vorhandenes Wohngebiet belasten würden). Ohne Belang ist, dass die Nutzung auf dem Grundstück der Antragstellerin gegenwärtig noch nicht ausgeübt wird. Das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot gilt auch im Verhältnis zu unbebauten Grundstücken. Das folgt aus dem bodenrechtlichen Bezug des Bauplanungsrechts. Der Schutzanspruch eines Grundstückseigentümers bemisst sich nach der tatsächlichen und rechtlich möglichen Nutzung seines Grundstücks, also nach der vorgegebenen Grundstückssituation (VG München, U.v. 2.2.2010 – M 1 K 09.4726 – BeckRS 2010, 35510). Noch nicht verwirklichte Nutzungen genießen daher rechtlich Schutz soweit, als sie die im entscheidungserheblichen Zeitpunkt maßgebliche Situation bereits prägen, denn den eigentumsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießt ein Anspruch auf Zulassung einer Bebauung, der zu einem früheren Zeitpunkt entstanden sein muss und nicht mehr entschädigungslos entzogen werden kann (BayVGH, B.v. 24.3.2015 – 22 ZB 15.113 – juris Rn. 39 m.w.N.).
28
Dass das Grundstück der Antragstellerin selbst nicht im Außenbereich, sondern im überplanten Gebiet liegt, ist ebenso unerheblich, da das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme nicht nur für Außenbereichsvorhaben untereinander gilt, sondern über Gebietsgrenzen hinweg wirkt und auch Eigentümern zugutekommt, deren Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans i.S. des § 30 BauGB liegen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – NVwZ 1994, 686).
29
2. Das Vorhaben ruft – wie sich unschwer anhand der Feststellungen des Gutachtens vom 27. März 2020, welches im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans gefertigt wurde, entnehmen lässt – aufgrund der Erweiterung einer bestehenden emittierenden Nutzung und der bereits vorhandenen Vorbelastung für die Umgebung eine Immissionskonfliktlage hervor. Bei der Überprüfung, ob in einer Immissionskonfliktlage ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, ist regelmäßig in einem ersten Schritt der Umfang der mit dem Vorhaben genehmigten Nutzung und deren Störpotential zu ermitteln. Ferner ist das Maß der Schutzwürdigkeit der betroffenen Grundstücke bzw. Nutzungen zu beurteilen. Schließlich ist die Baugenehmigung darauf zu überprüfen, ob die in ihr getroffenen Regelungen für die Gewährung des gebotenen Schutzniveaus ausreichen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2328 – juris Rn. 32, zur Immissionskonfliktlagen hinsichtlich des Lärmschutzes).
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Vorliegend lässt sich schon der Umfang der genehmigten Nutzung anhand der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen (auch bei Heranziehung der vorgelegten Behördenakten) nicht hinreichend ermitteln. Die Baugenehmigung ist daher in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Die Antragstellerin hat anhand der Genehmigung insbesondere keine Möglichkeit, zweifelsfrei festzustellen, ob durch die Zulassung des Vorhabens schädliche Umwelteinwirkungen auf ihr Grundstück einwirken und damit eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zu erwarten ist.
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2.1. Eine Baugenehmigung verletzt Rechte des Nachbarn, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen – etwa dem Gebot der Rücksichtnahme – unter Missachtung von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG unbestimmt ist und infolge dessen im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist. Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Der Nachbar muss insbesondere auch erkennen können, mit welchen Immissionen er zu rechnen hat und ob er gegebenenfalls schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – CS 15.1633 – juris Rn. 22). Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18). Zu einer Unbestimmtheit gelangt man allerdings nur dann, wenn sich der Aussagegehalt des Verwaltungsakts nicht durch Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19).
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2.2. Vorliegend ist die streitgegenständliche Baugenehmigung – auch nach Auslegung – inhaltlich unbestimmt.
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Laut Betreff erging sie für das Vorhaben „Anbau eines Tierwohlmastschweinestalles an den bestehenden Mastschweinestall“ nach PlanNr. … Bestandteil der Baugenehmigung sind nach deren Ziffer 1, Abs. 2 „die mit Prüfstempel und Nummer versehenen Bauvorlagen“. In den vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakten befinden sich zwei mit Prüfstempel vom 17. Mai 2024 und der PlanNr. … versehene Bauzeichnungen („Eingabeplan zum Anbau eines Tierwohlmastschweinestalles an den bestehenden Mastschweinestall“ und „Abstandsflächenplan zum Anbau eines Tierwohlmastschweinestalles an den bestehenden Mastschweinestall“). Diese datieren beide vom November 2022 und stellen zum einen die unveränderte Beibehaltung des Altstalles als herkömmlichen Stall (450 Tiere) mit einem hinzutretenden Anbau, der als Tierwohlstall ausgeführt wird (300 Tiere) sowie die Entlüftung von Altstall und Anbau als Schwerkraftlüftung über den First des Altstalls und First des Anbaus dar („Schnitt A-A“). Dem entspricht auch die mit dem Bauantrag eingereichte Baubeschreibung „neuer Bestand nach Fertigstellung der Baumaßnahme“.
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Dem gegenüber stehen die „Auflagen zum Immissionsschutz“. Diese haben einen einheitlichen Tierwohlmastschweinestall für insgesamt 750 Tiere, der aus umgestaltetem Altstall plus Anbau besteht – also ein gänzlich anderes Vorhaben – zum Gegenstand (vgl. Ziffer 701.1). Grundlage dieser Auflagen ist eine „geänderte Stallplanung“, welche mit E-Mail vom 7. Februar 2024 eingereicht wurde. Danach soll die vorhandene Firstentlüftung über dem Altstall und die geplante Firstentlüftung über dem Anbau geschlossen und die gesamte Abluft über drei Kamine mit Ventilatoren über den First des Altstalles geführt werden. Die zu dieser, vom Antragsgegner als „Tekturplanung“ bezeichneten Planung eingereichten Pläne („Schnittzeichnung A-A“) finden sich sowohl in der Baugenehmigungsakte, als auch in der „Akte Immissionsschutz“. Diese Bauzeichnungen wurden allerdings – im Gegensatz zu den Plänen vom November 2022 – weder mit einem Genehmigungsstempel noch einer PlanNr. versehen. Dieser Widerspruch lässt sich auch durch Auslegung nicht auflösen.
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Nach den Auflagen zum Immissionsschutz darf der „beantragte Tierwohlmastschweinestall für insgesamt 750 Tiere (Altstall plus Anbau)“ ferner nur gemäß der mit E-Mail vom 7. Februar 2024 eingereichten Tekturplanung (AELF … … …) errichtet und betrieben werden (Ziffer 701.1). Diese „Tekturplanung“ vom 7. Februar 2024 genügt jedoch selbst auch nicht den Anforderungen, welche in nachbarrechtlicher Hinsicht an die Bestimmtheit von Bauvorlagen zu stellen sind. Insbesondere bleibt die konkrete Ausgestaltung des Zu- und Abluftsystems, welches für die Beurteilung, ob die Nachbarschaft schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wird, relevant ist, unklar. So wird etwa die geplante Zuluftführung als „über Spaceboard (fixiert); evtl. Ersatz durch Windnetz fixiert, doppelt ausgeführt mit zweiter „Haut“ (variabel) als geschlossene Folie“ beschrieben. Wie die Zuluftführung schlussendlich erfolgen soll, ist angesichts der Formulierungen „eventuell“ und „variabel“ völlig unklar. Weiterhin ist in der Schnittzeichnung A-A ein Abluftkamin mit Ventilator mit der Erläuterung „2 m über First“ dargestellt, in der Beschreibung der Abluftführung wird die Höhe mit „ca. 2 m über First“ angegeben, in den weiteren Anmerkungen findet sich dagegen die Ausführung, dass „die Abluftkamine mindestens 1 m über First ihre Abluft abführen sollen“, sodass auch die Kaminhöhe nicht eindeutig geregelt ist.
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2.3. Darüber hinaus – und selbstständig tragend – ist die Baugenehmigung – selbst wenn man annehmen wollte, dass das Vorhaben nur entsprechend der „Tekturplanung“ ausgeführt werden darf – auch deswegen in nachbarrechtlicher Hinsicht unbestimmt, weil nicht feststellbar ist, ob die getroffenen Auflagen ausreichen, um sicherzustellen, dass die Antragstellerin keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt ist.
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2.3.1. Eine Baugenehmigung ist auch dann im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot und damit in nachbarrechtlich relevanter Weise unbestimmt, wenn nicht erkennbar ist, ob die getroffenen Nebenbestimmungen bei Umsetzung bzw. Ausübung der genehmigten Nutzung geeignet sind, den schützenswerten Belangen des Nachbarn ausreichend Rechnung zu tragen, d.h. die Immissionen wirkungsvoll auf ein zumutbares Maß zu begrenzen (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 8; VGH Kassel, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn. 5 ff.; VG München, U.v. 12.10.2020 – M 8 K 18.3809 – juris Rn. 35 ff; jeweils zur „bloßen Festlegung von Lärmgrenzwerten“). Für die Einhaltung der Verpflichtung, das Vorhaben so zu errichten und zu betreiben, dass von ihm keine das zulässige Maß überschreitenden schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, hat gemäß § 22 Abs. 1 BlmSchG die Baugenehmigungsbehörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu sorgen (VGH BW, U.v. 25.10.2002 – 5 S 1706/01 – BeckRS 2002, 162728 Rn. 39 m.w.N.). Sie hat bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer Anlage Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen und zu prüfen, in welchem Umkreis die Immissionen noch zumutbar sind. Sie ist verpflichtet, zugunsten eines Nachbarn bereits bei Erteilung der Baugenehmigung ggf. durch Auflagen in der Baugenehmigung, Beschreibungen und ähnlichem sicherzustellen, dass der Nachbar vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt wird. Auf solche Schutzauflagen hat der Nachbar einen Anspruch (vgl. BayVGH, U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris Rn. 28; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 40; B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 6; VG München, B.v. 13.8.2019 – M 8 SN 19.2706 – juris Rn. 53 m.w.N.). Es ist dabei grundsätzlich Sache des Bauherrn, im Genehmigungsverfahren durch eine prognostische Einschätzung, die in jedem Fall „auf der sicheren Seite“ liegen muss, den Nachweis zu erbringen, dass die zur Genehmigung gestellte Anlage die einschlägigen Zumutbarkeitskriterien einhält. Dies ist Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 6 und 10; diese zu schädlichen Umwelteinwirkungen, welche nach der TA Lärm beurteilt werden, entwickelten Grundsätze sind hier aufgrund der vergleichbaren Situation, insbesondere der Schutzwürdigkeit der Nachbarn, übertragbar).
38
2.3.2. Vorliegend fehlt es bereits an der erforderlichen Überprüfung entsprechend den Vorgaben von Anhang 7 TA Luft 2021 sowie an einer nachvollziehbaren prognostischen Einschätzung der mit dem Vorhaben einhergehenden schädlichen Umwelteinwirkungen. Daher kann offenbleiben, ob es daneben unter Anwendung der TA Luft 2021 auch erforderlich gewesen wäre, das gestattete Ausmaß der Immissionen durch Inhalts- und Nebenbestimmungen (Art. 36 BayVwVfG) im Bescheid selbst zum Schutz der Nachbarschaft festzulegen (vgl. hierzu OVG NW, B.v. 29.3.2018 – 2 B 1455/17 – GewA 2018, 446 sowie zu diesem Bestimmtheitserfordernis bei schädlichen Umwelteinwirkungen, die nach der TA Lärm beurteilt werden: VGH BW, B.v. 30.1.2019 – 5 S 1913/18 – juris Rn. 36f).
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2.3.3. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB stehen einem nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässigen Außenbereichsvorhaben öffentliche Belange unter anderem dann entgegen, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Die Vorschrift verweist, wie bereits ausgeführt, auf die Begriffsbestimmung der schädlichen Umwelteinwirkung in § 3 Abs. 1 BImSchG (BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 – 4 C 3/16 – NVwZ 2018, 509). Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
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Den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert für anlagenbezogene Geruchsimmissionen die hier maßgebliche Neufassung der TA Luft vom 18. August 2021. Anders als noch die TA Luft 2002 gibt die TA Luft 2021 nunmehr auch einen Maßstab in Bezug auf Geruchsimmissionen vor (vgl. VGH BW, B.v. 19.8.2024 – 10 S 232/24 – BeckRS 2024, 21268 Rn. 45). In die TA Luft 2021 sind wesentliche Teile der GIRL aufgenommen worden, Nr. 2.1 Satz 2 Buchst. c), Nr. 4.3.2 Abs. 2 TA Luft i.V.m. Anhang 7 TA Luft. Den bisherigen Vorgaben der GIRL kommt als Bestandteil der TA Luft nunmehr die Qualität einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift zu (BVerwG, B.v. 24.8.2023 – 7 B 5.23 – BeckRS 2023, 27725 Rn. 19), welcher auch im gerichtlichen Verfahren im Rahmen ihres Anwendungsbereichs eine zu beachtende Bindungswirkung zukommt (VGH BW, B.v. 19.8.2024 – 10 S 232/24 – BeckRS 2024, 21268 Rn. 45; VG Schleswig, B.v. 10.12.2024 – 8 B 25/24 – BeckRS 2024, 42382 Rn. 44). Der Schutz vor Immissionen ist im Bauplanungsrecht kein anderer und fällt nicht geringer aus als der Schutz vor Immissionen nach dem BImSchG. Die Anforderungen der TA Luft an den emittierenden Betrieb bestimmen daher zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und die – gemeinsame – Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt (BVerwG, U.v. 15.9.2022 – 4 C 3.21 – NVwZ 2023, 928). Als bloße Orientierungswerte entbinden die Wertungen der TA Luft 2021 allerdings nicht von der Verpflichtung, die Schwelle der Unzumutbarkeit von Geruchsbelästigungen nach Maßgabe der tatsächlichen und rechtlichen Schutzbedürftigkeit der aufeinandertreffenden Nutzungen im Einzelfall zu beurteilen (VGH BW, B.v. 19.8.2024 – 10 S 232/24 – BeckRS 2024, 21268 Rn. 49; vgl. auch Nr. 3.1 Abs. 7 des Anhangs 7 TA Luft 2021).
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Nicht (immissionsschutzrechtlich) genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind und nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden, § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (sog. Betreiberpflichten). Soweit eine Vermeidung von schädlichen Umwelteinwirkungen nach dem Stand der Technik nicht möglich ist, ist der Betreiber also verpflichtet, die schädlichen Umwelteinwirkungen „auf ein Mindestmaß“ zu beschränken. Die Beschränkung unvermeidbarer schädlicher Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß i. S. des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG bedeutet die Beschränkung auf ein unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Interessenausgleichs zumutbares Mindestmaß (BVerwG, U.v. 19.1.1989 – 7 C 77/87 – NJW 1989, 1291; Dirnberger in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Dezember 2024, Art. 66 Rn. 426). Nicht der Stand der Technik, sondern der Begriff des Mindestmaßes bestimmt also, wie weit die Nachbarschaft und die Allgemeinheit vor konkreten schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen sind (Heilshorn/Sparwasser in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2024, § 22 Rn. 48). Die Festlegung des Mindestmaßes verlangt als Zumutbarkeitsgrenze eine Güter- und Interessenabwägung (VGH BW, B.v. 19.08.2024 – 10 S 232/24 – BeckRS 2024, 21268 Rn. 66). Kann das der Nachbarschaft zumutbare Mindestmaß auch bei Einhaltung des Stands der Technik nicht erreicht werden, so darf das Vorhaben am gewählten Standort im vorgesehenen Umfang ohne weitere vorhabenbezogene, nichttechnische Schutzauflagen (etwa zeitliche Betriebsbeschränkungen) nicht genehmigt werden. Wird auch durch technische oder nichttechnische Maßnahmen nicht das Mindestmaß i.S. des § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 erreicht, ist der Anlagenbetrieb grundsätzlich zu unterlassen (Enders in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, Stand: 1.1.2025, § 22 Rn. 24).
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Nach Nr. 1 Abs. 6 Satz 1 TA Luft 2021 sollen, soweit im Hinblick auf die Pflichten der Betreiber von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 22 Abs. 1 BImSchG zu beurteilen ist, ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen vorliegen, die in Nr. 4 festgelegten Grundsätze zur Ermittlung und Maßstäbe zur Beurteilung von schädlichen Umwelteinwirkungen herangezogen werden. Nach Nr. 4.3.2 Abs. 1 Satz 1 TA Luft 2021 ist für Anlagen, von denen erfahrungsgemäß relevante Geruchsemissionen ausgehen können, eine Prüfung durchzuführen, ob der Schutz vor erheblichen Belästigungen durch Geruchsimmissionen gewährleistet ist; dabei dient die Richtlinie VDI 3886 Bl. 1 (Ausgabe September 2019) als Erkenntnisquelle. Nach Nr. 4.3.2 Abs. 2 TA Luft 2021 ist bei der Prüfung, ob der Schutz vor erheblichen Belästigungen durch Geruchsimmissionen sichergestellt ist, Anhang 7 heranzuziehen (vgl. VGH BW, B.v. 19.8.2024 – 10 S 232/24 – BeckRS 2024, 21268 Rn. 45).
43
2.3.4. In Anhang 7 TA Luft 2021 werden zur Beurteilung der Erheblichkeit von Geruchsimmission in Abhängigkeit von verschiedenen Nutzungsgebieten Immissionswerte als regelmäßiger Maßstab für die höchstzulässige Geruchsimmission festgelegt (Anhang 7 Nr. 1 TA Luft; Anhang 7 Nr. 3 Tabelle 22 TA Luft). Anhang 7 Nr. 3.1 Abs. 3 TA Luft sieht vor, dass es bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles möglich ist, Werte von 0,20 (Regelfall) bis 0,25 (begründete Ausnahme) für Tierhaltungsgerüche heranzuziehen. Zudem kann im Einzelfall, etwa in Gemengelagen, für die Beurteilung, ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen hervorgerufen werden, ein Vergleich der nach Anhang 7 zu ermittelnden Kenngrößen mit den in Tabelle 22 festgelegten Immissionswerten nicht ausreichend sein. Dann ist eine Abwägung der bedeutsamen Umstände des Einzelfalls erforderlich, um die Erheblichkeit der Geruchsbelästigung festzustellen (Anhang 7 Nr. 5 TA Luft 2021).
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Soweit die Beteiligten hiernach von einer Zumutbarkeit von 20% relativer Häufigkeit der Geruchsstunden (bezogen auf ein Jahr) an den durch Bebauungsplan ausgewiesenen Bauräumen für Wohngebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin ausgehen, ist dies im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Prüfung bei Berücksichtigung der Vorbelastung der Umgebung und der Lage im Bebauungsplangebiet „Sondergebiet Abfallverwertung“ nachvollziehbar, denn ob Belästigungen i.S. des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen (BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 – 4 C 19/90 – NVwZ 1993, 1184).
45
2.3.5. Eine nachvollziehbare (Einzelfall-)Prüfung anhand den Vorgaben der TA Luft 2021, insbesondere deren Anhang 7, durch eine konservative, auf der sicheren Seite liegende Immissionsprognose, die zum Gegenstand hat, ob der Schutz der Antragstellerin vor erheblichen Belästigungen durch Geruchsimmissionen durch die Baugenehmigung gewährleistet ist, ist den vorgelegten Behördenakten dagegen nicht zu entnehmen.
46
In der von der Antragstellerin vorgelegten Ausbreitungsberechnung der Gutachter H … & P … vom 12. Juni 2024 wird eine Überschreitung der Immissionswerte von 20% an den Ostfassaden der geplanten Wohngebäude in 0 bis 3 m Höhe und an den Nordfassaden und Teilen der Süd- und Ostfassaden in 7 bis 9 m Höhe prognostiziert. Hiervon sind – das zeigt ein Vergleich der beigefügten Ausbreitungsberechnung mit dem Bebauungsplan und den gegenwärtigen Flurgrenzen – teilweise auch die auf der sich im Eigentum der Antragstellerin befindlichen FlNr. 1661/2 liegende Teile der festgesetzten Bauräume, in denen Wohngebäude bzw. Fassaden mit Fenstern errichtet werden dürfen, betroffen. Die Antragstellerin hat damit ihrer Darlegungspflicht, dass sie durch die Baugenehmigung schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt sein könnte, Genüge getan, zumal sich in den vorgelegten Behördenakten nur rudimentäre Immissionsberechnungen finden.
47
Die Bestätigung des AELF vom 17. Mai 2024 dahingehend, dass mit der geplanten Maßnahme der Stand der Technik i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG eingehalten werde und dass schädliche Umwelteinwirkungen durch die geplanten Maßnahmen auf ein Minimum beschränkt würden, ist in diesem Zusammenhang unbehelflich, da sie nicht überprüfbar ist. Die unter Verzicht auf die (vollständige) Durchführung des Verfahrens nach der TA Luft 2021 bzw. das Beibringen einer Immissionsprognose durch den Betreiber abgegebene „Bestätigung“ ist vorliegend angesichts der gegebenen Immissionskonfliktlage keinesfalls ausreichend. Gleiches gilt für die Einschätzung, dass „insgesamt trotz der geringen Erhöhung des Mastschweinebestands von einer geringeren Emissionslast am Emissionsort auszugehen“ sei.
48
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der der „Bestätigung“ beigefügten Ausbreitungsrechnung. Diese ist nicht schlüssig und ersetzt keineswegs eine fachgutachterlich erstellte Prognose. Insbesondere fällt auf, dass das vom Antragsgegner im Genehmigungsverfahren beteiligte LfU Bayern den gewählten Ansatz, nur die Kamine als Emissionsquelle zu betrachten, mit der Begründung für unzutreffend ansieht, dass insbesondere bei hohen Windgeschwindigkeiten nicht ausgeschlossen werden kann, dass diffuse Emissionen aufgrund eines „Durchzugs“ auch aus den nicht geschlossenen Seitenwänden austreten (vgl. E-Mail vom 16.2.2024). Diese Bedenken erscheinen durchaus plausibel. Überdies erläutert die Ausbreitungsrechnung – trotz diverser fachlicher Diskussionen in den Immisionsschutz- und Bauakten hierzu – nicht, warum ihr eine synthetische Windrose zugrunde gelegt wurde, obschon eine „gemessene“ Windrose zur Verfügung gestanden hätte. Nach Anhang 2, Nr. 9.1 Abs. 4 Buchst b) TA Luft 2021 ist jedoch bei der Verwendung von Daten, die mit Hilfe von Modellen erzeugt wurden, die Eignung und Qualität der eingesetzten Modelle sowie die Repräsentativität des Datensatzes für den festgelegten Ort der meteorologischen Eingangsdaten nachzuweisen.
49
Ferner handelt es sich bei dem gewählten Abluftsystem bzw. bei dem Vorhaben nach den Ausführungen des Planers vom AELF „um ein nicht konventionelles Stallsystem“, für das „es keine belastbare Datengrundlage in der Literatur“ geben soll (Schreiben vom 28.3.2024). Vor diesem Hintergrund verwundert, wie gleichwohl bestätigt werden kann, dass dieses „nicht konventionelle System“ dem Stand der Technik entspricht und die schädlichen Umweltauswirkungen auf ein Mindestmaß begrenzt. Ebenso erschließt sich nicht, warum sich, wenn das Vorhaben bereits gegenwärtig den Stand der Technik einhalten sollte, der Antragsgegner weitere bereits im gegenwärtigen Genehmigungsverfahren ins Spiel gebrachte Maßnahmen („Installation einer zweiten Haut (variabel) als geschlossene Folie an der westlichen Zuluftöffnung“) bzw. Auflagen, die sich hinsichtlich der Luftreinhaltung ergeben könnten, vorbehielt (Auflage 701.9).
50
Überdies ist nicht nachvollziehbar, warum vorliegend das AELF und nicht die ebenfalls vom Antragsgegner in die Prüfung des Vorhabens mit einbezogene Fachbehörde LfU Bayern eine immissionsschutzrechtliche Beurteilung und Ausbreitungsberechnung erstellt hat. Die Aufgaben des AELF umfassen laut Verordnung über die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Ämterverordnung-LM – AELFV) vom 16. Juni 2005 (GVBl. S. 199) keinen Immissionsschutz. Eine nachprüfbare immissionsschutzrechtliche Fachkompetenz des Mitarbeiters des AELF, der die Bestätigung verfasste, ist den Behördenakten jedenfalls nicht zu entnehmen.
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IV. 1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.