Inhalt

VG München, Beschluss v. 25.03.2025 – M 1 S 25.446
Titel:

Erfolgloser Eilantrag der Standortgemeinde gegen Containeranlage für Flüchtlinge

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2, § 246 Abs. 12 S. 1 Nr. 1, Abs. 13a
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
GG Art. 28 Abs. 2
BV Art. 11 Abs. 2
Leitsätze:
1. Wenn die Behörde in ihrer Bescheidsbegründung keine oder keine ausreichende Ermessensentscheidung mitgeteilt hat, kann sich dennoch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gesicherte Erschließung ist auch bei Vorhaben in Gebieten mit qualifizierten Bebauungsplänen eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung, die die geordnete städtebauliche Entwicklung im Hinblick auf die Erschließung der Baugrundstücke gewährleisten soll. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Grundstückseigentümer eines widerrechtlich mit einer Leitung versehenen Grundstücks kann nicht in verbotener Eigenmacht sofort die vorhandenen Leitungen entfernen oder unterbrechen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilantrag einer Standortgemeinde, Errichtung einer Asylunterkunft, Befristete Baugenehmigung für 3 Jahre, Baugenehmigung, Containeranlage für Flüchtlinge, Standortgemeinde, Planungshoheit, Befreiung, Subsidiaritätsklausel, Ermessensentscheidung, Abwasserbeseitigung, gesicherte Erschließung, verbotene Eigenmacht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.08.2025 – 1 CS 25.677
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6352

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 7.500,00 festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin als Standortgemeinde wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner erlassene Baugenehmigung für den Neubau einer Containeranlage zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.
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Unter dem 3. Juni 2024 beantragte der Freistaat Bayern die Erteilung einer Baugenehmigung für den Bau zweier Wohnpavillons auf der FlNr. 1503 Gem. … (Vorhabengrundstück). Die Kapazität wurde mit 112 Betten angegeben. Auf drei Stockwerken sollen 8 (EG) bzw. je 10 (1. und 2. OG) Mehrbettzimmer entstehen, zusätzlich hierzu pro Stockwerk 3 Aufenthaltsräume und 4 Gemeinschaftswasch- und Toilettenräume.
3
Das Vorhabengrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12 „Sondergebiet … … …“ vom 16. November 1990. In der Gemeinde … gilt die Satzung über das abweichende Maß der Abstandsflächentiefe (Abstandsflächensatzung) vom 29. Januar 2021.
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Mit Schreiben vom 26. Juli 2024 hörte das Landratsamt die Antragstellerin, die mit Beschluss vom 18. Juni 2024 ihr Einvernehmen verweigert hatte, zur beabsichtigten Abweichung gemäß § 246 Abs. 12 BauGB an. Das Bauvorhaben halte verschiedene Festsetzungen des Bebauungsplans nicht ein. Über § 246 Abs. 12 BauGB könne jedoch für eine auf längstens 3 Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiungen auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar seien, was vorliegend gegeben sei.
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Mit Beschluss vom 6. August 2024 lehnte die Gemeinde das Einvernehmen zum geplanten Vorhaben erneut ab.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 2024 (BG- …0 / …*) erteilte der Antragsgegner auf Grundlage von §§ 30, 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens eine auf drei Jahre befristete Baugenehmigung zur Errichtung der Wohnpavillons (Buchst. A und C des Bescheids). Hierzu wurde unter anderem eine Befreiung der Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der Nutzung und der Lage außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen (Buchst. B des Bescheids) und eine Abweichung der erforderlichen Abstandsflächen nach Süden für das Gebäude 1 (Buchst. E des Bescheids) erteilt und verschiedene Auflagen festgesetzt (Buchst. G des Bescheids). Eine Befreiung von den Festsetzungen im Bebauungsplan hinsichtlich der Art der Nutzung und der Lage außerhalb der Baugrenzen könne erfolgen, weil die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Das gemeindliche Einvernehmen könne ersetzt werden, da die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den sich aus §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen dürfe. Eine solche Bezugnahme sei weder aus der Stellungnahme der Gemeinde zur Einvernehmensversagung noch aus dem Protokoll der Bauausschusssitzung ersichtlich. Mit Tekturbescheid vom 17. Dezember 2024 (BG- …9 / …*) wurde für die Auflage zur brandschutzrechtlich ordnungsgemäßen Bauausführung ein zeitlich neuerer Brandschutznachweis zugrunde gelegt.
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Die Antragstellerin hat am ... November 2024 Klage (M 1 K 24.6657) gegen die Baugenehmigung vom 8. Oktober 2024 in Gestalt der Tekturgenehmigung vom 17. Dezember 2024 erhoben und am 23. Januar 2025 im Eilverfahren beantragt,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts … vom 8. Oktober 2024, Az.: BG- …0 / …, in der Gestalt der Tekturgenehmigung des Landratsamtes … vom 17. Dezember 2024, Az.: BG- …9 / …, wird angeordnet.
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Die Baugenehmigung sei im Hinblick auf die Befristung zu unbestimmt, es sei unklar, wann die drei Jahre zu laufen beginnen werden. Zudem sei von der Sonderregelung des § 246 Abs. 12 BauGB Gebrauch gemacht worden, ohne die Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 13a BauGB zu berücksichtigen. Weder in der Bescheidsbegründung noch in der Behördenakte habe der Antragsgegner geprüft, ob die Unterkünfte auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden könnten. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf den Rückgang der Asylerst- und -folgeanträge im Jahr 2024. Es liege im Hinblick auf § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB ein unheilbarer Ermessensausfall vor. In dieser Hinsicht weise der Bescheid keinerlei Ausführungen auf. Zudem sei die Abwassererschließung nicht gesichert. Da die Genehmigung somit rechtswidrig sei, habe das gemeindliche Einvernehmen nicht ersetzt werden dürfen. Da zwischenzeitlich mit den Bauarbeiten begonnen wurde, sei zur Verhinderung irreversibler Zustände Eilrechtsschutz geboten.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Die Befristung sei hinreichend bestimmt. Sie müsse sich infolge einer objektivierenden Auslegung nach Sinn und Zweck des Vorhabens auf die Nutzung beziehen. Die Befristung beginne demnach mit der Nutzungsaufnahme, weil erst ab diesem Zeitpunkt eine Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden und damit die Nutzung möglich sei. Es treffe zwar zu, dass die Zahl der Asylerst- und -folgeanträge rückläufig sei. Die Zahl des Zugangs von Flüchtlingen aus der Ukraine sei aber weiterhin steigend, was bei der Unterbringungsverpflichtung zu berücksichtigen sei. Im Regierungsbezirk O. sei der Landkreis R. mit einer Erfüllungsquote von 75,56% (Stand 20.01.2025) auf dem letzten Platz. Weiterhin weise die Regierung von O. dem Landkreis R. durchschnittlich alle 14 Tage 50 Personen zur Unterbringung zu, davon 65% Ukrainer. Die Antragstellerin sei „Untererfüllerin“, sie müsste – gehe man von einer Erfüllungsquote von 100% des Landkreises aus – neben den bislang 19 Personen rechnerisch noch weitere 108 Personen aufnehmen. Es fehle trotz aller Anstrengungen an anderen geeigneten Unterkünften, sodass auch das vorliegende Vorhaben genutzt werden müsse. In Unterkünften des Landkreises R. seien derzeit 3.564 Personen untergebracht, 1.533 weitere in privaten Unterkünften. Um auf eine Quote von 100% zu kommen, müsste der Landkreis R. weitere 1.356 Flüchtlinge unterbringen. Weiter habe der Antragsgegner keinen Ermessensspielraum. Das Ermessen für die Erteilung einer Befreiung reduziere sich im Rahmen des § 246 Abs. 12 BauGB auf Null, wenn die tatbestandlichen Befreiungsvoraussetzungen erfüllt seien. Vorliegend müsse dabei insbesondere die Lage im Außenbereich mit einer Entfernung von ca. 300 m zur nächsten Wohnbebauung berücksichtigt werden. Die Antragstellerin selbst habe zudem im Rahmen ihrer gemeindlichen Stellungnahme mitgeteilt, dass die Abwasserbeseitigung durch die Kanalisation im Trennsystem gesichert sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtsakten des Eil- und des Hauptsacheverfahrens (M 1 K 24.6657) sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
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Der zulässige, insbesondere – im Hinblick auf die gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB entfallene aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage – statthafte Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weil sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung als rechtmäßig darstellt und die Antragstellerin somit voraussichtlich nicht in der ihr gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV zustehenden Planungshoheit verletzt ist.
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Das Gericht hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden eigenen Ermessensentscheidung abzuwägen, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris Rn. 11; B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 – juris Rn. 8).
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Aufgrund der subjektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes hat eine gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung gerichtete Klage nicht schon dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, weil sie gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im einschlägigen Genehmigungsverfahren zu prüfen waren. Vielmehr ist erforderlich, dass die Baugenehmigung den Dritten in Rechten verletzt, die gerade auch seinen Schutz bezwecken, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Vorliegend wendet sich die Antragstellerin als Standortgemeinde gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung und kann sich in diesem Rahmen auf ihre Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 1 BV) berufen.
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Nach diesem Maßstab wird die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben. Denn die streitgegenständliche Baugenehmigung ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Sie hat somit ihr Einvernehmen zu der erteilten Befreiung auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu Unrecht verweigert.
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1. Nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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2. Die streitgegenständliche Baugenehmigung konnte unter Anwendung des § 246 Abs. 12 BauGB erteilt werden. Der Tekturbescheid vom 17. Dezember 2024 kann insofern – insbesondere aufgrund der deutlichen Wortwahl in der Vorhabenbeschreibung („hier: Brandschutz“) – trotz der Ausführungen in den Gründen („Das Bauvorhaben wird nach § 30 BauGB beurteilt“) dahingehend ausgelegt werden, dass der Antragsgegner lediglich die brandschutzrechtliche Auflage neu festsetzen und nicht das komplette Vorhaben ausschließlich nach § 30 BauGB neu bewerten wollte. Das Vorhaben wäre an sich nämlich bauplanungsrechtlich unzulässig, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, § 30 BauGB. So sind in jedem Fall die festgesetzten Baugrenzen und die vorgegebene Geschosszahl von maximal zwei Vollgeschossen nicht eingehalten. Ausnahmen nach § 31 Abs. 2 BauGB sind im Bebauungsplan nicht vorgesehen. Einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB stehen die Grundzüge der Planung entgegen.
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3. Auch die Voraussetzungen der Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 13a BauGB sind nach summarischer Prüfung erfüllt. § 246 Abs. 13a BauGB sieht vor, dass von den Absätzen 8 bis 13 nur Gebrauch gemacht werden darf, soweit dringend benötige Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. In Anbetracht der Dringlichkeit der Unterbringung sind jedoch an diese Subsidiaritätsprüfung keine übersteigerten Anforderungen zu stellen. Der Bedarfsdeckung kommt ein höheres Gewicht zu als einer erschöpfenden Subsidiaritätsprüfung (vgl. OVG Hamburg, B.v. 9.5.2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 7; BT-Drs. 18/6185, S. 55, wo derselbe Maßstab sogar bei der noch weitergehenden Abweichungsbefugnis des § 246 Abs. 14 BauGB angesetzt wird). Die Gemeinden haben dabei die Landratsämter bei deren Unterbringungsaufgabe zu unterstützen, Art. 6 Abs. 2 AufnG, indem sie etwa im Rahmen ihrer Entscheidung über das Einvernehmen geeignete Standortalternativen vorbringen.
21
Die angefochtene Baugenehmigung wird den dargestellten Anforderungen, gerade auch bezogen auf den Prüfungsmaßstab im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, gerecht. Die Ausführungen des Antragsgegners begründen die Dringlichkeit der Unterbringungsnotwendigkeit nachvollziehbar und plausibel. Aus dem Beklagtenvortrag geht hervor, dass der Landkreis R. bei der Quotenerfüllung der aufzunehmenden Flüchtlinge in O. auf dem letzten Platz liege und zur vollständigen Quotenerfüllung weitere 1.256 Personen untergebracht werden müssten. In der Folge würden dem Landkreis alle 14 Tage 50 Personen zur Unterbringung zugewiesen. Die Antragstellerin müsste als Untererfüllerin rechnerisch weitere 108 Personen aufnehmen, ginge man von einer Erfüllungsquote des Landkreises von 100% aus. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass diese geschilderte Situation zutreffend ist. Aus dem Vortrag wird deutlich, dass über einen längeren Zeitraum hinweg ein dringender Bedarf an der Neuschaffung von Unterkunftsmöglichkeiten besteht. Den – sehr knappen – Ausführungen des Antragsgegners, dass es keine geeigneten Standortalternativen gäbe, kann im Rahmen der summarischen Überprüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nichts entgegengehalten werden. Ein entsprechender Vortrag fehlt auch von Seiten der Gemeinde. Dass die Asylerst- und folgeanträge zuletzt rückläufig gewesen sind, ist dabei unbeachtlich. Es ist nämlich nicht auf kurzfristig volatile Eingangszahlen, sondern auf den akuten Unterbringungsbedarf abzustellen. Es muss zudem davon ausgegangen werden, dass die Unterbringung für einen längeren Zeitraum notwendig ist, da der allgemeine Wohnungsmarkt gerade für diesen Personenkreis kaum aufnahmefähig ist (BayVGH, B.v. 24.6.2024 – 9 CS 24.458 – juris Rn. 21).
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4. Die Befristung der Baugenehmigung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestimmt genug im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Eine Baugenehmigung ist hinreichend bestimmt, wenn – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – das genehmigte Vorhaben insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang aus sich heraus erkennen lässt. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommene Bauvorlagen und sonstige Unterlagen (BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 12).
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Eine unbefristete Baugenehmigung wird mit Bekanntgabe gegenüber dem Erklärungsempfänger wirksam, Art. 43, 41 BayVwVfG, Art. 68 Abs. 3 Satz 3 BayBO. Der Bauherr darf ab diesem Zeitpunkt von der Genehmigung Gebrauch machen, Art. 68 Abs. 6 BayBO. Eine befristete Baugenehmigung unterscheidet sich von der unbefristeten lediglich darin, dass erstere nur ein „Baurecht auf Zeit“ vergibt, das Vorhaben wird also nur für einen bestimmten Zeitraum legalisiert. Es ist nicht ersichtlich, weshalb bei einer befristeten Baugenehmigung, ohne weitere Anhaltspunkte, auf einen anderen Zeitpunkt als die Genehmigungserteilung abzustellen ist. Jeder andere Anknüpfungspunkt würde auch dem Sinn und Zweck der Befristung der Ausnahmegenehmigungen nach § 246 Abs. 12 BauGB entgegenlaufen: Der ausnahmsweise zugelassene Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinden soll, auch in zeitlicher Hinsicht, möglichst geringgehalten werde. Soweit sich im zeitlich befristeten Nutzungszeitraum der Flüchtlingseinrichtung ergibt, dass eine langfristige Nutzung erforderlich wird, wäre eine nachhaltige Bauleitplanung erforderlich (vgl. auch BT-Drs. 18/6185, S. 54). Würde für den Fristbeginn auf den tatsächlichen Baubeginn oder gar die Nutzungsaufnahme abgestellt, so läge es in der Hand des Bauherrn, den Fristbeginn festzulegen (insofern auch zweifelnd VGH BW, B.v. 23.6.2020 – 3 S 2781/18 – juris Rn. 22). Mit § 246 Abs. 12 BauGB soll zudem nur für mobile Unterkünfte oder Nutzungsänderungen eine Befreiung vom Bebauungsplan erlaubt werden. Hierbei handelt es sich um Vorhaben, bei denen die Bau-/Vorbereitungsphase vor der Nutzungsaufnahme in der Regel ohnehin kurz ausfallen dürfte. Ohne anderweitige ausdrückliche Regelung ist folglich von dem allgemein angenommenen und hinreichend bestimmten Wirksamkeitszeitpunkt der Bescheidserteilung für den Fristbeginn auszugehen.
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5. Es ist nach summarischer Prüfung nicht zu erkennen, dass die Abweichungsentscheidung, die der Antragsgegner nach mehrfacher Anhörung der Antragstellerin vorgenommen hat, ermessenfehlerhaft ist. Für Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB ist anerkannt, dass für die Ausübung des Befreiungsermessens wenig Spielraum bleibt, wenn die engen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt sind. Das Ermessen kann sich sogar auf Null reduzieren, wenn dem Vorhaben nicht zumindest gleichgewichtige Belange entgegenstehen (BayVGH, U.v. 24.3.2011 – 2 B 11.59 – juris Rn. 48). Dieser Maßstab muss auch für § 246 Abs. 12 BauGB angesetzt werden, da der Gesetzgeber mit dieser speziellen Befreiungsvorschrift auf eine weitgehende und vereinfachte Erteilung von Befreiungen abzielt (OVG Hamburg, B.v. 14.4.2016 – 2 Bs 29/16 – juris Rn. 43).
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Wenn die Behörde in ihrer Bescheidsbegründung keine oder keine ausreichende Ermessensentscheidung mitgeteilt hat, kann sich dennoch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde (Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 18; BVerwG, B.v. 15.1.1988 – 7 B 182/87 – juris Rn. 7). Hiervon ist vorliegend – trotz der kaum über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Erwägungen – auszugehen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 246 Abs. 12, 31 Abs. 2 BauGB sind vorliegend gegeben (s.o.). Der somit nur geringe Ermessensspielraum wurde auch ausgenutzt, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt: Der mit der Abweichungsentscheidung getroffene punktuelle Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinde stellt sich mit der auf drei Jahre ab Bestandskraft des Bescheids befristeten Baugenehmigung als verträglich dar (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 12.6.2024 – W 5 S 24.502 – juris Rn. 55; Ernst/Zinkahn/Bilenberg/Krautzberger/Blechschmidt, BauGB, 156. EL September 2024, § 246 Rn. 77; BT-Drs. 18/6185, S. 54). Nachbarliche und weitere öffentliche Belange spielen aufgrund der besonderen Standortsituation – das Vorhabengrundstück ist abgelegen mit mehreren 100 Metern Abstand zur nächsten Wohnbebauung – sowie im Hinblick auf die Befristung und die Dringlichkeit des Vorhabens eine sehr untergeordnete Rolle.
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6. Dem Vorhaben steht auch die behauptete ungesicherte Abwassererschließung nicht entgegen. Die gesicherte Erschließung ist auch bei Vorhaben in Gebieten mit qualifizierten Bebauungsplänen eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung, die die geordnete städtebauliche Entwicklung im Hinblick auf die Erschließung der Baugrundstücke gewährleisten soll (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker BauGB, 156. EL September 2024, § 30 Rn. 38). Bei der Erschließung ist abzustellen auf das zu bebauende Grundstück (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker BauGB, 156. EL September 2024, § 30 Rn. 40 m.w.N.).
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Aus den Stellungnahmen der Gemeinde zum vorhabenbezogenen Einvernehmen vom 19. Juni 2024 und 6. August 2024 geht hervor, dass die Abwasserbeseitigung auf dem Grundstück durch die Kanalisation im Trennsystem gesichert ist. Dies bestätigt auch der Vortrag der Antragstellerin im Rahmen der Antragsbegründung. Dass die seit langem bestehende, zur kommunalen Entwässerungseinrichtung gehörende Kanaldruckleitung stellenweise über Privatgrund führt und der betroffene Grundstückseigentümer deshalb bei der Gemeinde vorstellig geworden ist, ändert nichts an der bestehenden Erschließung des Vorhabengrundstücks. Das Vorhabengrundstück ist bereits seit geraumer Zeit mit dem „… …“ bebaut, das über mehrere Jahre hinweg als Klinik genutzt wurde. Die Erschließung war folglich und ist mangels anderweitiger Angaben weiterhin gesichert. Die Antragstellerin trägt schon nicht vor, wie sie denn auf die im Klageverfahren vorgelegte Einlassung des durch die Leitung belasteten Grundstückseigentümers vom 19. April 2024 reagiert hat und welche Maßnahmen diesbezüglich ergriffen wurden. Ein Grundstückseigentümer eines widerrechtlich mit einer Leitung versehenen Grundstücks kann nicht in verbotener Eigenmacht sofort die vorhandenen Leitungen entfernen oder unterbrechen (BayVGH, U.v. 8.2.2012 – 4 B 11.175 – juris Rn. 29). Eine künftige Berechtigung hierzu oder das Entgegenstehen von Duldungspflichten (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 4 ZB 17.836 – juris Rn. 16; ggf. auch flankiert mit einer Duldungsverfügung, vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2015 – 4 CS 15.744 – juris) kann bei Bedarf vorab verwaltungsgerichtlich geklärt werden. In diesen Fällen besteht für die Gemeinde ausreichend Zeit, ihre Leitungen ggf. rechtskonform in öffentlichen Grund zu verlegen oder zumindest für vorübergehenden Ersatz zu sorgen. In solchen Fällen (insbesondere bei – wie hier in Gestalt des vormaligen Klinikgebäudes – anderen angeschlossenen Gebäuden) besteht eine (Not-)Duldungspflicht für einen begrenzten Zeitraum (BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – juris Rn. 15). Etwaige künftige Verlegungen der Kanaldruckleitungen oder andere Änderungen im gemeindlichen Leitungsnetz berühren das Vorhabengrundstück und dessen baurechtliche Beurteilung heute nicht.
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7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.10, 1.5 des Streitwertkatalogs.