Inhalt

VG München, Urteil v. 21.03.2025 – M 11 K 22.31740
Titel:

Asyl (Somalia), Fallkonstellation eines vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG gestellten (isolierten) Folgeschutzantrags einer in Italien Schutzberechtigten unter Verweis auf das Bleiberecht ihres im Bundesgebiet nachgeborenen Kindes;, keine Auslegung dahingehend, dass ein Folge(schutz)antrag regelmäßig auch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung beinhaltet

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5
VwVfG § 51
AsylG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Schlagworte:
Asyl (Somalia), Fallkonstellation eines vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG gestellten (isolierten) Folgeschutzantrags einer in Italien Schutzberechtigten unter Verweis auf das Bleiberecht ihres im Bundesgebiet nachgeborenen Kindes;, keine Auslegung dahingehend, dass ein Folge(schutz)antrag regelmäßig auch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung beinhaltet
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6339

Tenor

I.  Die Klage wird abgewiesen.
II.  Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.  Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Die Klägerin, eine in Italien als Flüchtling anerkannte, somalische Staatsangehörige, begehrt mit ihrer Klage die isolierte Feststellung eines (inlandsbezogenen) Abschiebungsverbots.
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Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 22. April 2018 in das Bundesgebiet ein. Nachdem von Seiten der italienischen Behörden mitgeteilt worden war, dass die Klägerin in Italien bereits Flüchtlingsschutz erhalten hatte, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylerstantrag der Klägerin mit Bescheid des vom 7. Juni 2018 als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Klägerin wurde die Abschiebung zuvorderst nach Italien angedroht. Zugleich wurde festgestellt, dass die Klägerin nicht nach Somalia abgeschoben werden dürfe.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 11. März 2022 beantragte die Klägerin beim Bundesamt, im Wege eines Antrags auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens, den Bescheid vom 7. Juni 2018 aufzuheben und für die Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der im August 2020 im Bundesgebiet geborenen Tochter der Klägerin mit Bescheid 6. Dezember 2021 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Italien sei für die Wiederaufnahme des in Deutschland geborenen Kindes nicht zuständig. Insoweit handele es sich nicht lediglich um ein inländisches Abschiebungshindernis, sondern um die aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK resultierende Vermeidung der Gefahr einer Trennung des Kleinkindes von der Mutter, die nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK zu beachten sei.
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Mit Bescheid vom 5. August 2022, der Klagepartei zugestellt am 10. August 2022, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 7. Juni 2022 [gemeint: 2018] bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG seien – auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG – nicht gegeben. Der Vortrag, wonach die Tochter der Klägerin über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfüge und eine Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK drohe, könne nur ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot begründen, welches von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
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Hiergegen ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 24. August 2022 Klage beim Verwaltungsgericht München erheben mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 5. August 2022 aufzuheben und
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die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 17. Februar 2025 vorgetragen, der Bescheid vom 5. August 2022 habe die Entscheidung des EuGH vom 15. Februar 2023 nicht berücksichtigen können. Der EuGH habe darin klargestellt, dass das Kindeswohl und familiäre Bindungen bereits bei Erlass einer Rückkehrentscheidung, also durch das Bundesamt, zu beachten und daher Abschiebungsverbote festzustellen seien; zumindest sei die fortbestehende Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 7. Juni 2018 aufzuheben. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war bereits in der Klageschrift verzichtet worden.
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Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 2. September 2022 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen des Bescheids Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2025 erklärte das Bundesamt den Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. HS AsylG) zulässig, aber unbegründet.
15
1. Streitgegenstand ist ausweislich des von der anwaltlich vertretenen Klägerin gestellten Klageantrags die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG unter Aufhebung des angegriffenen Bescheids vom 5. August 2022, mit dem der zuvor im behördlichen Verfahren gestellte (isolierte) Schutzantrag der Klägerin abgelehnt worden war. Während die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folgeanträgen mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris), ist in der vorliegenden Fallkonstellation der Ablehnung eines sog. isolierten (Folge-)Schutzantrags die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage statthaft (vgl. Dickten in BeckOK Ausländerrecht, AsylG, Stand: 1.10.2024, § 71, Rn. 41).
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Soweit am Ende des Schriftsatzes des Klägerbevollmächtigten vom 17. Februar 2025 auch die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 7. Juni 2018 angesprochen wurde, war und ist diese weder Gegenstand des behördlichen noch des gerichtlichen Verfahrens. Einen – durchaus möglichen – Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung samt Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziff. 3 und 4 des Bescheids vom 7. Juni 2018) wurde von der bereits im behördlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Klägerin beim Bundesamt nicht – auch nicht hilfsweise oder konkludent (dazu noch nachfolgend) – gestellt, sodass sich auch die Folgefrage einer prozessual relevanten Untätigkeit der Beklagten insoweit nicht stellt (ebenso zur Sachverhaltskonstellation eines unbeschränkten Folgeantrags: VG Bayreuth, U.v. 12.7.2024 – B 7 K 23.31025 – juris Rn. 45 ff.; ausführlich zur Frage einer nachträglichen Klageerweiterung: VG Regensburg, U.v. 26.3.2024 – RO 14 K 24.30085 – juris Rn. 59 ff.). Die vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich insoweit auch von verschiedenen, in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zugunsten der jeweiligen Klageparteien entschiedenen Fallkonstellationen, in denen entweder ausdrücklich ein entsprechender Wiederaufgreifensantrag beim Bundesamt gestellt worden war (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 7.2.2024 – A 14 K 3041/21 – juris Rn. 7; zur Fallkonstellation eines isolierten Schutzantrags mit entsprechendem Hilfsantrag: VG München, G.v. 6.3.2024 – M 10 K 24.30366 – juris Rn. 4 a.E.) oder aber zumindest konkludent, indem bereits im behördlichen Verfahren auch eine Aufhebung der „Rückkehrentscheidung“ begehrt wurde (vgl. VG München, U.v. 26.11.2024 – M 24 K 23.32415 – juris Rn. 3 a.E. und Rn. 29). Mit anderen Worten: Nur in solchen Fällen, in denen ein – bereits nach bisheriger Rechtslage zulässiger, wenngleich im Falle der Geltendmachung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse wenig erfolgsversprechender – Wiederaufgreifensantrag in Bezug auf die Abschiebungsandrohung gestellt wurde, ist ein „Hineinwachsen“ des noch unter Geltung der alten Rechtslage gestellten Antrags in das neue Rechtsregime des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG denkbar.
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Soweit das Verwaltungsgericht Hamburg (U.v. 12.3.2024 – 2 A 3543/22 – juris Rn. 19) demgegenüber in der Fallkonstellation eines unbeschränkten, allein auf das familiäre Zusammenleben im Bundesgebiet gestützten Folgeantrags vom Mai 2022 angenommen hat, dass ein solcher konkludent auch einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung enthalte und damit ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gestellt worden sei, über den die Beklagte keine Entscheidung getroffen habe, erscheint bereits zweifelhaft, ob die dortigen Erwägungen auf die vorliegende Fallkonstellation eines ausdrücklich beschränkten Schutzantrags übertragbar sind; auch die vom Verwaltungsgericht Stuttgart (B.v. 13.11.2024 – A 16 K 7025/24 – juris Rn. 3) unter Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg entschiedene Fallkonstellation betraf insoweit einen unbeschränkt gestellten Folgeantrag.
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Dessen ungeachtet vermag die Rechtsauffassung, der Folge(schutz) antrag enthalte bei „hypothetischer unionsrechtskonformer und interessengerechter Auslegung“ (so VG Hamburg, a.a.O., Rn. 20; ebenfalls befürwortend: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand August 2024, § 34 AsylVfG, Rn. 119, allerdings ohne nähere Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden prozessrechtlichen Fragestellungen) auch einen Wiederaufgreifensantrag in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung des Erstbescheids, jedenfalls bei bereits im behördlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Antragstellern nicht zu überzeugen (vgl. auch VG Regensburg, U.v. 26.3.2024 – RO 14 K 24.30085 – juris Rn. 59 ff.; VG Bayreuth, U.v. 12.7.2024 – B 7 K 23.31025 – juris Rn. 46). Insbesondere das Verwaltungsgericht Regensburg hat hierzu im zitierten Urteil vom 26. März 2024 bereits ausführlich und überzeugend dargelegt, dass ein solcher Wiederaufgreifensantrag nicht von einem (unbeschränkten) Folgeantrag umfasst ist und es sich hierbei um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt, die auch nicht im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) oder aus anderen Gründen im Wege der Auslegung zu modifizieren wäre. Antragstellern stehe es insoweit offen, sich zur Geltendmachung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse entweder – entsprechend der gesetzgeberischen Vorstellung (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 58) – an die Ausländerbehörde zu wenden oder aber beim Bundesamt einen Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach § 51 VwVfG zu stellen (zum insoweit wohl anzunehmenden Wahlrecht der Antragsteller vgl. a.: VG München, U.v. 26.11.2024 – M 24 K 23.32415 – juris Rn. 32; VG München, G.v. 6.3.2024 – M 10 K 24.30366 – juris Rn. 19). Dass im vorliegenden Fall eines von vornherein ausdrücklich beschränkten Antrags, mit dem die (isolierte) Abänderung der bestandkräftigen Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten begehrt wird, etwas anders gelten sollte, ist weder ersichtlich noch wird dies von Klägerseite vorgetragen.
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Bis zum Ende des vorliegenden, noch unter Geltung der bisherigen Rechtslage durchgeführten behördlichen Verfahrens hatte ersichtlich keiner der Beteiligten – weder die Klägerseite noch die Beklagte – ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung im Blick, wobei von einem anwaltlich vertretenen Antragsteller durchaus erwartet werden kann, dass ein entsprechendes Anliegen zumindest ansatzweise gegenüber dem Bundesamt zum Ausdruck gebracht wird. Ein entsprechender Wiederaufgreifensantrag drängte sich nach der bis zum 27. Februar 2024 geltenden Rechtslage auch keineswegs auf, da danach für die Feststellung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse allein die Ausländerbehörde zuständig war. Ausweislich der Begründung des bei dem Bundesamt gestellten Antrags war dies auch dem Bevollmächtigten der Klägerin durchaus bewusst, indem dieser vortrug, es handele sich „nicht lediglich um ein inländisches Abschiebungshindernis“, sondern um die aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK resultierende Vermeidung der Gefahr einer Trennung des Kleinkindes von der Mutter, die nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK zu beachten sei. Die in der Sache damit von Klägerseite im behördlichen Verfahren aufgeworfene Frage, ob die Gefahr einer Trennung von Familienangehörigen bei unionsrechtskonformer Auslegung ein nationales Abschiebungsverbot begründen könnte, wurde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Nachgang zu der Entscheidung des EuGH vom 15. Februar 2023 (Az. C-484/22) teilweise durchaus so vertreten (vgl. etwa VG Gelsenkirchen, U.v. 13.6.2023 – 9a K 250/21.A – juris Rn. 20 ff.), sodass der Schutzantrag bis zur zwischenzeitlichen obergerichtlichen Klärung (s. nachfolgend Rn. 24) keineswegs derart aussichtslos erschien, wie das Verwaltungsgericht Hamburg (a.a.O. – juris Rn. 20) zur Rechtfertigung seiner „interessensgerechten“ Auslegung angenommen hat.
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Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es – jedenfalls im Lichte der seit dem 27. Februar 2024 geltenden und für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Rechtslage – im Sinne der Klägerin durchaus „interessensgerecht“ sein mag, ihren damals beim Bundesamt gestellten Antrag nachträglich um ein weiteres, gegen die Abschiebungsandrohung gerichtetes Begehren quasi „inhaltlich aufzuladen“. Ein unionsrechtliches Gebot für eine derartige Auslegung von Folgeantrags- oder auch Folgeschutzbegehren vermag das Gericht indes nicht zu erkennen, zumal es der Klägerin unbenommen bleibt, jederzeit einen entsprechenden Wiederaufgreifensantrag beim Bundesamt zu stellen und das Bundesamt zumindest im Rahmen eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinn (§ 51 Abs. 5 i.V.m. § 49 VwVfG) darüber entscheiden müsste. Sollte sich das Bundesamt trotz seiner zwischenzeitlich geregelten Zuständigkeit einer Entscheidung verweigern, bestünde die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes im Wege einer Untätigkeitsklage (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 7.2.2024 – A 14 K 3041/21 – juris Rn. 29 zur Fallkonstellation eines ausdrücklich gestellten, seitens des Bundesamts jedoch nicht verbeschiedenen Wiederaufgreifensantrags).
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Insgesamt mag die verfahrens- und prozessrechtliche Lösung von noch unter Geltung der bislang geltenden Rechtslage beantragten und verbeschiedenen „Altfällen“ unbefriedigend erscheinen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber – trotz Thematisierung im Gesetzgebungsverfahren (vgl. hierzu bereits VG München, U.v. 16.11.2024 – M 24 K 23.32415 – juris Rn. 32) – im Zuge der Neuregelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG keine Übergangs- oder Stichtagsregelung für Altfälle getroffen hat, rechtfertigt es jedoch nicht, Folge(schutz) anträge nunmehr im Lichte der neuen Rechtslage einen anderen Inhalt beizumessen und in der Folge selbst einen Austausch des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens noch im Klageverfahren zu ermöglichen (so aber VG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 15, 7 und 13 zu einer – mit Zustimmung der Beklagten – vorgenommenen „Ersetzung“ der ursprünglich erhobenen, statthaften Anfechtungsklage durch eine Untätigkeitsklage). Anderes kann nur dann gelten, wenn bis zum Abschluss des behördlichen Verfahrens gegenüber dem Bundesamt zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wurde, dass auch die bestandskräftige Abschiebungsandrohung einer erneuten Überprüfung unterzogen werden soll. Zu beachten bleibt dabei allerdings, dass in Fällen, in der die Abschiebungsandrohung eines sog. Drittstaatsbescheids im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens überprüft werden soll, im Falle der Aufhebung der Abschiebungsandrohung keine Aufrechterhaltung der sog. negativen Staatenbezeichnung in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2023 – 1 C 34.22 – juris Rn. 27 f.).
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2. Die Klage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Rechtsanspruch auf die beantragte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat. Die Entscheidung der Beklagten, den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 7. Juni 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abzulehnen, ist damit rechtlich nicht zu beanstanden.
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2.1 Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid zu Recht ausgeführt, dass der Sachvortrag der Klägerin – nämlich die alleinige Geltendmachung einer drohenden Trennung von Mutter und Kind – nicht geeignet ist, eine günstigere Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG herbeizuführen, weil es sich hierbei um einen Umstand handelt, der durch die Abschiebung als solche – mithin unabhängig vom Zielland der Abschiebung – eintreten würde. § 60 Abs. 5 AufenthG ist jedoch zielstaatsbezogen und gewährt Abschiebungsschutz im Hinblick auf Verhältnisse, die im Zielstaat einer Abschiebung drohen. Das Gericht folgt insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG den Ausführungen des Bescheids und führt lediglich ergänzend aus:
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Soweit die Klägerseite unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH vom 15. Februar 2023 (C-484/22) in der Sache eine europarechtskonforme Auslegung des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG geltend gemacht hat, wurde diese Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zwar zunächst teilweise durchaus vertreten (vgl. etwa VG Gelsenkirchen. U.v. 13.6.2023 – 9a K 250/21.A – juris Rn. 20 ff.), nach zwischenzeitlich wohl gefestigter Rechtsprechung ist eine solche Auslegung indes weder europarechtlich geboten noch zulässig. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dies mit Urteil vom 30. Dezember 2024 (Az. 13a B 24.30718 – juris Rn. 22 ff.) bestätigt.
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2.2 Zielstaatsbezogene Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens wurden von der anwaltlich vertretenen Klägerin weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren vorgebracht.
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Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid keine Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in Bezug auf das Zielland Italien vorgenommen hat. Selbst wenn der Klageantrag dahingehend auszulegen wäre, dass damit (auch) die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote in Bezug auf die die Klägerin in Italien erwartenden Lebensumstände begehrt wird, kommt die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots auf Basis der klägerischen Angaben nicht in Betracht.
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Im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender und Schutzberechtigter im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta (GRCh), der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Dennoch kann nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (B.v. 13.11.2019 – C-540/17 – Hamed; U.v. 19.3. 2019 – C-297/17 – Ibrahim; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – Jawo, jew. juris) in der Praxis nicht ausgeschlossen werden, dass in der Folge von Funktionsstörungen in einem Mitgliedstaat die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende und Schutzberechtigte einer konventionswidrigen Behandlung gleichkommen. Das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht ist daher, falls es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines derartigen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf ausreichender Grundlage unter Beachtung der Bedeutung der Grundrechte zu würdigen, ob systemische, allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris Rn. 90; – C-297/17 u.a., Ibrahim – juris Rn. 88; B.v. 13.11.2019 – C-540/17, Hamed – juris Rn. 38).
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Eine auf Grund der Lebensumstände drohende konventionswidrige Behandlung ist dabei nur anzunehmen, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Sie wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 89 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17- juris Rn. 91 ff.). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (vgl. zuletzt etwa BVerwG, U.v. 21.11.2024 – 1 C 24/23 – juris Rn. 24 f.). In Bezug auf vulnerable Personen kann die Schwelle der Erheblichkeit dabei schneller erreicht sein, als bei Personen, die keine besondere Verletzbarkeit aufweisen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 95; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 93). Im Rahmen der Prüfung, ob im konkret zu entscheidenden Einzelfall das Mindestmaß an Schwere erreicht ist, sind daher stets die individuellen Umstände und Faktoren des Betroffenen zu berücksichtigen wie etwa das Alter, die Ausbildung, die Erwerbsfähigkeit, der Gesundheitszustand, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die familiären oder auch freundschaftlichen Verbindungen.
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Daran gemessen ergeben sich vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin – auch in Falle einer hypothetischen gemeinsamen Rückkehr mit ihrer Tochter und einem etwaigen Lebensgefährten – in Italien aufgrund der sie dort erwartenden Lebensverhältnisse unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht. Denn abgesehen von dem Umstand, dass sie im Jahre 2020 eine Tochter geboren hat, hat die anwaltlich vertretene Klägerin keinerlei Angaben zu ihren derzeitigen persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht.
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Erst bei Vorliegen solcher Angaben sind die Gerichte indes gehalten, zu prüfen, ob die Bedingungen, die rückgeführte Schutzberechtigte im anderen Mitgliedstaat vorfinden, konventionskonform oder -widrig sind (so ausdrücklich bereits: OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18 – juris Rn. 37). Der EuGH hat in seinen oben zitierten Entscheidungen aus dem Jahre 2019 insoweit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine anlasslose Überprüfung der allgemeinen Bedingungen für Schutzberechtigte im anderen Mitgliedstaat nicht mit dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren ist und betont, für ein Gericht bestehe nur Anlass für eine Überprüfung und die Einschätzung, ob das Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK besteht, „falls es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines derartigen Risikos vorgelegt hat“. Ohne Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerseite ist die erforderliche Gesamtwürdigung des konkreten Falls von vornherein nicht möglich. Nachdem die anwaltlich vertretene Klägerin demnach offenbar selbst keinen Anlass sah, auf ihre persönliche Situation hinzuweisen, ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für eine weitere Amtsermittlung des Gerichts.
31
Lediglich ergänzend wird in Hinblick auf die Aufnahme- und Lebensbedingungen von Schutzberechtigten in Italien auf die aktuelle Entscheidung des BVerwG, U.v. 21.11.2024 – 1 C 24/23 – juris verwiesen, wonach jedenfalls für nichtvulnerable Schutzberechtigte, zu denen auch alleinstehende Frauen zählen, derzeit in Italien keine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese in eine Lage extremer materieller Not im Sinne der o.g. Rechtsprechung geraten.
II.
32
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.