Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 01.04.2025 – RO 11 K 25.30791 , RO 11 K 23.30185
Titel:

Zweitantrag, erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in sicherem Drittstaat, Ablehnung als unzulässig, Wiederaufgreifensgründe

Normenketten:
AsylG § 71a
VwVfG § 51
Schlagworte:
Zweitantrag, erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in sicherem Drittstaat, Ablehnung als unzulässig, Wiederaufgreifensgründe
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6317

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde.
2
Der Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens zu sein. Er reiste nach seinen Angaben im Juli 2022 über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 23.09.2022 einen Asylantrag.
3
Mit Schreiben vom 28.09.2022 lehnten die griechischen Behörden ein Übernahmeersuchen Deutschlands ab. Aus dem Schreiben ergibt sich, dass der Kläger am 30.05.2022 in Griechenland einen Asylantrag gestellt habe. Auf Grundlage des EU-Türkei-Abkommens vom 18.03.2016 sei sein Antrag auf Zulässigkeit geprüft worden. Der Antrag sei am 09.06.2022 als unzulässig abgelehnt worden. Aus einem weiteren Schreiben der griechischen Behörden vom 25.01.2023 ergibt sich, dass es die Möglichkeit gegeben habe, binnen zehn Tagen Rechtsbehelf hiergegen einzulegen, was der Kläger jedoch nicht getan habe.
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Bei seiner persönlichen Anhörung am 16.11.2022 trug der Kläger vor, Syrien im Juni 2018 verlassen zu haben. Am 08.05.2022 sei er in Griechenland eingereist. Bezüglich seiner Fluchtgründe sei er in Griechenland angehört worden. Auf die Frage, ob sich seitdem neue Asylgründe ergeben hätten oder er hier die gleichen Gründe wie in Griechenland geltend mache, gab der Kläger an, die gleichen Gründe vorzutragen. Syrien habe er wegen des Krieges verlassen. Er wolle mit keiner Seite kämpfen und keine Waffe tragen. In Syrien gebe es Terroristen und keine Sicherheit. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, sich dann mit einer Waffe zu sehen. Entweder werde er getötet oder er töte jemanden. Auf explizite Nachfrage gab der Kläger an, dieselben Gründe in Griechenland vorgetragen und ausreichend Gelegenheit gehabt zu haben, seine Asylgründe abschließend darzulegen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 02.02.2023, zugestellt am 08.02.2023, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt (Ziffer 2). Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen.
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Am 14.02.2023 erhob der Kläger Klage, die unter dem Az. RO 11 K 23.30185 geführt wurde. Zur Begründung ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten vortragen, dass der Asylantrag des Klägers in Griechenland als unzulässig abgelehnt worden sei. Beim Kläger habe eine materielle Prüfung seines Schutzbegehrens nie stattgefunden. Dies sei mit der RL 2013/32/EU nicht vereinbar. Ferner wurde vorgetragen, dass § 71a AsylG europarechtswidrig sei.
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Der Kläger beantragt,
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 02.02.2023, Az. 9429736-475 wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
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Das Asylverfahren in Griechenland sei mit der Unzulässigkeitsentscheidung erfolglos abgeschlossen. Unzulässigkeitsentscheidungen nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. c i. V. m. Art. 38 RL 2013/32/EU würden keine individuelle Prüfung erfordern, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU zuzuerkennen ist. Gleichwohl handele es sich bei der asylrechtlichen Entscheidung der zuständigen griechischen Behörden im Erstverfahren um eine materiell-rechtliche Entscheidung, denn sie erfolge aufgrund einer vorweggenommenen Prüfung der Voraussetzungen des Art. 38 Verfahrens-RL in Bezug den Drittstaat Türkei. Im Übrigen erfolge seitens der zuständigen griechischen Behörden eine Einzelfallprüfung hinsichtlich des Non-Refoulement. Es bestünden mithin keine Bedenken dahingehend, dass im vorliegenden Verfahren das Asylverfahren in Griechenland bestandskräftig erfolglos abgeschlossen sei.
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Mit Beschluss vom 25.10.2023 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in dem Verfahren Az. C-123/23 an. Mit Verfügung vom 26.03.2025 wurde das Verfahren wieder aufgenommen und unter dem aktuellen Aktenzeichen fortgeführt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Hauptbeteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
I.
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Die im wohlverstandenen Interesse des Klägers als gegen Ziffer 1) des streitgegenständlichen Bescheids gerichtete Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist nicht die Verpflichtungsklage, sondern die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts bei Folgeanträgen gemäß § 71 des Asylgesetzes (AsylG) und bei Zweitanträgen gemäß § 71a AsylG kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16).
II.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, da die auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts in Ziffer 1) des streitgegenständlichen Bescheids vom 02.02.2023 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht folgt zunächst der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug, § 77 Abs. 3 AsylG. Im Übrigen wird auf Folgendes hingewiesen:
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1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen.
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Der erfolglose Abschluss des Asylverfahrens in dem sicheren Drittstaat, hier in Griechenland, ist nur anzunehmen, wenn der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Antrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Die Einstellung ist nicht endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann. Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG vom 14.12.2016 a. a. O.).
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2. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass das Asylverfahren des Klägers in Griechenland im Zeitpunkt der Asylantragstellung erfolglos abgeschlossen im Sinne des § 71a AsylG war.
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a) Nach den inhaltlich nicht bestrittenen Schreiben der griechischen Behörden stellte der Kläger am 30.05.2022 in Griechenland einen Asylantrag. Der Antrag sei am 09.06.2022 als unzulässig abgelehnt worden. Von der Möglichkeit, binnen zehn Tagen Rechtsbehelf hiergegen einzulegen, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.
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b) Der Kläger hat seinen Asylantrag in Deutschland am 23.09.2022 und damit nach dem erfolglosen Abschluss seines Asylverfahrens in Griechenland gestellt. Dieses war infolgedessen, dass keine Rechtsbehelfe gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Griechenland eingelegt wurden, im Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland (bestandskräftig) erfolglos abgeschlossen im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG, dessen Vereinbarkeit mit Europarecht nach dem Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 19.12.2024 (Az. C-123/23, C-202/23) grundsätzlich zu bejahen sein dürfte.
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c) Daran ändert auch nichts, dass der Asylantrag des Klägers in Griechenland als unzulässig abgelehnt worden ist.
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aa) Bereits nach dem Wortlaut von § 71a Abs. 1 AsylG muss das Asylverfahren in dem sicheren Drittstatt einen „erfolglosen Abschluss“ gefunden haben. Darunter fällt jede Art des formellen Abschlusses eines Asylverfahrens ohne Zuerkennung eines Schutzstatus (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16, Rn. 30; Stern in: Huber/Mantel, AsylG § 71a Rn. 4), mithin auch eine Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig.
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bb) Auch aus Art. 2 Buchst. q) der RL 2013/32/EU lässt sich eine Einschränkung dahingehend, dass der Asylantrag materiell geprüft worden sein muss, nicht entnehmen. Nach o. g. Norm ist ein „Folgeantrag“ ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird, auch in Fällen, in denen der Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich zurückgenommen hat oder die Asylbehörde den Antrag nach der stillschweigenden Rücknahme durch den Antragsteller gemäß Artikel 28 Absatz 1 abgelehnt hat. Anders als die Klägerseite meint, lässt sich hieraus nicht entnehmen, dass der Erstantrag in der Sache geprüft worden sein muss. Die Formulierung „nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag“ legt vielmehr nahe, dass der Erstantrag lediglich zum Ziel gehabt haben muss, internationalen Schutz zu erlangen, nicht hingehen, ob die Schutzgründe auch inhaltlich geprüft wurden.
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cc) Zwar wird vertreten, dass § 71a Abs. 1 AsylG dahingehend verstanden werden müsse, dass in dem erfolglos in einem sicheren Drittstaat abgeschlossenen Asylverfahren eine vollständige Prüfung des internationalen Schutzes einschließlich des subsidiären Schutzes stattgefunden haben müsse (z. B. VG Hamburg, B. v. 14.07.2016 – 1 AE 2790/16). Ob dies vorliegend der Fall war, kann dahinstehen. Denn selbst wenn man davon ausginge, dass eine solche Prüfung im vorliegenden Fall nicht stattgefunden habe, würde dies nicht dazu führen, dass § 71a AsylG nicht anwendbar wäre.
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In seinem Urteil vom 19.12.2024 hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass ein Asylverfahren auch dann als erfolglos abgeschlossen gilt, wenn ein Asylverfahren im anderen Mitgliedstaat infolge „stillschweigender Rücknahme“ eingestellt wurde und auch die Frist, innerhalb derer die Wiederaufnahme des Verfahrens möglich ist, verstrichen ist (vgl. EuGH a. a. O., Rn. 78). Auch in diesem Fall hat eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens jedoch nicht stattgefunden, das Erstverfahren gilt aber dennoch als erfolglos abgeschlossen im Sinne von § 71a AsylG. Insoweit haben die geschilderten Konstellationen (Einstellung nach konkludenter Rücknahme mit Verstreichen der Wiederaufnahmefrist und Ablehnung des Asylantrags als unzulässig) gemein, dass eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags nicht stattgefunden hat. Aus diesem Grund kann nach Auffassung des Gerichts auch die Konstellation der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig im Erstverfahren dazu führen, dass der Anwendungsbereich des § 71a AsylG eröffnet ist.
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3. Daher war der klägerische Antrag als Zweitantrag nach § 71a AsylG zu prüfen. Ein weiteres Asylverfahren ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Da dies vorliegend nicht der Fall war, war der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig.
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a) Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müssen sich entweder die Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind (Nr. 3). Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
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b) Unter Berücksichtigung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt liegen die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor.
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§ 51 Abs. 1 VwVfG erfordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B. v. 03.03.2000 – 2 BvR 39/98, Rn. 31). Daran fehlt es vorliegend. Die vom Kläger angegebenen Fluchtgründe waren auch schon bei seiner Antragstellung in Griechenland gegeben; der Kläger hat sie auch vollständig in seinem Asylverfahren in Griechenland vorgetragen. Durch die veränderte Lage in Syrien infolge des Sturzes des Assad-Regimes erscheint im Übrigen mehr als zweifelhaft, ob die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung vorliegen. Es ist damit weder ersichtlich, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Klägers geändert habe, noch, dass neue Beweismittel vorlägen, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Auch Wiederaufnahmegründe nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG i. V. m. § 580 ZPO wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
31
Die Höhe des Gegenstandswerts ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).