Titel:
Erfolgloser vorläufiger Rechtsschutzantrag eines äthiopischen Staatsangehörigen gegen die Verpflichtung zu erneuter Vorsprache bei Auslandsvertretung wegen Identitätsklärung und Passbeschaffung
Normenketten:
AufenthG § 82 Abs. 4
BayVwZVG Art. 29 Abs. 3, Art. 34, Art. 36
Leitsätze:
1. Die Sofortvollzugsanordnung muss mit einer auf den konkreten Fall abstellenden und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts versehen werden. Aus der besonderen Begründung für den Sofortvollzug muss hinreichend deutlich hervorgehen, dass und warum die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten erachtet (VGH München BeckRS 2010, 34093). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG bezweckt eine effektive Durchsetzung der Ausreisepflicht. Diese kann auch durch einen zusätzlichen Vorsprachetermin nach der bereits erfolgten Beantragung eines Passes und damit nach der internen Identitätsklärung durch äthiopische Behörden erreicht werden. (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Kann eine zweifache Identitätsklärung zur schnelleren Beschaffung von Heimreisepapieren führen, ist davon auszugehen, dass sie iSv § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG weiterhin erforderlich ist. (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Einem betroffenen Ausländer ist die Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden nicht zumutbar, solange das Asylerstverfahren noch nicht abgeschlossen ist bzw. die Aufenthaltsgestattung nicht nach § 67 AsylG erloschen ist. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Es besteht kein sachlicher Grund dafür, die Aufgabenwahrnehmung von Auslandsvertretungen auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten auf ihre Diensträume zu beschränken oder Außentermine vom Anwendungsbereich des § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG auszunehmen (VG Aachen BeckRS 2023, 8777). (Rn. 36) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
einstweiliger Rechtsschutz, Vorsprache bei Auslandsvertretung, äthiopischer Staatsangehöriger, sofortige Vollziehbarkeit, Passbeschaffung, wiederholte Identitätsklärung, Ausreisepflicht, zusätzlicher Vorsprachetermin, Zumutbarkeit, vorläufiger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6292
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten werden hälftig geteilt.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung seiner Verpflichtung zur Vorsprache bei einer Auslandsvertretung seines Herkunftslandes.
2
1. Der Antragsteller, äthiopischer Staatsangehöriger, reiste im Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2017 (Az.: …) abgelehnt und die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Der Bescheid wurde am 15. Januar 2020 nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtskräftig ( … …). Ein Asylfolgeantrag wurde am 10. November 2021 abgelehnt (Az. …).
3
Am 22. August 2022 beantragte der Antragsteller einen äthiopischen Reisepass. Seine Identität konnte durch die äthiopischen Behörden geklärt werden, sodass der Antragsteller am 13. Februar 2023 einen äthiopischen Pass beantragen konnte. Entsprechende Belege befinden sich bei den Akten.
4
Zuvor und auch in der Folge wurde der Antragsteller wiederholt über seine Verpflichtung belehrt, einen gültigen Pass oder Passersatz zu beschaffen, zuletzt mit einem am 8. Oktober 2024 ausgehändigten Schreiben.
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2. Mit Bescheid vom 26. Februar 2025 ordnete die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde – gegenüber dem Antragsteller an, dass er sich am 17. März 2025 um 11:00 Uhr im Bayerischen Landesamt … … … …, F …-S …-Str., … M … einzufinden habe, um dort seine Identität klären zu können (Ziffer 1 des Bescheids). Sollte er der Anordnung unter Ziffer 1 ohne hinreichenden Grund nicht Folge leisten, wurde ihm die zwangsweise Vorführung durch die Polizei bei der bezeichneten Auslandsvertretung angedroht (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 3). Für den Bescheid wurden keine Kosten erhoben (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach Ziffer 1 des Bescheides sei § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Die Anordnung sei zur Vorbereitung und Durchführung einer Abschiebung nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sowie zur Identitätsklärung und zur Erfüllung der allgemeinen Passpflicht erforderlich. Da die Abschiebungsandrohung vollziehbar sei, sei die Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erloschen. Demnach sei der Antragsteller gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2, § 50 Abs. 1 Alt. 1 AufenthG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, nachdem er die gewährte Ausreisefrist ungenutzt verstreichen lassen habe. Die Verpflichtung, einen Pass, Passersatz oder ein anderes gültiges Reisedokument zu beantragen, ergebe sich bereits unmittelbar aus dem Aufenthaltsgesetz. Der Antragsteller habe bisher kein gültiges Ausweisdokument i.S.d. § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, das ihn zur dauerhaften Heimreise in sein Heimatland berechtige, vorgelegt. Die Entscheidung in Ziffer 1 des Bescheids entspreche auch pflichtgemäßem Ermessen. Das öffentliche Interesse an dieser Maßnahme überwiege das private Interesse des Antragstellers, von dieser Anordnung abzusehen. Das öffentliche Interesse an dieser Maßnahme liege insbesondere in der Durchsetzung der Passpflicht sowie in der Vorbereitung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreiseverpflichtung. Die Maßnahme entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung sei geeignet und erforderlich. Insbesondere seien keine milderen Mittel mehr erkennbar, mithilfe derer das mit der Anordnung verfolgte Ziel erreicht werden könne. Der Antragsteller sei der formlosen Aufforderung, sich ein gültiges Heimreisedokument zu besorgen, nicht nachgekommen.
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Rechtsgrundlage für die Androhung des Zwangsmittels in Ziffer 2 dieses Bescheides ist § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 36 VwZVG. Ein milderes Mittel als die zwangsweise Vorführung, das zur Zweckerreichung in gleicher Weise geeignet wäre, sei nicht ersichtlich. Im Hinblick auf Art. 34 Satz 1 VwZVG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 29 Abs. 3 VwZVG bleibe insbesondere hier das Zwangsgeld (Art. 31 VwZVG) außer Betracht. Der Antragsteller seien nach eigenen Angaben mittellos und aufgrund fehlender rechtlicher Erlaubnisse sei ein finanzielles Einkommen durch Erwerbstätigkeit auch künftig nicht zu erwarten. Entsprechend lasse das Zwangsgeld keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg erwarten.
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Die unter Ziffer 3 dieses Bescheids angeordnete sofortige Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheids beruhe auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Im Fall des Antragstellers bestehe ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug. Ziel des Gesetzgebers sei es, bei vollziehbar ausreisepflichtigen Personen den Aufenthalt im Bundesgebiet unter Berücksichtigung aller Umstände unverzüglich zu beenden. Nur so könnten für den Staat nicht hinnehmbare Folgen verhindert werden. Zu solchen komme es jedoch dann, wenn aufgrund Vorenthaltung von Reisedokumenten, Verschleierung der Identität und Herkunft durch unvollständige bzw. falsche Angaben oder Nichtmitwirkung im Passausstellungsverfahren ausreisepflichtige Ausländer ihren Aufenthalt im Bundesgebiet verlängern oder möglicherweise auf Dauer gestalten würden. Die Vorschriften des geltenden Ausländerrechts würden unterlaufen. Zudem ergäben sich hieraus zusätzliche Umstände, wie z.B. finanzielle Belastungen des Staatshaushalts durch Gewährung von Leistungen nach den Sozialgesetzen, die im Sinne eines sozialen Rechtsstaats nicht geduldet werden können. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller bereits zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verpflichtet sei, könne es deshalb nicht hingenommen werden, dass der rechtswidrige Aufenthalt ohne Passpapier durch Erhebung einer Klage gegen diesen Bescheid bis zu einer zeitlich noch nicht absehbaren gerichtlichen Entscheidung fortdauere und die Ausreiseverpflichtung auf unabsehbare Zeit weiterhin nicht vollzogen werden könne. Ein Interesse auf Seiten des Antragstellers, das über das generelle Interesse an der aufschiebenden Wirkung einer Klage hinausgehe, habe dieser nicht vorgetragen und sei auch nicht ersichtlich. Infolge dessen ordne die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken unter Abwägung aller maßgeblichen Belange im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung bezüglich Ziffer 1 des Bescheids an.
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3. Am 13. März 2025 ließ der Antragsteller dagegen Klage erheben (Az. W 7 K 25. …) und beantragt gleichzeitig im vorliegenden Verfahren:
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Ziffer 1. des Bescheides der ZAB Unterfranken vom 26. Februar 2025 wird angeordnet bzw. wiederherstellt.
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Zur Begründung führt er aus, er habe bereits einen äthiopischen Reisepass beantragt und damit alles ihm Mögliche und Zumutbare getan. Es gebe allerdings eine extrem lange Bearbeitungszeit, die der Antragsteller nicht zu vertreten habe. Das wisse auch der Beklagte. Seinen Mitwirkungspflichten komme der Antragsteller nach. Seine Identität wurde durch die äthiopischen Behörden auch vollständig geklärt, § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sei unanwendbar. Zudem sei das Bayerische Landesamt … … … … weder eine Ausländerbehörde noch eine äthiopische Auslandsvertretung. Die Anhörung des Antragstellers sei rechtswidrig unterblieben.
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4. Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 14. März 2025 sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
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Zur Antragserwiderung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Räumlichkeiten des Landesamts … … … … würden lediglich für den Zweck der Anhörung genutzt. Vor Ort würden delegierte Vertreter des Herkunftslandes anwesend sein, die die Identitätsprüfung durchführen würden. Die Nachweise zur Beantragung eines äthiopischen Passes seien nicht ausreichend. Denn ein solcher Pass liege nicht vor, die Passausstellung sei nicht gewährleistet und die Vorsprache daher weiter erforderlich. Die Anhörung sei nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG entbehrlich. Der Antragsteller sei über seine Pflicht nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch wiederholt belehrt worden, zuletzt am 14. Oktober 2024. Jedenfalls sei ein Verstoß nach § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG nun geheilt.
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5. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren W 7 K 25. … Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Anordnung zur Vorsprache in Ziffer 1 entfällt, weil die Behörde in Ziffer 3 des Bescheids die in Ziffer 1 getroffene Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
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Soweit der Antrag gegen die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Androhung von unmittelbarem Zwang gerichtet ist, ist er ebenfalls zulässig und insbesondere statthaft. Denn nach Art. 21 a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
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2. Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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a) Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet.
21
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss mit einer auf den konkreten Fall abstellenden und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts versehen werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 84). Aus der besonderen Begründung für den Sofortvollzug muss hinreichend deutlich hervorgehen, dass und warum die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält (BayVGH, B.v. 15.12.2010 – 6 CS 10.2697 – juris). In diesem Sinn ist eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht ausreichend. Allerdings kann die Begründung durchaus knapp gehalten sein (Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 247). Sie soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl. 1999, 465).
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Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde – hat sich vorliegend ausreichend mit den Umständen des Einzelfalls auseinandergesetzt und dabei dem besonderen öffentlichen Interesse am Wirksamwerden der Anordnung zur Vorsprache vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel, den Aufenthalt vollziehbar ausreisepflichtiger Personen im Bundesgebiet zu beenden, den Vorrang eingeräumt.
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Ob diese Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag oder ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids nicht ersichtlich ist, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
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b) Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt vorliegend, dass die Klage gegen die Anordnungen in Ziffer 1 und 2 des Bescheids der Regierung von Unterfranken vom 26. Februar 2025 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Die Klage des Antragstellers in der Hauptsache ist voraussichtlich unbegründet, weil die streitgegenständliche Anordnung rechtmäßig sind und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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aa) Rechtsgrundlage der Anordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Danach kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, angeordnet werden, dass ein Ausländer u.a. bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint.
26
bb) In formeller Hinsicht führt es nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, dass der Antragsteller vor Erlass des Bescheides nicht angehört wurde. Ungeachtet dessen, dass diese Anhörung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 BayVwVfG bis zur letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden könnte, würde vorliegend auch eine unterbliebene Anhörung gemäß Art. 46 BayVwVfG nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, weil offensichtlich ist, dass gegebenenfalls diese Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Bei vorliegender Sache ist offensichtlich, dass der Beklagte auch bei Durchführung der Anhörung zu demselben Ergebnis gekommen wäre. Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Bescheid ursprünglich formell rechtswidrig ergangen ist. Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG, die der Antragsgegner vorbringt, liegen nicht vor. Ein Verzicht auf die Anhörung erscheint nicht notwendig, zumal das PEP-Verfahren nach Aktenlage bereits Ende 2024 eingeleitet wurde, sodass eine Anhörung zeitlich ohne Weiteres möglich gewesen wäre.
27
cc) In materieller Hinsicht ist Tatbestandsvoraussetzung der Vorspracheverpflichtung, dass die Anordnung zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz erforderlich ist.
28
Die mit der Erscheinens-Anordnung vorzubereitende Maßnahme ist die notfalls zwangsweise Durchsetzung der den Antragsteller treffenden vollziehbaren Ausreisepflicht, in deren Vorfeld die Identität des Antragstellers jedenfalls insoweit geklärt werden muss, dass zuvor ein Staat seine Verpflichtung oder zumindest seine Bereitschaft bekundet hat, den Antragsteller einreisen zu lassen.
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Der Antragsteller besitzt unstreitig keinen gültigen Pass oder Passersatz und ist deshalb gemäß § 48 Abs. 3 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken. Die persönliche Vorsprache vor der äthiopischen Auslandsvertretung dient der Beschaffung von Passersatzpapieren für eine notfalls erforderlich werdende Abschiebung des Antragstellers, mithin der Vorbereitung und Durchführung einer Maßnahme nach dem Aufenthaltsgesetz.
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Es bestehen deshalb keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1 des Bescheides. Unerheblich ist insoweit der Einwand des Antragstellers, er habe bereits einen Pass beantragt.
31
Nach Auskunft des Landesamts … … … … (siehe Aktenvermerk vom 14. März 2025) ist zwar in einem Antragsstadium, in dem die äthiopischen Behörden eine Passbeantragung quittiert haben, davon auszugehen, dass die Staatsangehörigkeit in Äthiopien intern vorgeprüft wurde und dort als geklärt gilt. Gleichzeitig könne wegen der unabsehbaren Dauer der Passbeschaffung der Prozess durch eine erneute Vorsprache zur Identitätsklärung begünstigt werden. Denn in diesem Rahmen komme es zur schnelleren Beschaffung von Passersatzpapieren, die eine Ausreise ebenfalls ermöglichten.
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§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG führt an, soweit es nach diesem Gesetz erforderlich sei, könne der Ausländer verpflichtet werden, persönlich zu erscheinen und die zu seiner Identitätsklärung erforderlichen Angaben zu machen.
33
§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zielt seinem Telos nach auf eine effektive Durchsetzung der Ausreisepflicht. Diese kann nach den ins Verfahren einbezogenen Erkenntnissen auch durch einen zusätzlichen Vorsprachetermin nach Beantragung eines Passes (und damit nach der internen Identitätsklärung durch äthiopische Behörden) erreicht werden. Einer solchen Auslegung der Bestimmung steht auch ihr Wortlaut nicht entgegen. Dort ist die Rede von einer Identitätsklärung, die angeordnet werden könne, soweit sie nach diesem Gesetz erforderlich sei. Dies schließt eine erneute Identitätsklärung bei bereits einmal geklärter Identität nicht aus. Ein Ausschluss soll vielmehr erst dann erfolgen, wenn ein solches Vorgehen sinnlos und damit nicht mehr erforderlich wäre. Kann die zweifache Identitätsklärung allerdings zur schnelleren Beschaffung von Heimreisepapieren führen, ist davon auszugehen, dass sie im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG weiterhin erforderlich ist.
34
Auch an der Zumutbarkeit der Vorsprache bestehen keine Zweifel (Berlit in GK-AufenthG, § 82 AufenthG, Rn. 144). Nach weitgehend einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist den Betroffenen eine Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden nicht zumutbar, solange das Asylerstverfahren noch nicht abgeschlossen ist, genauer: die Aufenthaltsgestattung nicht nach § 67 AsylG erloschen ist (Houben in BeckoK, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2024, AsylG § 15 Rn. 13c m.w.N.). Dies ist hier allerdings nach negativem Abschluss des Asylverfahren der Fall.
35
Bevor die Behörde auf dieser Basis von ihren Befugnissen nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG Gebrauch machen kann, ist des Weiteren aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlich, dass sie den Betreffenden ausdrücklich und nachweislich auf die ihn schon nach dem Gesetz treffende Pflichtenlage, mithin darauf hingewiesen hat, dass er seiner Ausreisepflicht und/oder seinen Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Klärung seiner Identität und/oder der Beschaffung von Heimreisedokumenten nachzukommen hat. Auch das ist hier der Fall. Der Antragsteller wurde vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids, zuletzt am 8. Oktober 2024, nicht nur auf seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung, sondern auch zur Beschaffung von Passersatzpapieren hingewiesen. Zwar hat er das ihm Zumutbare und Mögliche getan, um einen Pass zu beschaffen, die Beschaffung von Passersatzpapieren wurde bislang allerdings noch nicht eingeleitet.
36
Mithin war der Antragsgegner nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG berechtigt, die danach zulässigen Maßnahmen nach Maßgabe des Gesetzes sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu treffen. Die Teilnahme an der Sammelanhörung der äthiopischen Auslandsvertretung in den Räumen der des Bayerischen Landesamts für Maß und Gewicht ist in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden. Der Begriff der Auslandsvertretung wird in der Rechtsprechung funktional verstanden. Es muss sich um eine Person oder um Personen handeln, der oder denen der ausländische Staat die Wahrnehmung diplomatischer, konsularischer oder sonstiger Aufgaben auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten übertragen hat und die von diesem legitimiert oder autorisiert ist oder sind, ihn im Inland zu vertreten. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Aufgabenwahrnehmung der Auslandsvertretungen auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten auf ihre Diensträume zu beschränken oder Außentermine vom Anwendungsbereich des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auszunehmen (VG Aachen v. 24.4.2023- 8 L 332/23, Rn. 35; vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 31. Mai 2010 – 2 M 132/10, Rn. 9; OVG NRW v. 28.11.2006 – 19 B 1789/06, Rn. 5 ff.).
37
Ermessensfehler oder Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Anordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids im Übrigen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
38
dd) Die in Ziffer 3 des Bescheides angedrohte zwangsweise Vorführung des Antragstellers findet ihre Rechtsgrundlage in § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 34 und 36 VwZVG. Im Rahmen der Ermessenserwägungen hat die Behörde auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen und zutreffend ausgeführt, dass in Anbetracht der finanziellen Situation des Antragstellers als abgelehnter Asylbewerber und der fehlenden Erwerbsmöglichkeiten, davon ausgegangen werden könne, dass das mildere Mittel eines Zwangsgeldverfahrens (vgl. Art. 34 BayVwZVG) keinen Erfolg verspricht.
39
c) Der Antrag war nach alldem mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 155 Abs. 4 VwGO abzulehnen. Auf die hälftige Teilung der Kosten wurde vor dem Hintergrund entschieden, dass der Antragsgegner durch die unterbliebene Anhörung einen formell rechtswidrigen Bescheid erlassen hat, der erst im gerichtlichen Verfahren geheilt werden konnte. Zumindest eine gewisse Veranlassung zur Einleitung des Rechtsstreits hat er damit geliefert.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013).